Candy (eBook)

Roman

(Autor)

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2011 | 1. Auflage
432 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-41049-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Candy -  Kevin Brooks
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»Diese ergreifende Geschichte bietet keine einfachen Lösungen an, doch ihre implizite, mit Bedacht im Hintergrund gehaltene Moral wird die jugendlichen Leser dieses Buches enorm beeindrucken.« The Guardian Am Bahnhof King's Cross begegnet Joe Candy - und eine Geschichte nimmt ihren Lauf, die völlig unwahrscheinlich ist: die Geschichte von der Liebe eines Arztsohns aus einem gediegenen Londoner Vorort zu einem heroinsüchtigen Mädchen vom Straßenstrich in einem der härtesten Viertel der Stadt. Was nie hätte passieren sollen, geschieht doch: Joe trifft Candy im Zoo, wo sie sich im Dunkel des Nachttierhauses küssen, er schreibt ihr, wie in Trance, einen Song, lädt sie zu einem Konzert seiner Band in einem Club ein. Die Bedrohung durch ihren Zuhälter Iggy, der versichert hat, Joe die Kehle durchschneiden zu wollen, wenn er nicht die Finger von Candy lässt, blendet er aus. Bis es fast zu spät ist. Bis er und Candy vor Iggy durch halb England fliehen müssen. Aber Candy ist durch ihre Sucht an Iggy gebunden, der ihr Stoff beschafft - wie kann Joe sie da retten? Hat er gegen dieses Milieu eine Chance - und will Candy überhaupt gerettet werden? Ausgezeichnet mit dem Stockport Children's Book Award    

Kevin Brooks, geboren 1959, wuchs in einem kleinen Ort namens Pinhoe in Südengland auf. Nach seinem Studium verdiente er sein Geld mit Gelegenheitsjobs. Seit dem überwältigenden Erfolg seines Debütromans >Martyn Pig< widmet er sich ganz dem Schreiben. Für seine Arbeiten wurde er mit renommierten Preisen ausgezeichnet, u.a. mehrfach mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis sowie der Carnegie Medal für >Bunker Diary<. Er schreibt auch Thriller für Erwachsene.

Kevin Brooks, geboren 1959, wuchs in einem kleinen Ort namens Pinhoe in Südengland auf. Nach seinem Studium verdiente er sein Geld mit Gelegenheitsjobs. Seit dem überwältigenden Erfolg seines Debütromans ›Martyn Pig‹ widmet er sich ganz dem Schreiben. Für seine Arbeiten wurde er mit renommierten Preisen ausgezeichnet, u.a. mehrfach mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis sowie der Carnegie Medal für ›Bunker Diary‹. Er schreibt auch Thriller für Erwachsene.

1. Kapitel


Es ist schwer, mir das Leben vor Candy zurück ins Gedächtnis zu rufen. Manchmal sitze ich stundenlang da, starre in die Vergangenheit und versuche mir vorzustellen, wie es war, aber irgendwie komme ich nie sehr weit damit. Ich schaffe es nicht, mich ohne sie zu sehen. Was ich gerade noch hinkriege, ist die letzte halbe Stunde, bevor wir uns trafen, die letzten paar Minuten meiner Vor-Candy-Existenz, als ich noch einfach ein Junge war … einfach ein Junge in einem Zug, ein Junge mit einer Beule, ein Junge, der eine schwarze Mütze mit Sternen trug.

Ich war unschuldig damals.

Einfach ein Junge.

In einem Zug.

Mit einer Beule.

Und einer Mütze.

Das war die ganze Welt, die ich zu kennen brauchte.

 

Es war Donnerstag, der 6. Februar, ungefähr fünf Uhr nachmittags, und der Zug Richtung London fast leer. Die Züge, die auf dem entgegengesetzten Gleis vorüberfuhren, waren proppevoll mit grantigen Pendlern, nach einem harten Arbeitstag unterwegs nach Hause, doch in meinem Zug waren die einzigen Reisenden ein paar Schichtarbeiter, ein betrunkener Typ im Anzug und eine Gruppe Disco-Girlies, die sich schon früh zu einer Nacht in der Großstadt aufgemacht hatten. Ich konnte die Mädchen nicht richtig sehen – sie saßen irgendwo hinter mir –, aber ich hörte sie zusammen kichern, lachen und kreischen, damit auch bloß jeder mitbekam, wie viel Spaß sie hatten. Es war schwer, ihnen nicht zuzuhören; erst recht, wenn sie im Vollton zu flüstern anfingen –

Das hättest du sehn sollen, Jen – so GROSS 

Nein!

Ich bin fast gestorben, glaubste 

Hihihihi!

Als die Mädchen einstiegen – einen Bahnhof nach mir –, hatte ich mich tief in meinen Sitz gedrückt und das Gesicht zum Fenster gewandt. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie mich nicht sehen konnten – sie waren ganz hinten im Wagen, ich irgendwo in der Mitte –, doch ich wollte kein Risiko eingehen. Man kennt das ja – sechs von ihnen und du bist allein … sie total aufgebrezelt und sich zur Schau stellend, außerdem hatten sie schon ein paar gezwitschert … du trägst eine nagelneue Mütze, von der du noch nicht so ganz überzeugt bist, deshalb fühlst du dich sowieso schon ein bisschen gehemmt … und du weißt genau, was passieren wird, wenn sie dich sehen … Sie werden irgendwas sagen oder tun – nur so zum Spaß –, du wirst verlegen werden, doch das spornt sie bloß an, noch mehr zu sagen, weshalb du noch verlegener wirst 

Also, wie auch immer, das hatte ich jedenfalls gemacht, als die Mädchen einstiegen: Ich hatte mich tief in meinen Sitz gedrückt und vermieden, dass sie mich sahen, den Kopf gegen die Fensterscheibe gelehnt und beobachtet, wie die Welt an mir vorüberzog.

Und genau das machte ich auch jetzt noch.

Es gab nicht viel zu sehen in dem grau werdenden Licht – Hochhausblöcke und ärmliche Wohnsiedlungen seitlich des Schienenstrangs, Verpackungsfirmen, Parks, in der Ferne flimmernde Stadtlichter – und nach einer Weile merkte ich, dass ich bloß starrte, ohne etwas zu sehen, und dem Rattern und Summen des Waggons lauschte, dem Rhythmus der Schienen – dacka-dadam, DACKa-da-dam, dacka-da-dam, DACKa-da-dam  und in Gedanken Songs erfand.

Das tat ich damals immer – mir Songs ausdenken, in Gedanken die Melodie zurechtspinnen, mir die Musik zusammenträumen 

Damals hielt mich das am Laufen.

Es bedeutete mir etwas.

Irgendwann wird es mir hoffentlich wieder was bedeuten.

 

Auch als der Zug sich dem Bahnhof Liverpool Street näherte, starrte ich weiter durchs Fenster und hörte auf die Geräusche des Waggons. Der Ansager erinnerte die Reisenden, beim Aussteigen all ihr Gepäck mitzunehmen, und während die anderen Fahrgäste aufstanden und ihre Taschen packten, lachten die Mädchen über seinen asiatischen Akzent. Wir rollten durch einen alten Backsteintunnel, an dessen Wänden Drähte und Kabel entlangliefen. Es gab kurze dunkle Buchten in der Tunnelwand, kleine verschattete Bögen, die aussahen wie Tunnel im Tunnel. In einigen dieser Buchten konnte ich Statuen erkennen – eigenartige zerbröselnde Figuren, in Backstein gebettet, ihre verwitterten Gesichter umrankt von violettem Unkraut. Als der Zug an ihnen vorbeiratterte, fragte ich mich vergeblich, was sie wohl darstellten – antiken Wandschmuck? Reliquien? Eisenbahngötter? – und was sie dort sollten. Ich meine, wozu setzt man Statuen in einen Tunnel?

Ich dachte noch immer darüber nach, als der Zug abbremste und nur noch kroch, das Dunkel sich hob und wir zischend in dem sterilen Licht des Bahnsteigs anhielten.

Psschhh 

Donk.

Aaaahhh 

Ich ließ die anderen Fahrgäste zuerst aussteigen. Als sich die Mädchen gackernd durch die Tür drängten, über den Bahnsteig davontrabten und ihre hochhackigen Schreie kalt im Bahnhof widerhallten, warf ich einen heimlichen Blick durchs Fenster. Es überraschte mich, wie jung sie waren. Nach ihrer Art zu sprechen hatte ich sie für um die zwanzig gehalten, aber die meisten von ihnen waren eher fünfzehn oder sechzehn, was mich für einen Augenblick verwirrte. Sie waren etwa so alt wie ich … trotzdem kamen sie mir nicht gleichaltrig vor. Ich war mir nicht sicher, wieso und warum. Ich fühlte mich nicht älter als sie, aber ich fühlte mich auch nicht jünger.

Ich fühlte mich einfach anders.

Für einen Moment fragte ich mich, wohin sie wohl gingen und was sie am Ende dieser Nacht wohl erlebt haben würden – Liebe, Sex, Glück, Vergessen, einen betrunkenen Schlag ins Gesicht?

Dann nahm ich meine Tragetasche, richtete meine Mütze zurecht und stieg aus dem Zug.

 

Die Bahnhofshalle war von riesigen Pendlerhorden bevölkert, die alle zu ihren Zügen eilten, rannten und drängelten. Es waren Tausende, die in einer endlosen Woge dunkler Anzüge, Aktentaschen und gehetzter Gesichter von den Straßen und der U-Bahn-Station hereinströmten wie ein tobender Schwarm. Der Lärm war unglaublich – eine wirbelnde Kakofonie von trappelnden Füßen und zusammengepferchten Stimmen, von Lautsprecherdurchsagen, zischenden Zügen, quietschenden Rädern, vom metallischen Klacken der Anzeigetafeln. All das vermischte sich zu einem gewaltigen unverständlichen Brausen, das aufwirbelte, nach oben schwirrte und zu dem gläsernen Dach emporstieg wie das Geräusch von Millionen Vögeln.

Ich lief, so schnell ich konnte, durch die Bahnhofshalle – wich mal hierhin, mal dorthin aus, kämpfte gegen den Strom an – und schaffte es schließlich hinunter zur U-Bahn-Station. Auch hier wieder Gedrängel, gejagte Gesichter, Kakofonie. Ich ging weiter – durch die Fahrkartenschleuse, den Durchgang entlang, über die Brücke, die Treppe hinunter –, dann war ich, nach einem Spurt in letzter Sekunde und einem atemberaubenden Sprung, nur noch ein zusätzliches Gesicht in einem Zug der Circle Line, der zurück in die Dunkelheit jagte.

Schwer atmend lehnte ich mich gegen die Tür, wischte mir den kalten Schweiß vom Gesicht und schaute zu dem U-Bahn-Plan an der Wand hoch: Liverpool Street, Moorgate, Barbican, Farringdon, King’s Cross.

Vier Stationen.

Nicht mehr weit jetzt.

Nicht mehr weit für den Jungen.

 

Jedes Mal, wenn ich nach London fahre, ist es mir peinlich, in den Stadtplan gucken zu müssen. Ich weiß, es ist albern. Ich weiß, es gibt überhaupt keinen Grund, warum das peinlich sein soll. Es ist bloß ein Stadtplan, verdammt noch mal. Wenn man nicht weiß, wohin, nimmt man doch einen Stadtplan, oder? Was ist daran verkehrt? Es ist völlig einleuchtend.

Ich weiß das.

Es ist nur … keine Ahnung. Es hat einfach etwas mit Coolsein zu tun, nehme ich an. London ist cool. Die Londoner sind cool. Man will schließlich nicht für einen Dorftrottel gehalten werden, oder?

Ja, ich weiß, das ist erbärmlich. Aber erbärmlich ist nicht so schlimm, oder? Ich meine, es gibt doch Schlimmeres auf der Welt, als erbärmlich zu sein.

Jedenfalls hatte ich meinen Stadtplan, eingewickelt in einer Supermarkttüte, in meiner Jacke versteckt und deshalb wusste ich, als ich aus dem U-Bahnhof King’s Cross hinauf in die kalte Spätnachmittagsluft der City kam, nicht, wo ich war. Ich wusste, wo ich hätte sein sollen, und ich wusste, welchen Weg ich hätte einschlagen sollen, aber ich war nicht da rausgekommen, wo ich wollte, und hatte die Orientierung komplett verloren. Die Adresse, zu der ich hinmusste, lag in der Pentonville Road und ich wusste auch, wo die war, schließlich hatte ich vorher im Stadtplan nachgeschaut. Aber ich wusste nur, wo sie im Verhältnis zur Euston Road lag, die an der Vorderfront des Bahnhofs vorbeiführt, doch ich war nicht an der Bahnhofsfront rausgekommen, sondern irgendwo anders, durch einen Seitenausgang oder so. Und alles, was ich sah, wo immer ich auch hinguckte, war Chaos: Autos, Busse, Taxis, losdonnernde Motorräder, aufblitzende Lichter, Straßenarbeiten, Kräne, Bauplätze, Fußgängerüberwege, Poller, Kreuzungen, noch mehr Pendler, Obdachlose, Verrückte, Hippies mit ausdruckslosem Blick, langen, schmuddeligen Haaren und Schorf im Gesicht 

Davon stand nichts...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2011
Übersetzer Uwe-Michael Gutzschhahn
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Ausreißerin • Coabhängigkeit • Drogen • Drogensucht • eBook • Entwicklungsroman • Flucht • Gewalt • Jugendthriller • Junior • King's Cross • Krimi • Liebe • Liebesgeschichte • Literatur • London • Moral • Musik • Normen • Prostituierte • Psychologischer Thriller • Punkband • Roadmovie • Schullektüre • Schullektüre 10. Klasse • Schullektüre 11. Klasse • Schullektüre 9. Klasse • Schullektüre mit Unterrichtsmaterial • Straßenstrich • Sucht • Thriller • ungleiche Liebe • Werte • Young Adult
ISBN-10 3-423-41049-3 / 3423410493
ISBN-13 978-3-423-41049-6 / 9783423410496
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