Mein böses Herz (eBook)

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2012 | 1. Auflage
416 Seiten
cbj Kinder- & Jugendbücher (Verlag)
978-3-641-06842-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein böses Herz -  Wulf Dorn
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Ein abgründiges Verwirrspiel um dunkle Geheimnisse - und die Angst vor dem »Bösen« in der eigenen Seele
Was tust du, wenn du nicht mehr weißt, was Realität ist und was Fantasie?
Seit dem Tod ihres Bruders wurde Doro von Halluzinationen verfolgt, aber eigentlich dachte sie, das in den Griff gekriegt zu haben. Doch als sie mit ihrer Mutter aufs Land zieht, scheint die neue Umgebung erneut etwas in ihr auszulösen. Stimmen verfolgen sie. Und eines Nachts sieht Doro in ihrem Garten einen Jungen: verstört, abgemagert, verzweifelt. Der Junge bittet sie um Hilfe - und ist dann verschwunden. Wenig später erfährt Doro, dass er schon vor ihrer Begegnung Selbstmord begangen hat. Doro kann nicht glauben, dass sie sich den Jungen nur eingebildet hat. Doch die Suche nach der Wahrheit wird schnell zum Albtraum. Und tief in Doros Seele lauert ein dunkles Geheimnis ...

Wulf Dorn (*1969) war zwanzig Jahre in einer psychiatrischen Klinik tätig, ehe er sich ganz dem Schreiben widmete. Mit seinem 2009 erschienenen Debütroman 'Trigger' gelang ihm ein internationaler Bestseller, dem weitere folgten. Dorns Bücher werden in zahlreiche Sprachen übersetzt und begeistern eine weltweite Leserschaft. Für seine Storys und Romane wurde er mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem französischen Prix Polar, dem ELLE Readers Award und dem Glauser Preis.

SCHWARZE ERINNERUNG

Was hast du getan, Doro? Was hast du nur getan …?

Da war jemand. Ein Eindringling, hier bei mir im Zimmer. Noch bevor ich die Augen aufschlug, spürte ich seine Gegenwart.

Kalt.

Finster.

Böse.

Sieh mich an, Doro!

Diese Stimme, so dunkel und verzerrt, sie konnte unmöglich zu einem Menschen gehören. Eher zu einem …

Nein, mein Verstand konnte kein Bild dazu formen. Alles, was er mir zeigte, war ein abgrundtiefes Schwarz. Was immer dieses Etwas auch sein mochte, war für mich unbeschreiblich. Ich konnte nur fühlen, wie böse es war.

Los doch, sagte die Stimme bedrohlich leise. Sieh schon her! Worauf wartest du noch?

Ich bekam keine Luft. Mein Körper war wie versteinert. Ich starrte auf meine Finger, die sich in die Bettdecke verkrampft hatten, während das Etwas hinter mir näher kam.

Seine Füße streiften kaum hörbar über den Teppich und mit jedem seiner Schritte wurde mir noch kälter. Als es dann unmittelbar hinter mir stand, ließ meine Lähmung nach, und ich begann, am ganzen Leib zu zittern, wie bei einem Schüttelfrost.

Du fürchtest dich vor mir, stellte das Etwas fest und kicherte. Dabei bist du es doch selbst, vor der du dich fürchten solltest. Nicht wahr, Doro?

Wieder das Kichern. Als ob Hagel auf ein Blechdach prasseln würde. Dann beugte es sich zu mir herab.

Ich wollte aufspringen, es abwehren, schreien – doch das ging nicht. Meine Angst vor dem, was ich zu sehen bekommen würde, war viel zu mächtig.

Ich wusste, wenn ich mich zu ihm umdrehte, würde ich vor Entsetzen verrückt werden. Also konnte ich nur daliegen, zitternd und hilflos.

Wir beide wissen, was du getan hast, raunte die Stimme mir zu, und ich fühlte ihren eisigen Hauch auf meiner Wange. Noch ist es unser hässliches kleines Geheimnis. Aber was wirst du tun, wenn die anderen davon erfahren? Was werden sie dann von dem lieben, netten Mädchen denken?

»Lass … mich … in Ruhe!«

Es kostete mich unglaubliche Anstrengung zu sprechen. Jedes meiner Worte hörte sich verwaschen an, wie das Lallen einer Betrunkenen.

Nein, hauchte das Etwas, ich werde dich nie wieder in Ruhe lassen. Nie wieder, verstehst du? Du hast mich in dein Leben gelassen und deshalb gehöre ich jetzt zu dir.

»Nein.« Ich schluchzte. »Geh weg! Lass … mich.«

Wie du willst, sagte das Etwas. Für den Augenblick. Aber ich werde wiederkommen. Wieder und wieder und wieder. Bis du zu dem stehst, was du getan hast. Niemand entkommt seinen Taten, Doro. Auch du nicht!

Auf einmal ließ die Kälte nach. Das Ding war fort. Es war ebenso plötzlich verschwunden, wie es gekommen war.

Weinend schreckte ich aus dem Albtraum hoch. Er war mir so realistisch vorgekommen, dass ich für einen Augenblick glaubte, ich würde die Fußabdrücke des Wesens auf dem Teppich sehen können.

Doch da war natürlich nichts. Nur das grüne Velours, auf das die Junisonne, die durch die Jalousie fiel, ein Streifenmuster warf.

Mein Wecker zeigte fünf vor acht. Von unten hörte ich das Klappern von Geschirr und gleich darauf die Stimmen meiner Eltern.

»Gerne«, rief Paps aus dem Bad und übertönte mit seinem kräftigen Bariton das Summen des Rasierapparats. »Zwei, bitte. Hart gekocht. Die kann ich heute brauchen.«

Aus der Küche drang Mums Lachen zu mir herauf.

An jedem anderen Sonntagmorgen hätte mich dieser frühe Lärm genervt, ich hätte mir die Bettdecke über die Ohren gezogen und weitergeschlafen. Heute war ich zum ersten Mal dankbar für die Störung.

Ich sprang aus dem Bett, schlüpfte in Jeans und T-Shirt und ging nach unten.

Mum stand in der Küche und löffelte Kaffeepulver in den Automaten. »Buon giorno, cara. So früh schon auf?«

Sie lächelte mich an und im Licht der Morgensonne glänzte ihr schwarzes Haar mit ihren bernsteinbraunen Augen um die Wette.

Jeder Mensch hat seine eigene Farbe und die meiner Mutter ist eben dieses wundervolle Goldbraun ihrer Augen. Ihre Eltern waren Sizilianer, und meine Großmutter hat immer gesagt, Italienerinnen seien die stolzesten und schönsten Frauen der Welt. Ich weiß nicht, ob das wirklich auf alle zutrifft, aber bei meiner Mum hat sie auf jeden Fall recht gehabt.

Mum zwinkerte mir zu. »Bist du noch sauer wegen gestern?«

»Wegen gestern?« Ich schüttelte den Kopf. Im Augenblick war ich viel zu froh, aus dem Albtraum erlöst zu sein, um mich an gestern zu erinnern. »Nein, ich bin nicht mehr sauer.«

Mum schmunzelte. »Das freut mich, cara mia. Dann vergessen wir unseren Streit wohl am besten.«

»Ja, natürlich«, sagte ich und versuchte, mich zu erinnern, doch irgendwie gelang es mir nicht. Alles, was ich von gestern Abend noch wusste, war, dass wir uns angeschrien hatten. »Ich habe wohl ziemlich heftig reagiert, was?«

»Du hast eben Omas Temperament geerbt. Und jetzt Schwamm drüber.«

»So ist das also«, sagte Paps, der hinter mir in die Küche kam. Er beugte sich zu mir herab und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Ich roch sein Aftershave, auf dessen Fläschchen kristallfrisch stand. Ein Geruch, bei dem ich jedoch nicht an Kristalle denken musste, eher an Elfenbein. Das war die Farbe meines Vaters. »Wenn du das Aussehen von deiner Mutter und das Temperament von deiner Großmutter geerbt hast, was hast du dann von mir mitbekommen?«, fragte er.

»Den Zweitnamen deiner Mutter«, sagte ich und wischte mir den Elfenbeingeruch von der Wange.

Wie so oft, wenn ich zu ihm aufsah, fragte ich mich, warum ich es nur auf einen Meter zweiundsechzig geschafft hatte, und kam mir wieder einmal wie der Zwerg der Familie vor.

Paps war ein großer schlanker Mann mit einem kantigen Gesicht und tief liegenden blauen Augen. Er fuhr sich mit den Fingern durch das nasse braune Haar und musterte mich mit gespielter Ernsthaftigkeit. »Ich verstehe gar nicht, dass du den nicht magst.«

»Na, komm schon, Paps. Welches Mädchen will schon gern Dorothea heißen?«

»Du offenbar nicht.«

»Nein, ich finde den Namen spießig.«

»Ich weiß«, entgegnete er schulterzuckend, »aber deine Mutter mochte ihn. Nicht wahr, Schatz?«

Die Eieruhr rettete Mum vor einer Antwort. »Doro, Liebling, sei so gut und sieh nach deinem Bruder. Er ist bestimmt schon wach.«

»Och Mann, immer ich. Kann denn nicht Paps mal nach ihm sehen?«

Es war jeden Morgen das Gleiche. Allein schon der Gedanke an das schreiende kleine Monster machte meine gute Stimmung wieder zunichte. Nicht dass ich meinen eineinhalbjährigen Bruder nicht liebte, aber es nervte mich, ständig als Babysitter für »unser Nesthäkchen«, wie Tante Lydia ihn nannte, herhalten zu müssen.

Sicherlich hatte Kai sich wieder in die Windeln gemacht und ich hasste diesen Geruch auf nüchternen Magen.

»Ich bin bereits zum Brötchenholen abkommandiert worden.« Paps wedelte mit dem Autoschlüssel. »Also tu brav, was deine Mutter sagt. Vergiss nicht, dass auch sie das Temperament deiner Großmutter geerbt hat. Und noch dazu den Sturkopf deines Großvaters.«

»Ihr beiden seid unmöglich«, sagte Mum und lachte. »Und jetzt ab mit euch, die Eier werden kalt.«

Paps und ich wechselten einen kurzen Blick, dann mussten wir ebenfalls lachen.

Damals wusste ich es noch nicht, aber es sollte der letzte glückliche Moment in unserem Familienleben sein.

Die Erinnerung an das, was danach geschah, erscheint mir irgendwie dumpf und verzerrt. So wie man etwas wahrnimmt, wenn man den Kopf unter Wasser hält.

Ich kann weder Mum in der Küche hören noch den Motor unseres Autos, als Paps aus der Garage fährt. Stattdessen ist da ein hoher monotoner Laut, der meinen Kopf ausfüllt. Es ist schon viele Jahre her, dass ich einmal sehr hohes Fieber hatte. Auch damals war da dieser Ton gewesen. Eine Art Schwingen und Summen, die nur schwer zu beschreiben ist. Vielleicht am ehesten wie die Laute, die man unter Stromleitungen auf einem freien Feld hören kann.

Ich stehe im Flur und sehe zum Obergeschoss hinauf. Sonnenlicht fällt durch die Fensterwand auf die Stufen und taucht alles in ein unwirkliches Licht. Ja, es ist wie ein Fiebertraum.

Aus irgendeinem unerklärlichen Grund möchte ich nicht dort hinauf, aber dann gehe ich doch die Treppe hoch. Ich spüre die Teppichmatten unter meinen nackten Füßen. Die festen, engen Maschen. Fast ist es, als wollten sie mich zurückhalten.

Geh nicht weiter, sagt etwas in meinem Kopf. GEH NICHT WEITER!

Kais Zimmer liegt am Ende des oberen...

Erscheint lt. Verlag 27.2.2012
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte ab 12 • ab 13 • eBooks • Kinderkrimi • Psychothriller • Schwäbische Alb • Synästhesie • Thriller
ISBN-10 3-641-06842-8 / 3641068428
ISBN-13 978-3-641-06842-4 / 9783641068424
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