Schwarzes Fieber (eBook)
288 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-95460-0 (ISBN)
Wolfgang Burger, geboren 1952 im Südschwarzwald, war promovierter Ingenieur und hat viele Jahre in leitenden Positionen am Karlsruher Institut für Technologie KIT gearbeitet. Seit 1995 war er schriftstellerisch tätig und lebte in Karlsruhe und Regensburg. Seine 20-bändige Reihe um den Kriminaloberrat Alexander Gerlach wurde mehrfach für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert und stand regelmäßig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste. Wolfgang Burger verstarb im Dezember 2024.
Wolfgang Burger, geboren 1952 im Südschwarzwald, ist promovierter Ingenieur und hat viele Jahre in leitenden Positionen am Karlsruher Institut für Technologie KIT gearbeitet. Er hat drei erwachsene Töchter und lebt heute in Karlsruhe und Regensburg. Seit 1995 ist er schriftstellerisch tätig. Die Alexander-Gerlach-Romane waren bereits zweimal für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert und standen mehrfach auf der SPIEGEL-Bestsellerliste.
2
Am Sonntagabend sah ich das nun schon wohlbekannte Gesicht wieder, um zehn vor acht in den Fernsehnachrichten des SWR. Am Montag wurde es sogar in der süddeutschen Ausgabe der Bild-Zeitung gezeigt, zusammen mit einigen gutmütigen Spekulationen, sowie in fast allen Tageszeitungen Baden-Württembergs und der Pfalz.
Doch ohne Erfolg.
Das Wetter war unverändert heiß, sonnig und für das Oberrheintal ungewöhnlich klar, und tatsächlich machte ich in meiner zweiten und letzten Ferienwoche noch die eine oder andere Ausfahrt mit meinem Rad. Einmal besuchte ich abends Lorenzo, und wir spielten eine Partie Schach auf seiner Terrasse. Lorenzos wirklicher Name war Horst-Heinrich Lorentz. Ich hatte ihn im vergangenen Winter im Zuge der Aufklärung eines verzwickten Falls kennengelernt. Wir hatten uns ein wenig angefreundet und es bisher geschafft, die Verbindung nicht wieder abreißen zu lassen. Er bewohnte ein von außen schönes, innen jedoch altmodisch und für meinen Geschmack ungemütlich eingerichtetes Haus, das er von seinen Eltern geerbt und einfach so gelassen hatte, wie es war. Sein Vater war ein angesehener Professor an der Universität gewesen und hatte es zu einem gewissen Wohlstand gebracht. Lorenzo hatte zwar Verschiedenes studiert, dann jedoch nach allerhand Kapriolen ausgerechnet im Gastgewerbe seine Berufung gefunden.
Sein Haus lag unterhalb des Philosophenwegs über dem nördlichen Neckarufer und bot eine so unglaubliche Aussicht auf die Alte Brücke, die Stadt mit ihren Spitzweg-Giebeln und Turmspitzen, das selbst als Ruine noch majestätische Schloss, dass ihm mancher Amerikaner ohne Wimpernzucken Millionen dafür bezahlt hätte. Aber das war Lorenzo gleichgültig. Er gehörte zu den wenigen Glücklichen, die genug Geld hatten.
Selbstverständlich verlor ich das Schachspiel. Gegen Lorenzo verlor ich immer, aber hier ging es nicht um Sieg oder Niederlage, sondern um gemeinsames Schweigen und Grübeln, höchstens unterbrochen von einem gelegentlichen Brummen der Enttäuschung oder der Befriedigung, einem verschmitzten Grinsen, wenn einem ein guter Zug gelang. Dazu tranken wir Wein aus seinem Keller, der vermutlich zu den am besten ausgestatteten der ganzen Kurpfalz gehörte.
»Matt«, seufzte Lorenzo nach kaum zwanzig Minuten mit wohligem Behagen. Er machte sich nie die Mühe, seine Schadenfreude zu verbergen.
Wir stießen an. Die hohen Gläser klangen, dass ich meinte, man müsse es noch jenseits des Neckars hören. Der Abend war vollkommen windstill, die weiche Luft voller Geräusche, Düfte, Stimmen, Gemurmel und Gezirpe.
»Appetit?«, fragte Lorenzo, nachdem er sein Schlückchen Wein auf unbeschreiblichen Umwegen durch den Mund befördert hatte.
»Was glaubst du wohl, wozu ich hier bin?«
Lorenzo hatte nämlich nicht nur guten Wein im Keller, er konnte auch vorzüglich kochen. Jahrzehntelang hatte er als Empfangschef in großen Hotels mit exzellenten Küchen gearbeitet und dem jeweiligen Chef de Cuisine über die Schulter geguckt. In puncto Kochen war er mein unerreichbares Vorbild. Inzwischen hatte ich es dabei aber immerhin so weit gebracht, dass meine Zwillinge nicht mehr in Panik gerieten, wenn ich ein Sonntagsmenü plante.
Leise grunzend stemmte er sich aus dem knarrenden Korbsessel, ergriff seinen schwarzen Stock mit Elfenbeingriff und verschwand mit mühsamen kleinen Schritten in der Küche. Obwohl er noch nicht im Rentenalter war, hatte er wegen einer rasch fortschreitenden Arthrose den geliebten Beruf aufgeben müssen, der ihn die meiste Zeit zum Stehen zwang.
»Wo steckt eigentlich Maria?«, rief ich ihm nach.
»Sie hat ab September ein Engagement in Hannover«, rief er zurück. »Sie ist schon mal hingefahren, um sich ein Zimmer zu suchen. Wir werden uns leider nicht oft sehen in nächster Zeit.«
Maria war eine Schönheit italienischer Abstammung mit honigblondem Haar, gut zwanzig Jahre jünger als Lorenzo. Sie spielte Cello auf einem Niveau, von dem Normalsterbliche höchstens hin und wieder träumen. Die beiden schienen trotz des Altersunterschieds das glücklichste Paar zu sein, das ich kannte. Nie würde ich begreifen, was eine junge, attraktive Frau an diesem alten Kerl fand. Aber wer versteht schon die Beziehungen anderer? Wir verstehen ja meist nicht einmal unsere eigenen.
Ich lehnte mich zurück, faltete die Hände im Nacken und versuchte herauszufinden, welcher Wochentag heute war. Mittwoch? Donnerstag? Ich entschied mich für Mittwoch. Weshalb hatte ich eigentlich nur zwei Wochen Urlaub genommen? Was wollte ich bei diesem göttlichen Sommerwetter in meinem stickigen Büro mit meinen trockenen Akten? Sollte ich verlängern? Ja, wozu überhaupt arbeiten?
Auf einmal beneidete ich Lorenzo um seine Freiheit. Er war finanziell unabhängig und in jeder Hinsicht Herr seiner selbst. Zum ersten Mal wurde mir bewusst, dass auch ich irgendwann in Pension gehen würde, vielleicht wie Lorenzo einen Stock benötigen. Dass Arbeiten, jeder Beruf, alles irgendwann ein Ende hat.
Meine Eltern fielen mir ein. Wie es ihnen wohl ging mit der abgesoffenen Wohnung, in ihrem engen Hotelzimmer? Warum riefen sie eigentlich nie an? Warum rief ich sie nie an? Auch mein Vater war Beamter gewesen, beim Finanzamt, und hatte mir, als die Zeit gekommen war, mit den üblichen Argumenten in den Ohren gelegen, ebenfalls in den Staatsdienst zu treten.
Lehrer kam nicht infrage, davon hatte ich zu viele kennengelernt, das Finanzamt war für mich unvorstellbar gewesen, und so hatte die Polizei nicht weit gelegen. Ich liebte es, mit Menschen zu tun zu haben, den verschiedensten Menschen aus allen Schichten. An ihrem Schicksal teilzuhaben. Meinen Teil dazu beizutragen, ihre Welt in Ordnung zu halten. Zu helfen, sie wieder zurechtzurücken, falls sie einmal in Unordnung geraten war.
Und das war leider ein Problem bei der Position, die ich nun seit fast einem Jahr bekleidete: Als Kripochef hatte ich im Leben außerhalb meines Büros nichts mehr zu suchen. Ohne recht zu wissen, wie mir geschah, war ich plötzlich zum Verwaltungsbeamten mutiert, der das Leben außerhalb der Polizeidirektion nur noch vom Hörensagen und aus Berichten und Protokollen kannte.
Ich nippte an meinem Wein, während Lorenzo in der Küche heimelige Geräusche erzeugte. Meine Gedanken schwebten von hier nach dort und landeten – wo sonst – bei Theresa. Auch wenn wir Funkstille vereinbart hatten, fand ich, hätte sie mir wenigstens eine klitzekleine SMS schicken können, damit ich mir keine unnötigen Sorgen machte. Natürlich machte ich mir nicht die geringsten Sorgen um sie, aber das konnte sie ja nicht wissen. Ich brauchte sie, wurde mir bewusst, jetzt, wo sie nicht da war. Und wie vermutlich alle Männer dieser Welt hasste ich es, jemanden zu brauchen.
Ich nahm mir vor, aus unserem Wiedersehen in knapp drei Wochen ein Fest zu machen mit Champagner und Kaviarhäppchen, echtem Kaviar natürlich, Lachs und Trüffelpastete. Theresa liebte den Luxus, und manchmal beschlich mich das Gefühl, auch ihre Beziehung zu mir sei nur eine Art Luxus für sie. Etwas, das sie sich gönnte wie eine neue Frisur, ein Schaumbad bei barocker Trompetenmusik, sinnlos teure Unterwäsche oder ein siebengängiges Abendessen im Hotel Ritter. War es das, was mich so verrückt machte nach dieser Frau? Dass sie mir nie das Gefühl gab, ich könnte sie besitzen? Dass ich immer wusste, es war nur auf Zeit, auf lange Zeit vielleicht, aber eben doch eine Beziehung ohne Ewigkeitsanspruch und Treueschwüre?
Lorenzo klapperte immer noch in der Küche herum. Er verriet grundsätzlich nie, was er auf den Tisch bringen würde, aber es war immer das Passende. Es duftete jetzt ein bisschen nach Thymian und, in diesem Haus unverzichtbar, nach Knoblauch. Ich tippte auf Fisch.
Drüben lag das rote Schloss im Abendlicht, manche Fenster der Altstadt glühten auf im Feuer der untergehenden Sonne. Ich gönnte mir noch einen Schluck Wein. Nein, unvorstellbar, niemals würde ich in Pension gehen, denn ich war ja unsterblich.
Humpelnd erschien Lorenzo mit zwei großen, flachen Tellern, die so heiß waren, dass er sie nur mithilfe zweier blau karierter Küchentücher anfassen konnte. Pangasiusfilet, gedämpft, erklärte er, dazu Basmatireis, vermengt mit ein wenig Wildreis, feines Mischgemüse, und das alles in einer rötlichen und nach allen Wundern des Mittelmeers duftenden Soße. Wie um alles in der Welt hatte er das in fünf Minuten hingezaubert? Wenn ich so etwas kochte, dann stand ich zwei Stunden in der Küche und verbrachte anschließend zwei weitere damit, die angerichteten Kollateralschäden zu beseitigen.
Oder sollten es mehr als fünf Minuten gewesen sein? Ich begann, das Gefühl für die Zeit zu verlieren. Ein gutes Zeichen. Morgen früh würde ich in der Direktion anrufen und meinen Urlaub verlängern. Vangelis konnte mich problemlos noch zwei weitere Wochen vertreten. Sie war meine beste und zuverlässigste Mitarbeiterin, und (aber das verriet ich natürlich niemandem) in manchen Dingen besser als ich. Am Samstag würde ich vielleicht wieder einmal Lotto spielen. Im Radio hatte ich gehört, fünfzehn Millionen lägen im Jackpot.
Die Soße war zu sauer und außerdem versalzen, und Lorenzo hatte plötzlich schlechte Laune.
»Das ist mir ja schon ewig nicht mehr passiert!«, maulte er, als wäre es meine Schuld.
Gegen das Salz half ein fruchtiger Chardonnay aus dem Trentino, stellten wir fest, und die übertriebene Säure war vermutlich gut für die Verdauung. Diesmal war ich es, der sich keine Mühe gab, seine Schadenfreude zu verhehlen.
»Dieser Wein ist einsame Spitze. Gibt’s in Norditalien auch Mafiaclans, zu denen du Beziehungen pflegst?«, fragte ich kauend.
Lorenzo war – soweit ich informiert...
Erscheint lt. Verlag | 19.9.2011 |
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Reihe/Serie | Alexander-Gerlach-Reihe |
Alexander-Gerlach-Reihe | |
Alexander-Gerlach-Reihe | |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Alleinerziehender Vater • Andreas Franz • Buch • Bücher • deutsche krimiserien • Deutscher Krimi • Ermittler-Krimi • Ermittlung • Heidelberg Krimi • Klassischer Krimi • Krimi • Kriminalroman • Krimis Heidelberg • Kripo • Kripochef Alexander Gerlach • Mordanschlag • Nele Neuhaus • Polizei-Krimi • Regiokrimi • Regionalkrimi • spannend • Spannung • Taschenbuch |
ISBN-10 | 3-492-95460-X / 349295460X |
ISBN-13 | 978-3-492-95460-0 / 9783492954600 |
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