Die englische Episode (eBook)

Ein historischer Hamburg-Krimi

(Autor)

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2009 | 1. Auflage
448 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-40671-1 (ISBN)

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Die englische Episode -  Petra Oelker
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Rosina folgt der Spur des Verbrechens von Hamburg nach London. April anno 1770. In Hamburg wird ein honoriger Drucker ermordet, ein Mädchen und eine kostbare Münzsammlung verschwinden. Wenige Wochen später wird in London die Leiche einer jungen Frau gefunden. Wer hasste den Drucker so sehr? Warum musste das Mädchen sterben? Diesmal macht sich die Hamburger Komödiantin Rosina mit Weddemeister Wagner und Madame Augusta in der brodelnden, weltoffenen Stadt an der Themse auf die Suche nach einem Mörder und seinem Motiv. Eine aufregende Jagd, bis sie zwischen Theater, Kaffeehaus und Druckerei, verruchtem Gin-Keller und noblem Salon begreifen, was die beiden Toten an Elbe und Themse miteinander verband.

Petra Oelker arbeitete als Journalistin und Autorin von Sachbüchern und Biographien. Mit «Tod am Zollhaus» schrieb sie den ersten ihrer erfolgreichen historischen Kriminalromane um die Komödiantin Rosina, zehn weitere folgten. Zu ihren in der Gegenwart angesiedelten Romanen gehören «Der Klosterwald», «Die kleine Madonna» und «Tod auf dem Jakobsweg». Zuletzt begeisterte sie mit «Das klare Sommerlicht des Nordens», «Emmas Reise» sowie dem in Konstantinopel angesiedelten Roman «Die Brücke zwischen den Welten».

Petra Oelker arbeitete als Journalistin und Autorin von Sachbüchern und Biographien. Mit «Tod am Zollhaus» schrieb sie den ersten ihrer erfolgreichen historischen Kriminalromane um die Komödiantin Rosina, zehn weitere folgten. Zu ihren in der Gegenwart angesiedelten Romanen gehören «Der Klosterwald», «Die kleine Madonna» und «Tod auf dem Jakobsweg». Zuletzt begeisterte sie mit «Das klare Sommerlicht des Nordens», «Emmas Reise» sowie dem in Konstantinopel angesiedelten Roman «Die Brücke zwischen den Welten».

Hamburg 1770 im April


Kapitel 1


Dieses Mal hatte der Tod sein Spiel verloren. Oder hatte er nur gnädig auf seine Beute verzichtet? Das glaubte sie nicht. Was sollte am Sterben eines Kindes Gnade bedeuten? Sie glaubte, dass der Tod mit dem Leben spielte. Ein unerbittliches Spiel, in dem die Rollen so ungerecht verteilt waren wie in keinem anderen.

Ein böiger Nordwest kam vom Fluss herauf, schärfte sich in den engen Straßen und durchdrang die dicke Wolle ihres Schultertuches. Auch in der Kirche hatte sie gefroren, die Mauern von St. Michaelis hielten die Kälte der langen Wintermonate oft bis weit in den Sommer hinein, sie war froh gewesen, dass Merthe darauf bestanden hatte, ihr den heißen Stein mitzugeben.

Der lag nun erkaltet in ihrer Tasche, aber immerhin waren ihre Füße warm.

‹Du darfst nicht krank werden›, hatte Merthe gesagt und wie immer Recht gehabt, als sie streng hinzufügte: ‹Du siehst aus, als könnte dich ein Mückenstich umbringen.› Sicher hatte Merthe auch Recht gehabt, als sie entschieden gegen den Besuch der Morgenandacht protestierte: ‹Du brauchst keine kalte Kirchenbank, sondern Schlaf. Geh endlich ins Bett, es wird Gott nicht stören, wenn du deine Gebete unter einer warmen Decke sprichst.›

«Guten Morgen, Madame Boehlich. So früh schon unterwegs? Aber daran tut Ihr recht. Es ist ein herrlicher Morgen, für Mitte April sogar wahrhaft herrlich. Geht es Onne besser?»

Luise Boehlich blieb stehen und schlug ihr Tuch aus der Stirn zurück. Sie war rasch den seit Jahren vertrauten Weg gegangen und hatte nicht bemerkt, dass sie schon den Großneumarkt erreicht hatte. Schröder, der Bäcker aus dem Valentinskamp, stand vor ihr und sah sie freundlich an. Wieder zerrte eine Bö an ihrem Tuch und an ihren Röcken, doch nun fühlte sie die Kälte nicht mehr. Seit Tagen hatte sie ihr Haus nicht verlassen, seit Tagen mit niemandem gesprochen als mit Merthe und dem Arzt, seit Tagen hatte sie nichts gesehen als deren sorgenvolle Mienen und das fiebernde Gesicht ihres Sohnes. Die gesunde Pausbackigkeit des Bäckers, der süße Duft aus seinem Korb, die Spuren von Mehl auf seiner Schürze erschienen ihr wie die Verheißung von neuem Leben, von Wärme und Alltäglichkeit. Von Glück, dachte sie und fühlte dankbar, wie leicht Glück aus einer Kleinigkeit erwachsen kann.

«Danke, Meister Schröder, ja, es geht Onne endlich besser. Das Fieber ist gesunken und Dr. Reimarus hat uns versichert, dass es nun überstanden ist.»

Sie wollte lächeln, doch ein Schluchzen stieg in ihrer Kehle auf, und sie wischte sich hastig mit ihrem Ärmel über das Gesicht. «Wie dumm von mir, jetzt noch zu weinen», sagte sie und versuchte wieder ein Lächeln.

«Seid froh, wenn Ihr Grund habt, aus Freude zu weinen», sagte der Bäcker, hob das Leintuch von seinem Korb, griff nach kurzer Auswahl ein süßes, zuckerbestäubtes Brötchen und überreichte es Madame Boehlich, als sei es eine duftende Rose. «Nach diesem harten Jahr. Aber nun», er schob das rundliche Kinn vor und sah zum Himmel hinauf, «kommt die Sonne durch die Wolken. Glaubt mir, wenn der Sommer anfängt, wird alles besser. Die Wärme und das Licht machen Euren Sohn im Handumdrehen gesund. Und bald», fügte er nach kurzem Zögern hinzu, als habe er nach etwas besonders Tröstlichem gesucht, «kommt der Mai und dann …»

«Im Juni», widersprach sie hastig, «ganz gewiss nicht vor Juni. Vielleicht erst im Juli. Es ist noch so viel zu tun im Haus und in der Druckerei, das Auftragsbuch ist voll.»

Sie biss in das süß duftende Brötchen, nickte dem Bäcker einen Dank zu und eilte davon.

Meister Schröder sah ihr verdutzt nach, breitete achselzuckend das Tuch wieder über den Korb und setzte seinen Weg fort. Er mochte Madame Boehlich, alle mochten sie. Seit sie vor einem knappen Jahr Witwe geworden war und selbst die Boehlich’sche Druckerei am Valentinskamp führte, manche fanden sogar besser als Abraham, versagte ihr erst recht niemand den Respekt. Boehlich war fleißig und honorig gewesen, allem Neuen gegenüber jedoch mehr als misstrauisch. Doch die Zeiten waren nun mal so, dass es ständig Neues gab, und wer im Geschäft bleiben wollte, durfte sich dem nicht verschließen. Das hatte er, Schröder, Boehlich immer wieder gesagt, wenn sie im Bremer Schlüssel saßen und über Gott und die sich gar zu rasch drehende Welt räsonierten. Das Bewährte, hatte der Drucker dann stets gesagt, bleibe das Bewährte. ‹Lass andere das Neue versuchen und sich ruinieren. Wenn’s doch funktioniert, ist immer noch Zeit, es zu übernehmen.› Sein Faktor war wohl anderer Meinung gewesen, aber klug genug, sich seinem Herrn zu fügen. Sicher war es sein Einfluss, der Luise Boehlich ihre Geschäfte so klug führen ließ, auch wenn sie seit jeher ihren eigenen Kopf hatte. Abraham hatte es in seiner Ehe gewiss nicht immer leicht gehabt.

Nur gut, dachte er und schob die Tür zum Gasthaus Zur blauen Möwe auf, dass die Boehlichin sich nicht mehr lange mit der Druckerei plagen musste. Cornelis Kloth, der Boehlich’sche Faktor, galt als ernsthafter Mensch, als ein Fuchs in Geschäften und als Ehemann – nun, er verstand einen Scherz, war in den besten Jahren und würde sie und ihre Kinder schon nicht in Sack und Asche gehen lassen.

Juni, dachte Luise Boehlich noch, als sie die Caffamacherreihe hinuntereilte. Seit Wochen dachte sie immer wieder: Juni. Das war der verabredete Monat, und damals, im September, war ihr die Zeit bis dahin sehr lang erschienen. Bis zum letzten November. Sie hatte um Abraham getrauert und das Versprechen, das sie ihm in der Nacht vor seinem Tod gegeben hatte, für selbstverständlich genommen. Es war auch jetzt noch vernünftig und ehrbar. Sie musste es einlösen.

Sie bog in den Valentinskamp ein und wandte sich nach rechts. Vor der Schröder’schen Bäckerei blieb sie stehen, schnupperte dem köstlichen Geruch von warmem Brot nach und sah die Straße hinunter, in der sie seit zehn Jahren lebte. Ihr Geist war müde und überwach zugleich. Gegen die Sonne, die gerade erst über die Dächer geklettert war und die noch morgengrauen Fassaden mit sanften Farben bemalte, schienen ihr die Reihen der Häuser wie ein Traumbild, vertraut und doch auf seltsame Weise fremd. Die Luft der frühen Stunde war glasklar – der Tag würde wieder Regen bringen – und ließ sie die Straße wie durch eine vergrößernde Linse sehen. Hatte sie je die zierlichen steinernen Farnwedel über der Tür der Feinwäscherei bemerkt? Die moderigen Flecken an den Balken im Fachwerk des nur zwei Fenster breiten Häuschens am Durchgang zur St.-Anscharkapelle? Oder um wie viel stärker der Giebel ihres Nachbarhauses vorkragte als all die anderen?

Jeden Tag war sie an alledem vorbeigegangen und hatte nichts gesehen. ‹Unsinn›, würde Merthe sagen, sollte sie je so leichtfertig sein, Abrahams Schwester von diesen Gedanken zu erzählen. ‹Unsinn. Was ändert ein Farnwedel, was ändert ein vorragender Giebel an deinem Leben. Warum vertust du Zeit mit Herumstehen und Straßenhinunterstarren?› Merthe war ein durch und durch vernünftiger Mensch.

Als Luise vor einer guten Stunde ihr Haus verlassen hatte, war die Straße bis auf einige Karren und mit schweren Körben zum Markt eilenden Frauen aus den Kohlhöfen verlassen gewesen. Nun waren die Stadttore geöffnet, die Zöllner hatten die ersten Wagen geprüft, und vom Gänsemarkt her ratterten hoch beladene Fuhrwerke über das grobe Pflaster. Vor den Werkstätten fegten die Lehrjungen die Straße, in weit geöffneten Fenstern lag Bettzeug zum Lüften, Wasserträgerinnen schleppten ihre doppelte Last vom Brunnen am Großneumarkt. Eine Schar Jungen flitzte vorbei, gewiss auf dem Weg zu einer der Armenschulen in der Neustadt, und scheuchte lärmend ein paar Hühner auf, die gierig in noch dampfenden Pferdeäpfeln kratzten.

Sie hatte wirklich keine Zeit herumzustehen. Umso mehr genoss sie den Blick entlang der Straße, empfand sie die Wahrnehmung jeder Einzelheit als ein Geschenk. Als sei sie endlich auf einer dieser Reisen, von denen sie als Mädchen geträumt hatte, wohl wissend, dass sie sie nie antreten würde. Sie wollte von nun an dankbar sein: Wohl hatte sie viel verloren, doch ihre Welt war immer noch unendlich reich. Sie musste sich nur bemühen, den Reichtum zu sehen.

An diesem Morgen hatte sie nicht nur Dankgebete für Onnes Rettung gesprochen, sie hatte Gott auch um Vergebung gebeten. Und um himmlischen Schutz für einen Reisenden. Sünde. Das war es wieder, das kleine gemeine Wort. Sünde. Aber Onne lebte, war das nicht ein Zeichen des Himmels, dass ihr vergeben worden war?

Onne habe es geschafft, er sei eben doch ein kräftiger kleiner Kerl, hatte der Arzt im Morgengrauen gesagt. Plötzlich fror sie wieder. Und wenn der Arzt sich irrte? Was war womöglich geschehen in dieser einen kurzen Stunde, die sie fort gewesen war? Wer wusste besser als sie, die ehrbare Madame Boehlich, was eine kurze Stunde bedeuten konnte, wie schnell ein ganzes Leben durcheinander gewirbelt wurde? Rasch warf sie den letzten Brocken des Brötchens den Hühnern zu, wischte sich den Zucker von den Lippen, lief die letzten Schritte bis zu ihrem Haus, dem drittletzten, bevor sich die Straße zum Gänsemarkt weitete, und schob das Hoftor auf.

«Da bist du ja endlich.» Am zweiten Fenster im ersten Stock stand Merthe, bleich wie immer, ganz in Schwarz wie immer, mit strengem Gesicht. Während der ersten Jahre ihrer Ehe hatte Abrahams Schwester ihr Furcht eingeflößt. Inzwischen, ganz besonders im letzten Jahr, hatte sie gelernt, hinter ihre Fassade zu sehen. Merthe mochte es an Zärtlichkeit fehlen, gewiss auch an Frohmut,...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2009
Reihe/Serie Rosina-Zyklus
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Krimi / Thriller / Horror Historische Kriminalromane
Schlagworte Greater London • Großkaufmann Claes Herrmanns • Hafenstädte • Hamburg • Komödiantin Rosina Hardenstein • Kriminalfall • London • Mord • Regionalkrimi • Rosina
ISBN-10 3-644-40671-5 / 3644406715
ISBN-13 978-3-644-40671-1 / 9783644406711
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