Dramafreie Arbeitswelt (eBook)
360 Seiten
Haufe Verlag
978-3-648-18156-0 (ISBN)
Holger Heinze ist Wirtschaftsinformatiker, Trainer, Coach, Unternehmensberater sowie Partner der O'Donovan Consulting AG. Er arbeitet mit Teams und Führungskräften an Kultur, Beziehungen, Geschäftsmodellen und Prozessen. Darüber hinaus ist er Chartered Fellow des Chartered Management Institut, zertifizierter Change Manager und Requirements Engineer, ausgebildeter OKR, SCRUM und Holacracy Coach.
Holger Heinze Holger Heinze ist Wirtschaftsinformatiker, Trainer, Coach, Unternehmensberater sowie Partner der O'Donovan Consulting AG. Er arbeitet mit Teams und Führungskräften an Kultur, Beziehungen, Geschäftsmodellen und Prozessen. Darüber hinaus ist er Chartered Fellow des Chartered Management Institut, zertifizierter Change Manager und Requirements Engineer, ausgebildeter OKR, SCRUM und Holacracy Coach.
1.2 Rückblick – Wie mich das Drama fand
Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.
Søren Kierkegaard
In diesem Kapitel möchte ich kurz erläutern, wie in meinem ganz und gar nicht stringenten Lebenslauf rückwirkend ganz deutlich der rote Faden »Drama« sichtbar wurde.
Start als 17-jähriger Hochstapler
Alle sagten: »Das geht nicht!« Dann kam einer, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht.
Schon mal dieses Zitat gehört? Ist doch ziemlich lustig, oder? Außer man ist der, der es einfach macht.
1999 war ich bei einer mittlerweile nicht mehr existierenden großen Bank in Frankfurt. Es war einer meiner ersten Aufträge. Es war damals so, dass ich einer der Ersten war, der fließend HTML schreiben konnte, was mir mit meinen 17 Jahren einen beträchtlichen Stundensatz von immerhin 90 DM einbrachte.
Ich hielt mich nicht lange in dem Projekt in der internen Kommunikation. Mithilfe fingierter Vorwürfe, ich hätte versucht, den Vermittler zwischen mir und der Bank zu umgehen, wurde ich vor die Tür befördert. Ich habe mich jahrelang gefragt, was ich getan hatte, um diese Reaktion des Projektteams zu provozieren.
Jahre später traf ich auf einer Party jemanden, der damals in dem Projektteam war. Nach einigen die Zunge lockernden Getränken eröffnete mir diese Person dann, warum ich aus dem Projekt geflogen war: Alle Anwesenden waren sich einig gewesen, dass gewisse Dinge nicht möglich waren. Das war angenehm, abgesprochen und sicher. Alle Vorgesetzten und internen Kunden hatten das akzeptiert. Und dann kam dieser junge Naseweis und hat sie einfach gemacht, diese unmöglichen Dinge.
Ich möchte damit nicht angeben oder behaupten, ich hätte Außergewöhnliches getan. Es ging um Kleinigkeiten wie eine Änderung an einer Webseite oder die Anpassung einer Überschrift, die schon lange hätte angepasst werden müssen. Banalitäten. Mir waren nur einfach die ungeschriebenen Gesetze der Organisation nicht bekannt.
Ich verstand den Rauswurf nicht und zog weiter, nun allerdings mit einer ausgemachten Panik- und Angststörung im Gepäck, die für die nächsten acht Jahre meines Lebens mit meinem Hochstaplersyndrom Karussell fuhr – jederzeit könnte etwas Schreckliches passieren, das Team könnte mich rauswerfen und ich würde es nicht kommen sehen.
In stressigen Situationen war mir schlecht und schwindelig, in (für andere) unstressigen Situationen allerdings auch. Ich studierte die Werkzeuge der Psychoanalyse von einem gemütlichen Sitzplatz (Couch) aus einige Jahre ohne sichtbare Veränderung meiner Panikattacken und akzeptierte/resignierte irgendwann einfach, dass ich in meinem Beruf einen Puls von über 160 hatte. Mit Anfang 20 ist man noch nicht so vorsichtig, was solche Dinge angeht.
Im Alltag einer internationalen Unternehmensberatung wurde ich mal auf diese, mal auf jene Organisation abgeworfen, um dort schlaue Lösungen zu verkaufen und für Veränderung zu sorgen. Es ging um technische Lösungen, mathematische Modelle, Risikomanagement oder ganze Geschäftsmodelle. Gemein war den Projekten jeweils der Widerstand der Menschen, denen wir eigentlich helfen sollten.
Mach mit oder mach dich ab.
Im Jahr 2004 war ich Teil der Ausgründung eines großen PC-Herstellers. Ich arbeitete direkt mit dem CFO der Organisation und seinem Stab. Es war ein fantastisches Projekt für einen mittlerweile 22-jährigen Unternehmensberater. Das Projekt hatte Budget und Aufmerksamkeit, alle wollten sich bewegen. Es war stressig und es ging um viel, aber ich hatte einen Heidenspaß — also, zwischen den Panikattacken. Eines Tages bat mich der CFO zu einem Einzelgespräch. Man habe sich über mich beschwert. Meine Einstellung sei nicht professionell. Ich war getroffen und fühlte mich ertappt und stammelte irgendwas von »Danke für das Feedback«. Im Gehen drehte ich mich um und fragte wie Columbo: »Eine Frage noch. Woran macht man meine unprofessionelle Einstellung denn fest?« – »Sie lachen zu viel. Sie lassen es raushängen, dass Sie Spaß an der Arbeit haben, während alle anderen ihren Job hier ernst nehmen. Da muss man auch mal empathischer sein.«
Zum Abschluss des Projektes führte ich einzelne Feedbackgespräche mit einem Dutzend Menschen durch. Es zog sich durch die Rückmeldungen: Wer nicht sichtbar leidet, der gibt nicht alles. Ich würde mehr sichtbar leiden müssen, um dazuzugehören.
Veränderungen mögen wir hier nicht.
Dann sollten wir im Jahr 2008 für einen Finanzkonzern ein weltweites Data Warehouse aufbauen, in dem alle finanziellen Daten des Konzerns, insbesondere seine Risikopositionen zusammenlaufen sollten. Es war ein tolles, großes und dringend nötiges Projekt. Ich hatte großen Spaß, achtete aber darauf, sichtbar zu leiden, damit man mir abnahm, dass ich wirklich bei der Sache war. Als das Data Warehouse in einer ersten Version fertig war, informierten wir alle Konzerntöchter weltweit, dass sie es nun nutzen könnten. Aber niemand wollte es nutzen. Wir erhielten das Feedback, dass unsere Konzepte, unsere Lösungen wohl nicht gut genug seien. Wir verbesserten die Konzepte und Schnittstellen und probierten es nochmals. Nein, keiner wollte mitmachen. Dann verbesserten wir unsere Kommunikationsstrategie. Fehlanzeige. Dann versuchten wir, mithilfe des Vorstandes Druck auszuüben. Ich weiß nicht, ob die Lösung jemals angenommen wurde oder ob man heute noch probiert, sie den Akteuren zu verkaufen, denn ich kündigte irgendwann desillusioniert, frustriert und generell deprimiert ob des Veränderungswiderstandes von Menschen.
Für mich war klar: Menschen mögen einfach keine Veränderung — was blöd war, denn ich hatte einen Job gewählt, in dem man Dinge verändert. Den konnte ich auch ganz gut und er brachte ganz gutes Geld. Blöd nur, wenn man ständig gegen Menschen arbeitet, statt mit ihnen und für sie.
Also schmiss ich hin. Nicht sofort, ich brauchte noch ein paar Monate, unternahm eine Weltreise, heiratete und begleitete meine Großeltern auf dem letzten Weg.
Wir machen uns die Welt, wie wir sie brauchen.
Danach schlug ich mich ein paar Monate als freier Berater und Trainer durch. Meine letzte Station war in der öffentlichen Verwaltung. Arbeitszeiten und Belastungssituationen dort waren so, dass sie im Vergleich zu dem, was ich bisher in der Wirtschaft kennengelernt hatte, als Urlaub gewertet würden. Dennoch: Die Menschen litten. Einer fragte mich einmal zwischen dem täglichen gemeinsamen ca. einstündigen 10-Uhr-Frühstück (bei dem aber nicht über Arbeit geredet werden durfte) und der um 11:45 Uhr beginnenden Mittagspause: »Herr Heinze, Sie waren doch auch schon mal dort draußen als Berater. Ist es da noch schlimmer, was Belastung und Stress angeht, als hier?« Der Mann hatte in dem Jahr, seitdem ich ihn kennengelernt hatte, kaum messbare Ergebnisse produziert – allerdings mehrere Langzeitausfälle, zwei Hörstürze und ein Magengeschwür. Ich wusste nicht, wie ich antworten sollte. Sein Leid war real – wenn auch für mich nicht nachvollziehbar. In derselben Verwaltung wurden regelmäßig Projektpläne aufgelegt, die mit den Werkzeugen einfacher Logik und der uns bekannten Mathematik nicht erklärbar waren. Arbeitspakete, die nacheinander passieren mussten und vier, fünf und sechs Monate dauern sollten, würden in 12 Monaten fertig sein. Ich rechnete den Fehler vor. »Wir glauben aber daran, dass es klappt.« Ich erklärte, schimpfte, hüpfte und malte an Wände. »Das Projekt wird keinen Erfolg haben, wenn Sie die Realität nicht akzeptieren, dass 4 plus 5 plus 6 mehr als 12 ist!« rief ich. Der mächtigste Mann im Raum lachte überlegen. »Herr Heinze. Außer Ihnen hat jeder Anwesende in seiner Bonusvereinbarung stehen, dass das Projekt erfolgreich sein muss. Das Projekt ist jetzt schon erfolgreich. Da sind sich alle einig.« – »Aber die Software wird unmöglich rechtzeitig fertig und einsetzbar«, rief ich frustriert. »Dann werden wir Erfolg wohl einfach anders definieren. Was regen Sie sich so auf?«
Das war im Jahr 2011. Meine letzte Information ist, dass die Covid-Pandemie die Einführung der Software entscheidend verlangsamt hat.
Ich nahm aus dem Projekt mit, dass Menschen ihren Einsatz irgendwie spüren und bewerten müssen. Wenn Ergebnisse ausgeschlossen sind (wegen Struktur, Rahmenbedingungen, Kultur), dann bleibt nur, über das eigene Leid etwas zu spüren. Wie der Läufer, der keine Chance hat, jemals die Ziellinie zu erreichen, sich aber komplett kaputt macht auf dem Weg, um sich und anderen sagen zu können: Ich habe alles gegeben. Auch wenn das Ziel nicht erreicht wurde.
Unternehmensberater als Entwicklungshelfer
Mitte 2011 schlugen wir in Belize auf. Desillusioniert von einem Job, der Menschen gegen ihren Willen Veränderung aufzwingt, hatten wir alles verkauft und verschenkt und uns statt Flitterwochen für mindestens sechs Monate als Entwicklungshelfer verpflichtet — im Sinne unserer jungen Ehe in unterschiedlichen Projekten.
Ich durfte in einem Bereich beraten, von dem ich so gut wie keine Ahnung hatte: nachhaltiger Tourismus. Ich rechnete fest damit, dass mein innerer Hochstapler ein Fest feiern würde. Als Berater in einem Bereich zu arbeiten, von dem ich nachweislich keine Ahnung hatte, würde sicherlich bemerkenswerte Panikattacken produzieren.
Das Gegenteil war der Fall. Ich kam an und wurde von Anfang an mit einer Wertschätzung aufgenommen, die ich als ehemalige Man-in-Black-Consulting-Drohne nicht kannte: »Herzlich willkommen, wir sind froh, dass du da bist. Hier sind die brennendsten Fragestellungen. Arbeite dich ein, wir freuen uns sehr auf die Veränderungen, die...
Erscheint lt. Verlag | 23.10.2024 |
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Reihe/Serie | Haufe Fachbuch |
Verlagsort | Freiburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Wirtschaft ► Betriebswirtschaft / Management ► Unternehmensführung / Management |
Schlagworte | Aufmerksamkeit • Auslöser • Bani • Drama • dramafrei • Empowerment • Führungskraft • Holger Heinze • Maßnahmen • Menschen • Mitarbeiter • Opfer • Organisation • Stress • Symptome • Team • Unternehmen • VUCA • Wandel |
ISBN-10 | 3-648-18156-4 / 3648181564 |
ISBN-13 | 978-3-648-18156-0 / 9783648181560 |
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