Strategien für Kapitalanleger hinsichtlich einer möglichen Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene -  Christoph A. R. Schoepf

Strategien für Kapitalanleger hinsichtlich einer möglichen Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene (eBook)

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2024 | 1. Auflage
114 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-5382-3 (ISBN)
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Die auf John Maynard Keynes zurückgehende Diskussion zur Einführung einer FTS (Finanztransaktionssteuer) wurde sowohl auf globaler als auch auf europäischer Ebene durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 neu belebt. Zunächst wurde eine globale FTS im Rahmen des G20-Gipfels in Toronto im Oktober 2010 diskutiert, später mit den Vorschlägen für eine Richtlinie des Rates der Europäischen Kommission von 2011 und 2013 zu einer unionsweiten FTS konkretisiert. Die ausgearbeiteten Richtlinienvorschläge scheiterten im Folgenden an zahlreichen Widerständen. Als Reaktion beschlossen einige EU-Länder nationale Gesetze zur Erhebung von Steuern auf Finanzprodukte. Seit dem Jahr 2012 gilt die FTS in Frankreich als eine Art Umsatzsteuer auf börsliche und außerbörsliche Finanztransaktionen. Italien führte im Jahr 2013 ein ähnliches Modell ein. Abwandlungen einer FTS in Form einer Börsenumsatzsteuer bestehen zudem in weiteren EU Ländern wie Belgien, Finnland, Griechenland, Irland und Zypern. Eine Übersicht über die bestehenden nationalen FTS in Europa ist dem Anhang zu entnehmen. Die deutsche Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag 2013 das Ziel der Einführung einer FTS auf europäischer Ebene verfolgt, um den Finanzsektor an den Folgen der Finanzkrise der vorangegangenen Jahre zu beteiligen. Einfluss auf die Einführung einer europäischen Lösung haben aktuell die folgenden Faktoren. Verbunden mit dem Beschluss des Vereinigten Königreichs aus der EU (Europäischen Union) auszutreten und den daraus resultierenden Überlegungen der Verlagerung von Finanzinstituten von London auf das europäische Festland, möchte aktuell keine Regierung durch nationale Gesetzesvorhaben die eigenen Rahmenbedingungen schwächen. Zudem sprach sich der französische Präsident Emmanuel Macron in einer Grundsatzrede zur EU für die Einführung einer FTS auf EU-Ebene aus. Im Koalitionsvertrag der 19. Legislaturperiode vom 14. März 2018 zwischen CDU, CSU und SPD wurden die jüngsten Entwicklungen aufgegriffen und das Ziel einer europäischen FTS bestätigt, welches zeitnah zum Abschluss gebracht werden soll. Mit den Überlegungen zur Einführung einer neuen Steuererhebung, sind zugleich Überlegungen zur Minimierung und gänzlichen Vermeidung dieser, Teil der Diskussion. Bereits im Koalitionsvertrag 2013 wurde die Problematik erkannt. Dieser wurde mit folgender Zielsetzung entgegnet: "Durch die Ausgestaltung der Steuer wollen wir Ausweichreaktionen vermeiden."

2 Erhebungsgebiet und Funktionen einer FTS


Auf Grundlage der gewonnenen empirischen Überlegungen und nationalen Erfahrungen zur Durchsetzung einer FTS soll im Folgenden die Ausgestaltung untersucht werden. Dem folgt ein Überblick über die grundsätzlichen Zielsetzungen der europäischen FTS sowie die damit verbundenen makroökonomischen Gefahren.

2.1 Territoriale Implementierung

Die territoriale Implementierung wird von der globalen Ebene über die europäische Ebene bis hin zur nationalstaatlichen Umsetzung untersucht. Bereits der IWF (Internationaler Währungsfond) und die Europäische Kommission erkannten die Bedeutung des Erhebungsgebietes. Neben den erfassten Finanztransaktionen ist das Erfassungsgebiet maßgeblich für die Höhe der Einnahmen.56 Verschiedene wissenschaftliche Institute halten sogar ein räumlich begrenztes Erhebungsgebiet mit einer anschließenden schrittweisen Erweiterung für möglich.57

2.1.1 Globale Ebene

Die Einführung einer global erhobenen FTS erscheint unter Berücksichtigung des Risikos der Kapitalflucht am sinnvollsten. Den wiederbelebenden Aufwind zur Einführung einer weltweiten FTS oder zumindest auf den weltweit bedeutendsten Handelsplätzen durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 bremsten u.a. Australien, Kanada und die USA im Rahmen des G20-Gipfels 2010 in Toronto.58 Bis heute konnten keine weiteren ziel-führenden Gespräche auf globaler Ebene geführt werden. Eine weltweite Erhebung ist aufgrund der sehr unterschiedlichen fiskalischen und wirtschaftspolitischen Interessen als sehr unwahrscheinlich einzuordnen. Dementsprechend ist die Diskussion auf globaler Ebene recht schnell abgekühlt, während auf dem europäischen Kontinent - unter anderem aufgrund der Initiativen verschiedener EU-Institutionen - mit Nachdruck verhandelt wurde.59

2.1.2 Europäische Ebene

Mit dem Scheitern einer supranationalen Lösung arbeitete die EU auf eine unionsweite Regelung hin. Die europäische FTS sollte die Grundlage für eine weltweite Einführung liefern und zeitgleich die eigene Verhandlungsposition stärken.60

Am 28. September 2011 veröffentlichte die Europäische Kommission den Vorschlag der Implementierung einer FTS in allen 27 Mitgliedsstaaten der EU.61 Die Steuer sollte auf Transaktionen mit Finanzinstrumenten erhoben werden, welche von Finanzinstituten durchgeführt werden. Der Aktien- und Anleihehandel sollte demnach mit 0,1% besteuert werden, Derivate mit 0,01%. Bei beiden Werten handelt es sich um einen Mindeststeuersatz, der gemäß den nationalen Vorstellungen individuell erhöht werden kann.62 Das prognostizierte Steueraufkommen sollte rund 57 Mrd. € betragen. Erfasst werden sollten 85% der Transaktionen zwischen Finanzinstitutionen. Privatpersonen und Unternehmen sollten ausgenommen sein, ebenso deren Hypothekengeschäfte, Kredite, die Ver-sicherungsbeiträge und gewöhnliche Finanztätigkeit.63 Die Steuer sollte dem Ansässigkeitsprinzip unterliegen. Erhoben würde diese, sobald mindestens eines der beteiligten Unternehmen in der EU seinen Sitz hat. Ferner würde die Steuer schon greifen, sofern nur eine EU-ansässige Person beteiligt ist, auch wenn die Transaktion außerhalb der EU stattfindet. Einzubehalten und zu entrichten wäre die Steuer von den jeweils beteiligten Finanzinstituten. Dies würde zu einer entsprechenden Registrierungspflicht, gefolgt von Prüfungspflichten und Berichtspflichten seitens der Finanzinstitute führen.64 Die Anwendung der Mitgliedsstaaten war ab dem 1. Januar 2014 geplant.65 Die FTS wurde zu diesem Zeitpunkt von 65% der EU-Bürger befürwortet.66

Im Folgejahr haben mehrere Ausschüsse des Europäischen Parlaments dem Vorschlag zugestimmt. Jedoch fand der Vorschlag nicht bei allen EU-Mitgliedsstaaten positiven Anklang.67 Insbesondere Schweden war aufgrund der eigenen Erfahrungen gegen die Einführung einer unionsweiten FTS. Aber auch die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU, Großbritannien, zählte nicht zu den Befürwortern. Aufgrund der Bedeutung des Finanzplatzes London war Großbritannien sowohl gegen eine europäische als auch zuvor gegen eine weltweite FTS. Die als Steueroasen geltenden Luxemburg und Malta schlossen sich der ablehnenden Haltung an. In Ermangelung der Übereinstimmung im Europäischen Rat scheiterte letztlich der Vorschlag.68

Frankreich und Deutschland stellten am 28. September 2012 gemeinsam einen Antrag auf „Verstärkte Zusammenarbeit“ bei der Europäischen Kommission. Diesem schlossen sich neun weitere Mitgliedsländer an.69 Nach Zustimmung der EcoFin (Rat für Wirtschaft und Finanzen) hat die Europäische Kommission am 14. Februar 2013 einen Richtlinienvorschlag „im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit“ von elf EU Mitgliedsstaaten vorgelegt.70 Mit diesem zweiten Vorschlag sollte rechtliche Klarheit für die noch elf Interessierten geschaffen werden. Die Steuer sollte zunächst in diesen Staaten eingeführt werden; weitere interessierte Mitgliedsländer könnten später beitreten. Die kalkulierten Einnahmen wurden auf 30 bis 35 Mrd. € reduziert.71 Um die Konstruktion von Steuervermeidungsstrategien zu erschweren, schlug die Kommission die Erweiterung des Ansässigkeitsprinzips um das Ausgabeprinzip vor.72 Das Ausgabeprinzip sieht vor, dass die Ausgabe eines Finanzinstrumentes im FTS-Raum besteuert wird, unabhängig ob die betroffenen Parteien dort ansässig sind. Zusätzlich steuerbefreit sind nun Repotätigkeiten (Rückkaufvereinbarungen), geldpolitische Maßnahmen, die öffentliche Schulden-verwaltung, die Zentralbanken, die EZB (Europäische Zentralbank), der ESM (Europä-ischer Stabilitätsmechanismus), die EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität) und Transaktionen mit der EU. Die Steuer sollte schrittweise ab 2016 eingeführt werden.73

Am 18. April 2013 legte Großbritannien gemäß Art. 263 AEUV (Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union) Klage vor dem EuGH (Europäischer Gerichtshof) ein.74 Die Klage richtete sich gegen den Beschluss 2013/52/EU des Rates der EU. Er solle die vorgeschlagene FTS im Rahmen der „Verstärkten Zusammenarbeit“ für nichtig erklären. Die Klage wurde am 30. April 2014 abgewiesen, zeigt aber die große Uneinigkeit, mit der dem Thema innerhalb Europas begegnet wird. Ende 2015 zog sich Estland zurück. Die Anzahl der Befürworter sank auf zehn.75

Mit dem Entscheid des Referendums am 23. Juni 2016 für den Austritt aus der EU verabschiedete sich Großbritannien vollständig von dieser Diskussion. Der Austritt führte zu einer gewissen Stagnation der Einführung in den verbliebenden zehn Ländern. Zum einen besteht die Gefahr der Verlagerung der Handelsaktivitäten auf den steuerlich begünstigten Standort London. Zum anderen möchte keine der zehn Nationen die eigene Attraktivität mindern, sollte es zu einer Verlagerung von Finanzinstituten von Großbritannien auf das europäische Festland kommen. Zusätzlich wirkten im Jahr 2017 die Präsidentenwahl in Frankreich und die Bundestagswahl in Deutschland lähmend auf den Verhandlungsfortschritt. Neuen Aufschwung erlebte die FTS auf europäischer Ebene erst wieder durch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Dieser sprach sich in einer Grundsatzrede zur EU für die Einführung einer FTS aus.76

Die mögliche Einführung wirft allerdings noch eine Reihe juristischer und praktischer Fragen auf. Die Steuerhoheit in der EU liegt bei den einzelnen Ländern.77 Die FTS müsste demnach vom Europäischen Rat verabschiedet, vom europäischen Parlament beschlossen und dann von den nationalen Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Ihre Verwendung muss der Gesetzgeber beschließen, der diese zu verantworten hat. Das Steueraufkommen würde somit auf nationaler Ebene der Mitgliedsländer anfallen.78 Auf die sich ergebenden juristischen Problemstellungen einer (teil-)europäischen FTS wird in Kapitel 3.3 näher eingegangen.

2.1.3 Nationale Ebene

Die nationale Implementierung einer FTS verspricht eine vergleichsweise unkomplizierte politische Umsetzbarkeit, wie an den französischen und italienischen Alleingängen zu sehen ist. Aufgrund der teilweise sehr trivialen Abwanderungsmöglichkeiten der Kapitalanleger ist eine nationale Ausgestaltung nicht empfehlenswert. Selbst bei nationalen FTS mit ähnlichem Steuersatz und ähnlichen rechtlichen Rahmenbedingungen in allen Ländern mit bedeutenden Handelszentren, würden die Steuereinnahmen nur diesen zufallen, was wiederum das Angebot an neuen lukrativen Handelsplätzen mit vergünstigten Konditionen fördern würde.79

Die aktuelle Bundesregierung strebt zurzeit...

Erscheint lt. Verlag 10.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Wirtschaft Betriebswirtschaft / Management
ISBN-10 3-7597-5382-5 / 3759753825
ISBN-13 978-3-7597-5382-3 / 9783759753823
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