KI Exzellenz (eBook)

Die Kultur der Tech-Giganten

Den FAMANG ist das Motto gemein: Nichts bleibt, wie es heute ist. Keiner dieser Giganten schreckt vor dem Wandel zurück – sie entwickeln ihr eigenes Zukunftsbild. Sie stellen sich vor, wie sie morgen die beste Version ihrer selbst sein könnten. Erinnern wir uns: Netflix erfand den Videoverleih über Streaming neu. Apple gestaltete die Mobiltelefone zu tragbaren Computern inklusive Kamera um. Amazon fing einst als digitaler Buchhändler an. Heute läuft bis zu 40 Prozent des weltweiten Internetverkehrs über die Cloud-Tochter AWS.20 Gleichzeitig sind fast 50 Prozent21 der deutschen Haushalte Mitglied im Prime-Kundenprogramm und nutzen die Dienste vom Champions-­League-Streaming bis zur reibungslosen Bestellung – Produktsuche, Mausklick, Lieferung in Rekordzeit. Diese Big Six werden nicht müde, die digitale Verbindung zum Kunden zu suchen, innovative Geschäftsmodelle zu kreieren, und das alles auf der Basis von vier zentralen Säulen, an deren Anfang die Unternehmenskultur steht. Das ist ihre erste Gemeinsamkeit. Die zweite lautet – Sie wissen es bereits: Heute zählt jedes einzelne dieser Unternehmen zu den weltweit wertvollsten Firmen gemessen am Börsenwert.

Marktkapitalisierung der 10 größten Unternehmen weltweit

Es scheint, dass es kaum eine Grenze für ihre Anpassungsfähigkeit und den damit verbundenen Siegeszug gibt. Apple führt den Tross mit einer Marktkapitalisierung von 2,7 Billionen Dollar an, gefolgt von Microsoft mit 2,3 Billionen Dollar sowie Google mit 1,3 Billionen Dollar an vierter Position. Diese gemeinsame kombinierte Marktkapitalisierung von mehr als acht Billionen US-Dollar macht übrigens 20 Prozent des US- ­Aktienmarktes aus.22

Mehr noch. Sieben Prozent aller weltweiten Aktienmärkte werden von den FAMANG bestimmt, das gab es zumindest in den vergangenen siebzig Jahren in keiner Branche. Bevor ich Ihnen erläutere, welchen Anteil KI an diesem Erfolg hatte, lassen Sie mich noch einmal anhand einiger greifbarer Anekdoten auf die Unternehmenskultur hinweisen. Denn es ist meine absolute Überzeugung: Hier beginnt in der heutigen Zeit der Erfolg eines jeden Unternehmens – wenn die Leitsätze stimmig sind, wenn die Werte unbedingt gelebt werden, dann ist das der erste Meilenstein auf dem Weg in eine bemerkenswerte Zukunft.

Leadership Principles bei Amazon

Während meiner Zeit bei Amazon haben mich die 16 Leadership Principles der Unternehmenskultur nachhaltig geprägt. Bis heute, Jahre später, leiten sie mein Denken und Handeln als Manager. Diese Leadership Principles haben sich sogar in meinen persönlichen Handlungsgrundsätzen verankert, und ich kann mir kaum vorstellen, dass sie verblassen werden, da sie auch heute noch Kompass und Motivation für mich sind.

Diese Prinzipien hängen nicht goldgerahmt über ledernen Chefsesseln oder im Foyer, sie sind auch kein Leitfaden allein für Führungskräfte, wie man aufgrund der Bezeichnung annehmen könnte. Nein, die Leadership Principles richten sich an alle, wirklich alle Mitarbeiter, sie sind anwendbar, messbar für jede und jeden Einzelnen in der Firma und bauen sich fest in den gesamten Lebenszyklus der Mitarbeitenden ein. Da gibt es kaum jemanden, der die Principles nicht in einen Entscheidungsprozess einbezieht, niemanden, der andere nicht motiviert, seine Denkräume groß und größer werden zu lassen. Beispiele gefällig? Nun, bevor jemand neu eingestellt wird, erfolgt der Check. Anhand einer Fragendatenbank wird geprüft, ob der Bewerber die wichtigsten Prinzipien erfüllt, selektiert von der Managerin, die die Stelle ausschreibt. Damit soll sichergestellt werden, dass die Werte und Überzeugungen des Mitarbeiters eine besonders hohe Übereinstimmung mit den Prinzipien haben, die im Unternehmen bereits gelebter Konsens sind. Und sollten die beiden Kriterien 100 Prozent Kundenorientierung und Vertrauen aufbauen und verdienen auch nur ansatzweise einen Kratzer im Profil zeigen, können weder Fachwissen noch Engagement in anderen Bereichen und erst recht kein Empfehlungsschreiben diese Schwächen ausgleichen.

Bewerbung, Einstellung und Beförderung unterliegt den Principles. So gerecht und so einfach ist die Sache bei Amazon. Eine Kultur kann sich erst ausbreiten und blühen, wenn jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin sie vom Herzen und Verstand her lebt. Schon eine homöopathische Dosis Zweifel kann sie vergiften. Wenn allerdings dieser Check beim Bewerber bestanden ist, dann wird auch weiterhin das ständige Feedback der anderen verlangt, auch bereichsübergreifend, um Silos aufzubrechen. Dann will das Unternehmen das Potenzial, die Kreativität, das unbedingte Engagement für den Kunden sehen. Und sollte ein Mitarbeiter in die Managementebene vorstoßen, so gibt es für jedes Level vom Manager bis zum Vice President weitere verpflichtende Principles. Die Luft wird dünner, je näher man dem Gipfel kommt. Und immer größer wird der Anspruch: Think big! Ich erinnere mich lebhaft an eine Situation, die meine berufliche Laufbahn positiv geprägt hat. Seitdem sehe ich, sei es beruflich oder privat, das enorme Potenzial darin, über Grenzen hinauszublicken.

In großen Dimensionen denken – bis der Schwindel kommt

Als ich in meinem ersten Jahr als Category Lead bei Amazon arbeitete, verlangte der Deutschland-Geschäftsführer Ralf Kleber die Jahresplanung samt Herleitung für das nächste Geschäftsjahr von mir. Ein wohlbekannter Termin für jeden Manager mit Umsatz- und Ergebnisverantwortung. Das Führungsteam um Ralf las sich mein Memo durch – und schwieg. Der Chef selbst schaute mich über seinen Brillenrand hinweg an und fragte: 30 Prozent Steigerung? Ich nickte. Er fragte weiter: Was ist zu tun, damit du den Umsatz nicht um 30 Prozent steigerst, sondern ihn verdoppelst? Auch wenn ich im ersten Moment irritiert war und in meinem Kopf tausend Argumente auftauchten, warum das nicht funktionieren konnte, hat diese Frage auf lange Sicht ein Umdenken in mir ausgelöst. Dieser Grundsatz bringt mich bis heute dazu, den Status quo infrage zu stellen, mir und meinem Team ehrgeizige, fast unerreichbare Ziele zu setzen und einen ambitionierten Plan zu erstellen. Wir visualisieren ein großes Ziel, das wir erreichen wollen. Seither weiß ich: Um den Status quo zu verbessern, reicht es aus, schneller zu laufen und ein paar bekannte Stellhebel zu bedienen. Das ist Standard. Doch wenn man außergewöhnliche, ehrgeizige, fast unerreichbare Ziele anstrebt, dann muss man den Weg dorthin neu entwerfen. Ganz im Sinne des Prinzips »Think Big – In großen Dimensionen denken: Wer klein denkt, kann keine großen Ziele erreichen. Leader entwickeln und kommunizieren eine mutige Vision und inspirieren zu großen Ergebnissen. Sie denken anders und um die Ecke und suchen überall nach neuen Wegen, um den Kund:innen zu dienen.«24

Weitere Grundsätze beeindrucken mich nach wie vor: Nicht der ranghöchste Mitarbeiter trifft eine Entscheidung, sondern derjenige, der nah am Thema arbeitet, der Expertise und Routine hat. Aktiv handeln mag hier das Motto sein, und zwar nach dem Two-Way-Door-Prinzip. Hat die Entscheidung eines Mitarbeiters keinen langfristigen Impact auf die Kundenzufriedenheit, die Kosten oder den Umsatz und erfordert sie keine wesentliche Investition, dann lautet die Ansage: Erst machen, dann fragen. Erweist sich eine Entscheidung als ungünstig, kann an den Ausgangspunkt zurückgekehrt und gemeinsam mit der Führungskraft nachgebessert werden. Two-Way-Door-Entscheidungen gleichen einer Saloon-Tür, die mühelos aufschwingt und zuschwingt und ­daher schnelles und pragmatisches Handeln der Mitarbeiter ermöglicht. Anders verhält es sich bei langfristigen, einflussreichen Entscheidungen, die höhere Investitionen mit sich bringen, die sorgfältige Vorbereitung, besondere Expertise und eine Managemententscheidung erfordern. Hier heißt es: Achtung, Tresortür! Denn wenn diese einmal ins Schloss gefallen und verriegelt ist, gibt es so schnell kein Zurück mehr.

Wie gefällt Ihnen diese Art des modernen Managements? Es ist effektiv und hält den...