Risikoorientierte Unternehmenssteuerung (eBook)
212 Seiten
Schäffer-Poeschel Verlag
978-3-7910-5969-3 (ISBN)
Ute Vanini ist Professorin für Controlling und Risikomanagement an der Fachhochschule Kiel und Mitglied in verschiedenen Aufsichtsgremien von Unternehmen sowie in Gremien und Beiräten von Wissenschafts- und Transferorganisationen.
Ute Vanini Ute Vanini ist Professorin für Controlling und Innovationsmanagement an der Fachhochschule Kiel, Prodekanin der dortigen BWL-Fakultät und Vorsitzende des "Arbeitskreises der Controlling-Lehrenden an Fachhochschulen" (AKC). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Einführung und Konzeption von Risikomanagementsystemen, Kennzahlen und Kennzahlensystemen sowie im verhaltenswissenschaftlichen Controlling. Dabei stehen stets die Zusammenarbeit mit Unternehmen und der Praxistransfer im Vordergrund. Florian Worm Florian Worm ist Risikomanager bei Porsche und verantwortlich für die Risikostrategie, quantitative Risikoanalysen, Risikoquantifizierung und Risikoaggregation sowie Risikotragfähigkeitskonzepte.
1.2 Quantifizierung von Risiken
1.2.1 Risiken als Zufallsereignisse
Wahrscheinlichkeitsbegriffe
Risiken können als Zufallsereignisse interpretiert werden, die mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eintreten und eine quantifizierbare Auswirkung auf eine relevante Zielgröße eines Unternehmens (Chancen- oder Schadenspotenzial) haben. Die Eintrittswahrscheinlichkeit beschreibt den Grad an Ungewissheit der Realisation eines Ereignisses, wobei es verschiedene Wahrscheinlichkeitskonzepte gibt (Eckstein 2010, S. 140 ff.; Vanini und Rieg 2021, S. 69 ff.). Nach dem axiomatischen Wahrscheinlichkeitsbegriff ist eine Wahrscheinlichkeit eine reelle Zahl im Intervall [0;1], wobei ein unmögliches Ereignis die Wahrscheinlichkeit null, ein sicheres die Wahrscheinlichkeit eins hat. Der klassische Wahrscheinlichkeitsbegriff von Laplace leitet die Wahrscheinlichkeit p(A) aus der Häufigkeit des Ereignisses A innerhalb eines bestimmten Zeitintervalls in Bezug auf eine Gesamtzahl von Ereignissen ab, z. B. bei einem Würfelwurf. Hieraus wurde der statistische bzw. frequentistische Wahrscheinlichkeitsbegriff entwickelt, der auf Basis des Gesetzes der großen Zahlen aus der beobachteten Häufigkeit eines Ereignisses auf dessen Wahrscheinlichkeit schließt. Zudem gibt es den subjektiven Wahrscheinlichkeitsbegriff, der auf der subjektiven Einschätzung durch eine oder mehrere Personen basiert und somit keine objektiv messbare Größe darstellt (Lindley 2014, S. 18 f.). Im Risikomanagement (RM) werden häufig frequentistische oder subjektiv ermittelte Wahrscheinlichkeiten verwendet.
Die möglichen Ergebnisse eines Zufallsexperiments lassen sich durch verschiedene Wahrscheinlichkeitsverteilungen beschreiben, die im folgenden Abschnitt 1.2.2 näher erläutert werden.
1.2.2 Wahrscheinlichkeitsverteilungen zur Beschreibung von Risiken
Es existieren zahlreiche Wahrscheinlichkeitsverteilungen, die zur Beschreibung der Ergebnisse eines Zufallsexperiments und damit von Risiken verwendet werden können. Bei diskreten Verteilungen gibt es eine abzählbare Menge von Ergebnissen, so können z. B. beim einfachen Würfelwurf lediglich Werte von Eins bis Sechs auftreten. Bei stetigen Verteilungen kann jeder beliebige Wert innerhalb eines definierten Wertebereichs auftreten. Folgende Wahrscheinlichkeitsverteilungen werden im RM häufig zur Beschreibung von Risiken eingesetzt (Gleißner 2022, S. 229 ff.; Vanini und Rieg 2021, S. 105 ff.; Romeike und Stallinger 2021, S. 86 ff.):
Gleichverteilung
Eine Gleichverteilung schreibt jedem Wert innerhalb einer Bandbreite möglicher Schadensausmaße dieselbe Wahrscheinlichkeit zu. Eine diskrete Gleichverteilung enthält einzelne Ereignisse mit identischer Wahrscheinlichkeit, z. B. beim Würfelwurf. Beispiele für kontinuierliche Gleichverteilungen sind mögliche Zahlungsausfälle vieler Kunden mit ähnlicher Bonität. Der Erwartungswert einer Gleichverteilung ergibt sich als Summe von Minimal- und Maximalwert geteilt durch zwei.
Binomialverteilung
Eine Binomialverteilung beschreibt die Wahrscheinlichkeit, dass bei n-maliger Wiederholung eines Bernoulli-Experiments ein Ereignis A genau k-mal auftritt. Ein Bernoulli-Experiment ist dadurch gekennzeichnet, dass zwei einander ausschließende Ereignisse A und B mit den Wahrscheinlichkeiten p(A) = p und p(B) = 1 – p eintreten können, diese sich nicht ändern und alle Wiederholungen unabhängig voneinander sind. Ein Beispiel ist der Münzwurf. Der Erwartungswert einer Binomialverteilung beträgt n * p, die Standardabweichung ergibt sich aus σ = (n * p * (1 – p)).
Abbildung 1-3: Beispiel für eine Binomialverteilung; Quelle: Vanini und Rieg 2021, S. 107Dreiecksverteilung
Eine Dreiecksverteilung ist eine sehr einfache diskrete oder kontinuierliche Verteilung, die durch drei Werte charakterisiert ist: den minimalen Wert a (Worst Case), den wahrscheinlichsten Wert b (Real Case) und den maximalen Wert c (Best Case). Bei einer stetigen Dreiecksverteilung werden die einzelnen Punkte linear verbunden. Die Parameter der Dreiecksverteilung lassen sich aus einer Szenarioanalyse ableiten. Ihr Erwartungswert beträgt (a + b + c)/3. Die Dreiecksverteilung wird aufgrund ihrer Einfachheit häufig in der Praxis eingesetzt, birgt jedoch die Gefahr der Risikoüberschätzung, da sie an ihren Rändern nicht flach ausläuft wie z. B. die Normalverteilung.
Poisson-Verteilung
Eine Poisson-Verteilung ist eine diskrete Verteilung und kann für die Abbildung seltener Schadensereignisse verwendet werden, wenn deren durchschnittliche Eintrittshäufigkeit λ während einer bestimmten Periode bekannt ist. Ihr Erwartungswert und ihre Varianz entsprechen dabei dem Parameter λ.
Normalverteilung
Eine Normalverteilung ist eine stetige Verteilung und bildet die Eintrittswahrscheinlichkeiten einer großen Anzahl von unabhängigen Ereignissen ab, von denen jedes zur Summe nur einen unbedeutenden Beitrag liefert. So sind Mengenabweichungen vom erwarteten Umsatz bei einer Vielzahl an Kunden mit unabhängigem Kaufverhalten annähernd normalverteilt. Die Normalverteilung wird durch ihren Erwartungswert und ihre Standardabweichung vollständig beschrieben. Ihre Dichtefunktion hat einen symmetrischen, glockenförmigen Verlauf und nähert sich links und rechts der X-Achse asymptotisch an. Modus, Median und Erwartungswert sind identisch.
Abbildung 1-4: Beispiele für Normalverteilungen; Quelle: Vanini und Rieg 2021, S. 108PERT-Verteilung
Die PERT-Verteilung ist eine stetige Dreiecksverteilung, die ebenfalls durch den Mindestwert a, den wahrscheinlichsten Wert b sowie den Maximalwert c beschrieben wird. Sie trägt im Gegensatz zur Dreiecksverteilung der Erkenntnis Rechnung, dass extreme Ereignisse an den Rändern der Verteilung weniger häufig auftreten, und vermeidet dadurch eine Risikoüberschätzung.
Abbildung 1-5: Beispiele für PERT-Verteilungen; Quelle: Vanini und Rieg 2021, S. 109Extremwertverteilungen
Risiken können ebenfalls durch extreme Ereignisse wie z. B. Naturkatastrophen oder Terrorakte entstehen. Diese werden auch als Low-Probability/High-Impact Risks bezeichnet. Kontinuierliche Extremereignisse sind beispielsweise sehr starke Aktienkursschwankungen oder hohe Forderungsausfälle, die in der Praxis häufiger auftreten, als es beispielsweise nach der Normalverteilung zu erwarten wäre (Albrecht und Huggenberger 2015, S. 545 ff.). Alternativ können spezielle Extremwertverteilungen verwendet werden, z. B. die Gumbel-Verteilung, die zur Modellierung überdurchschnittlich hoher Forderungsausfälle verwendet werden kann, oder die Pareto-Verteilung (Romeike und Stallinger 2021, S. 138 ff.; Gleißner 2022, S. 239 ff.).
Auswahl einer geeigneten Verteilung
Für die Risikoquantifizierung müssen die zuvor identifizierten Risiken anhand geeigneter Wahrscheinlichkeitsverteilungen beschrieben werden (Romeike und Stallinger 2021, S. 159 ff.; Gleißner 2022, S. 222 ff.). Für die Auswahl der Verteilung müssen die Eigenschaften der Risiken in Bezug auf ihre Häufigkeiten und ihre Auswirkungen auf Basis der Analyse historischer Daten oder aufgrund von Expertenüberlegungen – wie in den Abbildungen 1-6 und 1-7 dargestellt – untersucht und anschließend parametrisiert werden.
Abbildung 1-6: Entscheidungsbaum zur Bestimmung der Verteilung für die Eintrittswahrscheinlichkeit bzw. die Häufigkeit eines Risikos; Quelle: Romeike und Stallinger 2021, S. 160Abbildung von Ereignisrisiken
Wenn das identifizierte Risiko aus der Schwankung eines Einflussfaktors, z. B. eines Marktpreises (Volatilität), resultiert, handelt es sich um ein Verteilungsrisiko (vgl. Abschnitt 1.1). Für Verteilungsrisiken müssen keine Eintrittswahrscheinlichkeiten geschätzt werden, da irgendein Wert des Einflussfaktors auftreten wird. Das Risiko kann dann direkt durch eine geeignete Verteilung gemäß Abbildung 1-7 abgebildet werden. Entspricht das identifizierte Risiko eher einem Ereignis, so ist festzulegen, ob das Risiko einmal innerhalb einer bestimmten Periode auftreten kann. In diesem Fall kann es durch eine Bernoulli- bzw. Binomialverteilung approximiert werden. Kann das Risiko dagegen mehrfach in einem Zeitraum eintreten, dann ist die durchschnittliche Häufigkeit zu schätzen und das Risiko mittels einer Poisson-Verteilung abzubilden.
Anschließend muss überlegt werden, welche Auswirkungen das identifizierte Risiko annehmen kann.
Abbildung 1-7: Entscheidungsbaum zur Bestimmung der Verteilung der Risikoauswirkungen; Quelle: Romeike und Stallinger 2021, S. 162Abbildung von Verteilungsrisiken
Bei Ereignisrisiken sind die Auswirkungen für die einzelnen Schadensereignisse häufig fix. Dann kann das Schadensausmaß direkt einem Ereignis zugeordnet werden. Bei...
Erscheint lt. Verlag | 17.6.2024 |
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Verlagsort | Freiburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Wirtschaft ► Volkswirtschaftslehre |
Schlagworte | Entscheidungsunterstützung • Florian Worm • Risikoanalyse und -bewertung • Risikomanagement mit R • Risikomodellierung • Statistik-Software R • Unternehmensführung unter Unsicherheit • Ute Vanini |
ISBN-10 | 3-7910-5969-6 / 3791059696 |
ISBN-13 | 978-3-7910-5969-3 / 9783791059693 |
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