Die Magie vom Wohlstand
Olzog (Verlag)
978-3-95768-251-2 (ISBN)
Diplom Volkswirt Dr. Josef Schlarmann, geb. 1939, war beruflich als Rechtsanwalt, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in Hamburg tätig. Bei dem bekannten Staatsrechtslehrer Herbert Krüger promovierte er zum Thema kooperativer Formen der Wirtschaftspolitik.Josef Schlarmann war seit seiner Studentenzeit politisch aktiv. Von 2005 bis 2013 war er Bundesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) und Mitglied des Bundesvorstandes der CDU. Das politische Engagement von Josef Schlarmann galt dem deutschen Mittelstand und der Sicherung der Sozialen Marktwirtschaft als maßgebliche Wirtschaftsordnung. Hierzu hat er sich in den politischen Gremien in Berlin und den Printmedien immer wieder pointiert geäußert. Sein Wort zählt auch heute, wie die Zahl seiner Leser in den sozialen Medien zeigt.
Einleitung
Kapitel1: Absolutismus
Mittelalterliche Wirtschaft – Merkantilismus – Landwirtschaft – Handwerk und Gewerbe – Manufakturen und Fabriken – Außenhandelspolitik – Bilanz des Merkantilismus – Adam Smith – Industrialisierung in England – Maschinenstürmer
Kapitel 2: Preußische Reformen
Französische Revolution – Revolutionskriege – Reichsdeputationshauptschluss – Rheinbundstaaten – Preußische Reformer – Änderung der Agrarverfassung – Einführung der Gewerbefreiheit – Staats-, Bildungs- und Heeresreform – Zeit der Restauration – Kontinentalsperre – Ricardo gegen Malthus
Kapitel 3: Vormärz und Revolution
Deutschland um 1800 – Entwicklungshindernisse – Unternehmerische Potenziale (Kreymborgs Schreibfedern, Liebermanns Stoffhandel, Liebermanns Pläne) – Pauperismus – Malthusianische Falle – Sozialpolitische Untätigkeit – Volksunruhen – Deutscher Zollverein – Wirtschaftsmotor Eisenbahn – Das Proletariat – Karl Marx – Märzrevolution – Historischer Kompromiss
Kapitel 4: Kaiserreich
Frühe Industrialisierung – Weltwirtschaftskrise 1857 – Liebermanns Industrie – Norddeutscher Bund – Arbeiterbewegung – Gründerboom und -krise – Bismarcks Sozialpolitik – Emil Rathenau – Neue Politik – Wirtschaftliche Aufholjagd – »Glanz und Gloria« – Joseph Alois Schumpeter – Liberales Zeitalter
Kapitel 5: Erster Weltkrieg
Vorgeschichte – Kurze Kriegsbegeisterung – Kriegsrohstoffabteilung (KRA) – Kriegsziele – Wirtschaftskrieg – Gaskrieg – Hindenburg-Programm – Steckrübenwinter – Kriegsfinanzierung – Kriegsende – Stinnes-Legien-Abkommen
Kapitel 6: Weimarer Republik
Weimarer Verfassung – Versailler Vertrag – Reparationen – Wirtschaftliche Herausforderungen – Walther Rathenau – Ruhrkampf – Galoppierende Inflation – Rentenmark – Weltwirtschaftskrise – Brünings Krisenpolitik – Herrschende Wirtschaftsdoktrin – Ordnungspolitiker
Kapitel 7:Nationalsozialismus
Machtergreifung – Hitlers Ideologie – Wirtschaftspolitische Ideen – Arbeitsbeschaffung – Gleichschaltung – Rüstungspläne – Autarkie – Hitlers Bankier – Versorgung – Kriegswirtschaft – Totaler Wirtschaftskrieg – Kriegsende
Kapitel 8: Besatzungszeit
Stunde Null? – Morgenthau-Plan – Vier Besatzungszonen – Entmachtung der Wirtschaft – Produktionspotenzial – Marshallplan – Bretton-Woods-System
Kapitel 9: Adenauer und Erhard
Währungsreform – Berliner Blockade – Ludwig Erhards Stunde – Generalstreik – Lastenausgleich – Neoliberalismus – Ordo-Liberalismus – Müller-Armack – Wirtschaftsverfassung? – Bundestagswahl 1949 – Sozialpolitische Initiativen – Petersberger Abkommen – Korea-Boom – Kartellgesetzgebung – Deutschlandvertrag – Landwirtschaftspolitik – Steigende Ansprüche – Rentenreform 1957 – Römische Verträge – Godesberger Programm – Kohle- und Textilkrise – Aufwertungsdebatte – Ost-West-Konflikte – Führungswechsel – Mini-Rezession – Zusammenfassung
Kapitel 10: Sozialliberale Koalition
Paradigmenwechsel – Keynes und Hayek – Stabilitätsgesetz (StabWG) – Konjunkturpakete – Zweite Aufwertungsdebatte – Außerparlamentarische Opposition – Sozialliberale Koalition – Konzertierte Aktion Dollarabwertung – Rücktritte – Gemeinsames Floaten – Erste Ölpreiskrise – Rücktritt Brandts – Kernenergie – Russisches Erdgas – Grenzen des »deficit spending« – Mitbestimmungsgesetz – Wirtschaftslokomotive? – Europäisches Währungssystem (EWS) – Die Grünen – Neue Unübersichtlichkeit – Zweite Ölpreiskrise – Scheitern der Globalsteuerung – Abkehr von der Ordnungspolitik
Kapitel 11: Kohl-Ära
»Wende« in Bonn – Sachverständigenrat – Monetarismus – Margaret Thatcher – Ronald Reagan – Haushaltssanierung – Bundesbank – Sozialreformen – Beschäftigungspolitik – Umwelt- und Energiepolitik – Klimaschutz – Finanzmarktentwicklung – Währungsdiplomatie – Crash von 1987 – Europäischer Binnenmarkt – China und die Sowjetunion – »Friedliche Revolution« – Zehn-Punkte-Plan – DDR-Planwirtschaft – Transformationsprozess – »Blühende Landschaften« – Einheitsboom – Aufbau Ost – Kostendämpfungsmaßnahmen – Umweltpolitik – Arbeitslosigkeit – Maastricht-Vertrag – Reformstau
Kapitel 12: Rot-Grün
Ökologische Steuerreform – Lafontaine gegen Schröder – Deregulierung der Finanzmärkte – New Economy – Atomausstieg – Regenerative Energien – Gaskrieg – Agenda 2010 – Neue Soziale Markwirtschaft – Leipziger Reformparteitag 2003
Kapitel 13: Merkel-Jahre
Bundestagswahl 2005 – Große Koalition – Koalitionsvertrag – Merkels Dilemma – Hidden Agenda? – Dresdner CDU-Parteitag – EU-Ratspräsidentschaft – Branchenmindestlöhne – Internationale Bankenkrise – Bankenrettung 2009 – Regulierung der Banken – Konjunkturpaket I – Konjunkturpaket II – Christlich-liberale Koalition – Schäubles Haushaltspolitik – Landtagswahl in NRW – Griechenlandkrise – Wachstum im Süden – Staatsverschuldung im Süden – Europäischer Rettungsschirm – Europäischer Stabilitätsmechanismus – Rolle der EZB – Atomares Erbe – Politischer Frust – Gesetzlicher Mindestlohn
Kapitel 14: Klimakanzlerin
»Wohlfühlpolitik« – Wirtschaftspolitischer Eklat – Flüchtlingskrise – EZB auf riskantem Kurs – Steuerpolitik – Wirtschaftlich gute Jahre – Sozial-ökologische Markwirtschaft – Klima-Vertrag – Kohlekommission – Klimaschutzprogramm 2030 – Klimaschutzgesetz – Bundesverfassungsgericht – »Letzte Generation« – Europäischer Green Deal – Europäischer Aufbaufonds – Corona-Pandemie – »Zeitenwende«
Literaturverzeichnis
Personenregiste
Einleitung Dieses Buch ist für ein Lesepublikum geschrieben worden, das sich für die Wirtschaftspolitik in Deutschland und deren geschichtliche Hintergründe interessiert. Es beginnt mit der Zeit des Absolutismus und endet mit dem letzten Regierungsjahr von Angela Merkel. Das Buch ist kein wissenschaftliches Werk über die Geschichte der Wirtschaft. Nach klassischer Definition fasst man unter Wirtschaftspolitik alle Maßnahmen zusammen, mit denen der Staat im weitesten Sinn die »Wirtschaftsordnung« eines Landes gestaltet und bewusst die »wirtschaftlichen Abläufe« steuert. Das Buch will interessierten Lesern zeigen, wie solche wirtschaftspolitischen Prozesse in den verschiedenen historischen Phasen abgelaufen sind. Behandelt werden auch die ökonomischen Lehrmeinungen, die sich hinter den wirtschaftspolitischen Maßnahmen verbergen. Die Präferenzen des Autors werden dabei nicht verschwiegen. Die folgende Zusammenfassung soll dem geneigten Leser einen ersten Überblick über den Inhalt des Buches geben. Die Wirtschaftspolitik als Teil staatlicher »Regierungskünste« wurde von den absolutistischen Fürsten des 17. und 18. Jahrhunderts erfunden, als die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland noch vom Feudalismus und von den Zünften geprägt wurden. Die als Merkantilismus oder Kameralistik bezeichnete Wirtschaftspolitik diente den Landesherren vornehmlich dazu, die Staatskasse aufzufüllen, um die fürstliche Hofhaltung zu finanzieren, Kriege zu führen oder das Land nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges wieder aufzubauen. Dazu erfanden ihre Beamten ein Bündel von Maßnahmen, mit denen man die Wirtschaft modernisieren wollte, allerdings ohne ihre mittelalterlichen Strukturen infrage zu stellen. Infolgedessen blieben die Wirkungen des Merkantilismus auf Beschäftigung und Einkommen der vorwiegend bäuerlichen Bevölkerung gering. Ende des 18. Jahrhunderts gewann das liberale Denken an Einfluss und es wuchs die Einsicht, dass die mittelalterlichen Verhältnisse durch eine marktwirtschaftliche Ordnung ersetzt werden mussten, um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse herbeizuführen. In Großbritannien hatte man damit gute Erfahrungen gemacht. In Frankreich führte die Revolution von 1789 zur Einführung einer liberalen Wirtschaftsordnung. In den deutschen Fürstenstaaten änderten sich die Verhältnisse erst, als Napoleon mit seinen Truppen die Rheinlande besetzte und dann in der Schlacht bei Jena und Auerstedt die Preußen besiegte. Dort, wo Napoleon herrschte, wurden die Bauern befreit und die Gewerbefreiheit eingeführt. In dem besiegten Preußen waren es die leitenden Minister Stein und Hardenberg, die dem Land mit einer »Revolution von oben« die Bauernbefreiung und die Gewerbefreiheit verordneten. Ziel der preußischen Reformen war, die schöpferischen Kräfte in der Wirtschaft freizusetzen, um dem von Napoleon geschundenen Preußen wieder auf die Beine zu helfen. Es sollte aber noch Jahrzehnte dauern, bis sich das Land vom Agrarstaat zum Industriestaat entwickelte. Für einen solchen Transformationsprozess fehlten in Deutschland sowohl die Unternehmer, Techniker und Finanziers als auch ausreichend große Märkte mit einer potenten Käuferschicht. Stattdessen gab es eine wachsende Bevölkerung, die nur über geringes Einkommen verfügte, und eine stetig größer werdende Schar von Arbeitslosen, die keine Arbeit fanden und in Not und Elend lebten. Mit der Bauernbefreiung und der Gewerbefreiheit allein war es also nicht getan, um die Lebensverhältnisse der Unterschichten zu verbessern. An Hilfe vonseiten des Staates war nicht zu denken, weil das Staatswesen in Deutschland nach den Napoleonischen Kriegen selbst am Boden lag. Erst mit dem von Preußen initiierten Deutschen Zollverein, der Verbreitung der Eisenbahn in Deutschland und einer konsequenten liberalen Wirtschaftspolitik änderten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse allmählich zum Besseren. Neben dem traditionellen häuslichen Handwerk und den fürstlichen Manufakturen entstanden nach englischem Vorbild die ersten »Fabriken«, in denen dank eines großen Reservoirs an billigen Arbeitskräften mithilfe von Maschinen wettbewerbsfähige Massenprodukte hergestellt wurden. Der Aufruf von Karl Marx aus dem Jahr 1848 gegen die kapitalistische Ausbeutung – »Proletarier aller Länder, vereinigt euch!« – richtete sich an diese erste Generation von Industriearbeitern. Den durch die preußischen Reformen erhofften »Wirtschaftsaufschwung« erlebte Deutschland erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und zwar im Zuge der Reichsgründung durch Otto von Bismarck. Auf der Grundlage einer liberalen Finanz- und Industriepolitik und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse entstanden zunächst in den Bereichen Kohle, Stahl und Maschinenbau und dann in den Sektoren Chemie und Elektrizität große »Industriebetriebe« mit Hunderten von Arbeitern. Dadurch verwandelte sich Deutschland in knapp fünf Jahrzehnten von einem rückständigen Agrarstaat in eine führende Industrienation, die den wirtschaftlichen Anschluss an die westlichen Länder fand bzw. diese sogar überholte. Das von Bismarck geschaffene und bis heute existierende Sozialversicherungssystem fällt ebenfalls in diese Zeit. Mit dem Ersten Weltkrieg fand diese Ära ein jähes Ende. An die Stelle der liberalen Wirtschaftsordnung trat die Kriegswirtschaft mit einem »staatlich gelenkten zentralen Wirtschaftssystem«, das Heer und Marine mit Kriegsmaterial ausstattete und der Bevölkerung die knappen Lebensmittel zuteilte. Der Krieg, der ca. 22 Millionen Menschen das Leben kostete, endete mit einer Kapitulation, erheblichen Landverlusten, hohen Reparationsverpflichtungen sowie einer zerstörten Währung. Die nachfolgende Weimarer Republik hatte vor allem mit den Folgen dieses verlorenen Krieges zu tun. In ihrer Verfassung bekannte sie sich zu einer sozialpolitisch ausgerichteten Marktwirtschaft, aufgrund der zahlreichen Wirtschaftskrisen (hohe Kriegsschulden, galoppierende Inflation, Weltwirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit) war ihre Wirtschaftspolitik aber stark interventionistisch geprägt. Zu den ordnungspolitischen Schwächen der Weimarer Wirtschaftspolitik gehörte außerdem die hohe Konzentration der Wirtschaft. Die Bildung von Monopolen und Kartellen wurde toleriert und außenwirtschaftlich geschützt. Die in der Weltwirtschaftskrise stark angestiegene Arbeitslosigkeit half Adolf Hitler, »legal« an die Macht zu kommen, um dann »mit Gewalt« jegliche Opposition auszuschalten. Hitler spielte dabei in die Hände, dass sich der Liberalismus überall in Europa auf dem Rückzug befand und durch kollektive bzw. diktatorische Systeme abgelöst wurde. Von Beginn an plante Hitler den Krieg. Dazu steuerte er mit finanzieller Hilfe der Reichsbank und durch Lenkung der Industrie die Friedenswirtschaft in Richtung Kriegswirtschaft um. Die dadurch ausgelösten Rüstungsaufträge (und nicht der Autobahnbau) brachten die Millionen Arbeitslosen schnell wieder in Arbeit, was dem Ansehen der neuen Machthaber Aufschwung gab. Nach dem Krieg führten die Besatzungsmächte mithilfe der deutschen Behörden das Bewirtschaftungssystem fort, bis es 1948 in Zusammenhang mit der Einführung der D-Mark von Ludwig Erhard (CDU) abgeschafft wurde. Damit begann die Ära der »Sozialen Marktwirtschaft«, die zu einem steilen und nachhaltigen Wirtschaftswachstum führte, das als »deutsches Wirtschaftswunder« in die Geschichte eingegangen ist. Den Sinn dieser Wirtschaftsordnung sah der Ökonom Müller-Armack darin, »das Prinzip der Freiheit des Marktes mit dem des sozialen Ausgleichs zu verbinden«. Bei der praktischen Umsetzung ließ sich Ludwig Erhard von den Ordo-Liberalen der Freiburger Schule beraten, deren zentraler Lehrsatz lautete: »Die wirtschaftspolitische Tätigkeit des Staates sollte auf die Gestaltung der Ordnungsformen der Wirtschaft gerichtet sein, nicht auf die Lenkung des Wirtschaftsprozesses.« Dementsprechend erfolgte der Wiederaufbau nach dem Krieg nicht durch den Staat, sondern durch die Privatwirtschaft. An diesem Grundsatz festgehalten zu haben, war das eigentliche Geheimnis des Erfolges von Ludwig Erhard. Als Karl Schiller (SPD) im Jahr 1966 in der ersten Großen Koalition Wirtschaftsminister wurde, bekannte sich die neue Regierung unter seinem Einfluss zur Wirtschaftspolitik der »keynesianischen Nachfragesteuerung« (deficit spending) und brachte angesichts einer Mini-Rezession zwei kreditfinanzierte Konjunkturpakete auf den Weg. Das war zur Ordnungspolitik von Erhard ein eklatanter Paradigmenwechsel, den der Bundestag mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz (StabWG) legalisierte. In Zusammenhang mit zwei Ölkrisen führte die darauf beruhende Wirtschaftspolitik unter den Kanzlern Willy Brandt (SPD) und Helmut Schmidt (SPD) zu einer Abfolge von Konjunkturpaketen, die letztendlich wirtschaftliche Stagnation, gepaart mit Inflation und steigender Arbeitslosigkeit, zur Folge hatten (sog. Stagflation). Als Helmut Kohl (CDU) 1983 mit einer christlich-liberalen Koalition die Regierungsgeschäfte übernahm, versprach er, das Problem der Stagflation dadurch zu lösen, dass die Regierung zu den bewährten Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft zurückkehrte. Der Sachverständigenrat hatte der Bundesregierung dazu eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik empfohlen, »mit der die Bedingungen für das Investieren und den Wandel der Produktionsstruktur so verbessert werden, dass mit Wachstum und hohem Beschäftigungsstand gerechnet werden darf (JG 1976)«. Der Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik sollte also nicht auf der Nachfrageseite, sondern auf der Angebotsseite der Wirtschaft liegen. Diese mit Erfolg von Kohl praktizierte Politik endete 1989/90 mit der »Friedlichen Revolution« in der DDR, die der Wirtschaftspolitik eine neue Richtung gab. Am 1. Juli 1990 schloss die Kohl-Regierung mit der demokratisch gewählten Regierung in der DDR einen Vertrag über die »Errichtung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion«, mit dem die sozialistische Planwirtschaft der DDR in die Soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik überführt wurde. In der DDR wurde die D-Mark eingeführt, aus den sozialistischen Eigentumsverhältnissen wurde privates Eigentum geschaffen und das Rechtssystem der Bundesrepublik wurde auf das Gebiet der DDR übertragen. In politischer Hinsicht war diese »Transformation« ein großer Erfolg, die von Kohl versprochenen »blühenden Landschaften« stellten sich aber trotz massiver finanzieller Hilfen nur sehr langsam ein. Vor allem die Arbeitslosigkeit blieb extrem hoch. Ende der 90er-Jahre übernahm Gerhard Schröder (SPD) die Regierungsgeschäfte mit einer rot-grünen Koalitionsregierung. Damit begann in Deutschland der staatlich gelenkte Transformationsprozess in Richtung einer ökologischen Energiewende. Für Kernkraftwerke wurde ein stufenweiser Ausstiegsplan beschlossen. Gleichzeitig beschloss die Koalition für die erneuerbaren Energien (Wind, Photovoltaik und Biomasse) einen stark subventionierten Aufbauplan. Für den Energiebereich bedeutete das den Abschied von der marktwirtschaftlichen Ordnung. Was die allgemeine Wirtschaftspolitik betraf, hatte sich Schröder schon vor seinem Regierungsantritt von der traditionellen Wohlfahrts- und Wirtschaftspolitik der SPD, den massiven Interventionen und dem »deficit spending« der 70er-Jahre verabschiedet. Mit der Agenda 2010, einem umfassenden Programm zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes (»fördern und fordern«), hatte er sich vorgenommen, die immer weiter steigende Arbeitslosigkeit in Deutschland zu bekämpfen. Dabei handelte es sich weitgehend um angebotspolitische Maßnahmen, an die sich die Kohl-Regierung nicht herangetraut hatte. Die Agenda 2010 war erfolgreich und führte die deutsche Wirtschaft durch sinkende Arbeitslosigkeit auf einen mittelfristigen Wachstumspfad zurück. Die rot-grüne Koalition wurde im Jahr 2005 von einer großen Koalition aus Union und SPD abgelöst. Angela Merkel (CDU) wurde Bundeskanzlerin und regierte in dieser Konstellation bis 2021 (von 2009 – 2013 mit einer schwarz-gelben Koalition). Das Prägende ihrer Regierungszeit waren die inhaltliche Annäherung der Union an Positionen der SPD und Grünen, die Veränderung der europäischen Verträge anlässlich von Krisen zulasten der deutschen Stabilitätskultur und die zunehmende Fokussierung der Wirtschaftspolitik auf die ökologische Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Nach Regierungsantritt beschloss die Große Koalition zahlreiche Maßnahmen, die wirtschaftspolitischen Festlegungen der Union widersprachen. Die SPD verfolgte damit unter anderem das Ziel, Schröders Agenda 2010 in kleinen Schritten zu entschärfen, um die Gewerkschaften nicht zu verlieren. Aufseiten der Union wurde dazu die Strategie der »asymmetrischen Mobilisierung« entwickelt, um die Wähler von SPD und Grünen für die Union zu gewinnen. Im Ergebnis führte diese Strategie dazu, dass sich die wirtschafts- und sozialpolitischen Positionen von Union und SPD stark annäherten. In den Jahren 2008/9 wurde die Bundesregierung mit der internationalen Banken- und Wirtschaftskrise konfrontiert. Zunächst mussten notleidende Banken in Deutschland gerettet werden, was dem Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) mit einem Rettungsschirm gelang. Auf den folgenden Wirtschaftsabschwung reagierte die Regierung dann wegen Landtagswahlen mit zwei Konjunkturpaketen (»deficit spending«), obgleich sich Kanzlerin und Finanzminister vorher öffentlich dagegen ausgesprochen hatten. Die Wirkung dieser Maßnahmen war prozyklisch, weil sich die Wirtschaft überraschend schnell erholte. In der Euro-Krise 2010, die in Wirklichkeit eine Staatsschuldenkrise der südlichen Euro-Länder war, vereinbarte Angela Merkel mit den Staats- und Regierungschefs der übrigen EU-Länder, dass den notleidenden Südländern vonseiten der EU durch einen Rettungsschirm und vonseiten der EZB durch Ankauf von Staatsanleihen geholfen werden sollte. Im Maastricht-Vertrag war aber die Haftung der EU-Mitglieder für fremde Schulden grundsätzlich ausgeschlossen (»No-bail-out-Regel«), um keine Anreize für eine übermäßige Schuldenaufnahme zu setzen. Außerdem war der EZB die »monetäre Staatsfinanzierung« verboten, wozu auch der Ankauf von Anleihen der Euro-Staaten zählte. Mit diesem Verbot sollte verhindert werden, dass sich die EZB, deren Hauptaufgabe die Sicherung der Währungsstabilität ist, zur Hausbank von Euro-Staaten entwickelte. Diese Regelungen entsprachen der deutschen Stabilitätskultur, die Helmut Kohl in die Verträge hineinverhandelt hatte. Auf dem Weg zur ökologischen Energiewende übernahm Angela Merkel die Vorarbeiten der rot-grünen Koalition und entwickelte sie in ihrer Regierungszeit konsequent weiter. Nach dem Atomunfall in Fukushima 2011 wurden die Restlaufzeiten für die einzelnen Kraftwerke stark gekürzt. In ihrer letzten Legislaturperiode dirigierte sie auch den schnellen Ausstieg aus der Kohle. Durch ein Klimaschutzgesetz wurde der beschleunigte Bau von Solar- und Windparks beschlossen, um den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung auf 65 Prozent zu erhöhen. Außerdem wurden in diesem Gesetz für die Sektoren Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Industrie und Energie verbindliche »CO₂-Emissionsmengen« festgesetzt. Als eine ihrer letzten politischen Entscheidungen kündigte Angela Merkel Mitte Mai 2020 gemeinsam mit dem französischen Präsidenten an, dass man sich über die Gründung eines europäischen Wiederaufbaufonds im Volumen von 500 Mrd. Euro geeinigt habe, um den von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Regionen wirtschaftlich zu helfen. Das grundsätzlich Neue an diesem Fonds war, dass die finanziellen Hilfen nicht als Kredit, sondern als verlorene Zuschüsse gegeben werden sollten. Außerdem sollten die Zuschüsse nicht mit Eigenmitteln der EU, wie es die Haushaltsvorschriften der EU vorsahen, sondern durch Anleihen der EU am Kapitalmarkt finanziert werden. Damit öffneten Merkel und Macron für die EU endgültig den Weg in die Schulden- und Transferunion.
EinleitungDieses Buch ist für ein Lesepublikum geschrieben worden, das sich für die Wirtschaftspolitik in Deutschland und deren geschichtliche Hintergründe interessiert. Es beginnt mit der Zeit des Absolutismus und endet mit dem letzten Regierungsjahr von Angela Merkel. Das Buch ist kein wissenschaftliches Werk über die Geschichte der Wirtschaft.Nach klassischer Definition fasst man unter Wirtschaftspolitik alle Maßnahmen zusammen, mit denen der Staat im weitesten Sinn die »Wirtschaftsordnung« eines Landes gestaltet und bewusst die »wirtschaftlichen Abläufe« steuert. Das Buch will interessierten Lesern zeigen, wie solche wirtschaftspolitischen Prozesse in den verschiedenen historischen Phasen abgelaufen sind. Behandelt werden auch die ökonomischen Lehrmeinungen, die sich hinter den wirtschaftspolitischen Maßnahmen verbergen. Die Präferenzen des Autors werden dabei nicht verschwiegen. Die folgende Zusammenfassung soll dem geneigten Leser einen ersten Überblick über den Inhalt des Buches geben.Die Wirtschaftspolitik als Teil staatlicher »Regierungskünste« wurde von den absolutistischen Fürsten des 17. und 18. Jahrhunderts erfunden, als die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland noch vom Feudalismus und von den Zünften geprägt wurden. Die als Merkantilismus oder Kameralistik bezeichnete Wirtschaftspolitik diente den Landesherren vornehmlich dazu, die Staatskasse aufzufüllen, um die fürstliche Hof haltung zu finanzieren, Kriege zu führen oder das Land nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges wieder aufzubauen. Dazu erfanden ihre Beamten ein Bündel von Maßnahmen, mit denen man die Wirtschaft modernisieren wollte, allerdings ohne ihre mittelalterlichen Strukturen infrage zu stellen. Infolgedessen blieben die Wirkungen des Merkantilismus auf Beschäftigung und Einkommen der vorwiegend bäuerlichen Bevölkerung gering.Ende des 18. Jahrhunderts gewann das liberale Denken an Einfluss und es wuchs die Einsicht, dass die mittelalterlichen Verhältnisse durch eine marktwirtschaftliche Ordnung ersetzt werden mussten, um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse herbeizuführen. In Großbritannien hatte man damit gute Erfahrungen gemacht. In Frankreich führte die Revolution von 1789 zur Einführung einer liberalen Wirtschaftsordnung. In den deutschen Fürstenstaaten änderten sich die Verhältnisse erst, als Napoleon mit seinen Truppen die Rheinlande besetzte und dann in der Schlacht bei Jena und Auerstedt die Preußen besiegte. Dort, wo Napoleon herrschte, wurden die Bauern befreit und die Gewerbefreiheit eingeführt. In dem besiegten Preußen waren es die leitenden Minister Stein und Hardenberg, die dem Land mit einer »Revolution von oben« die Bauernbefreiung und die Gewerbefreiheit verordneten. Ziel der preußischen Reformen war, die schöpferischen Kräfte in der Wirtschaft freizusetzen, um dem von Napoleon geschundenen Preußen wieder auf die Beine zu helfen. Es sollte aber noch Jahrzehnte dauern, bis sich das Land vom Agrarstaat zum Industriestaat entwickelte. Für einen solchen Transformationsprozess fehlten in Deutschland sowohl die Unternehmer, Techniker und Finanziers als auch ausreichend große Märkte mit einer potenten Käuferschicht. Stattdessen gab es eine wachsende Bevölkerung, die nur über geringes Einkommen verfügte, und eine stetig größer werdende Schar von Arbeitslosen, die keine Arbeit fanden und in Not und Elend lebten. Mit der Bauernbefreiung und der Gewerbefreiheit allein war es also nicht getan, um die Lebensverhältnisse der Unterschichten zu verbessern. An Hilfe vonseiten des Staates war nicht zu denken, weil das Staatswesen in Deutschland nach den Napoleonischen Kriegen selbst am Boden lag. Erst mit dem von Preußen initiierten Deutschen Zollverein, der Verbreitung der Eisenbahn in Deutschland und einer konsequenten liberalen Wirtschaftspolitik änderten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse allmählich zum Besseren. Neben dem traditionellen häuslichen Handwerk und den fürstlichen Manufakturen entstanden nach englis
Erscheinungsdatum | 28.08.2023 |
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Verlagsort | Reinbek |
Sprache | deutsch |
Maße | 150 x 227 mm |
Gewicht | 960 g |
Einbandart | gebunden |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Wirtschaft ► Volkswirtschaftslehre ► Wirtschaftspolitik | |
Schlagworte | Adam Smith • Angela Merkel • Arbeitsmarkt • Bundesregierung • David Ricardo • Deutsche Geschichte • Deutsche Wirtschaft • Deutschland • Gerhard Schröder • Helmut Kohl • Helmut Schmidt • Industrialisierung • Johan Maynard Keynes • Karl Schiller • keynesianische Nachfragesteuerung • Klimagesetz • Konrad Adenauer • Ludwig Erhard • Marktwirtschaft • Merkantilismus • Soziale Marktwirtschaft • sozialökologische Marktwirtschaft • Staat • Währungsreformen • Willy Brandt • Wirtschaft • Wirtschaftsgeschichte • Wirtschaftskrise • Wirtschaftsordnung • Wirtschaftspolitik • wirtschaftspolitische Prozesse • Wirtschaftssystem • Wirtschaftswunder • Wohlstand |
ISBN-10 | 3-95768-251-7 / 3957682517 |
ISBN-13 | 978-3-95768-251-2 / 9783957682512 |
Zustand | Neuware |
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