Ziele und Werte 'sozialistischer Marktwirtschaft' -  Elmar Nass

Ziele und Werte 'sozialistischer Marktwirtschaft' (eBook)

Chinas Wirtschaft aus ordnungsethischer Sicht

(Autor)

Patrick Peters (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
154 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-043748-7 (ISBN)
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Nach Jahrzehnten der Zurückhaltung präsentiert sich die Volksrepublik China heute als selbstbewusste Weltmacht. Dieser beispiellose Aufstieg wäre ohne die rasante gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung kaum denkbar. Dabei gibt der ordnungspolitische Rahmen bis heute Rätsel auf. In der Verfassung ist eine 'sozialistische Marktwirtschaft' festgeschrieben, eine bürokratisch autoritäre Ordnung, in der der Staat und damit die Kommunistische Partei die Regeln vorgeben. Die Staats- und Parteiführung betont zudem verstärkt die nationale Sonderstellung Chinas als Gegenmodell zu den liberalen Gesellschaften des Westens und treibt gewaltige Entwicklungsprojekte voran, die auf politische Dominanz abzielen. Der Autor analysiert die aktuelle Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und legt deren Wertefundament offen. Damit wird das kritische Nachdenken über die Ordnungsethik westlicher Ökonomie und ein verantwortbares Verhalten gegenüber China angeregt.

Prof. Dr. theol. Dr. soc. Elmar Nass ist Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Sozialwissenschaften und gesellschaftlichen Dialog an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie und dort zudem Prorektor.

Prof. Dr. theol. Dr. soc. Elmar Nass ist Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Sozialwissenschaften und gesellschaftlichen Dialog an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie und dort zudem Prorektor.

1China im Fokus der Ordnungsethik – ein neuer Blickwinkel


Die volkswirtschaftlichen Wachstumszahlen Chinas haben in den letzten Jahrzehnten atemberaubende Höhen erreicht. Autoritäre Staatsführung und eingeführte marktwirtschaftliche Elemente und Methoden scheinen eine bislang einzigartige Symbiose zu bilden, deren Erfolg in der freien Welt viele Ökonomen und Ordnungstheoretiker staunen lässt (vgl. Kroeber 2016, S. 260). Prognosen wie die von Harding (2009), nach denen China zunehmend westliche Werte übernehme, sehen sich dabei bislang getäuscht. Gleiches gilt für entsprechende Erwartungen, die mit der Vergabe der Olympischen Spiele nach Peking verbunden waren.

Bildet sich nun mit einer sozialistischen Spielart der Marktwirtschaft eine ernstzunehmende Alternative zu den bekannten westlichen Wirtschafsordnungen heraus, seien sie nun mehr liberal oder sozial geprägt (Vgl. Blum 2020, S. 98, 723)? Xi Jinping ist seit 2012 Generalsekretär der KPCh und seit 2013 Staatspräsident und in dieser Rolle in der Nachfolge von Mao Zedong der „überragende Führer“ der Volksrepublik China.2 Er bekennt sich immer wieder ausdrücklich und programmatisch zu einer „sozialistischen Marktwirtschaft“, welche in der seit 2004 gültigen Präambel der chinesischen Verfassung (Abschnitt 7) als Wirtschaftsordnung vorgegeben ist (Xi 2013a, S. 139).3 Haben dagegen möglicherweise liberale und soziale Marktwirtschaften alter Schule im Wettbewerb der Systeme ausgedient? Der rasante Aufstieg Chinas zur Weltmacht zeigt sich gegenwärtig nicht nur wirtschaftlich als klassische internationale Werkbank, als schier grenzenloser Absatzmarkt auch für westliche Produkte, als kraftvoller Motor internationaler Verflechtungen (so genannte „neue Seidenstraße“), als zentrale Schaltstelle globaler Lieferketten und Innovator neuer digitaler Technologien, sondern zunehmend auch durch politische bzw. militärische Machtdemonstrationen (gegenüber Taiwan, Hong Kong, Philippinen u. a.)4, durch wachsende Resilienz gegenüber Oppositionsbestrebungen und politischer Kritik von innen und außen (etwa in Fragen der Menschenrechte: Tibet, Internierungslager für Uiguren, Handel mit Organen von politischen Häftlingen, Christenverfolgung, Entdemokratisierung von Honkong u. a.), durch engmaschige digitale Überwachung der Bevölkerung, durch die allzu lange No-Covid-Politik mit strengsten Freiheitsbeschränkungen und durch immer offener vorgebrachte hegemoniale weltpolitische Ansprüche. (vgl. Amnesty International Deutschland 2022) Europa, die USA und andere westliche Länder haben vom Aufstieg Chinas lange wirtschaftlich maßgeblich profitiert, viel Kapital investiert, Technologie transferiert und dort Arbeitsplätze geschaffen. Probleme der damit verbundenen Abhängigkeiten wurden aber durch Lieferengpässe in der Corona-Krise offensichtlich. Vieles ist im Wandel, und die Folgen sind noch nicht alle abzusehen. China strebt mehr und mehr nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit. So konnte es seit 1995 seine relative Abhängigkeit von Importen deutlich reduzieren (vgl. Blum 2020, S. 84-87). China setzt inzwischen vor allem auf eine starke Binnennachfrage, schließt die Wertschöpfungsketten, will mit dem provokativen Technologielabel „Made in China 2025“ globale Überlegenheit im Bereich der neuen Technologien demonstrieren und ersetzt im Binnenmarkt zunehmend westliche durch chinesische Produkte, die im Land auch aus patriotischen Motiven besonderen Absatz versprechen. Dies wird auf Dauer Folgen haben für die Absatzzahlen westlicher Produkte in China.

Und im Ausblick auf die immer wieder angekündigte und in absehbarer Zeit auch real mögliche militärische Operation Chinas zur Einnahme Taiwans und eine sich möglicherweise dagegenstellende US-amerikanische Sanktionspolitik wird in Deutschland schon präventiv vor dann diskutierten Maßnahmen gegen China gewarnt, weil wir uns das wirtschaftlich nicht leisten könnten. Wirtschaftliche wie politische Interessen und Menschenrechtsfragen stehen derzeit, das zeigt sich auch hier wieder, offenbar in einem unerwünschten Konflikt. Ist also der in den letzten Jahrzehnten zu beobachtende Aufstieg Chinas Fluch oder Segen für die (westliche) Welt? Diese große Frage birgt eine schier unendliche Komplexität. Und es gibt gerade im englischsprachigen Raum schon reichlich Literatur, die sie aus ökonomischen, soziologischen, politikwissenschaftlichen, historischen, militärisch-geostrategischen u. a. Perspektiven angeht.5 Diese ganze Fülle an Perspektiven und Positionen kann und soll hier nicht zusammengetragen werden, so dass also dieses Buch auch auf diese große Frage keine abschließende Antwort geben wird. Vielmehr wird hier ein fundamentaler Teilaspekt fokussiert, der bislang in all den Diskussionen um den künftigen Umgang mit China zu kurz gekommen ist: eine ausdrücklich ethische Bewertung der chinesischen Wirtschaftsordnung. In diese Forschungslücke hineinstoßen will die vorliegende Studie mit der Behandlung der folgenden ordnungsethische Forschungsfrage: Welche Ethik liegt der aktuell anzutreffenden Wirtschaftsordnung Chinas zugrunde?

Um diese Frage beantworten zu können, müssen zunächst grundsätzlich das methodische Vorgehen sowie das Instrumentarium ordnungstheoretischer Analyse und ordnungsethischer Interpretation vorgestellt werden. Da wirtschaftsethische Studien immer auch die Wertebasis der zu untersuchenden Ordnung offenlegen müssen, folgt dementsprechend ein kurzer Einblick in wesentliche (auch kulturelle) Kontexte zum Verstehen des herrschenden Menschen- und Gesellschaftsbildes. Einige Fakten zur chinesischen Wirtschaftsordnung runden diese kontextuelle Einführung ab. Es schließen sich daran die zentralen ordnungstheoretischen und ordnungsethischen Studienteile an. Zunächst können auf der Grundlage von vorliegenden sozioökonomischen Erkenntnissen maßgebliche Thesen zur Bestimmung des Wesens der Wirtschaftsordnung Chinas identifiziert werden. Es geht in diesem Schritt darum, die Grundidee dieser Ordnung im Spannungsfeld konkurrierender Systeme besser zu verstehen. Dabei kann zunächst gefragt werden, welche Wirtschaftsordnung wir im China der Gegenwart vorfinden, was sich also ordnungstheoretisch hinter dem vermeintlichen Paradox „sozialistischer Marktwirtschaft“ wesentlich verbergen mag. Die analytische Vorstellung entsprechender vorliegender Interpretationen dazu ist die wesentliche Voraussetzung für die sich daran anschließende ethische Diskussion. Die ordnungstheoretische geht also hier der ordnungsethischen Fragestellung voraus, weil zumindest ansatzweise Thesen zur Wirtschaftsordnung vorliegen und diese hier den Ausgangspunkt der Studie markieren, während wirtschaftsethische Thesen bisher fehlen und erst auf Grundlage der ordnungstheoretischen Thesen erschlossen werden können. Diese Reihenfolge ist dem ethischen Forschungsdesiderat geschuldet. Logisch gesehen müsste natürlich eine komplette wirtschaftsethische Position umgekehrt gedacht werden: Die konkrete Ordnung leitet sich aus der ihr zugrundeliegenden Wertegrundlage (Ethik) ab. Diese ethische Basis kann hier aber erst im zweiten Schritt (der ordnungsethischen Analyse) erschlossen werden. Neben der sozioökonomischen Betrachtung kommt im fünften Kapitel also die Frage nach den normativen Zielen, Werten und Prinzipien in den Blick, indem diese in Beziehung zum herrschenden Grundverständnis von Staat, Wirtschaft und/ oder Markt gesetzt werden.

Es finden sich, dies ist ein wichtiger Anknüpfungspunkt der vorliegenden Studie, zumindest im Ansatz eine Reihe konkurrierender weltanschaulicher Auffassungen zum Wesen der Wirtschaftsordnung Chinas. Sie unterstellen dabei nur implizit auch konkurrierende Deutungen zu der dieser Ordnung zugrundeliegenden Ethik. Drei maßgebliche Positionen zu Ordnungstheorie und Ordnungsethik (P 1, P 2, P 3) werden in diesem Buch nun offengelegt, entfaltet und einander gegenübergestellt. Auf deren Grundlage wird anschließend eine eigene vierte Position (P 4) entworfen, mit der die Forschungsfrage dieser Studie beantwortet werden soll. Anschließend wird dann noch, quasi als Zugabe, die nunmehr anstehende ordnungsethische Diskussion mit einer perspektivischen Bewertung eröffnet, indem die Ergebnisse von P 4 aus einer christlich-sozialethischen Sicht interpretiert werden. Die vorliegende Studie schafft somit als Pilotprojekt nicht nur die Möglichkeitsbedingungen für eine ordnungsethische Diskussion zur Wirtschaft Chinas, sondern gibt dazu auch gleich im siebten Kapitel den Starschuss mit einer normativ argumentierenden Bewertung der ethischen Analyse.

Es soll so ein neuer, ausbaufähiger und -bedürftiger Mosaikstein in die Chinaforschung eingebaut werden. Dieser Band kann und will mit dem so neu angestoßenen Verstehenshorizont die reflektierte Bewertung der Wirtschaftsordnung Chinas um diese ethische Dimension bereichern, bezieht dazu auch selbst Position und diskutiert diese Thesen. Damit können zum einen verschiedene einladende Stränge der ordnungsethischen Diskussion zur Wirtschaft Chinas eröffnet werden. Das ist der Forschungsertrag. Es ist zum anderen der Startschuss für das zur Erarbeitung konkreter politischer Strategien notwendige ethische Fundament.

Diese Zuschreibung als „Paramount Leader“ ist kein offizielles Amt, sondern in der Nachfolge Maos die Bezeichnung für den mächtigsten Mann des Landes.

Zur Präambel der Verfassung vgl. Heilmann/Rudolf (2016), S. 39. Im Folgenden werden die Begriffe Sozialismus, Kommunismus und Marxismus entsprechend der von der KPChhh verwendeten Terminologie nicht sauber getrennt, sondern weitgehend synonym verwendet. Da es letztlich um eine nähere Untersuchung zum Wesen der so...

Erscheint lt. Verlag 6.6.2023
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Patrick Peters
Zusatzinfo 11 Abb., 5 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Wirtschaft Betriebswirtschaft / Management
Schlagworte Eigentum • Verteilungsgerechtigkeit • Wachstumspolitik • Wirtschaftspolitik
ISBN-10 3-17-043748-8 / 3170437488
ISBN-13 978-3-17-043748-7 / 9783170437487
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