Die globalisierte Welt (eBook)

Genese, Struktur und Zusammenhänge
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
320 Seiten
UTB (Verlag)
978-3-8463-5802-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die globalisierte Welt -  Vincent Houben,  Boike Rehbein
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Das Lehrbuch bietet eine aktuelle Einführung in das Studium der gegenwärtigen multizentrischen Welt. Es vermittelt einen Überblick über die wichtigsten Tendenzen der Globalisierung sowie Einblicke in die einzelnen Weltregionen. Im Zentrum stehen dabei die soziokulturellen Konfigurationen in den unterschiedlichen Regionen, ihre Genese und ihr globaler Zusammenhang. Die vergleichende Perspektive ermöglicht es, die allgemeinen Debatten um die Globalisierung, die in vielen Bereichen einen Konsens erzielt haben, zu differenzieren und stärker zu kontextualisieren. Die Studie basiert auf der Interpretation empirischer Literatur und eigener Feldforschung in allen behandelten Regionen. Der interdisziplinäre Ansatz macht das Buch in vielen Studienfächern und Kontexten einsetzbar.

Vincent Houben ist Professor für Geschichte und Gesellschaft Südostasiens an der Humboldt-Universität zu Berlin. Gemeinsam mit Boike Rehbein leitet er dort das Global Studies Programme.

Vincent Houben ist Professor für Geschichte und Gesellschaft Südostasiens an der Humboldt-Universität zu Berlin. Gemeinsam mit Boike Rehbein leitet er dort das Global Studies Programme.Prof. Dr. Boike Rehbein lehrt am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin.

Einleitung
Globaler Kapitalismus
Soziokulturen
Skalen
Multizentrische Welt
1 Globale Soziokulturen
1.1 Globalgeschichte
Geschichte der Weltgeschichtsschreibung
Darstellungen der historischen multizentrischen Welt
Ein multizentrischer, soziokultureller Ansatz
Fazit
1.2 Kolonialismus
Kolonialismus
Kolonialgeschichte
Kolonialismus und Orientalismus
Kolonialismus und Rassismus
Postkolonialismus
Kolonialismus als globale Soziokultur
1.3 Die nationalstaatliche Ordnung
Der Nationalstaat
Nation und Nationalismus
Demokratie
Entwicklung als Praxis und Diskurs
Die Idee der Entwicklung
Modernisierung
Der Entwicklungsstaat
Fazit
1.4 Globaler Kapitalismus
Definition
Vorgeschichte
Globaler Kapitalismus und Transformation
Fazit
2 Regionen
2.1 Europa
Kolonialismus und Absolutismus
Liberalismus, Industrialisierung und Nationalstaat
Neoliberalismus und Finanzkapital
Fallstudie Deutschland
2.2 Südostasien
Die Region
Vorkoloniale Soziokulturen
Koloniale Soziokulturen
Postkoloniale Soziokulturen
Fallstudie Thailand
2.3 Südasien
Vorkoloniale Soziokulturen
Koloniale Soziokulturen
Postkoloniale Soziokulturen
Fallstudie Indien
2.4 Ostasien
Vorkoloniale Soziokulturen
Semi-koloniale Soziokulturen und Nationalstaatsbildung
Postkoloniale Soziokulturen
Fallstudie China
2.5 Zentralasien
Vorkoloniale Soziokulturen
Koloniale Soziokulturen
Postkoloniale Soziokulturen
Fallstudie Kasachstan
2.6 Afrika
Die Außen- und Binnenwahrnehmung Afrikas
Geografische Merkmale des afrikanischen Kontinents
Vorkoloniale Soziokulturen
Koloniale Soziokulturen
Postkoloniale Soziokulturen
Fallstudie Südafrika
2.7 Amerika
Koloniale Soziokulturen
Das postkoloniale Lateinamerika
Die kapitalistische Gesellschaft der USA
Fallstudie Brasilien
Fazit
3 Globale Zusammenhänge
3.1 Weltwirtschaft
Zentren der Welt und Netzwerke
Kapitalismen und multizentrische Welt
Globale Institutionen
Staaten
Transnationale Unternehmen
Finanzkapital
Fazit
3.2 Globale Institutionen
Institutionen und Globalisierung
Imperien
Internationale Organisationen
Globale Sozialbewegungen
Fazit
3.3 Kulturelle Globalisierung
Der westliche Kulturbegriff und dessen Kritik
Genealogie der globalen Moderne
Homogenisierung oder Heterogenisierung von Kulturen
Produktion von Weltkultur
Diasporakulturen
Fazit
3.4 Globale Ungleichheit
Ökonomische Klassen
Soziale Klassen
Die Produktion sozialer Klassen
Soziokulturen und soziale Klassen
Globale Strukturen
Fazit
Fazit: Wissenschaft aus dem globalen Süden
Abkürzungsverzeichnis
Literatur
Sach-Register
Personen-Register
Tabellenverzeichnis

1 Globale Soziokulturen


1.1 Globalgeschichte


In allen menschlichen Gemeinschaften gibt es altüberlieferte Erzählungen über die eigene Herkunft, die Taten ihrer Vorfahren und in der Vergangenheit gemeinsam erlebte Ereignisse. Die Erzählungen erfüllen unter anderem den Zweck, mittels einer Standortbestimmung der eigenen Existenz in Raum und Zeit, nach innen eine stabile kollektive Identität zu schaffen. Derartige ethnozentrische Erzählungen wurden in mündlicher oder schriftlicher Form von Generation zu Generation weitergegeben. Um aktuellen Ereignissen rückwirkend einen Sinn zu geben, wurden zugleich diese in der Gemeinschaft geteilten Legenden ständig an die Erfordernisse der Gegenwart angepasst.

Darüber hinaus gab es seit Jahrtausenden immer wieder Versuche, die Bedeutung der eigenen Kultur als Teil einer umfassenden Weltgeschichte zu verstehen. Das gilt sowohl für westliche Gesellschaften im Altertum als auch für die folgende chinesische und arabische Geschichtsschreibung. Im europäischen Mittelalter entstand das Format der christlichen Weltgeschichte, die später von einer eurozentrischen säkularisierten Weltbeschreibung abgelöst wurde. In diesem Sinne gab es eine Globalgeschichte von Verflechtungen und Verbindungen zwischen räumlichen Skalen schon seit langer Zeit.

Seit Geschichte sich im 19. Jahrhundert als Wissenschaft an westlichen Universitäten etabliert hat, wurde der Nationalstaat als selbstverständliche Raumeinheit der historischen Entwicklung gesehen. Um den nationalen Legitimationsanspruch zu untermauern, dehnte man Nationalgeschichte soweit wie möglich auf vornationale Zeiten aus. In dessen Folge wurde Geschichte vor allem Nationalgeschichte, während die ältere Menschheitsgeschichte zur notwendigen Vorstufe der Nation erklärt wurde, die man als Höhepunkt in der historischen Entwicklung darstellte. Diese Form der Geschichtsschreibung übernahmen letztlich alle Nationalstaaten.

Mit dem Ende des Kalten Krieges und der Auflösung der „drei Welten“ änderte sich das internationale Umfeld grundlegend. Damit verschob sich, zumindest teilweise, auch der Fokus in der Geschichtsbetrachtung. In einem dynamischen Umfeld, worin nationale Grenzen und Identitäten zunehmend an Bedeutung verloren, haben Historiker:innen verstärkt versucht, die historischen Wurzeln der Globalisierung zu untersuchen. Dabei entdeckten sie, dass es die heutige multizentrische Welt schon früher gegeben hat und dass diese sogar die grundlegende Soziokultur aller Gesellschaften prägte. Demzufolge wird die Zeit der westlichen Überlegenheit (ungefähr zwischen 1800 und 2000) als Ausnahme in der Langzeitentwicklung der Gesellschaften gesehen und nicht als die Regel. In der multizentrischen Welt von heute sind wir also zum Ursprungszustand zurückgekehrt. Die Bedeutung der neuen Welt- und Globalgeschichte liegt nicht nur darin, die nationalgeschichtliche Perspektive zu überwinden, sondern auch, nicht-eurozentrisch zu denken und zu versuchen, Geschichte als eine relationale und überregionale Geschichte zu sehen (Conrad/Eckert 2007: 7-49).

Geschichte der Weltgeschichtsschreibung


Überall auf der Welt und zu allen Zeiten haben sich Gesellschaften über ihre Stellung innerhalb der Menschheit, zumindest in Relation zu benachbarten Gesellschaften, Gedanken gemacht. Weltgeschichte ist somit nicht das Produkt von Historikern seit 1990, sondern bereits sehr alt. Herodot (ca. 484–424 v.u.Z.) lebte im antiken Griechenland und wird oft als Vater der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung bezeichnet, die versucht, die Vergangenheit zu erklären. Er bemühte sich schon damals, ein umfassendes Bild der bekannten Welt zu schaffen. Seine Ausführungen reichten über Äthiopien hinaus ins mittlere Afrika und über die Steppen Zentralasiens hinaus bis nach China. Man findet bei ihm auch ausführliche Beschreibungen des Nahen Ostens und Indiens. Dennoch war seine Geschichte vor allem eine ethnozentrische Darstellung des griechisch-persischen Krieges, worin der eigene Staat („Polis“) als Ort der Freiheit dem persischen Reich sowie anderen Staaten als Tyranneien gegenübergestellt wurde.

Eine ähnliche, auf das eigene Staatswesen konzentrierte Weltgeschichte wurde vom chinesischen Historiker Sima Quian (145–90 v.u.Z.) geschrieben. Sima Quian war ein Astrologe, Historiker und Schreiber am frühimperialen Hof von Han-Kaiser Liu Che. Er hatte Zugang zu allen Manuskripten im Hofarchiv und wurde zum Begründer der offiziellen chinesischen Geschichtsschreibung. Er schrieb die Shiji (historische Aufzeichnungen), das erste Übersichtswerk der chinesischen Geschichte vom Gelben Kaiser bis zur Han-Dynastie.

Darüber hinaus behandelte Sima Quians Übersichtswerk die Welt und ihre kosmischen Aspekte, in dem Bemühen, tianxia (alles unter dem Himmel) zu verstehen. Der Abfassung dieses Werkes war eine Rundreise bis an die Grenzen des Han-Reiches vorangegangen – daher finden wir auch Kapitel über die benachbarten Völker: die Hunnen im Norden, die Koreaner im Osten und die Menschen in Südchina (man = Barbaren oder nanman = südliche Barbaren).

Unter der Han-Dynastie (206 v.u.Z. bis 220 u.Z.) wurde das zentrale Königreich (zhoungguo) als Zentrum der Welt betrachtet. Zwischen Han und Nicht-Han wurde in kultureller und sozialer Hinsicht unterschieden. Während das chinesische Reich der „Mitte“ das Zentrum der Welt bildete, gab es drei Kreise darum herum: eine sinisierte Zone (Korea und Vietnam, manchmal Japan), eine innere asiatische Zone (ethnische Gruppen und Nomaden, die keine Han waren) und eine äußere Zone (Südost- und Südasien, später auch Europa). Diese beiden äußeren Zonen wurden mit Begriffen wie yi, fan und man bezeichnet, das heißt als barbarisch. Somit wurde das ethnozentrische Modell von Zentrum und Peripherie grundlegend für die klassische chinesische Weltsicht, die bis heute fortwirkt.

Ein weiterer bedeutender Vertreter der Weltgeschichtsschreibung kam aus dem islamisierten Mittelmeerraum. Ibn Khaldun (1332–1406) vertrat eine überregionale Weltsicht aufgrund der fortschreitenden Ausdehnung der islamischen Welt. Khaldun war in Tunis geboren, wurde Hofbeamter, Diplomat, Richter und Gelehrter in verschiedenen Hauptstädten Nordafrikas und Granada in Spanien. Sein Hauptwerk war die Kitab al-Ibar (Weltgeschichte). Es handelte sich dabei um eine Geschichte der Araber, Berber und anderer Völker im Mittelmeerraum sowie der islamischen Welt. Khaldun ist vor allem bekannt durch seine Muqaddimah (Einleitung). Diese stellte eine arabische Philosophie der Geschichte vor, die auf dem damals im westlichen Mittelmeerraum vorhandenen Wissen basiert – einer Mischung aus islamischem und klassischem griechischem Wissen. Khaldun verfolgte eine kritische Methode. Geschichte sollte auf Weisheit oder Philosophie (hikma) basieren. Sie sollte Analyse statt Beschreibung der Vergangenheit betreiben und nach Prinzipien und Ursachen (sabab) suchen, um Wissen über Zivilisationen und menschliche Gesellschaften zu generieren. Dabei vertrat er eine zyklische Sichtweise auf Kulturentwicklung, schrieb unter anderem über die determinierenden Effekte von Umwelt und Ernährung auf den Menschen. Auch die westlichen Sozial- und Geschichtswissenschaften haben sich bis heute mit seinen Schriften befasst (Sachsenmaier 2015).

In der spätmittelalterlichen Renaissance, die in Norditalien ihren Ursprung hatte und sich dann allmählich in nördliche Richtung in Europa ausbreitete, gab es eine Rückbesinnung auf das klassische Altertum. Zwar wurde Geschichte, wie im gesamten europäischen Mittelalter, auf Grundlage der Bibel und mit der Erlösung als Ziel geschrieben, aber nun rückte der Mensch ins Zentrum der Betrachtung. Diese Sichtweise dominierte die europäische Geschichtsschreibung im Zeitraum von Francesco Petrarca (1304–1374) über Erasmus von Rotterdam (1466–1536) bis Francis Bacon (1561–1626). Die Aufklärung stellte die Vormachtstellung des Adels und der Kirche in Frage und übertrug dem Menschen eine noch größere Bedeutung.

Seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert hat sich die historiografische Matrix in Richtung Europa verschoben und es entstand eine andere Art von Weltgeschichte. Während bei Voltaire (1694–1778) und sogar noch bei Adam Smith (1723–1790) China als größte Macht der Welt galt, wurde im Laufe des 18. Jahrhundert, bei Denis Diderot (1713–1784) und Immanuel Kant (1724–1804), nur noch Europa als Ort der Entwicklung gesehen, die wiederum als Fortschritt in der Zivilisation und der Vernunft gedeutet wurde. Zivilisationen wurden nebeneinandergestellt, voneinander getrennt und zunehmend hierarchisch gestuft. Die Idee einer hierarchisch strukturierten Weltgeschichte des Fortschritts entstand, worin die außereuropäischen Gesellschaften zur Vorgeschichte der Moderne reduziert wurden und deswegen aus dem Blickfeld...

Erscheint lt. Verlag 13.6.2022
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Wirtschaft
Schlagworte Afrika • Amerika • Asien • Brasilien • China • Demokratie • Europa • Finanzkapital • Geschichte • Geschichtsschreibung • globale Institutionen • Globaler Kapitalismus • globale Ungleicheit • globale Ungleichheit • Globalgeschichte • globalisierte Welt • Globalisierung • Indien • Industrialisierung • Kapitalismus • Kapitalistische Gesellschaft • Kasachstan • Kolonialgeschichte • Kolonialismus • Lateinamerika • Lehrbuch • Liberalismus • Nationalismus • Nationalstaat • Neoliberalismus • Ökonomische Klasse • Orientalismus • Ostasien • Politik • Politikwissenschaft • Politikwissenschaft studieren • Postkolonialismus • Rassismus • Religion • Sozialbewegung • Soziale Klassen • Soziokulturen • Soziologie • Soziologie studieren • Südasien • Ungleichheit • USA • Volkswirtschaftslehre • Weltregion • Weltregionen • Weltwirtschaft • Zentralasien
ISBN-10 3-8463-5802-9 / 3846358029
ISBN-13 978-3-8463-5802-3 / 9783846358023
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