Verlorene Größe, neue Horizonte - Willi Diez

Verlorene Größe, neue Horizonte (eBook)

Das Ende von Daimler?

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
508 Seiten
Vahlen (Verlag)
978-3-8006-6721-5 (ISBN)
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'Es ist kein Naturgesetz, dass Daimler ewig besteht.' Das Statement von Dieter Zetsche im Februar 2019 auf einer Podiumsdiskussion bei der Digitalmesse MWC in Barcelona ließ aufhorchen. War das nur eine flapsig hingeworfene Bemerkung? Steckte mehr dahinter?
Schneller als vielleicht auch von ihm erwartet, wird seine Prognose Realität, denn am 30. November 2021 endete die Geschichte der Daimler AG. Ein historischer Augenblick: Für immer verschwindet eines der erfolgreichsten, traditionsreichsten und größten deutschen Unternehmen von der Bildfläche. An seine Stelle treten zwei neue Unternehmen: die Mercedes-Benz AG und die Daimler Truck AG.
Eines der wichtigsten Motive, sich mit der Geschichte zu beschäftigen, liegt darin, Lehren zu ziehen. Wer will kann aus der Geschichte von Daimler viel lernen. Zum Beispiel, dass ein Unternehmen, das führen will, seinem 'inneren Programm' folgen muss und nicht irgendwelchen Management-Moden. Er kann lernen, dass auch vermeintlich kleine Eingriffe in ein Geschäftsmodell eine Eigendynamik entwickeln, die eben dieses Geschäftsmodell zerstören können. Er kann auch lernen, dass Wachstum und Profitabilität keine Ziele sind, sondern das Ergebnis einer richtigen Strategie und deren konsequenter Umsetzung.
Das vorliegende Buch ist kein Nachruf. Es will nicht nur zeigen, wie ein Unternehmen 'Größe' verlieren kann, sondern auch welche neuen Horizonte sich in einem Markt eröffnen, der dabei ist, sich tiefgreifend zu verändern.

7Kapitel 1


8Einleitung – Verlorene Größe

„Es ist kein Naturgesetz, dass Daimler ewig besteht.“ Das Statement von Dieter Zetsche im Februar 2019 auf der Mobilfunkmesse MWC in Barcelona ließ aufhorchen. War das nur eine flapsig hingeworfene Bemerkung, wie man sie von Zetsche bei Diskussionsrunden öfter einmal hören konnte? Oder ­steckte mehr dahinter? Gewiss, Daimler kämpfte damals mit einer dicken Krise. Die Verkäufe schwächelten und der Dieselskandal kostete viel Geld. Schon ein paar Wochen später ließ eine Gewinnwarnung die Investoren an der Börse ebenso aufschrecken wie die Mitarbeiter im Unternehmen. Aber existenzgefährdend war das alles nicht. Das Unternehmen war über viele Jahre außerordentlich erfolgreich gewesen, mit mehr als 2,3 Millionen verkauften Fahrzeugen lag es weit vor seinen Wettbewerbern und erst im Jahr 2017 hatte man mit über 14 Milliarden Euro einen neuen Rekordgewinn erzielt. Warum also dieses öffentliche Nachdenken über den eigenen Untergang? Wusste oder spürte Dieter Zetsche etwas, was andere nicht sehen konnten oder nicht sehen wollten? Das Unternehmen war groß, wofür nicht zuletzt er selbst gesorgt hatte. Es war groß, aber hatte es auch noch „Größe“?

9„Day One, Day Two“


Im Grunde war Dieter Zetsches provozierende Bemerkung über die Zukunft von Daimler ein Plagiat. Einige Monate vorher hatte Jeff Bezos, Chef von Amazon, bei einem Meeting mit Managern und Führungskräften seines Unternehmens davor gewarnt, dass Amazon „nicht zu groß zum Scheitern“ sei und dann hinzugefügt: „Ich sage voraus, dass Amazon eines Tages scheitern wird.“ „Amazon“, so Bezos, „wird pleitegehen“. Der Satz, ausgesprochen vom reichsten Mann der Welt und Gründer eines der erfolgreichsten Unternehmen im Internet-Zeitalter, mutete merkwürdig an. Natürlich kokettieren vor allem erfolgreiche und charismatische Unternehmer schon mal gerne mit dem eigenen Untergang. Aber meinte Jeff Bezos das wirklich ernst?

Jeff Bezos war, was die Lebensdauer von Unternehmen anbelangt, pessimistisch: „Wenn ihr euch die großen Unternehmen anschaut“, erklärte er bei seinem Auftritt im Herbst 2018, „liegt die Lebensdauer bei 30 Jahren plus, nicht bei 100 Jahren plus“. Nach seiner Theorie hat jedes Unternehmen einen „Day One“ – das ist der Tag, an dem es gegründet wird. Und nach seiner Auffassung muss das Management dafür sorgen, dass der Geist und die Vitalität des „Day One“ erhalten bleiben und jeden Tag neu gelebt werden: „Every Day“, so sein Credo, „is Day One.“ Schon mit dem „Day Two“ beginnt nach seiner Auffassung das Ende eines Unternehmens: „Day Two ist Stagnation. Gefolgt von Irrelevanz. Gefolgt von einem quälend schmerzvollen Niedergang.“ Den sah er auch bei Amazon kommen – wann, darüber schwieg er sich freilich aus.

Irgendetwas ist sicher richtig an Bezos’ Unternehmensphilosophie – aber irgendetwas ist auch falsch. Tatsächlich gibt es viele Unternehmen, die weit älter als 30 Jahre sind und eine noch immer beträchtliche Größe haben. Daimler war im Jahr 2019 – nimmt man die Vorläuferunternehmen mit dazu – über 100 Jahre alt, nach der Diktion von Bezos gewissermaßen 100 Jahre plus-plus. Auch andere „große Unternehmen“ wie Ford und Siemens oder auch Coca-Cola und Procter&Gamble waren im Jahr 2019 über 100 Jahre alt und viele andere wie Toyota oder Samsung nur wenig jünger. Unmöglich, dass ein intelligenter Mann wie Jeff Bezos diese Unternehmen und ihr Alter nicht gekannt hätte. Was also sollte die Aussage, dass die Lebensdauer großer Unternehmen bei „30 Jahre plus“ und nicht bei „100 Jahre plus“ liege?

Jeff Bezos Überlegungen zur Lebensdauer von Unternehmen spielen offensichtlich mit zwei Bedeutungen von „Größe“. Was ein „großes“ Unternehmen ist, wird in der Welt der Wirtschaft üblicherweise mit Kennzahlen wie dem Umsatz, der Zahl der Beschäftigten und – in der Automobilindustrie – mit der Zahl der verkauften Autos definiert. „Groß“ ist, was eine bestimmte „quantitative“ Größe hat. Damit lassen sich wunderbare Rankings erstellen: Wer ist „Erster“, wer „Zweiter“, wer konnte sich in diesem Jahr um wie viele Plätze verbessern, wer konnte seinen Platz verteidigen und wer ist „abgestiegen“? 10Das sind Spielchen, die in der Presse gerne gespielt werden: Unterhaltsam, aber unwichtig, denn die Platzierung eines Unternehmens in einer dieser „Bundesligatabellen“ sagt – anders als im Sport – wenig bis gar nichts über deren Zukunftschancen, über deren wahre „Größe“ aus. Der über viele Jahrzehnte weltweit größte Automobilhersteller, General Motors, fiel in der Finanzkrise im Jahr 2008, ziemlich genau 100 Jahre nach seiner Gründung, wie ein Kartenhaus zusammen. General Motors war wie eine Maschine. Eine Maschine, die mehr oder weniger zuverlässig mehr oder wenig gute Autos in den Markt drückte, den Mitarbeitern und Führungskräften pünktlich Löhne und Gehälter ausbezahlte und seine Geschäftsprozesse mit der ganzen Erfahrung eines alten Unternehmens routiniert abspulte. Aber das Unternehmen wurde von keiner besonderen Idee, keinem besonderen Wissen und keiner besonderen Fähigkeit mehr getragen. Irgendwann in den 1970er-Jahren, vielleicht auch erst in den 1980er-Jahren war der Kalender vom „Day One“ auf den „Day Two“ gesprungen und offensichtlich hatte das niemand bemerkt. Das Unternehmen war, als es pleiteging, in einem rein quantitativen Sinn noch immer „groß“. Aber es hatte seine „Größe“ längst verloren. Im gleichen Jahr, 2008, in dem General Motors faktisch in Konkurs ging, brachte ein Unternehmen mit Sitz in Palo Alto seinen ersten vollelektrischen Roadster auf den Markt. Das Unternehmen hieß Tesla, war gemessen an den üblichen statistischen Kennzahlen klein, im Grunde ein „Start-up“, aber es lebte im „Day One“. Jeder redete und spekulierte über die Zukunft des Unternehmens, seine technologischen Innovationen, seine kommerziellen Pläne und natürlich auch über seinen etwas verrückten Chef. Tesla war ein kleines Unternehmen mit einer revolutionären, die Welt der Mobilität verändernden Idee. General Motors war „groß“, Tesla, die kleine Schmiede für Elektroautos aber hatte „Größe“.

Was also ist „Größe“?


Jeff Bezos’ Prognose über die Lebensdauer von „großen Unternehmen“ macht nur dann Sinn, wenn man in Rechnung stellt, dass es neben der quantitativen, durch betriebswirtschaftliche Kennzahlen definierten „Größe“ noch eine andere Art von „Größe“ gibt: eine Größe, die man als „qualitative“, „substanzielle“, vielleicht auch als „historische“ Größe bezeichnen kann. Von Jacob Burckhardt, einem der bedeutendsten Historiker des 19. Jahrhunderts, stammt die klassische Definition von „historischer Größe“: „Die Bestimmung der Größe scheint zu sein“, heißt es in seinem Basler Vorlesungsmanuskript aus dem Jahr 1868, „dass sie einen Willen vollzieht, der über das Individuelle hinausgeht.“ Besteht die wirkliche, dauerhafte und relevante Größe von Unternehmen also möglicherweise darin, dass sie nicht nur nach Umsatz oder Gewinn streben, sondern „einen Willen vollziehen, der über das Individuelle hinausgeht“?

„Apple is dedicated to leaving the world better than we found it and to creating powerful tools that empower others to do the same.“ Apples sogenanntes 11Mission-Statement steht nicht allein. Viele Unternehmen und Manager erklären heute, dass es ihnen nicht allein um Wachstum, eine starke Marktposition oder Rekordgewinne gehe, sondern um eine „bessere Welt“. Da ist davon die Rede, „andere zu befähigen, mehr zu erreichen“ (Microsoft), das Leben der Menschen „zu vereinfachen und zu ihrem Erfolg beizutragen“ (Amazon) oder auch die „Welt näher zusammenzubringen“ (Facebook). „Für mich“, erklärte Elon Musk seinem Biografen Daniel Alef, „geht es nie um Geld, sondern darum, die Probleme zu lösen und damit die Lebensgrundlagen der Menschheit in Zukunft zu verbessern.“ Unternehmen als Weltverbesserer?

Ja und nein. Es gibt viele Unternehmen, die groß sind, aber keine „Größe“ haben. Das sind Unternehmen, die ein gutes Produkt zu einem attraktiven Preis anbieten und damit ihr Geschäft machen. Es sind die klassischen „Bedarfsdecker“, die mit ihrem Geschäftsmodell, wenn sie es konsequent umsetzen, durchaus erfolgreich sein können. Sie haben das Ohr am Markt, achten darauf, dass ihnen ihre Wettbewerber nicht zu nahekommen und passen ihre Produktpalette rechtzeitig an technologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen an. Es gibt Tausende solcher ganz „normaler“ Unternehmen, deren Ambitionen nicht über ihre wirtschaftlichen Ziele hinausgehen. Aber es gibt auch Unternehmen, die nicht einfach „Bedarfe decken“, sondern mit ihren Produkten und Dienstleistungen Treiber gesellschaftlicher Entwicklungen werden, die über das rein Wirtschaftliche hinausgehen. Amazon, Apple, Google und Facebook sind große Unternehmen, aber nicht, weil sie hohe Umsätze und über eine gewaltige Börsenkapitalisierung verfügen. Sie sind groß, weil sie das Leben von Milliarden von Menschen verändert haben und noch immer verändern. Politik, Wirtschaft und Kultur im vordigitalen Zeitalter waren anders als heute und auch wenn es Traditionalisten gibt, die der Auffassung sind, dass früher alles besser war, wird doch die weit überwiegende Zahl der vor allem jungen Menschen heute nicht auf Smartphone, Video-Streaming, Online-Shopping und den kommunikativen Austausch...

Erscheint lt. Verlag 14.1.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Wirtschaft Betriebswirtschaft / Management Unternehmensführung / Management
Schlagworte Automobil • Daimler-Benz • Elektroauto • Mercedes-Benz • Tesla
ISBN-10 3-8006-6721-5 / 3800667215
ISBN-13 978-3-8006-6721-5 / 9783800667215
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