Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann? (eBook)

Eine persönliche Wortmeldung
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2021 | 1. Auflage
160 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43986-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann? -  Asfa-Wossen Asserate
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Diese Stimme fehlte in der Rassismusdebatte Die Flüchtlingskrise hat die Ängste und Sorgen in Deutschland vor einer »Überfremdung« neu geweckt. Zugleich werden Debatten über Political Correctness und Rassismus immer heftiger geführt. Die Corona-Pandemie mit ihren Folgen - weltweite Rezession, Zunahme von Armut, Kriegen und Flucht - droht, Konflikte weiter zu verschärfen. Wie können wir vernünftig umgehen mit diesen Sorgen? Der Schlüssel für gutes Zusammenleben, davon ist Asfa-Wossen Asserate überzeugt, ist die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen. Integration ist ein Prozess, ohne Zumutungen wird es nicht gehen - auch und besonders für jene, die sich nicht integrieren wollen.

Asfa-Wossen Asserate, der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers, wurde 1948 in Addis Abeba geboren. Nach der äthiopischen Revolution von 1974 ließ er sich in Deutschland nieder. In Tübingen und Cambridge hat er Jura und Geschichte studiert und in Frankfurt a. M. promoviert. Er war als Journalist und als Pressechef der Düsseldorfer Messegesellschaft tätig und arbeitet heute als Unternehmensberater in Frankfurt. Für >Manieren< erhielt er den Adelbert-von-Chamisso-Preis 2004.

Asfa-Wossen Asserate, der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers, wurde 1948 in Addis Abeba geboren. Nach der äthiopischen Revolution von 1974 ließ er sich in Deutschland nieder. In Tübingen und Cambridge hat er Jura und Geschichte studiert und in Frankfurt a. M. promoviert. Er war als Journalist und als Pressechef der Düsseldorfer Messegesellschaft tätig und arbeitet heute als Unternehmensberater in Frankfurt. Für ›Manieren‹ erhielt er den Adelbert-von-Chamisso-Preis 2004.

Einleitung


Als ich im Herbst 1968 als junger Mann aus Addis Abeba zum Studieren nach Tübingen kam, war ich für viele Menschen in dem beschaulichen deutschen Universitätsstädtchen damals wahrscheinlich der erste Dunkelhäutige, den sie zu Gesicht bekamen. Ich erinnere mich noch gut an das Gefühl, in der Fußgängerzone die Blicke der Passanten auf mir zu spüren. Oft, wenn ich in der Stadt unterwegs war, hörte ich Sätze wie »Senn Sia vo auswärds?« oder »Sie senn abr ned vo hier?«. Ich kam damals gar nicht auf die Idee, hinter solchen Begrüßungen und Näherungsversuchen einen Anflug von Rassismus zu spüren – von so etwas wie »strukturellem Rassismus« oder »Mikroaggression« war damals noch nicht die Rede. Ich entwickelte aber sehr schnell ein Gespür dafür, ob mit solchen Sätzen eine gewisse Neugier verbunden war oder ob mein Gegenüber gar nicht nach einer Antwort verlangte, geschweige denn nach einem Gespräch, und damit nur eine gewisse Unsicherheit oder Verlegenheit ausdrückte.

Es kam immer wieder vor, dass ich auf dem Marktplatz in der Sonne auf der Bank saß und eine ältere Dame auf den Platz neben mir zeigte und mich mit den Worten ansprach: »Siddzt do scho äbbr?« Wenn ich dann antwortete: »Aber nein, setzen Sie sich doch bitte!«, konnte sich daraus ein Gespräch über meine Heimat Äthiopien und meinen Weg nach Deutschland entwickeln. Natürlich fiel in diesem Zusammenhang oft auch der Satz: »Sie sprechen aber gut Deutsch!«, oder auf Schwäbisch: »Sia schwäddzad abr guad deidsch!« Wenn ich dann erzählte, dass ich in Addis Abeba auf die Deutsche Schule gegangen war, ja sogar mein Zentralabitur nach den strengen Regeln der deutschen Kultusministerkonferenz absolviert hatte, erntete ich stets ungläubiges Staunen.

Ich kann sagen, dass ich in all den Jahren, die ich in Deutschland lebe – es sind nun schon mehr als fünfzig –, kaum jemals irgendeine Form der Anfeindung oder Diskriminierung erfahren habe; und auch von den wenigen meiner dunkelhäutigen Kommilitonen damals in Tübingen habe ich nichts dergleichen gehört. An der Universität, über die der Sturm der Achtundsechziger hinwegzog, waren wir schwarzen Studenten damals Exoten, kaum einer wagte es, uns jemals zu widersprechen. Auch dann nicht, wenn ich in den aufgeheizten politischen Diskussionen, die wir damals führten, leidenschaftlich gegen die Kommilitonen vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund das Wort erhob – schließlich hatten sie sich doch die Befreiung Afrikas und der Afrikaner auf die Fahnen geschrieben.

Ich weiß aber auch, dass es vielen Schwarzen in Deutschland ganz anders erging und ergeht. Viele Afrodeutsche, Schwarze und Dunkelhäutige, mit denen ich sprach, haben mir von Anfeindungen und Zurückweisungen berichtet. Nicht wenigen von ihnen wurde schon einmal das »N-Wort« auf der Straße hinterhergerufen; manch einer wurde, wenn er bei der Suche nach einer Wohnung oder nach einer Arbeitsstelle seinen Namen nannte oder wenn es zum Besichtigungstermin oder Vorstellungsgespräch kam, brüsk zurückgewiesen. Lag es also daran, dass wir Schwarzen in den 1960er- und 1970er-Jahren damals in Deutschland so wenige waren? Das mag eine Rolle gespielt haben, aber sicher noch etwas anderes: Rassismus ist oft auch eine Frage der Klasse – im Vergleich zu den Bedingungen, in denen viele Dunkelhäutige und Afrodeutsche hierzulande lebten und leben, war (und ist) meine Lage recht privilegiert. Das gilt erst recht für die Afrikaner, die in den letzten Jahren als Migranten oder Flüchtlinge ins Land gekommen sind – oft mit nichts weiter als dem, was sie am Leibe trugen.

Ich erinnere mich noch lebhaft an eine Szene, die sich in meiner Tübinger Studentenzeit zutrug. Es war Frühling, und ich ging am Neckar spazieren, als ich auf einem Sportplatz ein paar Dutzend Kinder bei einem mich wunderlich anmutenden Spiel beobachtete. Die Kinder waren um die zwölf Jahre alt, es handelte sich offensichtlich um eine Schulklasse, ihr Lehrer war ebenfalls zugegen. Die Gruppe der Schüler stand dicht zusammen, und ihnen gegenüber im Abstand von vielleicht zwanzig Metern ein einzelner Junge, der laut in die Richtung der Menge schrie: »Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?« Einen kurzen Augenblick dachte ich, ich sei gemeint, aber die Spielenden beachteten mich gar nicht. »Niemand«, schallte es von gegenüber dem Jungen entgegen. »Und wenn er aber kommt?«, rief dieser zurück. »Dann laufen wir davon«, antwortete die Schar der Kinder im Chor – und lief dem Jungen entgegen. Dieser setzte sich ebenfalls in Bewegung, und es gelang ihm, ein paar der Entgegenkommenden mit der Hand abzuschlagen. Sodann formierten sich die Spielenden von Neuem in umgekehrter Aufstellung. Und der Junge – in Begleitung derjenigen, die er abgeschlagen hatte – begann von Neuem zu rufen: »Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?« – »Wir nicht.« – »Und wenn er aber kommt?« – »Dann laufen wir davon.« Und wieder rannten die beiden Gruppen aufeinander zu, und wieder versuchte der Junge, diesmal zusammen mit seinen hinzugewonnenen Gehilfen, so viele Spieler wie möglich anzutippen. So ging das Spiel weiter, bis schließlich alle Mitspieler abgefangen waren. Den Kindern bereitete es sichtlich Vergnügen, sie spielten mehrere Runden.

Ich überlegte, ob ich den Lehrer, der das Geschehen ungerührt von der Seite aus mitverfolgte, ansprechen sollte, was es mit diesem Spiel auf sich habe, aber ich traute mich damals nicht und ging weiter. Am nächsten Tag fragte ich an der Universität meine deutschen Kommilitonen danach. Sie alle kannten das Spiel und hatten es selbst in ihrer Kindheit oft gespielt. Niemand, versicherten sie mir, habe bei dem »Schwarzen Mann« an einen Afrikaner oder einen dunkelhäutigen Menschen gedacht: »Das hat man eben einfach so gesagt, ohne groß darüber nachzudenken.« Später erfuhr ich, dass das Spiel bereits Ende des 18. Jahrhunderts beschrieben wurde und der »Schwarze Mann« einst für den »Schwarzen Tod« – die Pest – stand: Jeder, der von der Seuche befallen – im Spiel: abgeschlagen – wird, wird dem wachsenden Heer des »Schwarzen Mannes« einverleibt.

Trotz seiner recht gut belegten Herkunft geriet das Kinderspiel in den letzten Jahren unter Rassismusverdacht. So wollten etwa besorgte Eltern im schweizerischen Wallis es per Beschluss der Schulleitung aus der Schule verbannt sehen. Die Walliser Bildungsdirektion lehnte mit Verweis auf die Herkunft des Spieles ein Verbot ab, schlug aber einen neuen Namen vor: »Wer hat Angst vor dem Wolf?«1 Was sich, soweit ich es überblicken kann, wohl nicht durchsetzen konnte.

»Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann?« Diese Frage wurde und wird in Europa neuerdings immer öfter gestellt. Die aktuelle Flüchtlingskrise hat die Ängste und Sorgen in vielen Teilen Europas wie auch in Deutschland vor einem »Flüchtlingsstrom« aus Afrika und einer drohenden »Überfremdung« geweckt. Und auch in Deutschland erhielten Parteien und Organisationen Zulauf, die sich diese Sorge populistisch zunutze machen. Die gegenwärtige Corona-Pandemie mit ihren mittel- und langfristigen Folgen – einer weltweiten Rezession, Zunahme von Hunger und Armut, Kriegen und Flucht – droht die Konflikte weiter zu verschärfen.

Aber auch die Afrodeutschen und Menschen anderer Hautfarbe in diesem Land melden sich verstärkt zu Wort und sprechen über ihre Erfahrungen mit Diskriminierung und Rassismus. Sie sind Teil der Millionen von Deutschen und in Deutschland Lebenden »mit Migrationshintergrund«, die dieses Land in den letzten Jahrzehnten vielfältiger gemacht haben. Im Mai 2020 sorgte der Tod des Afroamerikaners George Floyd, der in Minneapolis bei einer gewaltsamen Festnahme in Polizeigewahrsam zu Tode kam, weltweit für Wut und Empörung. »Black Lives Matter!« schrieben sich die vielen Menschen auf die Fahne, die überall gegen Diskriminierung von Schwarzen auf die Straße gingen, auch in Deutschland. Denn auch hierzulande scheint das Zusammenleben der Menschen mit verschiedener Hautfarbe alles andere als selbstverständlich. Das fängt schon mit der Diskussion darüber an, wie man Menschen mit schwarzer Hautfarbe bezeichnen soll – als »Schwarze«, »Afrodeutsche«, »Farbige« oder lieber mit dem englischen Ausdruck People of Color? Jüngst wurde auch noch der Begriff BIPoC geprägt – abgekürzt für Black, Indigenous and People of Color –, als Sammelbegriff für Schwarze, Indigene und andere nichtweiße Menschen. Ob er als Eigenbezeichnung taugt? Ich jedenfalls kann mir nicht vorstellen, dass ich jemals von mir sagen werde: »Ich bin BIPoC«.

Über Rassismus wird heute mehr denn je leidenschaftlich diskutiert. Wer öffentlich des Rassismus bezichtigt wird, dessen Karriere kann ein schnelles Ende nehmen. Aber gibt es wirklich so etwas wie »systemischen Rassismus«, der unserer Gesellschaft eingeschrieben ist, und wenn ja, wie lässt sich damit umgehen? Ist ein Wort wie »Schwarzfahrer« noch tragbar? Müssen die »Mohrenstraße« in Berlin und die nach ihr benannte U-Bahn-Station umbenannt werden, ebenso wie die zahlreichen Mohren-Apotheken im ganzen Land? Soll König Melchior, der Schwarze unter den Heiligen Drei Königen, aus den Weihnachtskrippen verbannt werden, wie es die Ulmer Münstergemeinde kürzlich beschloss, weil dessen Darstellung mit dicken Lippen und bloßen Füßen rassistisch sei? Sind die Sternsinger mit einem schwarz bemalten heiligen König, die am Dreikönigstag durch die Straßen ziehen, noch tragbar? Und was ist mit dem weißen Schauspieler, der auf der Bühne, schwarz geschminkt, den Othello mimt? Sollen Kinderbücher wie Pippi Langstrumpf umgetextet werden, um aus ihnen etwa das anstößige »N-Wort« zu tilgen?

Und ganz grundsätzlich...

Erscheint lt. Verlag 20.8.2021
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Wirtschaft
Schlagworte Afrika • Armut • Corona • Debatten • Debattenbuch • Deutschland • Diskriminierung • Flucht • Flüchtling • Flüchtlingskrise • Gesellschaft • Hautfarbe • Heimat • Integration • Kolonialismus • Krieg • Minderheiten • Political Correctness • politisches Geschenkbuch • Rassismus • Rassismus-Debatte • Religion • Sorgen • Überfremdung • Völkermord
ISBN-10 3-423-43986-6 / 3423439866
ISBN-13 978-3-423-43986-2 / 9783423439862
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