Aufstellungsarbeit in Organisationen (eBook)
191 Seiten
Vahlen (Verlag)
978-3-8006-6369-9 (ISBN)
- Theorie: Einführung in Hintergrund, Ziele, Funktionsprinzipien und Methoden der Aufstellungsarbeit
- Kontext: Relevanz durch Bezug zu aktuellen Entwicklungen und Fragestellungen in Organisationen, Management und Führung, wie VUCA, Komplexität, Selbstorganisation, Theorie U
- Praxis: Zahlreiche konkrete Anwendungsfelder, die Umsetzbarkeit ermöglichen und den praktischen Nutzen greifbar machen
Zum Werk
Das Buch präsentiert die Aufstellungsarbeit als eine systemische Interventionsmethode und zukunftsweisende Form der Organisations- und Führungsberatung. Dargestellt werden die wesentlichen Ziele, Funktionsprinzipien und Methoden der Aufstellungsarbeit. Der Nutzen von Aufstellungsarbeit in Organisationen wird deutlich gemacht, wobei insbesondere auf aktuelle Diskussionen, Herausforderungen und Ansätze in der Organisations- und Führungskräfteentwicklung Bezug genommen wird.
Zielgruppe
Trainer, Berater, Aufstellungsexperten, HR-Manager sowie Experten in der Personal- und Managemententwicklung
553 Wahrnehmen, Erkennen und Verstehen in der Aufstellungsarbeit
Wer im Rahmen einer Familien- oder Organisationsaufstellung ein eigenes Anliegen oder eine Fragestellung aufstellt, will damit in der Regel ein vertieftes Verständnis ebendieser Fragestellung gewinnen. Sie will sehen und wahrnehmen, was sie bisher nicht sieht und wahrnimmt. Sie möchte Einsichten in Dynamiken gewinnen, die bislang unscharf und nicht präzise greifbar sind. Und sie möchte zumeist verstehen, wie sie mit den neu gewonnenen Einsichten umgehen kann. Was sind die nächsten Schritte? Was kann ich ändern und wie kann ich es tun?
Die Aufstellungsarbeit ist gleichermaßen eine Methode der Wahrnehmung und Erkenntnisgewinnung wie auch eine Interventionsmethode.
Erkenntnis und Intervention bedingen sich dabei und beeinflussen sich wechselseitig: Die gewonnenen Erkenntnisse prägen die Art der Intervention, die wiederum weitere vertiefende Erkenntnisse liefert. Ein typischer zirkulärer Prozess, den wir hier aus Gründen der größeren Klarheit aber bewusst zergliedern. Da in den Kapiteln sechs bis acht dieses Buches ausführlich von den Interventionsmöglichkeiten, die die Aufstellungsarbeit bietet, die Rede sein wird, richten wir unsere Aufmerksamkeit hier zunächst auf die Aufstellungsarbeit als Erkenntnismethode.
Wie lassen sich die in Aufstellungen stattfindenden Wahrnehmungsprozesse beschreiben? Welche Voraussetzungen müssen 56gegeben sein, damit die Wahrnehmung und die darauf gründende Erkenntnis möglichst zutreffend sind? Welche Art von Erkenntnis wird überhaupt in Systemaufstellungen gewonnen, egal ob es sich dabei um Familiensysteme oder um Organisationen handelt? Diese Fragen sind deswegen bedeutsam, weil allen Beratungs- und Therapiekonzepten spezifische Weltanschauungen und durch sie geprägte Menschenbilder zugrunde liegen. Diese beinhalten in der Regel Annahmen über die Ursachen von Schwierigkeiten, über die Wege zu ihrer Auflösung und meist auch mehr oder minder explizite epistemologische Hypothesen, also Vermutungen darüber, wie relevante Erkenntnisse und Einsichten in diese Schwierigkeiten und ihre Genese gewonnen werden können. Solche Weltanschauungen und anthropologischen Grundannahmen prägen zutiefst die jeweilige praktische Arbeit und die angewandten Methoden, sie bleiben allerdings oftmals verborgen oder werden nur oberflächlich dargestellt und reflektiert. Sich Klarheit über die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Aufstellungsarbeit zu verschaffen, halten wir deswegen für notwendig und unverzichtbar. Dieses Bemühen wird allerdings dadurch erschwert, dass dieser Diskurs seit den Anfängen des Familienstellens im deutschsprachigen Bereich von einem grundsätzlichen Richtungsstreit geprägt ist. Diese Konfliktlage wird üblicherweise als Auseinandersetzung zwischen Phänomenologie und Konstruktivismus beschrieben. Sie scheint in dem Moment zu beginnen, als Gunthard Weber, der selbst zu der von Helm Stierlin begründeten systemisch-konstruktivistisch orientierten Heidelberger Schule gehört, 1993 das Buch „Zweierlei Glück“ (Weber 2017) über das Familienstellen Bert Hellingers herausgibt. Er beschreibt darin Hellingers Vorgehensweise als systemische Methode und beschwört damit einen Protest seiner konstruktivistisch orientierten Kollegen herauf (König 2007, 151). Sie stören sich unter anderem an den direktiven Interventionen Hellingers. All das führt dazu, dass Hellinger fortan die Phänomenologie als seine Referenztheorie ausweist, ähnlich wie viele andere humanistisch orientierte Psychotherapeuten.
573.1 Konstruktivismus
Der Konstruktivismus stellt keine einheitliche philosophische bzw. erkenntnistheoretische Richtung dar. König (2004) hat darauf hingewiesen, dass zahlreiche Vertreter des Konstruktivismus (z. B. Luckmann, Luhmann und Bourdieu) diesen keineswegs als gegenläufig zur Phänomenologie sahen, sondern sich selbst als durchaus phänomenologisch orientiert betrachteten. In unserem Zusammenhang ist der Konstruktivismus vor allem durch seinen Einfluss auf die Systemische Therapie bedeutsam, der sich in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts in der sogenannten ,konstruktivistischen Wende‘ der Systemischen Therapie manifestierte.
Das systemisch-konstruktivistische Verständnis geht davon aus, dass die Wirklichkeit unserer Wahrnehmung nicht direkt zugänglich ist, sondern nur durch Symbolisierungen, insbesondere in der Form von Sprache. Die Verständigung über die Wirklichkeit ist mithin ein kommunikativer Prozess, in dem beispielsweise Therapeutin und Patientin miteinander eine Interpretation einer Gegebenheit bzw. eine gemeinsame Narration entwickeln. Wirklichkeit ist deswegen nicht etwas, das vorgefunden wird, sondern ein aus einer Kommunikation resultierendes Konstrukt. Kurz: Wirklichkeit wird nicht gefunden, sondern erfunden. Eine solche Sicht der Realität kollidiert in der Tat mit derjenigen Hellingers, der davon ausgeht, Wirklichkeit könne entziffert werden und enthülle und erschließe sich dem offenen Betrachter sogar bis an den Punkt, dass darin spezifische Ordnungselemente erkennbar werden.
Auch die Systemische Therapie konstruktivistischer Prägung macht sich, etwa mit der Familienskulptur, methodische Ansätze zu eigen, die eine Verwandtschaft mit Hellingers Familienstellen haben. Sie will damit den Kontext verstehbar machen, in dem Narrative und Deutungen, die in einer Familie wirksam sind, entwickelt wurden.
Im Zusammenhang der Aufstellungsarbeit liegt die Bedeutung der systemisch-konstruktivistischen Perspektive genau darin: Deutlich gemacht zu haben, dass die Welt, so wie sie sich uns darstellt, nicht etwas objektiv Gegebenes ist, sondern das Ergebnis einer interpretativen Leistung (König 2004, 206). Wir sehen, was wir bereit sind zu sehen. Was wir wahrnehmen, ist mithin subjektiv eingefärbt, ebenso wie die Deutung, die wir dem Wahrgenommenen 58geben. Bedeutungen und Sinnzuschreibungen sind Konstrukte und Interpretationen.
Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist, wer im Aufstellungsgeschehen diese Bedeutungszuschreibung vornimmt, allein die Klientin oder die Aufstellungsleiterin mit ihr? Zwei prominente Vertreter der konstruktivistischen Richtung, Matthias von Varga Kibéd und Insa Sparrer, haben im Rahmen ihrer systemischen Strukturaufstellungen eine Sicht entwickelt, „die den Klienten als radikalen Konstrukteur jeglichen Beziehungen in einer für ihn realen Wirklichkeit und den Aufstellungsleiter in erster Linie als Gastgeber für einen Prozess verstehen. Sie arbeiten nach ihrer eigenen Überzeugung weder vorausschauend noch interpretierend.“ (Hartung 2018, 71)
Eine solche radikale Beschränkung der Rolle des Aufstellungsleiters widerspricht allerdings dem, was wir eingangs über den immer und überall wirksamen Einfluss von anthropologischen Grundannahmen gesagt haben. Erkenntnis setzt immer ein erkenntnisleitendes Interesse voraus und ist deswegen immer schon eingefärbt. Eine solcherart radikal konstruktivistische Position erscheint uns wenig hilfreich, da es ihr an Sensibilität für die Relevanz hermeneutischer Überlegungen fehlt.
3.2 Phänomenologie
Als Phänomenologie wird eine philosophische Denkrichtung bezeichnet, die auf den deutschen Philosophen Edmund Husserl (1859–1938) zurückgeht und die Philosophie insbesondere in Deutschland und Frankreich bis in die Gegenwart prägt. Zu Husserls Schülern zählen unter anderen Martin Heidegger und Edith Stein. Andere Denker wie Jean-Paul Sartre, Max Scheler, Maurice Merleau-Ponty, Paul Riceour und Emmanuel Levinas sind maßgeblich von ihm beeinflusst. Die Phänomenologie ist eine Bewusstseinsphilosophie und verfolgt im Kern ein erkenntnistheoretisches Interesse. Sie geht davon aus, dass die Dinge an sich existieren, also objektiv gegeben sind. Ihr Interesse richtet sich insbesondere darauf, zu untersuchen, wie sie sich im Bewusstsein zeigen. Bewusstheit ist dabei für Husserl immer ein intentionaler Akt, also Bewusstsein von etwas.
59Warum wurde Hellingers Methode des Familienstellens nun als eine phänomenologische Methode bezeichnet? Dahinter steht unseres Erachtens keine vertiefte Auseinandersetzung mit der Phänomenologie als Bewusstseinsphilosophie, sondern wohl eine oberflächliche Attribution. Diese könnte ihren Grund darin haben, dass zwei Aspekte der philosophischen Methode Husserls eine große Ähnlichkeit mit Hellingers Vorgehensweise aufweisen. Wir müssen an dieser Stelle die Frage unbeantwortet lassen, ob und inwieweit Hellinger die Phänomenologie eventuell tiefergehend gekannt hat und dort bewusste Anleihen gemacht hat.
Eine erste Ähnlichkeit ergibt sich im Hinblick auf das, was die Phänomenologie als Wesensschau bezeichnet. Das Ziel Husserls war es, mit seiner philosophischen Analyse „zu den Sachen selbst“ vorzudringen. Die sichtbaren, gegebenen Phänomene sollten auf ihr Wesen hin untersucht werden. Es war ihm daran gelegen, hinter die konkreten Gegebenheiten, in denen sich ein Objekt zeigen kann, zu schauen und das Gleichbleibende freizulegen und damit sozusagen sein eigentliches Wesen zu erkennen. Dieses analytische, erforschende und um das Wesen der Dinge bemühte Verstehen hat wohl dazu geführt, auch Hellingers Methode als phänomenologisch zu etikettieren. Auch ihm geht es ganz offensichtlich darum, hinter dem oberflächlich Gegebenen und Sichtbaren verborgene und tiefer reichende Bewegungen, Verstrickungen und Dynamiken zu erkennen. Hellinger will im Expliziten das Implizite und im Subjektiven das Objektive freilegen. Seine ganz eigentümliche Art von Wesensschau scheint darum bemüht, im sichtbaren Phänomen das Tieferliegende und Gleichbleibende zu sehen und das Chaos und die offensichtliche Unordnung im Leben seiner Klienten auf...
Erscheint lt. Verlag | 13.3.2021 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Wirtschaft ► Betriebswirtschaft / Management ► Unternehmensführung / Management |
Schlagworte | Arbeitswelt • Mitarbeiterführung • Organisationsaufstellungen • Organisationsentwicklung • Organisationsmanagement • Organisationspsychologie • Personalentwicklung |
ISBN-10 | 3-8006-6369-4 / 3800663694 |
ISBN-13 | 978-3-8006-6369-9 / 9783800663699 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 5,1 MB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich