Mythos Geldknappheit (eBook)

Modern Monetary Theory oder warum es am Geld nicht scheitern muss
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2020 | 1. Auflage
264 Seiten
Schäffer-Poeschel Verlag
978-3-7910-4960-1 (ISBN)
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Klimakrise, Pandemie, Ungleichheit, politischer Rechtsruck - große gesellschaftliche Herausforderungen, die es zu lösen gilt. Leider scheitern Reformen zumeist an der Frage: 'Wie sollen wir das bezahlen?'. Weit verbreitete Irrtümer zur Funktionsweise des Geldsystems und ökonomischen Zusammenhängen führen dazu, dass wir den politischen Handlungsspielraum des Staates chronisch unterschätzen - auf Kosten des Gemeinwohls. Dieses Buch entlarvt den Mythos der Geldknappheit und skizziert progressive Reformen für eine Zukunft in Prosperität und Nachhaltigkeit - im Sinne des Gemeinwohls. All das, wozu wir technisch in der Lage sind, und worauf wir uns demokratisch einigen können, können wir uns auch leisten. Ein anderer Wirtschaftsentwurf ist möglich!

Maurice Höfgen ist studierter Ökonom und Betriebswirt. Hauptberuflich ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag tätig. Neben dieser Tätigkeit betreibt er unabhängige Forschung zu Fragen der Makroökonomik und Nachhaltigkeit und publiziert regelmäßig in akademischen und populärwissenschaftlichen Zeitschriften. Ferner engagiert er sich unter anderem bei der Samuel Pufendorf Gesellschaft für politische Ökonomie und gilt als Mitbegründer der Kampagne 'Rethinking the Role of Banks in Economics Education' des Netzwerks Rethinking Economics. Weiterführende Informationen sind auf mauricehoefgen.com zu finden.

Maurice Höfgen Maurice Höfgen ist studierter Ökonom und Betriebswirt. Hauptberuflich ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag tätig. Neben dieser Tätigkeit betreibt er unabhängige Forschung zu Fragen der Makroökonomik und Nachhaltigkeit und publiziert regelmäßig in akademischen und populärwissenschaftlichen Zeitschriften. Ferner engagiert er sich unter anderem bei der Samuel Pufendorf Gesellschaft für politische Ökonomie und gilt als Mitbegründer der Kampagne "Rethinking the Role of Banks in Economics Education" des Netzwerks Rethinking Economics. Weiterführende Informationen sind auf mauricehoefgen.com zu finden.

Einleitung: Die Wirtschaft als Mittel zum Zweck


»The game of policy-making is rigged; the theory used determines the questions that are asked and the options that are presented. The prince is constrained by the theory of his intellectuals.«

Hyman P. Minsky

»The problem of money cannot be separated from the problems of economics generally just as the problems of economics cannot be separated from the larger problems of human prosperity, peace, and survival.«

Abba Lerner

Wie soll die Welt in fünf, zehn oder fünfzig Jahren idealerweise aussehen? Welche Reformen bräuchte es Ihrer Meinung nach, um dorthin zu gelangen? Was immer Ihre Antworten auf diese Fragen sind, am Geld muss es nicht scheitern. All das, wozu wir technisch in der Lage sind und worauf wir uns demokratisch einigen können, können wir uns auch leisten. Eine Zukunft in nachhaltigem Wohlstand und in Abwesenheit von Existenzängsten ist möglich. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass wir unser ökonomisches Denken und unsere Wirtschaftspolitik schnellstmöglich in Ordnung bringen. Das erfordert, dass wir verstehen, wie unser modernes Geldsystem funktioniert und wie wir jenes im Sinne des Gemeinwohls nutzen können. Darum soll es in diesem Buch gehen: eine Erklärung der Funktionsweise unseres Geldsystems, der grundlegenden ökonomischen Zusammenhänge sowie darauf aufbauende, progressive Vorschläge für eine Zukunft in Prosperität, Solidarität und Nachhaltigkeit.

Margaret Thatcher, ehemalige Premierministerin des Vereinigten Königreichs, prägte ihrerzeit den Satz »There is no alternative«, der zum Sinnbild des neoliberalen Dogmas wurde, das heute noch sowohl den öffentlichen Diskurs, die Politik als auch die Universitäten dominiert. Bedeutende gesellschaftliche Probleme sind nach wie vor ungelöst bzw. wurden durch den seit den 1980er-Jahren aufblühenden neoliberalen Zeitgeist gar noch verstärkt. Unfreiwillige Arbeitslosigkeit zerstört individuelle Lebensentwürfe und lässt Familien auseinanderbrechen. Armut ist – auch in vermeintlich reichen Gesellschaften – immer noch nicht überwunden. Staatliche soziale Sicherheitsnetze sind lückenhaft, sodass vor allem untere Einkommensgruppen von Existenzängsten geplagt werden. Der demografische Wandel bringt ausgedünnte Pflege- und Gesundheitssysteme an ihre Belastungsgrenze. Die Einkommens- und Vermögensungleichheit hat Ausmaße angenommen, die den sozialen Frieden und das Funktionieren der Demokratie infrage stellen. Wir riskieren mit dem menschengemachten Klimawandel unsere Existenz auf diesem Planeten. Klimawandel, Kriege, Hunger und Perspektivlosigkeit zwingen Millionen Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und eine neue Bleibe zu finden. Vielfach herrscht Ellbogen statt Kooperation. So viel zum Zustand unserer Welt.

Nebst diesen Problemen ist ein politisches Repräsentationsproblem entstanden. Die vielen Menschen, die von den genannten Problemen in ihrem Lebensalltag betroffen sind, fühlen sich von den Mainstreamparteien – inklusive der Sozialdemokraten, die sich ja historisch dem politischen Kampf für die betroffenen Menschen angenommen haben – nicht mehr vertreten. Mit Ausnahme einiger temporärer Lichtblicke von links, wie derer Bernie Sanders’ und Jeremy Corbyns, sowie der zwischenzeitigen Wahlerfolge von Podemos in Spanien oder von SYRIZA in Griechenland, führt die Repräsentationslücke jedoch bisher leider zu einem politischen Rechtsruck. Die politische Linke schafft es in vielen Ländern nicht, sich als attraktive und glaubhafte Alternative zum Neoliberalismus – als Alternative zu Austerität, Privatisierung und Deregulierung – zu positionieren. Das liegt zum einen daran, dass Parteien des linken Spektrums, allen voran die sozialdemokratischen Parteien, an der Durchsetzung der neoliberalen Ideale vielfach aktiv und maßgeblich beteiligt waren und damit politische Glaubwürdigkeit eingebüßt haben.1 Erwähnt sei in diesem Zusammenhang die Liberalisierung von Güter- und Kapitalmärkten, die Kürzung und Privatisierung staatlicher Daseinsvorsorge in Form von Renten, Arbeitslosengeldern und staatlicher Infrastruktur, die Deregulierung der Finanzmärkte, die Senkung der Reallöhne oder die Schwächung der Gewerkschaften als wichtigste Interessensvertretung der Arbeitnehmer.2 Zum anderen ist der Großteil der politischen Linken in den ökonomischen Mythen des Mainstreams gefangen und folgt den »Sachzwängen« der globalisierten Weltwirtschaft, die in den Medien und selbst an Universitäten täglich reproduziert werden. Das linke Spektrum ist dem Irrglauben verfallen, dass der Nationalstaat im Kontext der Globalisierung und transnationalen Waren- und Kapitalverkehrs machtlos geworden sei. Man vermag die Frage zu stellen: Wenn der Nationalstaat so machtlos ist, warum geben Konzerne und Vermögende dann so viel Geld für Lobbyismus aus?

Zu den »Sachzwängen« gehören, dass eine lebensstandardsichernde Rente, umfassende Gesundheits- und Pflegeversorgung, erstklassige Bildung und eine Modernisierung der Infrastruktur nicht mehr finanzierbar seien oder dass dem Staat angesichts der Globalisierung bei der Verfolgung einer gemeinwohlorientierten Politik die Hände gebunden seien. Diese Mythen sollen sich zwar bei einem Verständnis der ökonomischen Zusammenhänge als bloße Fiktion herausstellen, wie ich in diesem Buch zeigen werde, fungieren aber effektiv als Zwangsjacke für progressive Wirtschaftspolitik. So bitter es ist: Sowohl Linke als auch Konservative erkennen ihre eigenen Widersprüche nicht und sorgen so für eine gesellschaftlich bedenkliche, gefährliche Repräsentationslücke. Wer also den politischen Rechtsruck zu adressieren beabsichtigt, kommt um eine wirtschaftspolitische Neuausrichtung und eine Abkehr vom Neoliberalismus nicht herum. Dazu gehört auch eine Abkehr vom übermäßigen Individualismus, der zu einer Atomisierung der Gesellschaft geführt hat. Das linke Spektrum gibt sich zu oft mit moralischer Überlegenheit zufrieden und verzettelt sich in Kulturkämpfen, aber verpasst dringend benötigte Wahlerfolge und verliert dadurch mehr und mehr den Anschluss an die Klasse der am meisten Benachteiligten – und damit vor allem auch an Nicht- und Protestwähler. Diverse Umfragen zeigen, dass es in der Gesellschaft Mehrheiten für soziale Kernthemen gibt, vom Mindestlohn über Arbeitsschutz bis zum Wunsch nach sinnstiftender Beschäftigung und der Ausweitung öffentlicher Daseinsvorsorge, die sich in den Mehrheitsverhältnissen der Parteien aber nicht widerspiegeln. Um diese Mehrheiten (wieder) zu gewinnen, braucht es eine progressive Utopie, die in eine neue Rahmenerzählung eingebettet ist. Eine Rahmenerzählung, die die originären Bedürfnisse der Menschen nach Sicherheit, Zusammenhalt und Mitbestimmung ins Zentrum stellt und den Staat als (monetär) souveräne, demokratische, dynamische, fürsorgliche Institution konzeptualisiert. Eine Rahmenerzählung, die ein solidarisches Wir-Gefühl und einen Aufbruch in die Zukunft vermittelt. Dazu gehört zwingendermaßen, den ökonomischen Mythen und der neoliberalen Globalisierung den Rücken zu kehren!

Die drängenden Herausforderungen unserer Zeit haben natürlich multiple Ursachen, die – salopp gesprochen – nicht auf einen Bierdeckel passen. Ein Faktor aber, der allen zuvor genannten Problemen sowie deren fatalen sozioökonomischen Konsequenzen zugrunde liegt, ist die Tatsache, dass der Mainstream der ökonomischen Wissenschaft seit Jahrzehnten keinen Fortschritt gemacht hat. Im Gegenteil: Viele Einsichten herausragender Wissenschaftler scheinen den neoliberalen Filter nicht passiert zu haben und aus ideologischen Gründen aussortiert worden zu sein. Schaut man sich die Positionen der zum Mainstream zählenden Ökonomen, die sowohl die Forschung, Publikation als auch die Lehre an den Universitäten dominieren, an, muss man feststellen, dass wir in einem dunklen Zeitalter der ökonomischen Wissenschaft leben – insbesondere im Bereich der Makroökonomie. Dabei ist der Einfluss der Ökonomik auf die Wirtschaftspolitik der zentrale Stellhebel für gesellschaftlichen Fortschritt. Bedauerlicherweise muss man jedoch konstatieren: In den letzten Jahrzehnten hat sich dieser Einfluss eher als Barriere für echte und weitreichende Fortschritte erwiesen – zulasten der Verlierer neoliberaler Globalisierung.

Bill Bryson schreibt in seinem Buch »A Short History of Nearly Everything« über die widrige Haltung, die die große Mehrheit ihrerzeit führender Geowissenschaftler der Auffassung, dass Kontinentalplatten, anders als bisher angenommen, nicht fixiert sind, sondern sich mit der Zeit verschieben und gar kollidieren, entgegenbrachten. Trotz überwältigender Beweislage dauerte es mehr als 50 Jahre, bis die Plattentektonik als wissenschaftlicher...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2020
Verlagsort Freiburg
Sprache deutsch
Themenwelt Wirtschaft Volkswirtschaftslehre
Schlagworte Arbeitsmarkt • Europapolitik • Eurozone • Finanzmarkt • Geldpolitik • Geldsystem • Klimawandel • Maurice Höfgen • Modern Monetary Theory • Ökologische Transformation • Steuerpolitik • Wirtschaftspolitik
ISBN-10 3-7910-4960-7 / 3791049607
ISBN-13 978-3-7910-4960-1 / 9783791049601
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