Das demokratische Unternehmen (eBook)

Neue Arbeits- und Führungskulturen im Zeitalter digitaler Wirtschaft
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2015 | 1. Auflage
312 Seiten
Haufe Verlag
978-3-648-07435-0 (ISBN)
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'Das demokratische Unternehmen' von Thomas Sattelberger wurde mit dem Preis 'Managementbuch des Jahres 2015' ausgezeichnet. Hier erfahren Sie mehr über die Preisverleihung und die Jury-Begründung: managementbuch-des-jahres-2015 In Wirtschaft und Gesellschaft zeichnet sich eine grundlegende Veränderung ab: Das Thema 'Demokratisches Unternehmen' liegt in der Luft. Denn der Ruf nach Beteiligung und Einflussnahme wird insgesamt immer wichtiger. Zugleich erleben wir geradezu eine Explosion an neuen Möglichkeiten der Beteiligung durch die Digitalisierung. Dieses Buch greift die aktuellen Herausforderungen auf und stellt neuartige Konzepte für das Unternehmen der Zukunft vor. Hochrangige internationale Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft und Politik zeigen, welche Vorteile, Chancen und auch Risiken in der Demokratisierung der Arbeitswelt liegen. Die Autoren verdeutlichen, wie alle - auch Mittelständler und Konzerne - vom Trend zur Demokratisierung profitieren. Beitragsautoren: - Andrea Nahles (Bundesministerin für Arbeit und Soziales) - Thomas Sattelberger (Publizist, Politikberater, Ex-Top-Manager) - PD Dr. Andreas Boes (Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e. V. - ISF München) - Anja Bultemeier (FAU Erlangen-Nürnberg) - Katrin Gül, Dr. Tobias Kämpf, Barbara Langes, Thomas Lühr, Dr. Kira Marrs, Alexander Ziegler (alle ISF München) - Prof. Dr. Isabell M. Welpe, Dr. Andranik Tumasjan, Christian Theurer (Technische Universität München) - Prof. Dr. Klaus Dörre (Friedrich-Schiller-Universität Jena) - Prof. Dr. Shoshana Zuboff (Harvard Business School) - Dieter Schweer, Sarah Seidemann (Bundesverband der Deutschen Industrie e. V.) - Armin Steuernagel (Purpose GmbH & Co. KGaA, Damia GmbH, Universnatur GmbH, Appstimmung gGmbH) - Matthias Grund (andrena objects ag) - Dr. Juergen Erbeldinger (Partake AG) - Mads Kamp (William Demant Holding A/S) - Helmut Lind (Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank München eG) - Bernd Oestereich (next U GmbH) - Dr. Klaus von Rottkay (COO Microsoft Deutschland) - Marc Stoffel (Haufe-umantis AG) - Henning Wolf, Andreas Havenstein (it-agile GmbH)Inhalte: - Digitalisierung, Transparenz, Mitbestimmung und Teilhabe - So begünstigt die Digitalisierung Selbststeuerung und Transparenz - Frühzeitige Anpassung der Unternehmenskultur auf den disruptiven Wandel - Wie Mittelständler und Konzerne vom Trend zur Digitalisierung profitieren - Experimente, Erfahrungen, Best Practices'Wenn die deutschen Unternehmen den Weg zur Demokratisierung und des Kulturwandels gehen, können sie wieder innovationsfähiger werden, jenseits von Effizienz- und Rationalisierungsinnovationen. Ein demokratisches Unternehmen gewinnt an technologischer und sozialer Innovationskraft, weil technologische und soziale Innovationen wie Zwillinge sind.' Thomas Sattelberger  

Dr. Thomas Sattelberger war Mitglied des Bundestages von 2017 bis 2022 und bis Juni 2022 Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung. Davor war er lange Jahre Vorstandsmitglied in deutschen DAX-Unternehmen.

Thomas Sattelberger Dr. Thomas Sattelberger war Mitglied des Bundestages von 2017 bis 2022 und bis Juni 2022 Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung. Davor war er lange Jahre Vorstandsmitglied in deutschen DAX-Unternehmen. Isabell Welpe Prof. Dr. Isabell Welpe ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strategie und Organisation an der Technischen Universität München. Andreas Boes PD Dr. Andreas Boes ist Vorstandsmitglied des Instituts für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) München.

Cover 1
Titel 4
Impressum 5
Inhaltsverzeichnis 6
Zur Einführung – ein Gespräch mit Thomas Sattelberger 12
Teil I: Perspektiven auf die Demokratisierung derWirtschaft 20
1Demokratie und Mitbestimmung in der digitalen Arbeitswelt: sozialstaatliche Rahmenbedingungen und politische Perspektiven 24
1.1Demokratie im Unternehmen 24
1.2Mitbestimmung und Betriebsverfassung: ein Erfolgsmodell 25
1.3Veränderungen und Herausforderungen heute: Globalisierung, Digitalisierung, Flexibilisierung 26
1.4Offene Fragen 28
2Abhängiger oder souveräner Unternehmensbürger – der Mensch in der Aera der Digitalisierung 34
2.1Megatrends adressieren die Arbeitswelt: Soziale Innovation oder Widerstand des Systems? 37
2.2Wandel der Dienstleistung: Konsumenten als Co-Produzenten und veränderte Machtverhältnisse 43
2.3Entgrenzung und Crowdworking: Amazonisierung oder Demokratisierung des Systems Arbeit? 45
2.4Ein optimistischer Ausblick: Wie lässt sich das Leitbild der sozialen Innovation verwirklichen? 51
3Zwischen Empowerment und digitalem Fließband: Das Unternehmen der Zukunft in der digitalen Gesellschaft 58
3.1Einleitung 58
3.2Demokratie im fordistisch-bürokratischen Unternehmensmodell 60
3.3Digitale Revolution: Ein neuer sozialer Handlungsraum entsteht 62
3.4Das Unternehmen der Zukunft in der digitalen Gesellschaft 64
3.5Demokratisierung in den Unternehmen: Potenzial trifft auf Praxis 67
3.6Arbeitswelt der Zukunft: Zwischen digitalem Fließband und Empowerment der Beschäftigten 69
4Der Blick der Managementforschung 78
4.1Transparenz und Demokratie auf dem Vormarsch 78
4.2Organisationale Demokratie 80
4.3Aktuelle Forschungsergebnisse 85
4.4Ausblick und Bedarf an weiterer Forschung zum Thema im Unternehmenskontext 90
5Das demokratische Unternehmen – ein zukunftstaugliches Leitbild? 96
5.1Liberale und egalitäre Demokratietradition 97
5.2Das demokratische Unternehmen im Rückblick 100
5.3Das demokratische Unternehmen – eine Chance 106
5.4Fazit 111
Teil II: Transformationaler Wandel in der Wirtschaft –Reflexionen zu Beteiligung und Demokratie in modernen Unternehmen 116
6The Sharing Economy. Disruption’s Tragic Flaw 120
6.1Digital Disruption 120
6.2Mutation 121
6.3Disruption’s Tragic Flaw 122
6.4Europe Can Do Better 126
4Die neue Macht – digitale Freiräume 130
4.1Wie können sich Unternehmen auf den Wandel vorbereiten? 131
4.2Wie kann eine neue Innovationskultur mit flexibleren Arbeitsstrukturen aussehen? 132
4.3Welche Voraussetzungen müssen für eine neue Innovationskultur erfüllt sein? 133
4.4Neue Innovationskultur ? führungslos 134
8Arbeit und Eigentum – Mitarbeiter als Eigentümer – ein Konzept im historischen Kontext 140
8.1Dimensionen der Mitgestaltung und des Eigentums 140
8.2Arbeit und Kapital – Beispiele aus der Geschichte 143
8.3Beispiel: Purpose-Economy und Purpose-Unternehmen 149
8.4Conclusio: Mitarbeiter als Mitunternehmer 156
9Agile Softwareentwicklung als paradigmatisches Beispiel für eine neue Organisation von technischer Wissensarbeit 160
9.1Einführung 160
9.2Agile Softwareentwicklung – Entstehung und Kontext 161
9.3Agile Softwareentwicklung verändert die Welt der Software-Arbeit 164
9.4Team und Individuum 165
9.5Der Zusammenhang zwischen Agilität und Demokratie 167
Teil III: Experimente, Erfahrungsfelder und Leuchttürme 170
10Freiwilligkeit und 180 Tage Arbeitszeit – ein radikaler Ansatz 174
10.1Das Freiwilligkeitsprinzip 175
10.2Die Transformation 181
10.3Das Experiment 183
10.4Freiwilligkeit und Verantwortung 184
10.5Angebot und Nachfrage 186
10.6Investition versus Voting by Feet 188
10.7Demokratie und Marktwirtschaft 195
10.8Mehr Neues wagen 197
11Democracy in Organizations – for leaders, members and employees? 202
11.1Citizens versus employees 203
11.2What does democracy do in organizations? 204
11.3How the organization’s leaders are selected and what the demands on them are 206
11.4Mechanisms for free speech and the sharing of opposite opinions 206
11.5Leaders and employees “coming of age” 207
12 Demokratie beginnt in mir: Stärkenorientierte Unternehmenskultur bei derSparda-Bank München eG 212
12.1Die genossenschaftliche Idee – Demokratie und Werteorientierung als Grundprinzip 212
12.2Die Einführung des Stärkenkonzeptes in der Sparda-Bank München 214
12.3Die Energiebilanzworkshops – eine Praxismethode zur stärkenorientierten Organisationsentwicklung 222
12.4Aufbruch in ein neues Bewusstsein 225
13Praktiken und Prinzipien der Selbstorganisation: Führungsarbeit statt Führungskräfte 232
13.1Partizipation versus Selbstführung 232
13.2Kreise statt Abteilungen 233
13.3Führung von Außen nach Innen 234
13.4Entscheidungs- und Willensbildungsprozesse 235
13.5Eigenverantwortung statt Grenzen, Vorgaben und Zentralisierung 236
13.6Konsent statt Konsens 238
13.7Company Backlog 241
13.8Kommunikationspraktiken für die Führungs- und Kulturarbeit 243
13.9Subjektive Beurteilung und Fazit 244
14Arbeiten 4.0: Mehr Eigenverantwortung wagen 250
14.1Nicht in Nostalgie verfallen 251
14.2Wir reden nicht von fernen Zeiten 252
14.3Der Mensch steht weiter im Mittelpunkt der Produktion 252
14.4Wissensarbeit ist etwas genuin Menschliches 254
14.5Mehr Unternehmergeist bei den Mitarbeitern 255
14.6Jeder hat eine Stimme 258
14.7Arbeit an vielen Orten 259
14.8Selbstbestimmung statt Mitbestimmung 260
15Mitarbeiter führen Unternehmen – Demokratie und Agilität bei der Haufe-umantis AG 264
15.1Vom Mitarbeiter zum Mitentscheider – gelebte Realität bei Haufe-umantis 264
15.2Mitarbeiter zu Bestleistung anspornen – mit dem richtigen Organisationsdesign 268
15.3Das Betriebssystem für Unternehmen: Starkes Führungsinstrument für die Manager von morgen 283
16 Mitarbeiter beteiligt:demokratie@it-agile 288
16.1Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft (MABG) 288
16.2Gehaltsmodell und Gehaltschecker 289
16.3Mitreden und Mitbestimmen beim Kundeneinsatz 291
16.4Business-Teams statt Abteilungen 292
16.5Der Einstellungsprozess bei it-agile 293
16.6Mitarbeiterführung über Peergroups: Kollegen führen Kollegen 293
16.7Ausblick 294
Die Autorinnen und Autoren 296
Stichwortverzeichnis 308

Zur Einführung – ein Gespräch mit Thomas Sattelberger


Was zeichnet ein demokratisches Unternehmen aus?1

Der Begriff demokratisches Unternehmen beschreibt einen Idealzustand. Das demokratische Unternehmen kann ähnlich wie Demokratien sehr viele Schattierungen haben. Ich habe vier Dimensionen eines demokratischen Unternehmens identifiziert, wobei nicht alle vier Dimensionen ausgeprägt sein müssen, damit es sich um ein demokratisches Unternehmen handelt. Ein Unternehmen kann mit dem Prozess der Demokratisierung auch in nur einer Dimension beginnen und das in experimentellen Schritten. Das ist mir wichtig. Es geht nicht um ein idealisierendes Gesamtkonzept.

  • Das erste Thema ist Führung. Das demokratische Unternehmen beantwortet die Fragen – „Wer führt mich?”, „Wer vertritt mich?”, „Wie bin ich an Willensbildungsprozessen zur Zukunft des Unternehmens beteiligt?” – anders als das bei klassischen Unternehmen der Fall ist, bei denen Führung „vorgesetzt” wird. Demokratische Unternehmen experimentieren mit Führung auf Zeit, wählen ihre Führung oder operative Führungskräfte oder Projektleiter und wählen diese ggf. auch ab. Das war zum Beispiel bei der Haufe-umantis AG der Fall (siehe Kapitel 15). Das demokratische Unternehmen arbeitet regelmäßig mit Methoden wie Open Space und gibt Menschen die Möglichkeit, Unternehmensentwicklung zu debattieren, sie zu beeinflussen oder gar über die Unternehmensentwicklung zu entscheiden.

  • Die zweite Dimension eines demokratischen Unternehmens hat mit dem Thema Souveränität zu tun. Es geht um selbstbestimmte, gegebenenfalls ausgehandelte Antworten des Einzelnen auf die Fragen „Wann arbeite ich?”, „Wo arbeite ich?”, „Wie arbeite ich?”, „Mit wem arbeite ich zusammen?”, ja sogar um die Antwort auf die Frage „Was arbeite ich?”. Die Mitarbeiter haben eine Stimme, was die Arbeitszeit, den Arbeitsort, Kollaborationsformen, den Arbeitsstil und den Arbeitsinhalt betrifft. Es geht also darum, deutlich mehr Mitspracherechte zu ermöglichen als in einem klassisch top-down, quasi-militärisch organisierten Unternehmen.

    Diese neuen Arbeitsmöglichkeiten werden durch die Digitalisierung erleichtert, weil die Digitalisierung Arbeit entgrenzt, wenn es um Zeit, Ort und Partner geht. Diese Entgrenzung gilt übrigens auch für die Dimension der Unternehmenssteuerung. Die Digitalisierung ermöglicht Liquid Democracy. und Open Innovation

  • Die dritte Dimension der Demokratie im Unternehmen umfasst alle Aspekte der Vielfalt und der Chancenfairness. In diesem Aspekt lehne ich mich sehr stark an das Grundgesetz an, das ein Diskriminierungsverbot und die Gleichheit vor dem Gesetz festschreibt. Für ein Unternehmen bedeutet das diskriminierungsfreie Rekrutierungsverfahren, Leistungsbeurteilungen und Karriereentscheidungen, aber auch eine angemessene Zusammensetzung der Belegschaft eines Unternehmens nach Faktoren wie Alter, ethnischer Hintergrund, Geschlecht und so weiter.

  • Das vierte große Thema stelle ich unter die Überschrift „Das gesunde Unternehmen”. Der Staat denkt ja auch immer stärker darüber nach, ob das Bruttosozialprodukt noch der richtige Maßstab für die Leistungsfähigkeit eines Landes ist. Wo auf gesellschaftlicher Ebene, Begriffe wie Glück, Bildungsniveau oder zufriedenes Leben wichtiger werden, geht es beim gesunden Unternehmen, z. B. um das Ausbalancieren von Belastungen bei der Arbeit, die Verteilung des Erwirtschafteten auf die Stakeholder und das organische Zusammenwirken von Wirtschaft und Gesellschaft.

Was folgt aus den vier Dimensionen des Idealbilds „Demokratisches Unternehmen” für die Praxis?

Mir ist es sehr wichtig, dass sich Unternehmen auf ganz verschiedenen Wegen dem demokratischen Ideal nähern können. Die einen sagen z. B.: „Wir beginnen beim Thema Vertrauensarbeitszeit”, während die anderen bei der Diversity-Politik ansetzen. Ein anderes Unternehmen setzt sich das Ziel, seinen Mitarbeitern bei der Auswahl der Führungskräfte eine Stimme zu geben. Für mich ist entscheidend: Es ist egal, wie und wo ein Unternehmen anfängt, Hauptsache es öffnet die Tür zur Veränderung und packt das Thema an. Pragmatische Ansätze schlagen Wellen. Das ist meine Erfahrung aus der Praxis.

Sie fordern Unternehmen also auf, einen erfolgversprechenden Bereich für Veränderungen auszuwählen und einfach zu beginnen?

Genau. Einfach beginnen. Ob das ein Bereich ist oder zwei – Hauptsache Unternehmen sammeln Erfahrungen. Es geht darum, den Stein ins Wasser zu werfen und in der Praxis etwas zu tun und nicht darum, lange Konzeptdiskussionen zu führen. Kreative Start-up-Ökologien sind durch ihren experimentellen Charakter erfolgreich. Ingenieure haben Prüfstände, Wissenschaftler haben Labore, Transformatoren arbeiten in und mit Social Labs.

Was sind die größten Hindernisse oder Widerstände, die im ersten Moment zu überwinden sind?

Unternehmensführungen, Personalmanager und Betriebsräte haben die Menschen viel zu lange in einer angelernten Unmündigkeit gehalten. Den Aufbruch zu mehr Freiheit haben viele Unternehmen den Mitarbeitern jahrzehntelang in tayloristischen Strukturen ausgetrieben. Hier ist Verlernen und Neu-Lernen angesagt.

Die, die es sich leisten konnten, sind zu Unternehmen gewechselt, die ihnen mehr Freiheit bieten. Sie sind mit dem Kopf durch die Wand der Gefängniszelle gestoßen, fanden sich aber oft nur in der nächsten Zelle wieder. Das Management muss lernen, dass Befehl und Gehorsam und das Bestimmen von Ort, Zeit und Inhalt der Arbeit von oben nach unten nicht mehr funktionieren. Betriebsräte und Gewerkschaften müssen lernen, dass die Unmenge an Schutzrechten in den Zeiten des industriellen Turbo-Kapitalismus nötig war, im Übergang zur digitalisierten Ökonomie jedoch zunehmend untauglich oder gar kontraproduktiv ist.

Die, die es sich leisten können, verschaffen sich also mehr Freiheit. Besteht die Gefahr, dass die Demokratisierung Ungleichheit unter den Mitarbeitern verschärft, weil Hochqualifizierte mehr profitieren, während in weniger qualifizierten Jobs alles so bleibt, wie es ist?

Je gebildeter und qualifizierter Menschen sind, umso mehr beteiligen sie sich an Willensbildungsprozessen. Die Art der Demokratisierung wird in unterschiedlichen Unternehmensbereichen unterschiedlich verlaufen. Der Mitarbeiter in einer getakteten Fertigung zum Beispiel kann nicht souverän über seinen Arbeitsort entscheiden. Aber natürlich gibt es Möglichkeiten zur Demokratisierung der Blue Collar Work. In den 1980er Jahren hatten wir in Deutschland die erste Welle zur Humanisierung der Arbeit. Als ich junger Mitarbeiter im Bildungsbereich von Daimler-Benz war, haben wir den damals noch quicklebendigen Chemie-Riesen Hoechst besucht. In jeder Fabrikhalle gab es einen abgegrenzten Bereich, in dem Mitarbeiter zum Beispiel ihre Vorarbeiter gewählt haben oder sich selbst und ihre Kollegen zur Arbeit oder zum Urlaub eingeteilt haben. Das Thema der demokratischen Organisation ist nicht neu. Wir haben schon überprüfbare Ergebnisse aus der Vergangenheit: Demokratisierung ist auch auf dem Shopfloor möglich.

Die 1980er Jahre waren in Deutschland für das Thema Humanisierung der Arbeit eine Blütezeit. Diese war mit dem Einzug der Shareholder-Value-Ideologie in den 1990er Jahren vorbei. Die Projekte wurden damals eingestellt, nicht etwa weil sie keine positiven Ergebnisse gebracht haben, sondern weil sich das ideologische Paradigma verändert hat.

Sehen Sie grundsätzliche Unterschiede zwischen der Umsetzung einer Demokratisierung im inhabergeführten Mittelstand und
in Konzernen?

Nein. Ein börsennotierter Konzern ist bei der Unternehmensführung allerdings dem Aktionär verpflichtet. Das schließt Möglichkeiten wie etwa eine rollierende Geschäftsführung aus, die ein Start-up vielleicht realisieren kann. Auch die Diskussion um die Vergütungsstruktur im Top-Management bleibt außen vor, weil darüber grundsätzlich die Hauptversammlung entscheidet. Trotzdem haben auch börsennotierte Unternehmen große Gestaltungsbereiche. Im Mittelstand gibt es häufig autokratische oder patriarchalische Unternehmensführer. Auch in kleineren Unternehmen können Ansätze zu Demokratisierung schwierig sein. Es hängt einfach ganz viel davon ab, ob die Unternehmensführung zu Experimenten bereit ist oder nicht. Dies setzt die Fähigkeit zur Selbstreflexion, eine gute Sensorik für den inneren Zustand der Organisation und die Unternehmenskultur sowie die Courage, auch zu scheitern, voraus.

Sie verwenden den Begriff des „Unternehmensbürgers”. Welche Rechte und Pflichten hat er?

Die Pflichten sind immer schon geregelt. Sie erwachsen aus dem Arbeitsvertrag, welche Leistung in einem bestimmten Zeitraum wie zu erbringen ist usw. Auch der Begriff des Unternehmensbürgers ist nicht neu. Der Soziologie Fritz Vilmar von der Freien Universität Berlin hat in den 1970er Jahren intensiv über die Themen Bürger am Arbeitsplatz und Demokratisierung und Humanisierung der Arbeit geforscht. Ähnliche Studien hat der norwegische Psychologe Einar Thorsrud gemeinsam mit seinem australischen Kollegen Fred Emery betrieben. Es handelt sich also um einen tradierten Begriff, der verschollen war und den ich aus dem Geröll hervor geholt habe. Dieser Citoyen im Sinne der Werte der französischen Revolution hat...

Erscheint lt. Verlag 10.9.2015
Reihe/Serie Haufe Fachbuch
Verlagsort Freiburg
Sprache deutsch
Themenwelt Wirtschaft Betriebswirtschaft / Management
Schlagworte Aufsichtsrat • Belegschaft • Demokratie • Demokratisierung • Digitalisierung • Entscheiden • Entscheidung • Führung • Führungskultur • Führungsstil • Gewerkschaft • Innovation • Kommunikation • Leadership • Management • Mitarbeiter • Mitarbeiterführung • Mitbestimmung • Mitbestimmungsgesetz • Mitbestimmungsrecht • Organisation • Partizipation • Steuerung • Team • Transparenz • Unternehmensführung • Unternehmenskommunikation • Wirtschaft
ISBN-10 3-648-07435-0 / 3648074350
ISBN-13 978-3-648-07435-0 / 9783648074350
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