Vergangenheit und Zukunft der Moderne (eBook)

Ulrich Beck, Martin Mulsow (Herausgeber)

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2014 | 1., Originalausgabe
250 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73842-9 (ISBN)

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Vergangenheit und Zukunft der Moderne -
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Mit der Ankunft der Zeitgeschichtsschreibung in den siebziger und achtziger Jahren ist eine Reflexion auf die Geschichte der Moderne und ihre Vorgeschichte unabweisbar geworden. Es steht an, den internen Bruch zwischen »Erster« und »Zweiter« Moderne sowohl historisch als auch soziologisch zu verstehen. Zugleich muss dabei der Horizont einer Tiefenzeit der Moderne berücksichtigt werden, die weit hinter das 19. Jahrhundert zurückreicht, in die stufenweisen Modernisierungsschritte mindestens seit der Renaissance. Welche Konsequenzen haben solche Reflexionen für das soziologische Verständnis der »Zweiten Moderne« selbst? Wie ist unter diesen Umständen die Identität der Moderne zu verbürgen? Impliziert eine Identität der Moderne Kontinuitäten, die sich bei allen Brüchen durchhalten?

<p>Ulrich Beck ist einer der weltweit anerkannten Soziologen. Sein 1986 erstmals ver&ouml;ffentlichtes Buch <i>Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne </i>brachte ein neues Zeitalter auf den Begriff. Dieses Konzept machte ihn international und weit &uuml;ber akademische Kreise hinaus bekannt. Zwanzig Jahre sp&auml;ter erneuerte und erweiterte er seine Zeitdiagnostik in <i>Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit</i> im Zeichen von Terrorismus, Klimakatastrophen und Finanzkrisen. Er war zwischen 1997 und 2002 Herausgeber der Reihe <em>Edition Zweite Moderne</em> im Suhrkamp Verlag. Zwischen 1992 und 2009 war Beck Professor f&uuml;r Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universit&auml;t M&uuml;nchen. Von 1999 bis 2009 fungierte Ulrich Beck als Sprecher des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierten Sonderforschungsbereichs Reflexive Modernisierung. Vom Europ&auml;ischen Forschungsrat wurde Ulrich Beck 2012 ein Projekt zum Thema <em>Methodologischer Kosmopolitismus am Beispiel des </em><em>Klimawandels</em> mit f&uuml;nfj&auml;hriger Laufzeit bewilligt. Beim Weltkongress f&uuml;r Soziologie 2014 in Yokohama erhielt Ulrich Beck den Lifetime Achievement Award &ndash; For Most Distinguished Contribution to Futures Research der International Sociological Association.</p> <p>Ulrich Beck wurde am 15. Mai 1944 in Stolp in Hinterpommern geboren. Nach seinem Studium der Soziologie, Philosophie, Psychologie und Politikwissenschaft in M&uuml;nchen promovierte er dort im Jahr 1972. Sieben Jahre sp&auml;ter wurde er im Fach Soziologie habilitiert. Sein wissenschaftliches Hauptinteresse galt dem Grundlagenwandel moderner Gesellschaften. Diese grundlegenden Ver&auml;nderungen fa&szlig;te er, neben dem Begriff des Risikos, unter anderem mit Konzepten wie Reflexiver Modernisierung, Zweite Moderne, unbeabsichtigte Nebenfolgen und Kosmopolitismus.</p> <p>Ihm wurden mehrere Ehrendoktorw&uuml;rden europ&auml;ischer Universit&auml;ten und zahlreiche Preise verliehen.</p> <p>Er starb am 1. Januar 2015.</p> <p>Martin Mulsow, geboren 1959, studierte Philosophie, Germanistik und Geschichte in T&uuml;bingen, Berlin und M&uuml;nchen. Er ist Professor f&uuml;r Wissenskulturen der Neuzeit an der Universit&auml;t Erfurt und Direktor des Forschungszentrums Gotha. Zuvor war er Professor f&uuml;r Geschichte an der Rutgers University, Mitglied des Institute for Advanced Study in Princeton und Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. F&uuml;r seine Arbeit wurde er mit dem Anna-Kr&uuml;ger-Preis und dem Th&uuml;ringer Forschungspreis ausgezeichnet. Mulsow ist Mitglied der S&auml;chsischen und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.</p>

Ulrich Beck und Martin Mulsow


Einleitung


I. Soziologie und Geschichtswissenschaft[1]

Lange Zeit war der Dialog zwischen Soziologie und Geschichtswissenschaft verstummt. Nach der engen Liaison in den 1970er Jahren im Zeichen der Sozialgeschichte und der historischen Makrosoziologie haben andere Entwicklungen das jeweilige Feld bestimmt und für ein langsames, aber stetiges Auseinanderdriften der Disziplinen gesorgt. Die Soziologie hat die Systemtheorie, die Medientheorie und den Symbolbegriff entdeckt; die Geschichtswissenschaft öffnete sich für die Anthropologie und die Kulturwissenschaften. Heute gibt es weniger Beispiele für eine echte Zusammenarbeit.

Doch der Zeitpunkt für eine neue Annäherung, für ein Gespräch in veränderter Konstellation, ist da. Nachdem sie sich in den ersten vier Jahrzehnten der Bundesrepublik vor allem dem Dritten Reich und der Nachkriegszeit gewidmet hatte, ist die Zeitgeschichtsforschung in den 70er und frühen 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts angekommen. Das hat zum einen damit zu tun, dass zunehmend Archivsperrfristen entfallen, zum anderen werten wir diesen Trend als Resultat einer gewissen Erschöpfung hinsichtlich der Themen der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Das bedeutet nun aber, dass Historiker sich jenen gesellschaftlichen Veränderungen zuwenden, die in zahlreichen Soziologien als Wende zur Spätmoderne, zur Postmoderne oder zur Zweiten Moderne diagnostiziert worden sind.[2] Wird der Historiker dasselbe sehen, was der Soziologe beschrieb? Wird seine retrospektive Analyse die Tendenzmeldungen der Soziologen bestätigen?

Doch die neu zu entdeckende Verflechtung zwischen Soziologie und Geschichtswissenschaft reicht viel tiefer, als diese recht äußerliche Verifikationsbeziehung nahelegt. Die Zweite Moderne und das globalisierte Zeitalter der unausweichlichen Kosmopolitisierung, so die These dieses Bandes, bringt ganz von sich aus die Geschichte in die Soziologie zurück. Denn die Kategorien der modernen Gesellschaft, welche die traditionelle Soziologie noch ohne einen Schatten des Argwohns als universell ansetzte, sind geschichtlich geworden. Wir wissen heute nicht mehr, ob funktionale Differenzierung wirklich ein Grundprinzip von gesellschaftlicher Entwicklung schlechthin ist. Wir wissen nicht, ob sich all jene Begriffe, die vor achtzig oder vierzig Jahren entwickelt wurden, unter den veränderten Bedingungen noch korrekt anwenden lassen. Viele der »klassischen« Analyseinstrumente der Soziologie stellen sich ja mehr und mehr als Instrumente aus der Zeit des methodologischen Nationalismus heraus, als die Gesellschaft, die der Soziologe beschrieb, mit der von Staaten und Nationen identisch war. Doch diese Gleichung gilt nur für die Epoche, die in diesem Band ›Erste Moderne‹ genannt wird. Sie gilt nicht mehr für die modernisierte Moderne der Gegenwart, und sie gilt – wie sich herausstellen wird – auch nicht für die Zeiten der europäischen Vormoderne. Daher hat die Soziologie ihre eigene geschichtliche Bedingtheit zu reflektieren und mit ihr umzugehen.

Auf der anderen Seite bringt die Zweite Moderne auch die Soziologie in die Geschichtswissenschaft zurück. Denn die Wandlungsprozesse, die seit den 1970er Jahren zu beobachten sind, haben inzwischen eine Dichte erreicht, die manche Historiker nicht mehr zögern lassen, von einem Epochenumbruch zu reden. Wenn aber ein Epochenumbruch stattgefunden hat, dann benötigen wir Definitionen, um die Zeit vor den 1970er Jahren von der Phase danach zu unterscheiden. Dazu bedarf es einer strukturellen Analyse des gesellschaftlichen Tiefenwandels. Ohne soziologische Kategorien ist das jedoch nicht möglich. Doch es werden sicherlich andere Kategorien sein als jene, die zur Zeit der letzten Liaison noch zur Verfügung standen.

Die Sozialgeschichte der 1970er Jahre war modernisierungstheoretisch geprägt – im Sinne einer »einfachen« Modernisierungstheorie linearen Fortschritts zur Industriegesellschaft westlichen Typs. Sie war außerdem national gebunden: Sie beschrieb in erster Linie die gesellschaftliche Entwicklung von Nationalstaaten. Es ging um die Geschichte des Staates, von Klassen, von klar definierbaren gesellschaftlichen Sektoren. Heute hingegen wird eine zeitgemäße Soziologie – und Sozialgeschichte – nicht anders können, als transnational und global zu argumentieren. Und sie wird nicht mehr linear modernisierungstheoretisch fundiert sein, sondern Sensibilität für interne Brüche in der Moderne zeigen, für eine Umstrukturierung der Grundlagen dessen, was man um 1970 für das Wesen von Modernität hielt.

Für die soziologische Theorie der Zweiten Moderne bedeutet die fundamentale Prämisse, es gebe einen Bruch innerhalb der Moderne, die Konsequenz, sich weit mehr auf die Genese der Moderne einzulassen, als sie das bisher getan hat. In ihrer frühen Phase wurde die reflexive Modernisierung von einer Ersten Moderne abgesetzt, mit der man die ins 19. Jahrhundert zurückreichende Industriemoderne verstand. Was in dieser Ersten Moderne – oder gar vor ihr – stattgefunden hat, war nicht sonderlich wichtig. Es hatte vor allem die Funktion einer Negativfolie, eines Pappkameraden.

Das ist inzwischen anders. In vielen Bereichen zeigt sich, dass Soziologen heutiger Gesellschaften langfristige genetische Prozesse ernst zu nehmen beginnen. Ein Beispiel für viele ist Saskia Sassens Buch über die Vorgeschichte moderner »Ansammlungen« im Sinne von Ländern, Staaten und Reichen, Das Paradox des Nationalen. Sassen warnt davor, in die »Endogenitäts-Falle« zu geraten, dann nämlich, wenn man ein Phänomen nur aufgrund der ihm eigenen Charakteristika erklären will. Globalisierung und Moderne sind eben nicht aus sich selbst verständlich.

 

Das ›Neue‹ in der Geschichte kommt nur selten ex nihilo. Es ist tief mit der Vergangenheit verzahnt, insbesondere durch die Pfadabhängigkeiten und […] durch eine Dynamik des Umschlagens, die solche Verbindungen zur Vergangenheit vernebelt. Das Neue ist unordentlicher, stärker vorgeprägt und von älterer Abstammung, als es die eindrucksvollen neuen globalen Institutionen und Globalisierungspotentiale vermuten lassen.[3]

 

Radikal an dieser Auffassung ist der Gedanke, dass Modernität ihre eigene Herkunft notwendig verdunkelt. Es ließe sich von ihm eine Linie ziehen zu Hans Blumenbergs Ansicht, die Neuzeit setze sich in einem Akt der Selbstbehauptung von alten, theologisch legitimierten Zeiten ab, oder zu Constantin Fasolts neuerer These, Geschichte bestehe aus einem Akt, das Vergangene als vergangen zu erklären.[4]

Wenn die heutige globalisierte Gesellschaft tatsächlich dazu neigt, ihre Herkunft vergessen zu machen, zugleich aber nicht ohne diese Herkunft verstanden werden kann, dann ist eine Reflexion auf die interne Geschichte der Moderne und ihre Vorgeschichte unabweisbar. Es steht an, den internen Bruch zwischen Erster und Zweiter Moderne sowohl historisch als auch soziologisch zu verstehen und zugleich dabei den Horizont einer Tiefenzeit der Moderne zu berücksichtigen, die weit hinter das 19. Jahrhundert zurückreicht, nämlich in die stufenweisen Modernisierungsschritte mindestens seit der Renaissance.

Sobald aber eine längere Geschichte der Moderne ins Auge gefasst wird, stellen sich historische Periodisierungsfragen, die den Soziologen allein überfordern, da er von seiner Disziplin her nicht darauf vorbereitet ist, in detaillierter Weise Diachronie zu beschreiben. Wie soll man die – möglicherweise zahlreichen – internen Brüche innerhalb der Moderne und ihrer Vorgeschichte theoretisieren? Welche Konsequenzen haben solche – genuin historischen – Theoretisierungen für das soziologische Verständnis der Zweiten Moderne selbst? Wie ist unter diesen Umständen die Identität der Moderne zu verbürgen? Impliziert eine Identität der Moderne Kontinuitäten, die trotz aller Brüche Bestand haben? Welches sind diese Kontinuitäten? Das sind die Fragen, die dieser Band stellt.

II. Die Krise der Modernisierungstheorie

Die neuen Fragestellungen fallen zusammen mit einer Krise der Modernisierungstheorie selbst.[5] Für diese Krise gibt es vielfältige Gründe. Insgesamt überzeugt die Perspektive nicht mehr, die in den 1950er Jahren leitend war, als die Modernisierungstheorie geboren wurde: Das Telos der Geschichte sei der westliche Nationalstaat mit Kleinfamilie, Konsumstruktur und Industriewirtschaft.[6] Kann alle Welt über diesen Kamm geschoren werden?

Genauer aufgeschlüsselt lässt sich die Krise sowohl diachron als Skepsis an der Entwicklung moderner westlicher Gesellschaften selbst als auch synchron mit Blick auf nichtwestliche Kulturen aufschlüsseln. Diachron gesehen hat die Entwicklung westlicher Gesellschaften in den vergangenen dreißig Jahren nicht das gezeigt, was die amerikanische Modernisierungstheorie erwartet hatte. Es gab keine Konsolidierung, stattdessen ist eine Art Weitermodernisierung zu verzeichnen, die den Vorstellungen der früheren Modernisierungsvorstellung selbst die Grundlagen entzogen hat. Ihr Gesellschaftsbegriff, ihr Traditionsbegriff, all dies reichte nicht mehr aus, um eine Zeit, die mit den Folgen der bisherigen Modernisierung zu kämpfen hatte, adäquat zu begreifen.

Die synchrone, zivilisationsvergleichende Skepsis gegenüber der Modernisierungstheorie reicht indes noch viel tiefer. Zum einen ist natürlich zu sehen, dass jede Modernitätsdiagnose –...

Erscheint lt. Verlag 8.12.2014
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Wirtschaft
Schlagworte Anna Krüger Preis für Wissenschaftssprache 2014 • Die Moderne • edition suhrkamp 2685 • ES 2685 • ES2685 • Lifetime Achievement Award (International Sociological Association) 2014 • Sozialwissenschaft • Thüringer Forschungspreis 2013 • Zeitgeschichte
ISBN-10 3-518-73842-9 / 3518738429
ISBN-13 978-3-518-73842-9 / 9783518738429
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