Armut im geteilten Deutschland

Die Wahrnehmung sozialer Randlagen in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR

(Autor)

Buch | Softcover
469 Seiten
2015
Campus (Verlag)
978-3-593-50268-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Armut im geteilten Deutschland - Christoph Lorke
46,00 inkl. MwSt
Heutige Diskussionen um soziale Ungleichheit sind häufig ideologisch und emotional aufgeladen. Oft bilden dabei altbewährte Sozialklischees den Deutungsrahmen für die Bewertung von "Armut", in dem sich moralisierende, dramatisierende und solidarisierende
Narrative entfalten. Die Wahrnehmung der "Unterschicht" hat aber auch eine Geschichte - dieses Buch untersucht erstmals, zudem auf breiter empirischer Basis, die sozialen Images von Armut in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zwischen den beiden Staatsgründungen (1949) und der "Wiedervereinigung" (1989). Wo lassen sich Gemeinsamkeiten und Abweichungen
in der Bewertung sozialer Schieflagen "hüben" wie "drüben" erkennen?
Heutige Diskussionen um soziale Ungleichheit sind häufig ideologisch und emotional aufgeladen. Oft bilden dabei altbewährte Sozialklischees den Deutungsrahmen für die Bewertung von »Armut«, in dem sich moralisierende, dramatisierende und solidarisierendeNarrative entfalten. Die Wahrnehmung der »Unterschicht« hat aber auch eine Geschichte - dieses Buch untersucht erstmals, zudem auf breiter empirischer Basis, die sozialen Images von Armut in der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zwischen den beiden Staatsgründungen (1949) und der »Wiedervereinigung« (1989). Wo lassen sich Gemeinsamkeiten und Abweichungenin der Bewertung sozialer Schieflagen »hüben« wie »drüben« erkennen?Ausgewählt für die Shortlist des Opus Primum - Förderpreis der VolkswagenStiftung für die beste Nachwuchspublikation des Jahres 2015

Christoph Lorke, PD Dr. phil., lehrt am Historischen Seminar der Universität Münster.

Inhalt

Einleitung9
Armutsgeschichte als Kulturgeschichte 11
Forschungsdesign, Methode und Zugriff 14
"Armut" und deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte 21
Quellen, Forschungsstand und Vorgehensweise 25

I. Allgegenwart und Ausblendung: "Armut" in den Nachkriegsjahren 38
1. Soziale Images der "Armut" nach 1945: Eine Spurensuche 38
2. "Armut" in der "Zusammenbruchsgesellschaft" 48
3. Jenseits von Mittellagen: Öffentlichkeit der "Armut" in der "nivellierten Mittelstandsgesellschaft" 54
4. Respektabilität und "Armut": Symbolische Grenzziehungen 74
4.1 Kriegsopfer, Kinderreiche, Alte: Sozialpolitische Interventionen 74
4.2 Quantifizierung bundesdeutscher Not: Der erste "Warenkorb". 80
4.3 Arbeit, Fürsorge und Sozialvorstellungen in der frühen DDR 86
4.4 "Unwürdige Armut" in beiden Nachkriegsgesellschaften 94
5. "Dem Hunger und dem Elend preisgegeben": Armut und
Systemkonkurrenz bis zum Mauerbau 108

II. Dethematisierung und Individualisierung: Jahre des Wachstums 120
1. Sieg über die "Armut"? Images zwischen wohlfahrtsstaatlichen Arrangements und Sozialkritik 120
1.1 Das Bundessozialhilfegesetz: Inhalt, Bedeutung,
erste Krisenbewährung 120
1.2 "Gut genug für die deutsche Öffentlichkeit": Spenden, Schäbigkeit und "Schmarotzer" 129
1.3 Sozialwissenschaft, Medien und "Armut" vor "1968" 136
2. Überbleibsel? "Würdige" Armut in der DDR 147
2.1 Verwissenschaftlichung sozialer Ordnung: Die DDR-Lebensstandardforschung 147
2.2 Unumstrittene Anerkennung: Armut unter Altersrentnern 153
2.3 Zwischen Zuwendung und Skepsis: Zur Situation Kinderreicher 157
3. Ausnahmen von der Regel? Bundesdeutsche Obdachlosigkeit 167
3.1 Selbstverschuldung, Unwirtschaftlichkeit und "Asozialisierung" 167
3.2 Intergenerative Weitergabe? Obdachlosigkeit und Kinderreichtum 177
3.3 Deutungswandel und neue Konstruktionen: Die Entdeckung von "Randgruppen" 183
3.4 Perspektivverschiebungen: "Armut", Medien und "1968" 191
4. Störung der öffentlichen Ordnung: "Asozialität" und "Dissozialität" in der DDR 200
5. Die "andere Armut": Gegenseitige Perzeptionen und "Armut" im Ausland 221

III. Eingeständnisse, Skandalisierung und Relativierung: "Armut" nach dem "Boom" 236
1. Ende "sozialer Schwärmerei": Die "Neue Soziale Frage" und
Europäisierungstendenzen 236
1.1 Konservative Sozialstaatskritik: Kontext und Reaktionen 237
1.2 Verständnis und Anteilnahme: Politische Imagekorrekturen 248
2. Sorgenfrei und geborgen? DDR-Imaginationen und -Paradoxa ab den 1970er Jahren 258
2.1 Kinderreiche: Vom Hofieren und Geringschätzen 260
2.2 Altersrentner: Ungebrochene Huldigung 270
3. Empathie versus Abgrenzung: Bundesdeutsche "Armuts"-Deutungen bis 1989 276
3.1 "Deutschlands faulster Gärtner": Von Vorwürfen und Solidarität 276
3.2 Angstnarrative, oder: Gesellschaftlich benötigte Armut? 290
3.3 "Häßliche Armut": Imaginationen von Obdachlosen und Nichtsesshaften 297
4. Sozialstaat auf dem Prüfstand: Die "Neue Armut" als Politikum 312
4.1 DGB und SPD: Wider die Verdrängung I 314
4.2 Grüne, Kirchen, Wohlfahrtsverbände: Wider die Verdrängung II 323
4.3 Regierung in der Defensive: Konterversuche und Rechtfertigungen 330
5. Im Osten nichts Neues? "Armuts"-Deutungen bis 1989 339
5.1 "Unduldbare Erscheinungen": Imaginationen des "Unwürdigen" 339
5.2 Gegen den Trend? Späte Deutungsverlagerungen 348
6. Blicke nach hüben, Blicke nach drüben, Blicke nach außen: Exterritorialisierung von "Armut" 357

Schluss 377
Abkürzungsverzeichnis 387
Unveröffentlichte Quellen 390
Gedruckte Quellen und Forschungsliteratur 400
Dank 463
Personenregister

»[...] kommt der Studie das Verdienst zu, auf die Ideologisierung und Indienstnahme der Medien in beiden deutschen Staaten hinzuweisen und diesbezüglich das Problembewusstsein zu schärfen.« Matthias Willing, H-Soz-Kult, 08.05.2015»Eine umsichtige, reichhaltig Material aufbereitende Studie zu Aspekten der Sozialpolitik und mithin Geschichte beider deutschen Staaten!« Prof. Dr. Wolfgang Berg, socialnet.de, 04.05.2016»Eine lesenswerte Studie.« Sarah Haßdenteufel, Das Historisch-Politische Buch»Neben der beeindruckenden Quellenfülle und -vielfalt sowie deren systematisch gekonnter Interpretation liegt die besondere Stärke der Arbeit darin, Armut in ihrer Relativität und Wandelbarkeit als politisches Instrument jenseits von Sozialhilfezahlen und Sozialstatistiken greifbar zu machen.« Meike Haunschild, Sehepunkte, 15.11.2015»Konsequent kontrastiert er Tendenzen in der BRD mit denen in der DDR und arbeitet eine verflochtene und doch geteilte deutsche Geschichte von Armutsrepräsentationen heraus. [...] Somit bietet die Arbeit inspirierende Anknüpfungspunkte, um sie mit aktuell wieder florierenden Forschungen zu Arbeit und Repräsentationen von Arbeit zu kontrastieren.« Yvonne Robe, Neue Politische Literatur»Lorke hat eine sehr anregende und materialreiche Studie vorgelegt, in der die Armutsvorstellungen in Deutschland nach 1945 erstmals systematisch analysiert werden. Er kann nachweisen, dass der Armutsbegriff auch politisch instrumentalisiert wurde. Denn die Betonung, Verharmlosung oder Skandalisierung von Armut konnte dazu genutzt werden, um in der Auseinandersetzung um Meinungsführerschaft Vorteile zu erzielen.« Dierk Hoffmann, Historische Zeitschrift, 30.10.2017

»[…] kommt der Studie das Verdienst zu, auf die Ideologisierung und Indienstnahme der Medien in beiden deutschen Staaten hinzuweisen und diesbezüglich das Problembewusstsein zu schärfen.« Matthias Willing, H-Soz-Kult, 08.05.2015

»Eine umsichtige, reichhaltig Material aufbereitende Studie zu Aspekten der Sozialpolitik und mithin Geschichte beider deutschen Staaten!« Prof. Dr. Wolfgang Berg, socialnet.de, 04.05.2016

»Eine lesenswerte Studie.« Sarah Haßdenteufel, Das Historisch-Politische Buch

»Neben der beeindruckenden Quellenfülle und -vielfalt sowie deren systematisch gekonnter Interpretation liegt die besondere Stärke der Arbeit darin, Armut in ihrer Relativität und Wandelbarkeit als politisches Instrument jenseits von Sozialhilfezahlen und Sozialstatistiken greifbar zu machen.« Meike Haunschild, Sehepunkte, 15.11.2015

»Konsequent kontrastiert er Tendenzen in der BRD mit denen in der DDR und arbeitet eine verflochtene und doch geteilte deutsche Geschichte von Armutsrepräsentationen heraus. […] Somit bietet die Arbeit inspirierende Anknüpfungspunkte, um sie mit aktuell wieder florierenden Forschungen zu Arbeit und Repräsentationen von Arbeit zu kontrastieren.« Yvonne Robe, Neue Politische Literatur

»Lorke hat eine sehr anregende und materialreiche Studie vorgelegt, in der die Armutsvorstellungen in Deutschland nach 1945 erstmals systematisch analysiert werden. Er kann nachweisen, dass der Armutsbegriff auch politisch instrumentalisiert wurde. Denn die Betonung, Verharmlosung oder Skandalisierung von Armut konnte dazu genutzt werden, um in der Auseinandersetzung um Meinungsführerschaft Vorteile zu erzielen.« Dierk Hoffmann, Historische Zeitschrift, 30.10.2017

Einleitung
Armut gehört untrennbar zur Menschheitsgeschichte. Trotz (oder gerade wegen) ihrer Omnipräsenz repräsentiert sie aber auch immer ein "Tabu, über das viel geredet wird". Dieser Umstand gilt offenbar bis heute. Unlängst sorgte der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge weit über den akademischen Raum hinaus für Aufsehen, als er im Anschluss an seine tour d'horizon durch aktuelle wie vergangene Armutsdebatten postulierte, Armut werde "eskamotiert, kaschiert oder ideologisch verbrämt", um "die sich tendenziell immer stärker ausprägende soziale Ungleichheit zu legitimieren". Zu keiner Zeit habe sich die bundesdeutsche Gesellschaft ernsthaft mit Armut auseinandergesetzt, im Gegenteil, sie habe diese vielmehr "bewusst ignoriert, negiert oder relativiert". Auch die Reaktionen auf den Vierten Armutsbericht der Bundesregierung im Frühjahr 2013 - damals warf die Oppositionsseite der Regierung eine Beschönigung der tatsächlichen sozialen Lage vor - fügten sich in das so entworfene Bild: Das öffentliche Sprechen über Armut provoziert und muss zumindest aus Sicht der politisch Verantwortlichen aufgrund der Inkompatibilität mit sozialstaatlichen Versprechungen möglichst klein gehalten werden.
Die Diskussionen der letzten Jahre um soziale Ungleichheit nicht nur in bundesdeutschen, sondern verstärkt auch in europäischen Kontexten zeigen, dass vor allem die zunehmende Öffnung der "Schere" zwischen Arm und Reich in den Fokus gerückt ist. Ein konstantes diskursives Nebenprodukt dieser sozialen Debatten war hierzulande die angeblich unaufhaltsam fortschreitende Ausbreitung sozialer Lebenswelten der "Armut", innerhalb derer bürgerlich-mittelständische Vorstellungen zu Arbeit oder Leistung scheinbar keinerlei Gültigkeit besäßen: Weniger das Fehlen pekuniärer Ressourcen sei das Hauptproblem eines Großteils der Betroffenen, sondern vielmehr spezifische Lebensformen einer "Unterschichtenkultur" mit "eigenen Verhaltensweisen, eigenen Werten und eigenen Vorbildern". So zumindest konstatierte ein Stern-Artikel im Jahr 2004, der ein Jahr darauf immerhin mit dem Deutschen Sozialpreis Print prämiert wurde. Die Eltern aus dieser "Unterschicht", fuhr der Text fort, "parkten" ihre Kinder vor dem Fernseher mit "verdummenden Programmen der Privaten", "stopften" sie mit Süßigkeiten voll, seien disziplinlos, verlören die Kontrolle in allen Lebensbereichen, ja versperrten sich durch diese Lebensweise und "eigene" Kultur den Weg (zurück) in die Gesellschaft. Ähnlich argumentierte im selben Jahr der Historiker Paul Nolte mit seinen auch außerhalb der Fachwelt bekannt gewordenen Thesen vom "Unterschichtenfernsehen" und dem "Übergewicht" als "Unterschichtenproblem". Seine Ansichten provozierten eine Reihe zuweilen stürmischer Entgegnungen, wie sie auch in jüngerer Vergangenheit die Aussagen des damaligen Außenministers Guido Westerwelle hervorriefen, der 2009 mit Blick auf "Hartz-IV-Emp-fänger" und den ihnen zuteilwerdenden sozialstaatlichen Leistungen pro-vokant von "spätrömischer Dekadenz" und "anstrengungslose[m] Wohl-stand" sprach. Der SPD-Politiker Thilo Sarrazin sorgte in seinem 2010 erschienenen Buch Deutschland schafft sich ab vor allem dadurch für Furore, weil er die aus seiner Sicht herrschende sozialstaatliche Misere unter anderem auf das Problem geistig-moralischer Armut zurückzuführen versuchte. Diese Exempel verweisen auf die symbolische Nutzung sozialer Images, die leicht erweitert werden könnten. Insbesondere die aus den Beispielen resultierenden mannigfachen emotionalen Reaktionen belegen eindrücklich, wie umkämpft und normativ aufgeladen das Sprechen über "Armut" ist.

Armutsgeschichte als Kulturgeschichte
In dieser Arbeit werden Analogien, Wurzeln, Traditionen, deutsch-deutsche Gemeinsamkeiten und Abweichungen solcher Argumentationsstrukturen, symbolischen Kategorisierungen, diskursiven und symbolischen Artikulationen, Klassifizierungs- und Zuschreibungsmodi aufgezeigt. Das leitende Ziel ist dabei jedo

Erscheint lt. Verlag 9.2.2015
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 142 x 213 mm
Gewicht 585 g
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Zeitgeschichte
Geschichte Teilgebiete der Geschichte Wirtschaftsgeschichte
Sozialwissenschaften Soziologie
Wirtschaft Volkswirtschaftslehre Makroökonomie
Schlagworte Arme • Armut • Armut / Arme • BRD • Bundesrepublik Deutschland • Bundesrepublik Deutschland (1949-1990); Politik/Zeitgeschichte • DDR • Deutsche Demokratische Republik • Deutsche Demokratische Republik (DDR); Politik/Zeitgeschichte • Deutsche Demokratische Republik; Politik/Zeitgeschichte • Deutschland • Medien • Opus Primum • soziale Randlage • Sozialpolitik
ISBN-10 3-593-50268-2 / 3593502682
ISBN-13 978-3-593-50268-7 / 9783593502687
Zustand Neuware
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