Payback (eBook)

Schulden und die Schattenseite des Wohlstands
eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
272 Seiten
Berlin Verlag
978-3-8270-7803-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Payback -  Margaret Atwood
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Margaret Atwood erklärt uns mit faszinierender Klarheit, wie maßgeblich das Konzept der Schuld - im ökonomischen und im moralischen Sinn - unser Denken und Verhalten seit Anbeginn der menschlichen Kultur prägt und bestimmt. Mit Witz und Sachkenntnis verfolgt sie ihr Thema quer durch Zeiten und Disziplinen. Am Ende entlässt sie uns mit einer zentralen Frage: Was sind wir Menschen einander, was sind wir unserem Planeten schuldig?

Margaret Atwood, geboren 1939 in Ottawa, gehört zu den bedeutendsten Autorinnen unserer Zeit. Ihr »Report der Magd« wurde für inzwischen mehrere Generationen zum Kultbuch. Zudem stellt sie immer wieder ihr waches politisches Gespür unter Beweis, ihre Hellhörigkeit für gefährliche Entwicklungen und Strömungen. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Man Booker Prize, dem Nelly-Sachs-Preis, dem Pen-Pinter-Preis und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Margaret Atwood lebt in Toronto. Auf Deutsch erschien zuletzt ihr Lyrikband »Innigst«.

Margaret Atwood, geboren 1939 in Ottawa, gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit. Ihr "Report der Magd" wurde zum Kultbuch einer ganzen Generation. Bis heute stellt sie immer wieder ihr waches politisches Gespür unter Beweis, ihre Hellhörigkeit für gefährliche Entwicklungen und Strömungen. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Man Booker Prize, dem Nelly-Sachs-Preis, dem Pen-Pinter-Preis und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Margaret Atwood lebt in Toronto.

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SCHULD UND SÜNDE


»Schulden sind das neue Fressen«, sagte neulich jemand. Worauf ich mir dachte, es ist noch nicht so lange her, da war Fressen der Ersatz für Rauchen und davor Rauchen der Ersatz für Trinken, und noch davor war Trinken der Bordellersatz. Ins Bordell gehen wird das neue Schuldenmachen sein, und so bewegen wir uns im Kreis. Was all diese Dinge gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass jedes irgendwann, zu seiner Zeit, als die schlimmste aller Sünden galt, dann aber eine Phase durchlaufen hat, in der es wenn nicht für vollkommen harmlos, so zumindest doch für schick gehalten wurde. Ich habe halluzinogene Drogen ausgelassen, obwohl sie auch dazugehören.

Für uns scheint nun diese Phase anzubrechen, in der das Harmlose und Schicke am Schuldenmachen vorbei ist und es gerade in den Sündenpfuhl zurückfällt. Im Fernsehen gibt es sogar Schulden-Shows, die nur allzu vertraut nach Erweckungsbewegung klingen. Dort gibt es Berichte über Anfälle von Kaufrausch, bei denen die Leute nicht wissen, was über sie gekommen ist, und alles hinter einem Schleier liegt, mit tränenreichen Bekenntnissen derer, die sich schlaflos in den bodenlosen Sumpf hoffnungsloser Verschuldung gestürzt und sich im Endergebnis aufs Lügen, Betrügen, Stehlen und Verschieben fauler Schecks von einem Konto aufs andere verlegt haben. Es gibt Aussagen von Familien und Geliebten, deren Leben durch das schädliche Verhalten des Schuldners zerstört worden ist. Es gibt mitfühlende, aber strenge Ermahnungen von Seiten des Moderators, der hier die Rolle des Priesters oder Erweckungspredigers spielt. Es gibt den Moment des aufscheinenden Lichts am Ende des Tunnels, gefolgt von Reue und dem Versprechen, es nie wieder zu tun. Es gibt eine auferlegte Buße – schnipp, schnapp macht die Schere beim Zerschneiden der Kreditkarten –, die eine strikte Konsum-Enthaltungskur nach sich zieht; und schließlich, wenn alles gut geht, werden die Schulden abbezahlt, die Sünden vergeben, Absolution erteilt, und ein neuer Tag bricht an, da der Mensch sich des Morgens trauriger, aber solvent erhebt.

Es war einmal vor langer Zeit, da taten die Leute ihr Äußerstes, um nicht in Schulden zu geraten. Es gab verschiedene »Es war einmal« – wie gesagt, Schulden kommen in und aus der Mode, und der heute bewunderte spendierfreudige Gentleman ist der verachtete Gammler von morgen. Aber ich denke an die Zeit der Weltwirtschaftskrise, die meine Eltern als jung verheiratetes Paar durchlebten. Meine Mutter hatte vier Umschläge, in die sie jeden Monat das Geld aus der Lohntüte meines Vaters verteilte. Die Umschläge waren beschriftet mit Miete, Lebensmittel, andere Notwendigkeiten und Erholung. Erholung bedeutete Kino. Die ersten drei Umschläge hatten Priorität, und wenn für den vierten nichts übrig blieb, gingen meine Eltern ersatzweise spazieren.

Meine Mutter hat über fünfzig Jahre ein Haushaltsbuch geführt. Wie ich dem entnehme, haben die beiden in den ersten Jahren ihrer Ehe – Ende der Dreißiger, Anfang der Vierziger – hin und wieder Schulden gemacht – fünfzehn Dollar hier, fünfzehn Dollar dort – oder kleine Darlehen bei der Bank aufgenommen – fünfzehn Dollar hier, fünfzehn Dollar dort. Aber so klein waren die Summen denn auch wieder nicht, wenn man bedenkt, dass Brot für den ganzen Monat einen Dollar zwanzig Cent kostete und Milch mit sechs Dollar pro Monat zu Buche schlug. Die Schulden wurden regelmäßig innerhalb von Wochen oder höchstens ein paar Monaten zurückgezahlt. Ab und zu taucht ein ungewöhnlicher Posten auf – »Buch«, zwei Dollar achtzig Cent; »Genussmittel«, vierzig Cent. Ich frage mich, was das wohl für Genussmittel gewesen sein mögen? Ich vermute, es waren Pralinen – meine Mutter hat mir erzählt, wenn es ausnahmsweise einmal Pralinen gab, hätten sie jede einzelne in der Mitte durchgeschnitten, damit sie beide jede Geschmacksrichtung probieren konnten. Das nannte sich »im Rahmen seiner Verhältnisse leben«, was heute, nach den Schulden-Shows im Fernsehen zu urteilen, eine ausgestorbene Kunst geworden ist.

Da der Titel dieses Kapitels »Schuld und Sünde« lautet, will ich nun erzählen, wie ich beides zum ersten Mal miteinander in Verbindung brachte. Es geschah in einer Kirche – genau genommen, in der Sonntagsschule der United Church, wo ich trotz der Befürchtungen meiner Eltern unbedingt hingehen wollte. Sie sorgten sich, ich könne zu früh in meinem jungen Leben religiös vernebelt werden. Aber das war ich bereits, da es in unserem Teil von Kanada zwei aus Steuergeldern finanzierte Schulsysteme gab, das katholische und das öffentliche. Ich besuchte eine öffentliche Schule, was damals als protestantisch zu verstehen war, und so erfüllten wir ein bestimmtes Pensum an Beten und Bibellesungen direkt im Klassenraum, unter dem Vorsitz eines Porträts des Königs und der Königin von England und Kanada, die gekrönten Hauptes, behängt mit Medaillen und Geschmeide, gütig von der hinteren Wand über uns wachten.

Da wir Religion als Unterrichtsfach hatten, war meine Eskapade mit der Sonntagsschule freiwillig. Wie gewöhnlich trieb mich meine Neugierde: Würde ich in einer Sonntagsschule nicht mehr über Glaubensdinge erfahren, als es in einer gewöhnlichen Schule möglich war? Wohl kaum, wie sich herausstellte – die interessantesten Stellen aus der Bibel, wo es um Sex, Vergewaltigung, Kindesopfer, Verstümmelungen und Massaker geht, wo die abgehackten Köpfe der Söhne deines Feindes in Körben eingesammelt und die zerlegten Körper von Konkubinen als Einladungen zum Krieg in der Gegend herumgeschickt werden, wurden sorgfältig vermieden, wohingegen ich viel Zeit damit verbrachte, Engel und Schafe und Schmuckblätter auszumalen und Lieder darüber zu singen, wie mein kleines Kerzenlicht auch in die dunkle Ecke meines Herzens bricht.

Sie werden sicherlich erstaunt sein, zu erfahren, dass ich einen Preis für das Auswendiglernen von Bibelversen gewann – aber so war es. Zu den Dingen, die wir aus dem Kopf aufsagen mussten, gehörte das Vaterunser mit der Zeile: »Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.« Nun sang aber mein Bruder in einem anglikanischen Knabenchor, und bei den Anglikanern lautete dieselbe Zeile anders: Statt »Schuld« (debts) hieß es dort »Übertretungen« (trespasses). Das Wort »Schuld« – unverblümt und auf den Punkt gebracht – passte gut zu der schlichten, Traubensaft trinkenden United Church, während »Übertretungen« sehr anglikanisch klang, knisternd und etwas geschraubt, genau richtig zum Weinschlürfen bei der Kommunion und für eine ausgeschmücktere Theologie. Aber bedeuteten die beiden Wörter wirklich dasselbe? Ich konnte mir nicht vorstellen, wie das gehen sollte. »Übertretung«, das war für mich, wenn man unerlaubt fremder Leute Grundstücke betrat, vor allem solche mit dem Schild Betreten verboten; und eine »Schuld« hatte man, wenn man Geld schuldete. Aber irgendjemand musste wohl gedacht haben, sie seien austauschbar. Eines allerdings war sogar meinem religiös vernebelten Kinderverstand klar: Weder Schuld noch Übertretungen waren erstrebenswert.

Zwischen den vierziger Jahren und heute hat eine glückliche Fügung uns die Suchmaschine beschert, und kürzlich habe ich mich im Web herumgetrieben, um dem unterschiedlichen Wortgebrauch beim Vaterunser auf die Spur zu kommen. Wenn Sie Lust haben, das selbst zu tun, werden Sie finden, dass John Wycliffe in seiner Übertragung von 1381 das Wort debts gebraucht, während trespasses erstmals in Tyndales Version von 1526 auftaucht. Trespasses kehrt 1549 im English Book of Common Prayer wieder, wird jedoch in der King James Bibelfassung von 1611 in debts zurückverwandelt. Die Vulgata benutzt das lateinische Wort für »Schuld«. Interessanterweise bedeutet das entsprechende Wort auf Aramäisch, der semitischen Sprache, die Jesus gesprochen hat, sowohl »Schuld« als auch »Sünde«. Man könnte im Vaterunser also auch übersetzen: »Und vergib uns unsere Schuld/Sünde« oder gar »unsere sündige Schuld«, obwohl sich bisher kein Übersetzer dafür entschieden hat.

Beim weiteren Suchen im Web stößt man auf eine ganze Reihe predigtartiger Blogeinträge. Am Ende läuft das, was diese Blogautoren sagen, meistens darauf hinaus, dass es sich bei der Schuld und/oder den Übertretungen im Vaterunser um spirituelle Dinge handelt, die in der Tat Sünden sind: Gott vergibt uns unsere Sünden in dem Maße, in dem auch wir denen vergeben, die sich gegen uns versündigt haben.

Die predigenden Blogger warnen uns vor dem naiven Irrtum, zu glauben, mit der fraglichen Schuld seien profane Geldschulden gemeint. Hier ein Auszug aus einem Blogbeitrag des Reverend Jennie C. Olbrych von der entzückenden alten Saint James Santee Episcopal Church bei McClellanville in South Carolina – ich weiß, wie entzückend und alt diese Kirche ist, weil ich auf der Webseite ein Bild gesehen habe –, und dieser Beitrag triff alle Nägel auf den Kopf, einen nach dem anderen.

»Das erinnert mich ans Vaterunser«, sagt Reverend Olbrych, »und daran, dass finanzielle Schulden manchmal eine Metapher für Sünde sind – vergib uns unsere Sünden, Übertretungen, Schulden, wie auch wir denen vergeben, die sich mit ihren Übertretungen gegen uns versündigt oder sich bei uns verschuldet haben.«

Eine Menge Geld zu haben ist heutzutage gang und gäbe – 2,5 Billionen US-Dollar Verbraucherschulden hatten wir im Juni dieses Jahres [2004] … Durchschnittlich steht jeder Haushalt mit fast 12 000 US-Dollar Kreditkartenschuld da. Wer...

Erscheint lt. Verlag 13.10.2014
Übersetzer Gesine Strempel, Brigitte Walitzek, Bettina Abarbanell, Grete Osterwald, Sigrid Ruschmeier
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Literatur Romane / Erzählungen
Wirtschaft
Schlagworte Finanzkrise • Friedenspreis des Deutschen Buchhandels • Humor • Kulturgeschichte • Prinzessin • Schuld • Schulden • Wohlstand
ISBN-10 3-8270-7803-2 / 3827078032
ISBN-13 978-3-8270-7803-2 / 9783827078032
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