Im Ozean der Ungewissheiten -  Klaus Heilmann

Im Ozean der Ungewissheiten (eBook)

Leben mit einer Pandemie
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
146 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-8713-7 (ISBN)
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Nicht zum ersten Mal greift ein Virus in den Lauf der Dinge ein. Covid-19 zwingt uns innezuhalten, nachzudenken und abzuwägen: Wie weit und wohin wollen wir noch gehen? Was in unserem Leben ist nötig, was ist überflüssig? Wie viel Sicherheit wollen wir, wie viel Risiko können wir uns leisten? Der Autor reflektiert über Corona und kommt zu dem Ergebnis, dass sich diese Pandemie hinsichtlich ihrer globalen Dimension in nichts von Pandemien früherer Zeiten unterscheidet. Den wesentlichen Unterschied zu heute sieht er aber darin, dass es damals noch keine Pandemie der Information gab. Der Medizinprofessor und Risikoforscher erklärt, warum wir Chancen für die Zukunft nicht erlangen können, ohne in der Gegenwart Risiken einzugehen. Und er kommt zu dem Schluss, dass wir die Lösungen, die wir zur Bewältigung der auf uns zukommenden Probleme benötigen, auch finden können: mit Hilfe unserer Vernunft, des notwendigen Muts und einer gewissen Gelassenheit.

Klaus Heilmann war Arzt, Professor der Medizin an der TU München und international bekannter Experte für Risikoforschung und Kommunikation. Heute ist er als Autor und Publizist tätig. Forschungs- und Lehrtätigkeiten führten ihn u.a. nach Schweden, in die Sowjetunion und regelmäßig in die USA. Mehrere Jahre war er Gastprofessor am Baylor College of Medicine, Houston, sowie Consultant Scientist am Institute for Medical Engineering, University of California, Los Angeles. Heilmann veröffentlichte mehr als 100 Fachartikel sowie über 30 Bücher zu medizinischen, gesundheitstechnologischen und gesellschaftspolitischen Themen. Die meisten wurden in fremde Sprachen übersetzt, einige waren internationale Bestseller. Er beriet Verbände und multinationale Industrieunternehmen aller Sparten in Risiko- und Kommunikationsfragen, so auch 1986/87 die deutsche Chemische Industrie nach dem Chemieunfall in Basel und die deutsche Energiewirtschaft nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl. Heilmann war Film- und Fernsehproduzent, Drehbuchautor und Formatentwickler für ARD und ZDF. Vier Jahre lang moderierte er im deutschen Fernsehen einen wöchentlichen Expertentalk "Gesundheit".

Eine Frage der Wahrnehmung


Die vergessenen Pandemien

Der ursprüngliche Anlass zu meinem Entschluss, mich in Zusammenhang mit Corona noch einmal mit den Themen Wissenschaft, Medien und Politik zu beschäftigen, war die Interview-Anfrage einer großen deutschen Tageszeitung, die mich am 28. Februar 2020 in meiner Wahlheimat Italien erreichte. Im Interview sollte es, so die Anfrage per email, »um die Ängste der Deutschen, die wirkliche Gefahr von Viren, unsere (Un-)Lust an Gefahren und den Umgang einer Gesellschaft mit Krankheiten, dem Stillstand des öffentlichen Lebens, etc. gehen«. Ein telefonisches Gespräch hierzu wurde für den 2. März terminiert, musste dann aber von Seiten der Journalistin um ein paar Tage verschoben werden.

Ich nutzte die Zeit dazu, mich auf den neuesten Stand zur Virusausbreitung zu bringen, die am 27. Januar für Deutschland mit dem ersten bekannt gewordenen Erkrankungsfall in Bayern begonnen hatte. Dabei stieß ich unter anderem auf einen Artikel des Ressortleiters »Wissen« der gleichen Zeitung. Die Überschrift lautete: »Krankheit Angst«. Darunter hieß es, der Erreger sei »tödlicher als die Grippe, vermutlich um ein Vielfaches. Doch Panik macht alles nur schlimmer.« Stimmt, dachte ich, ärgerte mich aber darüber, dass der Autor die Angst im Titel eine Krankheit genannt hatte.

Am gleichen Tag verkündete im Norddeutschen Rundfunk ein wegen seiner Eloquenz von den Medien in Krisen gerne zugezogener Soziologe und Nachhaltigkeits-Wissenschaftler, der mir wegen seines Geltungsbedürfnisses auf verschiedenen Konferenzen in Erinnerung geblieben war, unter anderem: »Gerade was die Tödlichkeit anbelangt, haben wir gute Nachrichten: Über neunzig Prozent der Erkrankten außerhalb Chinas haben die Krankheit gut überstanden Auch das Robert Koch Institut in Berlin sprach von einem geringen Risiko für Deutschland und beruhigte mit dem Hinweis, dass vom Influenza-Virus eine wesentlich größere Gefahr ausgehe. Die Weltgesundheitsorganisation hingegen, die zunächst nur von einer moderaten weltweiten Gefahr gesprochen hatte, sah die Gefährdung mittlerweile als hoch an. Was also nun, fragte ich mich, harmlos oder gefährlich, tödlich oder nicht tödlich?

In einem neuerlichen Telefonat am 9. März, ich war mittlerweile nach München gereist, wo das Virus zumindest in den Köpfen noch nicht angekommen zu sein schien, teilte mir meine Gesprächspartnerin mit, das Interview mit mir habe sich erledigt, es sei mittlerweile mit jemand anderem geführt worden. Wir kamen dennoch kurz ins Gespräch, in dessen Verlauf ich ihr andeutete, wozu ich gerne etwas hätte sagen wollen, nämlich weniger zu den mit der Virusverbreitung verbundenen Risiken als vielmehr zu denen der Überflutung mit Information und zu den durch sie ausgelösten Ängsten. Sie sagte dazu nicht viel und meinte nur, man könne sich ja später einmal zusammensetzen und über meine Gedanken sprechen. Dazu ist es, wie von mir nicht anders erwartet, nie gekommen.

Wieder in Italien, wohin ich am 11. März nur wenige Stunden vor Schließung der Brenner-Grenze zurückgekehrt war, konnte ich dann am eigenen Leib, zunächst in strengster Quarantäne und später unter wieder gelockerten Einschränkungen, die sich auch in Italien immer wieder ändernden Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus erfahren, aber auch das bewundernswerte Zusammenstehen der Italiener erleben. Mit Hilfe von Internet und Fernsehen verfolgte ich, wie sich die Einschätzungen der Experten und Politiker zu Gefährlichkeit oder Harmlosigkeit des Virus ständig änderten und widersprachen und welche unterschiedlichen Maßnahmen in Deutschland, anderen europäischen Staaten und weltweit zu seiner Bekämpfung durchgeführt wurden. Irgendwann ließen mich das Corona-Virus und die Berichterstattung hierüber nicht mehr los, und so begann ich, mich mit ihm und seinen Folgen näher zu beschäftigen, meine Beobachtungen festzuhalten und meine Gedanken hierzu niederzuschreiben. Meine Recherchen zum Thema Covid-19, wie man den Auslöser der Pandemie schon bald überall nannte, führten mich dann bald schon zu ersten Reflexionen über Wissenschaft und Politik, Medien und Kommunikation. Von Beginn an also war mein Nachdenken über das Virus auch ein Nachdenken über die gesellschaftlichen Reaktionen, die das Reden und Schreiben zum Thema Pandemie auslösten.

Bei meinen Recherchen fiel mir schon bald auf, dass bei Vergleichen mit früheren Krankheitsepidemien von Wissenschaftlern und Politikern immer wieder die Spanische Grippe zitiert wurde, eine Influenza-Pandemie, die zwischen 1918, dem Ende des Ersten Weltkriegs, und 1920 weltweit in insgesamt drei Wellen aufgetreten war. Zwischen 20 und 50 Millionen Menschen der damaligen Weltbevölkerung von etwa 1,8 Milliarden Menschen fielen ihr zum Opfer. Insgesamt sollen etwa 500 Millionen Menschen infiziert worden sein. Die Schrecken dieser Pandemie waren mir vom Hörensagen bekannt, unter anderem hatte mir mein Vater von ihr erzählt, der sie selbst miterlebt hatte. Erst heute fällt mir auf, dass er wesentlich häufiger als von der Pandemie vom Krieg gesprochen hat, in den er als noch sehr junger Mann hineingezogen worden war.

Zwei andere Pandemien riefen mir meine Recherchen sofort wieder in Erinnerung. Auf sie bezieht sich heute jedoch kaum jemand, obwohl sie jüngeren Datums sind und viele ältere Menschen sie, so wie ich, noch erlebt haben müssen, vor allem die zweite von ihnen. Ich möchte diese Pandemien die »vergessenen Pandemien« nennen. Die Zeit der ersten dieser Pandemien, die Jahre 1957/58, sind mir noch gut in Erinnerung, weil ich damals im letzten Jahr des Gymnasiums war und mich auf das Abitur vorbereitete. Ich rauchte in dieser Zeit meine erste Zigarette, küsste – ohne Mundschutz – meine erste Freundin und ging viel ins Kino. All das weiß ich noch, aber an ein Geschehen, welches das öffentliche Leben lahmgelegt hätte, erinnere ich mich nicht. Ja, man sprach von einer Grippewelle, doch die gab es jedes Jahr. Auch in meiner Klasse gab es Grippefälle, vielleicht in diesem Jahr einige mehr, und diejenigen, die Fieber hatten, wurden nach Hause geschickt. Ausgehend von diesen persönlichen Erinnerungen ging ich dieser Influenza-Grippe, die man die Asiatische Grippe nannte, weiter nach. Neben der Spanischen Grippe war sie die zweitschlimmste Influenza-Pandemie des Zwanzigsten Jahrhunderts. Sie brach 1957 aus, hatte ihren Ursprung vermutlich in der Volksrepublik China und wurde von einem Virus-Subtyp ausgelöst, der aus einer Kombination eines menschlichen mit einem Geflügelpest-Virus entstanden war. Weltweit fielen ihr Schätzungen zufolge eine bis zwei Millionen Menschen zum Opfer. In Deutschland starben an ihr rund 30.000 der 71,8 Millionen Einwohner, die BRD und DDR damals insgesamt hatten. Bei weiteren Recherchen stieß ich unter anderem auf den Bericht des Arztes und Pandemie-Forschers Wilfried Witte, der aufgrund seiner Recherchen zu dem Ergebnis kommt, dass bei den Veröffentlichungen zur Asiatischen Grippe 1957/58 in Deutschland die Grippeschutzimpfung im Mittelpunkt stand und als Gradmesser für die Wahrnehmung der Pandemie angesehen wurde. Witte konstatiert, »dass in der DDR um diese Grippe kein großes Aufsehen gemacht und Impfung vor dem Hintergrund der sozialhygienischen Orientierung prinzipiell gutgeheißen wurde, während in der Bundesrepublik und West-Berlin die Impfung in der Bevölkerung weitestgehend abgelehnt wurde. Als Skandal wurde es gewertet, dass viele Beschäftigte infolge der Grippe krankgeschrieben waren und dies den Wirtschaftsprozess behinderte.«

Zu meinen Erinnerungen an diese Zeit gehört, dass ich als aktiver Leichtathlet in einem Sportverein an zahlreichen Meisterschaften in Bayern teilnahm und viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs war, dass die Herbstferien normal verliefen, dass es große Silvesterfeiern gab und dass mein Vater fünfundsechzig wurde und sich die Gratulanten den ganzen Tag die Türklinke in die Hand gaben, ohne dass Desinfektionsmittel verwendet wurden. Im Januar und Februar gab es ausgelassene Faschingsveranstaltungen, und in den Faschingsferien ging man zum Skifahren.

Nach Pfingsten wurden die Abiturprüfungen abgehalten. Die schriftlichen Arbeiten fanden in der Aula an weit auseinandergerückten Tischen statt, dies aber nicht aus pandemiebedingten Gründen. Vom 8. bis zum 29. Juni 1958 fand in Schweden die Fußball-Weltmeisterschaft statt. Da Fernsehgeräte damals noch ein Luxus waren, verfolgten wir die Spiele in Menschentrauben vor dem Fernsehgerät im Schaufenster eines Elektrogeschäfts oder in der vollgepackten Wirtsstube eines Gasthauses. In den Sommerferien wurde Urlaub gemacht; wer es sich leisten konnte, verreiste. Und nach den großen Ferien fand das alljährliche Oktoberfest statt. Also alles wie gehabt. Im Herbst trat ich in München den für einen Medizinstudenten obligatorischen Krankenpflegedienst an, im Haunerschen Kinderspital. Auch als ich ihn in den Weihnachtsferien dort fortsetzte, hatte ich nicht nur mit Kindern, Säuglingen und Frühgeborenen, sondern auch mit Patienten der umliegenden...

Erscheint lt. Verlag 9.3.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Veterinärmedizin
ISBN-10 3-7534-8713-9 / 3753487139
ISBN-13 978-3-7534-8713-7 / 9783753487137
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