Allgemeine Pathologie für die Tiermedizin (eBook)

Fachbuch-Bestseller
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2020 | 3. Auflage
312 Seiten
Georg Thieme Verlag KG
978-3-13-242857-7 (ISBN)

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Allgemeine Pathologie für die Tiermedizin -
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1 Einführung


Wolfgang Baumgärtner, Achim D. Gruber

1.1 Bedeutung der Allgemeinen Pathologie


Die Pathologie, also die Lehre von den Krankheiten und Leiden, befasst sich mit der Erforschung, Anwendung und Vermittlung von Kenntnissen über die Entstehung, den Verlauf, die Merkmale und die Benennung von Krankheiten. Die diagnostische Pathologie spielt eine zentrale Rolle bei der Interpretation von Veränderungen im Rahmen von Leicheneröffnungen (syn. Obduktionen, Sektionen) sowie von Untersuchungen von krankhaft veränderten Gewebeproben lebender Tiere (Biopsien). Letztere sind essenziell für eine frühzeitige intravitale Diagnostik mit dem Ziel, rechtzeitig eine optimale Therapie einzuleiten oder auch maligne (bösartige) Prozesse frühzeitig zu erkennen. In Anbetracht der vielfältigen Therapiemöglichkeiten sind eine rechtzeitige definitive Diagnose und Prognose allerdings nur mittels einer mikroskopischen Gewebeuntersuchung möglich. Eine weitere zentrale Rolle in der Diagnostik am lebenden Tier kommt der klinischen Pathologie zu, die sich u.a. mit der zytologischen Beurteilung von Abstrichen, Aspiraten und Feinnadelbiopsien beschäftigt.

Die pathologische Untersuchung von Biopsien und insbesondere von Leichen stellt den Goldstandard der Diagnostik dar. Sie hat sich auch als wichtiges und kostengünstiges Instrument der Qualitätssicherung in der Medizin und Tiermedizin sehr bewährt. Dies gilt auch heute noch, trotz oder sogar wegen zahlreicher weiterer diagnostischer Methoden, die bereits am lebenden Patienten eingesetzt werden können. Großflächige Vergleichsstudien ergaben, dass bei 30–50% der autopsierten Menschen relevante Differenzen zwischen klinisch und postmortal festgestellten Krankheitskategorien zuungunsten der klinischen Diagnose vorlagen. Die Pathologie spielt weiterhin eine zentrale Rolle bei der Klärung forensischer, d.h. gerichtsmedizinischer Fragestellungen, Prüfung und Zulassung von Arzneimitteln in Bezug auf Wirksamkeit und Nebenwirkungen sowie der Pathogeneseforschung.

Das Fach Pathologie setzt sich in der Lehre aus 2 fundamentalen Bausteinen zusammen, die einander ergänzen und bedingen: der allgemeinen Pathologie und der speziellen Pathologie. Die mikroskopische oder histologische Pathologie nimmt als zentrale Methode für beide Bausteine eine gleichsam bedeutende Rolle ein. Der allgemeinen Pathologie kommt eine Schlüsselfunktion unter didaktischen und wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu. Die Komplexität und der stetige Wissenszuwachs erfordern eine konsequente Strukturierung aller Krankheitsmechanismen, wie sie in der allgemeinen Pathologie niedergelegt sind. Diese Mechanismen sollen auch helfen, neue und zukünftig bekanntwerdende Krankheiten deskriptiv zu erfassen, zu benennen, zu erklären und ursächlich sowie mechanistisch zu verstehen. Dieses Universalitätsprinzip ist der wesentliche Unterschied zur speziellen Pathologie, in der alle empirisch erfassten Veränderungen beschrieben, benannt und erklärt werden. Die im Rahmen der allgemeinen Pathologie vermittelte Terminologie stellt die wesentliche Basis für die Diagnostik in der Histopathologie, speziellen Pathologie und die Grundlage für die epikritische Beurteilung von spezifischen Krankheitsbildern dar.

Die Kernelemente der modernen Pathologie sind:

  • Ätiologie (Krankheitsursache, kausale Genese)

  • Pathogenese (Krankheitsmechanismen, formale Genese)

  • Morphologie (sichtbare Veränderungen, inkl. Mikroskopie)

  • funktionelle Einflüsse und klinische Bedeutung

Fazit

Die allgemeine Pathologie zeigt allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten von Krankheitsursachen, Mechanismen, morphologischen Veränderungen und ihre Benennungen auf, während bei der speziellen Pathologie organ- und krankheitsspezifische Prozesse im Vordergrund stehen.

1.2 Historische Anmerkungen


So selbstverständlich wie heute Medizin, Krankheitsentstehung und Therapie gesehen werden, war es bis etwa vor 200 Jahren noch nicht der Fall. In Altägypten und Vorderasien, den Wiegen der modernen Medizin, wurde die Heilkunde über Jahrhunderte von der Religion beeinflusst, z.T. sogar behindert. Krankheiten wurden als Folge von Sünde und als eine Strafe Gottes angesehen. Konsequenterweise richtete sich die „Therapie“ häufig danach, wie die beleidigte Gottheit mittels Opfergaben besänftigt werden konnte. Mittler waren in der Mehrzahl der Fälle nicht Ärzte, sondern Priester bzw. Schamanen.

In zahlreichen Kulturen, zurückreichend bis in die Steinzeit, finden sich in Begrabungsstätten Schädel mit Löchern, sog. Trepanationen. Inwieweit es sich hierbei um Folgen von magischen oder rituellen Handlungen, z.B. bei nicht traumatischen Kopfschmerzen oder Psychosen handelt oder um tatsächliche, nach unserem heutigen Wissensstand primitive chirurgische Eingriffe, wird kontrovers diskutiert. Neuere Beobachtungen bei noch existierenden Naturvölkern deuten darauf hin, dass es sich bei diesen Trepanationen tatsächlich um die Folgen von chirurgischen Eingriffen nach Taumata handelt.

Für unseren heutigen Kulturkreis bildet besonders die von der Naturphilosophie geprägte griechische Medizin der Antike die Grundlage. Die Vorstellung vom magischen Wesen der Krankheit und dass nur Götter diese heilen könnten, wich etwa ab dem 5. Jh. vor Chr. in Griechenland der Erkenntnis, dass Krankheiten eine natürliche Ursache haben. Die von Hippokrates (um 460–370 v. Chr.) und seinen Schülern auf Kos entwickelten Gedankengänge zur Humoralpathologie dominierten über Jahrhunderte die Medizinvorstellungen.

Griechische Philosophen beobachteten die Natur und Tiere, Letztere allerdings nicht um ihrer selbst willen, sondern weil sie für die vergleichende Betrachtung des menschlichen Lebens wichtig waren. Dabei standen die Ursachenforschung und die Beschreibung des Krankheitsbilds im Vordergrund. Letzteres ermöglichte Rückschlüsse auf die Ätiologie und stellte die Basis für eine zielgerichtete Therapie dar. Die Humoralpathologie ging davon aus, dass der Mensch als Mikrokosmos in den Makrokosmos eingeordnet ist und eine Wiederholung bzw. Spiegelung der Elemente vorliegt. Die 4 Kardinalsäfte Blut, gelbe Galle, schwarze Galle und Schleim bildeten die Grundlage der Humoraltheorie. Nach der griechischen Naturlehre stellten sie den Mikrokosmos dar, also das Gegenbild zum Makrokosmos, bestehend aus Luft, Feuer, Wasser und Erde. Gesundheit war hierbei für das Individuum durch den Gleichklang der Säfte (= Eukrasie) gekennzeichnet. Störungen führten zu einem Missverhältnis der Säfte und zur Krankheit, der Dyskrasie. Die Krasenlehre war bis in das ausgehende 20. Jh. auch Bestandteil der tiermedizinischen Therapie. Hierzu gehörten z.B. Aderlass, Schwitzen und die Applikation von lokal reizenden Substanzen. Diese Eingriffe erfolgten mit dem erklärten Ziel, das Gleichgewicht der Kräfte wiederherzustellen.

Der Humoralpathologie stand die von Demokrit (460–360 v. Chr.) geprägte Solidarpathologie gegenüber. Hierbei dominierte die Vorstellung, dass eine zu weite oder dichte Lagerung der Teilchen des Körpers für die Entstehung von Krankheiten bedeutungsvoll sei. Diese Vorstellungen wurden allerdings von der Mehrzahl der Gelehrten nicht weiterverfolgt. Dagegen wurde die hippokratische Medizin, die Humoraltheorie, von dem in Rom lebenden griechischen Arzt und Anatom Galenos von Pergamon (129–200/217 n. Chr.) übernommen und zielgerichtet weitergeführt. Er untersuchte Tiere und übertrug dem Zeitgeist entsprechend diese Erkenntnisse auf den Menschen. Trotz zahlreicher, richtiger und erstmaliger Beobachtungen wurden auch Befunde fehlinterpretiert oder extrapoliert. Diese Gefahr besteht immer, wenn Ergebnisse von einer Spezies auf die andere übertragen werden. Eine Erkenntnis, die auch in der modernen Medizin und Wissenschaft ein leider immer wieder zu beobachtendes Phänomen darstellt. Galens Auffassung und die Fortführung der hippokratischen Humoralpathologie wurden in der Folgezeit zum Dogma, dessen Gültigkeit weit über 1000 Jahre anhielt, z.T. bis ins 19. Jh. hinein. Auch Aulus Cornelius Celsus (25 v. Chr.–50 n. Chr.) war für die Etablierung der griechischen Medizin im römischen Reich von Bedeutung.

Eine weitere wichtige veterinärhistorische Quelle stellt die Tierheilkunde (Historia animalium) des Aristoteles (384–322 v. Chr.)...

Erscheint lt. Verlag 8.4.2020
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Veterinärmedizin Klinische Fächer Pathologie
Schlagworte Krankheitslehre /Tiermedizin • Pathogenese • Prüfungsvorbereitung • Symptomatik • Tiermedizin • Tierpathologie • Veterinärmedizin • Veterinär-Pathologie
ISBN-10 3-13-242857-4 / 3132428574
ISBN-13 978-3-13-242857-7 / 9783132428577
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