Fünf unlösbare Rätsel der Mathematik (eBook)
272 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01963-8 (ISBN)
Edmund Weitz ist Professor für Mathematik und Informatik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Autor und ein großer Popularisierer seines Fachs. Auf YouTube, in seinen beliebten Weihnachtsvorlesungen und in seinen Büchern bringt er Tausenden Zuschauer:innen die Schönheit und Kreativität der Mathematik nahe.
Edmund Weitz ist Professor für Mathematik und Informatik an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Autor und ein großer Popularisierer seines Fachs. Auf YouTube, in seinen beliebten Weihnachtsvorlesungen und in seinen Büchern bringt er Tausenden Zuschauer:innen die Schönheit und Kreativität der Mathematik nahe.
Vorwort
Am 15. April 2003 war es wieder einmal so weit: In der New York Times erschien ein ausführlicher Artikel über ein Ereignis aus der Welt der Mathematik. Und in den kommenden Wochen und Monaten griffen auch andere Massenmedien wie die BBC oder Der Spiegel die Geschichte auf. Sie verbreitete sich zwar nicht so schnell wie Gerüchte über Fußballer und Prominente, aber immerhin fanden Journalisten aus aller Welt sie berichtenswert.
Dass die Mathematik überhaupt in den Nachrichten erwähnt wird, passiert nur alle Jubeljahre. Fast immer geht es dabei um die Lösung eines Problems, mit dem die Mathematiker lange vergeblich gerungen haben. Je länger es gedauert hat, desto spektakulärer ist es für die Öffentlichkeit. Im Jahr 2003 handelte es sich um den Beweis der sogenannten Poincaré-Vermutung durch den Russen Grigori Perelman. Die Vermutung war zu diesem Zeitpunkt fast hundert Jahre alt. Noch höhere Wellen hatte knapp zehn Jahre vorher der Brite Andrew Wiles mit dem Beweis des Großen Fermatschen Satzes geschlagen. Damit beantwortete er eine über 350 Jahre alte offene Frage. Und beide werden übertroffen durch eine Publikation des deutschen Mathematikers Carl Friedrich Gauß vom Ende des 18. Jahrhunderts. Hätte es damals bereits das Internet gegeben, dann wären innerhalb kurzer Zeit Schlagzeilen wie «Teenager löst 2000 Jahre altes Problem!» um die Welt gegangen.
Es gibt in der Mathematik also offene Fragen. Und es kann sehr lange dauern, bis sie beantwortet werden. Das ist eine ziemliche Überraschung für Menschen, die Mathematik für ein Fach halten, in dem seit Urzeiten unverrückbar feststeht, was richtig und was falsch ist.
Mindestens ebenso faszinierend ist allerdings, dass es sogar mathematische Probleme gibt, von denen man inzwischen weiß, dass niemand sie jemals lösen wird! Um genau die soll es in diesem Buch gehen. Damit sind nicht etwa Scherzfragen gemeint, die absichtlich aufs Glatteis führen sollen. Auch nicht solche, die so vage formuliert sind, dass eine definitive Antwort gar nicht möglich ist. Es handelt sich vielmehr um präzise gestellte, ernsthafte Fragen, welche die Mathematik lange beschäftigt haben. Sie zählten sogar zu den bekanntesten und wichtigsten ihrer Zeit. Aber irgendwann stellte sich heraus, dass sie nicht beantwortet werden können. Und dass man das beweisen kann!
Die Mathematik kann sich nämlich – anders als andere Wissenschaften – gleichsam selbst über die Schulter schauen und mit ihren eigenen Mitteln ihre Grenzen aufzeigen. Wir werden in diesem Buch fünf beeindruckende Beispiele dafür kennenlernen. Es wird um Fragen gehen, die älter als unsere Zeitrechnung sind, aber auch um solche, die bis ins Zeitalter der bemannten Raumfahrt unbeantwortet blieben. Die Beschäftigung mit diesen Problemen konnte jeweils erst durch einen radikalen Wechsel des Blickwinkels zum Abschluss gebracht werden.
Beim ersten Beispiel handelt es sich eigentlich um mehrere verwandte Probleme, die alle aus der Antike stammen. Es geht um geometrische Konstruktionen, bei denen lediglich ein Zirkel und ein unmarkiertes Lineal als Hilfsmittel zugelassen sind. Zahllose Menschen haben sich über einen Zeitraum von etwa 2500 Jahren daran versucht – auch deshalb, weil die Fragestellung ohne jegliche Vorkenntnisse zu verstehen ist. Erst im 19. Jahrhundert konnte bewiesen werden, was schon länger vermutet wurde: Diese Konstruktionen sind prinzipiell unmöglich.
Beim zweiten Beispiel geht es um das Lösen von Gleichungen. Manchmal ist das so einfach, dass die Gelehrten schon vor 4000 Jahren wussten, wie es geht, und heutzutage jede Schülerin und jeder Schüler es in der Mittelstufe lernen muss. Manchmal ist es jedoch unmöglich – obwohl die betreffenden Gleichungen nur unwesentlich komplizierter aussehen als jene aus der Schule. Geahnt hatten einige Mathematiker das schon länger. Aber bis man sich endgültig sicher sein konnte, dass es wirklich nicht geht, mussten erst völlig neue Methoden entwickelt werden, die inzwischen zum Standardrepertoire der modernen Mathematik gehören.
Auch das dritte Beispiel ist mehr als zwei Jahrtausende alt und ebenfalls geometrischer Natur. Allerdings steht in diesem Fall die grundsätzliche Frage im Hintergrund, was Geometrie eigentlich ist und inwieweit sie die Wirklichkeit widerspiegelt, in der wir leben. Die Antwort, die sich schließlich herausschälte, erschütterte das gesamte Fundament der Mathematik und stellte auch scheinbare Gewissheiten der Philosophie infrage.
Die drei bisher genannten Beispiele erwuchsen aus spezifischen Fragestellungen. Das vierte ist dagegen von geradezu existentieller Natur: Es betrifft das Selbstverständnis der gesamten Disziplin. Anfang des 20. Jahrhunderts starteten einige Mathematiker ein ambitioniertes Projekt, mit dem sie die uneingeschränkte Gültigkeit ihrer Wissenschaft gegenüber Zweiflern aus den eigenen Reihen verteidigen wollten. Die Mathematik sollte aus sich selbst heraus mit unwiderlegbaren Argumenten begründen, dass ihre Theoreme «die Wahrheit, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit» liefern – wie es in Justizdramen aus Hollywood so schön heißt. Auch in diesem Fall stellte sich im Endeffekt heraus, dass man sich an eine Aufgabe herangewagt hatte, die – beweisbar! – unlösbar ist.
Das fünfte und letzte Beispiel wirkt im Vergleich zu den vorhergehenden auf den ersten Blick unscheinbar. Es handelt von einem eher technischen Problem, das für Laien nicht ohne Weiteres verständlich ist. Dabei geht es um das Unendliche, das wir uns vielleicht vorstellen können, das aber in der Wirklichkeit keine greifbare Entsprechung hat. Dass die Mathematik auch von dieser Frage zeigen konnte, dass man sie nicht beantworten kann, demonstrierte für die Experten jedoch eindrucksvoll, dass sie über einige der Objekte, mit denen sie es täglich zu tun haben, Grundlegendes nicht wissen. Wie bei einem Eisberg bleiben große Teile unter der Wasseroberfläche verborgen und man hat sogar die Gewissheit, dass man diese Teile niemals zu Gesicht bekommen wird.
Wir werden überraschende Querbezüge zwischen diesen fünf Themenkomplexen entdecken und verstehen, dass es erst eines grundsätzlichen wissenschaftsphilosophischen Wandels bedurfte, damit die Relevanz der Unmöglichkeitsbeweise erkannt wurde, um die es in diesem Buch geht. Obwohl die Unlösbarkeit eines Problems zunächst ein negatives Ergebnis zu sein scheint, ergaben sich doch in allen Fällen neue Perspektiven, aus denen wiederum viele weitere Fragen erwuchsen. Durch die Entdeckung des Unmöglichen ist die Mathematik nicht ärmer, sondern reicher geworden.
In der Mathematik geht es nicht um Rechnen, Gleichungen und Formeln, sondern um Ideen. Regelmäßig tauchen revolutionäre neue Ideen scheinbar aus dem Nichts auf und erschließen völlig neue Gebiete oder machen alte obsolet. Einerseits ist es gerade das, was die Mathematik und ihre Geschichte spannend macht. Andererseits kann man diese Essenz oft nur schwer erkennen, wenn man mit der Materie nicht vertraut ist und sich in technischen Details verfängt.
Darum will ich versuchen, diese Ideen so darzustellen, dass man sie ohne spezielle Vorkenntnisse nachvollziehen kann. Mathematische Konzepte lassen sich häufig erklären, ohne auf Fachbegriffe zuzugreifen, die nur für Experten verständlich sind. Das ist der Plan, nach dem ich vorgehen möchte.
Allerdings wird die Lektüre damit nicht zum Kinderspiel. Wichtiger als das, was Sie an Wissen mitbringen, ist das, was Sie an intellektueller Neugier investieren. Das Wort Mathematik kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet sinngemäß «Kunst des Lernens». Um von der Mathematik etwas zu haben, sollte man bereit sein, neue Dinge zu lernen: ungewohnte Sichtweisen, komplexe Argumentationen, befremdlich wirkende Abstraktionen. Das erfordert Geduld und kann zuweilen regelrecht anstrengend sein. Die Belohnung am Ende ist es aber wert: Sie ist das, was der französische Mathematiker und Philosoph Henri Poincaré die «Freude des Verstehens» genannt hat. Ich hoffe, dass dieses Buch eine solche Freude vermitteln kann.
Für Leserinnen und Leser, die tiefer in die Materie eindringen wollen, sind Kästen wie dieser gedacht. Darin werden bestimmte Aspekte etwas ausführlicher behandelt, wenn auch nicht auf Lehrbuchniveau. Man kann solche Einschübe aber auch jederzeit überspringen, ohne den roten Faden zu verlieren.
Die Ideen, die die Mathematik voranbringen, sind immer auch mit denen verknüpft, die diese Ideen hatten – denn Mathematik wird schließlich von Menschen gemacht. Darum wird das Buch auch von diesen Menschen und ihrem Leben erzählen. Allerdings läuft man dabei Gefahr, einige «Helden» herauszugreifen und die Beiträge anderer unerwähnt zu lassen. Mathematik entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern durch die Interaktion und gegenseitige Befruchtung vieler Beteiligter, die leider nicht immer alle gebührend gewürdigt werden können. Außerdem legt man den Mathematikern vergangener Jahrhunderte durch die Übersetzung ihrer Äußerungen in eine moderne Darstellung vielleicht Worte in den Mund, die sie in dieser Form nie geäußert hätten.
Beides ließe sich nur durch ausführliche Studien anhand von Originalquellen vermeiden. Das geht aber über den Anspruch dieses Buchs weit hinaus. Im Zweifelsfall sind die Geschichten über die beteiligten Personen eben nur Geschichten und dienen der...
Erscheint lt. Verlag | 28.1.2025 |
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Zusatzinfo | Zahlr. s/w-Grafiken und Abbildungen |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Technik | |
Schlagworte | Erwachsenenbildung • Euklid • Gehirnjogging • Geschichte der Mathematik • Herausforderndes Denken • Ian Stewart • Jim Holt • Knobelei • Krisen der Mathematik • Kurt Gödel • Mathe • Mathe für Erwachsene • Mathe für Fortgeschrittene • Mathematikbuch • Mathematische Rätsel • Pythagoras • Quadratur des Kreises • Rätsel der Mathematik • Schweres einfach erklärt • Unlösbare Aufgaben • Wissenschaft • wissenschaftsbücher |
ISBN-10 | 3-644-01963-0 / 3644019630 |
ISBN-13 | 978-3-644-01963-8 / 9783644019638 |
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