Zeit und Zufall -  Andreas Thalmaier

Zeit und Zufall (eBook)

Ein physikalischer Streifzug
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
312 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-5513-1 (ISBN)
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Warum gibt es Vorgänge, die sich scheinbar zeitlos wiederholen wie die Bewegung der Erde um die Sonne. Sonne und Erde - ein System, das nicht zu altern scheint. Was unterscheidet dieses System von anderen, die eine klare Zeitrichtung haben? Wenn wir morgens in den Spiegel schauen, merken wir sofort: Alternde Systeme sind ziemlich real! Zudem: Noch nie hat jemand eine goldbraune Flüssigkeit beobachtet, die auf einmal in Wallung gerät, sich von selbst entmischt, und nach ein paar Sekunden Milch und schwarzer Kaffee fein säuberlich getrennt nebeneinander zur Ruhe kommen. Ist bei Systemen mit erkennbarer Zeitrichtung die unerwartete Verwandtschaft von Zeit und Zufall die entscheidende Zutat? Überhaupt - was ist Zufall? Ist es der Mangel an Kenntnis oder aber die grundsätzliche Abwesenheit einer Ursache? Diese und andere, letztendlich physikalische Fragen, die auch vor Relativitätstheorie und Quantenphysik nicht Halt machen, stellt der Autor sich und seinen Lesern. Und auf allgemeinverständliche Art beantwortet er ein paar davon...

Andreas Thalmaier hat in den Jahren 1988 bis 1994 Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München studiert und seine Diplomarbeit in theoretischer Physik verfasst. Von 2005 bis 2011 war er Fachreferent für Physik am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) in München. An mehreren ISB-Publikationen rund um die Themen Technik, Astrophysik, Biophysik sowie Atom- und Quantenphysik war er als Berater und/oder Co-Autor beteiligt. Er lebt und arbeitet heute in München und Tutzing, wo er das dortige Gymnasium leitet. Andreas Thalmaier ist verheiratet, hat drei erwachsene Söhne und eine kleine Enkelin. Die Physik und die Fragen nach dem Wesen von Zeit und Zufall findet er heute noch so spannend wie am ersten Studientag.

Es kommt auf die Sekunde an

Die Gleichmäßigkeit der Erdrotation erlaubt es uns, nicht nur Vielfache von Tagen in Wochen, Monaten und Jahren zusammenzufassen, auch Bruchteile von Vollumdrehungen definieren Zeitintervalle. Wenn die Erde genau eine halbe Drehung vollzieht, dann geschieht dies eben auch genau in der Hälfte der Periodendauer. Und wenn sie 1/24 einer Volldrehung vollzogen hat, dann nennen wir die dafür benötigte Zeit eine Stunde.

Im Gegensatz zu Tag, Monat und Jahr ist die Stunde - genau wie Minute und Sekunde - eine von Menschen geschaffene Einheit. Es ist kein Zufall und sehr praktisch, dass man den Tag in 24 gleiche Teile zerlegt hat, denn diese Zahl hat jede Menge Teiler. Dadurch kann man viele Bruchteile eines Tages als Vielfache einer Stunde darstellen. Die Einteilung in 12 etwa gleich lange Tagesabschnitte gab es bereits im alten Ägypten und hat sich bis ins 14. Jahrhundert gehalten6. Dass diese Abschnitte je nach Jahreszeit mal länger und mal kürzer waren, störte die Menschen wenig. Erst als mit dem ausgehenden Mittelalter die ersten funktionierenden, mechanischen Uhren aufkamen, erwachte der Wunsch nach einem genauen, dauerhaft einheitlichen Zeitmaß für Tag und Nacht.

Mit den gehobenen Ansprüchen wurde es notwendig, auch die Stunde zu unterteilen. Eine Einteilung in 60 Abschnitte erweist sich für derartige Zwecke als besonders geeignet, denn die Zahl 60 hat gleich 12 Teiler. Eine noch feinere Einteilung ist in der Praxis nicht nötig, denn bei fast jedem alltäglichen Anlass ist die Angabe von zwei Zahlen - Stunden und Minuten - für eine Uhrzeit völlig ausreichend. Auf Sekunden greift man eigentlich nur dann zurück, wenn man die Länge von Zeitintervallen bestimmen muss oder der Zugfahrplan eingehalten werden soll, was sich in der Praxis als anspruchsvolles Unterfangen erweist.

Ein Tag sollte also aus exakt 24 Stunden bestehen, jede Stunde aus exakt 60 Minuten, jede Minute aus exakt 60 Sekunden. Demnach sollten 24∙60∙60 = 86400 Sekunden genau einen Tag füllen, eine Sekunde also exakt 1/86400 einer Tageslänge sein. Um derart kurze Zeitintervalle genau festzulegen, sind die Anforderungen an die Präzision erheblich, und man benötigt eine periodische Bewegung mit kurzer Periodendauer, die möglichst störungsfrei immer den gleichen Wert aufweisen sollte.

Auf der Suche nach einer solchen sticht einmal mehr die Bewegung des Fadenpendels ins Auge. Sie ist wirklich etwas ganz Besonderes, denn falls man am gleichen Ort bleibt, hängt die Schwingungsdauer erstaunlicherweise ausschließlich von der Länge des Pendels ab. Es ist also egal, wie schwer der Pendelkörper ist. In Mitteleuropa benötigt ein Pendel von 994 mm Länge von einer Seite zur anderen mit großer Genauigkeit eine Sekunde, für eine Vollschwingung demzufolge genau 2 Sekunden. Man nennt es deshalb auch Zweisekundenpendel. Das Pendel ist scheinbar der ideale Taktgeber für eine Uhr. Denn selbst wenn die Auslenkung aus unterschiedlichen Gründen nicht immer exakt gleich ist, hat dies praktisch keine Auswirkungen auf die Schwingungsdauer, solange die Auslenkung ein paar Grad nicht überschreitet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die besten Uhrmacher in der Lage, Pendeluhren zu bauen, deren tägliche Ungenauigkeit im sagenhaften Bereich von einigen hundertstel Sekunden lag - atemberaubende Meisterwerke!

Die Sache hat dennoch einen Haken: Während das Pendel einer solch hochpräzisen Uhr in Mitteleuropa an einem Tag tatsächlich genau 43200-mal hin- und herschwingt, geht genau diese Uhr am Äquator pro Tag ungefähr 1½ Minuten falsch. Dort ist ein exakt gebautes Zweisekundenpendel nämlich 3 mm kürzer! Der Grund für die unterschiedlichen Pendellängen liegt darin, dass ein und derselbe Pendelkörper an unterschiedlichen Orten auf der Erde unterschiedlich stark angezogen wird, der Wert der sogenannten Erdbeschleunigung ist nicht überall gleich. Am Äquator ist die Erdbeschleunigung etwa um 0,2 % geringer als in Europa, das europäische Zweisekundenpendel schwingt deshalb dort eine Winzigkeit langsamer. Im Extremfall der Schwerelosigkeit schwingt ein ausgelenktes Pendel überhaupt nicht mehr, die Schwingungsdauer wächst über alle Grenzen.

Jeder Ort auf der Erde hat also seine eigene, charakteristische Pendellänge, was die Freude deutlich eintrübt. Zwar spricht grundsätzlich nichts gegen den Bau einer hochpräzisen Uhr für jeden Ort der Erde, allerdings muss dafür der ortsabhängige Wert der Erdbeschleunigung möglichst genau bekannt sein. Diese kann man zwar exakt messen, doch dazu braucht man wiederum ein Pendel genau bekannter Länge und - wie schade - eine möglichst genaue Uhr. Das ist keine gute Nachricht, denn die Katze beißt sich in den Schwanz!

Der Hunger nach Präzision und Vergleichbarkeit war demzufolge keineswegs gestillt und glücklicherweise folgten ab den 1930er Jahren erstmals Uhren, deren Schwingungen zwar nicht mehr mit bloßem Auge mitzuverfolgen waren, die aber unabhängig vom Standort ihre enorme Genauigkeit unter Beweis stellten. Bei diesen High-Tech-Geräten gaben die äußerst gleichmäßigen Schwingungen eines Quarzkristalls den Takt vor.

Doch sofort gab es neue Probleme: Als man mithilfe der neuartigen Quarzuhren Präzisionsmessungen der Erdrotation gegenüber dem Fixsternhimmel durchführte, traten die bereits erwähnten Schwankungen erstmals offen zutage. Rotationsenergie und Drehimpuls behalten insgesamt ihre Werte zwar bei, aber weil die Erde eben keine feste, harte Kugel ist, muss man für genauere Aussagen den Einfluss des Mondes, die deswegen unterschiedlich ausgeprägten Gezeiten und die Massenverteilung im Inneren der Erde miteinbeziehen. Alle Effekte zusammen verursachen Schwankungen der Rotationsgeschwindigkeit. Diese sind zwar nicht dramatisch, aber deutlich messbar. Der Unterschied zwischen den längsten und den kürzesten Tagen innerhalb eines Jahres betragen nur wenige Millisekunden, aber trotzdem hat man ein echtes Problem: Was genau ist eine Sekunde? Von welchem Tag soll man den 86400sten Teil nehmen? Wie wäre es mit dem 19. Juli 2020? Dieser Sommertag war etwa 5 Millisekunden kürzer als der 15. März 19737, einem eher langen Tag. Doch wie kann man das behaupten, wenn nicht einmal Einigkeit darüber herrscht, was eigentlich eine Sekunde ist?

Hinzu kommt, dass die Gezeiten die Rotation der Erde langfristig messbar abbremsen, ungefähr so, wie die Luft die Bewegung eines Pendels dämpft. Aufgrund dieses Effekts wurden in den vergangenen drei Jahrtausenden die Tage pro Jahr um durchschnittlich 17 Mikrosekunden länger. Ein Monat war zu Zeiten Jesu also etwa eine Sekunde kürzer als heute. Dehnt man diese Überlegung noch weiter aus und geht um Jahrmillionen in die Zeit der Dinosaurier und noch weiter zurück, summieren sich diese Zeitspannen zu einigen Stunden pro Tag! Hatte ein Dino-Tag nur 23 Stunden oder war eine Dino-Stunde einfach kürzer als unsere? Diese Frage ist nicht ohne Weiteres zu beantworten. Unbestritten ist jedenfalls, dass das Verhältnis von Erdrotationsdauer zu Sonnenumlaufdauer anders war als heute. Vor 310 Millionen Jahren betrug es ungefähr 1:440 und nicht wie heute 1 : 365.

Abb. 1.8
Vor 310 Millionen Jahren drehte sich die Erde während einer Sonnenumrundung etwa 440-mal um sich selbst. Es ist nicht klar, ob ein Tag für einen Dinosaurier weniger als 24 Stunden hatte oder ob eine Dinostunde einfach kürzer war als heute.

Für den Hausgebrauch ist der 86400ste Teil der Rotationsdauer der Erde in guter Näherung eine Sekunde. Um langfristig ein verlässliches und stets gleiches Zeitnormal zu haben, taugt diese Definition aber nicht. Die Erdrotation ist nicht immer gleich und auch der Lauf der Erde um die Sonne ist kleinen Veränderungen unterworfen. Selbst die Gestalt des sogenannten Fixsternhimmels ist über Jahrtausende betrachtet nicht wirklich fixiert.

Es hilft nichts: Für eine allgemeine Zeitdefinition muss man sich von der Bewegung von Himmelskörpern verabschieden, was mit der Erfindung der Cäsium-133-Atomuhr in den 1950er Jahren auch endgültig geschah. Der Name Cäsium-133 (kurz Csl33) kommt daher, dass die Kerne dieser Atome 55 Protonen und 78 Neutronen, also insgesamt 133 Kernbausteine enthalten.

Abb. 1.9
Atome bestehen aus dem positiv geladenen Atomkern und der negativ geladenen
Elektronenwolke, insgesamt ist es neutral. Atome haben etwa einen Durchmesser von 0,000 0001 mm, ihr Kern ist noch hunderttausend Mal kleiner und hier im Vergleich zum Atomdurchmesser viel zu groß dargestellt. Die Zahl 133 bezeichnet die Anzahl der Kernbausteine. Wie alle Atome haben auch Cäsium-133-Atome sehr genau definierte Energieniveaus, mit deren Hilfe man die Schwingungen einer Mikrowellenstrahlung mit höchster Präzision synchronisieren kann.

Im Detail ist eine Atomuhr furchtbar kompliziert, das Prinzip kann man aber auch als Laie verstehen. Zunächst muss man akzeptieren, dass Atome nur in ganz bestimmten Energiezuständen vorliegen können und um die Vorgänge in einer Atomuhr zu veranschaulichen, tut man so, als könne ein Cs-133-Atom nur zwei...

Erscheint lt. Verlag 13.6.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Technik
ISBN-10 3-7597-5513-5 / 3759755135
ISBN-13 978-3-7597-5513-1 / 9783759755131
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