Wie man vorhersieht, womit keiner rechnet (eBook)
432 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60698-1 (ISBN)
Kit Yates promovierte 2011 in Mathematik an der University of Oxford. Er unterrichtet am Department of Mathematical Sciences der University of Bath und ist Ko-Direktor des Centre for Mathematical Biology. Seine Artikel erschienen bereits im Guardian, in der Times und in der Daily Mail. Regelmäßig veröffentlicht Yates auf dem Wissenschaftsportal The Conversation - die populären Beiträge wurden mehr als eine Million Mal geklickt.
Kit Yates promovierte 2011 in Mathematik an der University of Oxford. Er unterrichtet am Department of Mathematical Sciences der University of Bath und ist Ko-Direktor des Centre for Mathematical Biology. Seine Artikel erschienen bereits im Guardian, in der Times und in der Daily Mail. Regelmäßig veröffentlicht Yates auf dem Wissenschaftsportal The Conversation - die populären Beiträge wurden mehr als eine Million Mal geklickt.
Einleitung: Das Unerwartete erwarten
Seit den Anfängen der menschlichen Zivilisation versuchen wir, Vorhersagen über die Welt und das, was sie für uns bereithält, zu treffen. Genauso lange liegen wir damit auch schon falsch. Apokalyptische Prophezeiungen sind dramatische und – trotz ihres bislang immer eindeutigen Scheiterns – erstaunlich häufige Beispiele für solche Vorhersagen.
Die Azteken glaubten, dass die Götter Quetzalcoatl und Tezcatlipoca bereits vier Welten zerstört hatten und dass eine fünfte (unsere) durch ein katastrophales Erdbeben in Stücke gerissen würde, wenn man den Göttern keine Menschenopfer brächte. Natürlich lebte die Welt auch nach dem Niedergang des Aztekenreichs und dem allmählichen Ende der Menschenopfer weiter. Im Buch Daniel, das um 165 v. Chr. geschrieben wurde, wird den griechischen Unterdrückern der Juden eine katastrophale Strafe vorausgesagt, genau 1290 Tage nachdem die Griechen einen jüdischen Tempel entweiht hatten. Als dies nicht eintrat, wurde die Vorhersage auf 1335 Tage gestreckt – doch eineinhalb Monate später war immer noch nichts geschehen. Der französische Bischof Hilarius von Poitiers (dessen Vorname ironischerweise »fröhlich« bedeutet) prophezeite pessimistisch das Ende aller Tage für das Jahr 365 n. Chr., aber als dies peinlicherweise nicht eintrat, verschob sein Schüler Martin (der spätere Heilige Martin von Tours) das Datum ins Jahr 400 n. Chr. – ein weiterer Fehlschlag. Martins Nachfolger und Biograf Gregor von Tours hatte zumindest genug gesunden Menschenverstand, den Jüngsten Tag weit in der Zukunft zu verorten, irgendwann zwischen 799 und 806 n. Chr., wodurch er zumindest erst lange nach seinem Tod danebenlag.
In jüngerer Zeit haben evangelikale Prediger wie der US-Amerikaner Harold Camping mit der Vorhersage des Jüngsten Gerichts ein gutes Geschäft gemacht. Camping legte den Beginn der »Endzeit« zunächst auf den 6. September 1994. Als selbige sich nicht einstellte, verschob er den Zeitpunkt auf den 29. September und dann noch einmal auf den 2. Oktober. Überraschenderweise erhielt Camping nach diesen Demütigungen in den 1990er-Jahren Spenden in Millionenhöhe von Menschen, die seine revidierte Vorhersage für den 21. Oktober 2011 glaubten. Camping und eine Reihe anderer Panikmacher erhielten 2011 den Ig-Nobelpreis für Mathematik (ein satirischer Preis, der für Forschungen verliehen wird, die »nicht reproduziert werden können oder sollten«), und zwar dafür, dass sie »die Welt lehrten, bei mathematischen Annahmen und Berechnungen vorsichtig zu sein«.
Da sie ihre Vorhersagen auf wenig oder gar keine wissenschaftlichen Beweise stützten, ist es nicht wirklich überraschend, dass diese religiösen Orakel am Ende in die Gruben fielen, die sie sich selbst gegraben hatten. Im Laufe der Jahre gab es jedoch auch einige lächerliche Vorhersagen von Leuten, die es eigentlich besser hätten wissen müssen. Im Jahr 1830, zu Anfang des Eisenbahnzeitalters, sagte der Wissenschaftspopulist und Mitglied der Royal Society, Dionysius Lardner, voraus, dass »Eisenbahnreisen mit hoher Geschwindigkeit nicht möglich sind, weil die Passagiere keine Luft bekämen und ersticken würden«. Diese unwahrscheinliche Warnung war selbst zu jener Zeit zum Lachen. Andere Vorhersagen erschienen jedoch erst im Nachhinein komisch.
Als 1903 Henry Fords Anwalt erwog, in die aufstrebende Ford Motor Company zu investieren, mahnte ihn der Präsident der Michigan Savings Bank mit den Worten: »Das Pferd wird bleiben, das Automobil hingegen ist nur so eine Neuheit – eine Modeerscheinung.« Im Jahr 2007 behauptete der Vorstandsvorsitzende von Microsoft, Steve Ballmer: »Das iPhone hat keine Chance, einen nennenswerten Marktanteil zu erreichen. Keine Chance.« Wieder andere Vorhersagen sind in ihrer Naivität oder ihrer vorsätzlichen Blindheit gegenüber dem Unvermeidlichen geradezu tragisch. Im September 1938 kehrte Neville Chamberlain von einem Treffen mit Adolf Hitler mit den Worten zurück: »Zum zweiten Mal in unserer Geschichte ist ein britischer Premierminister mit einem ehrenvollen Frieden aus Deutschland heimgekehrt.« Weniger als ein Jahr später begann der Zweite Weltkrieg.
Die Zukunft vorherzusagen birgt Gefahren. Niemand möchte der Untergangsprophet sein, dessen apokalyptische Weissagungen nie eintreffen und der sich damit zum Gespött macht. Im Jahr 1970 brachte sich der amerikanische Wissenschaftler James P. Lodge Jr. vom National Center for Atmospheric Research in Boulder, Colorado, in diese Lage, als er verkündete, dass »die Luftverschmutzung die Sonne auslöschen und im ersten Drittel des nächsten Jahrhunderts eine neue Eiszeit verursachen könnte«. 1971 wurden Lodges Behauptungen von S. Ichtiaque Rasool von der Columbia University und Stephen H. Schneider von der NASA bestätigt, die in der angesehenen Fachzeitschrift Science behaupteten, dass der Anstieg des atmosphärischen Staubs in den nächsten fünfzig Jahren »auf einen Rückgang der globalen Temperatur um bis zu 3,5 K hindeutet«. »Ein solch starker Rückgang«, so die beiden weiter, »wird als ausreichend angesehen, um eine Eiszeit auszulösen.«[1] Offenkundig ist diese Vorhersage nicht eingetreten. Wie wir nur zu gut wissen, stehen wir vor dem umgekehrten Problem einer globalen Erwärmung.
Am anderen Ende des Spektrums möchte niemand in der Haut des britischen Meteorologen Michael Fish stecken, der angesichts einer drohenden Katastrophe dem ganzen Land Entwarnung gab. Fish versicherte bei seiner Vorhersage im Oktober 1987 der besorgten britischen Öffentlichkeit: »Heute Morgen hat eine Frau bei der BBC angerufen und gesagt, sie habe gehört, dass ein Hurrikan im Anmarsch sei. Nun, wenn Sie gerade zuschauen – keine Sorge, es gibt keinen.« Der Sturm, der an diesem Abend über das Vereinigte Königreich zog, war der schlimmste seit Jahrhunderten. Sturmböen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 190 Kilometern pro Stunde verwüsteten den Süden Englands, verursachten Schäden in Höhe von 2 Milliarden Pfund und töteten achtzehn Menschen.
Trotz der Gefahren, die mit der Vorhersage der Zukunft verbunden sind, kommen wir um solche Vorhersagen nicht herum. Wir sollten wissen, wie das Wetter heute Nachmittag sein wird, damit wir entscheiden können, ob wir die Wäsche draußen aufhängen oder nicht; wir sollten wissen, wie stark der Verkehr sein wird, damit wir rechtzeitig zu einer wichtigen Besprechung aufbrechen können; und wir sollten unsere Ausgaben abschätzen, damit wir ausgewogen haushalten können. Dies sind alltägliche Prognosen, die helfen, unser Leben reibungsloser zu gestalten, die aber auch Schwierigkeiten bereiten können, wenn wir danebenliegen.
Gesellschaftlich gedacht, sollten wir zum Wohle aller in der Lage sein, wirtschaftliche Talstrecken vorherzusagen und darauf zu reagieren; wir sollten Terroranschläge vorhersagen und abwehren können, und wir sollten die aktuelle und potenzielle Bedrohung durch den Klimawandel verstehen, um etwas dagegen unternehmen zu können. Wenn wir bei derart weitreichenden Vorhersagen falschliegen, könnten Existenzen, Menschenleben und sogar das Schicksal unserer Spezies auf dem Spiel stehen. Wenn wir Lehren aus früheren Erfahrungen nicht beachten und keine ausreichend durchdachten Vorhersagen treffen, werden wir wahrscheinlich in unvorhergesehene Szenarien geraten: wie die Programme zum Rückkauf von Schusswaffen, die zu einem Anstieg des Waffenbesitzes führten, die Sicherheitseinrichtungen an Autos, die mehr Todesfälle verursachten als verhinderten, oder die zur Bekämpfung eines Schädlings eingeführten Arten, die schließlich selbst zu einer Plage wurden.[2]
Die vielen Möglichkeiten falschzuliegen
In diesem Buch werden nicht nur Möglichkeiten aufgezeigt, bessere Vorhersagen zu treffen, um unser Leben zukunftssicher zu machen, es geht auch um die diversen Möglichkeiten, falsche Vorhersagen zu treffen, und die Lehren, die man daraus ziehen kann. Ich fasse Ergebnisse aus den mir vertrauten Mathematikfeldern zusammen und verknüpfe sie mit Studien aus Biologie, Psychologie, Soziologie und Medizin, mit Theorien aus Wirtschaft und Physik und vor allem mit Erfahrungen aus der realen Welt, um Sie dabei zu unterstützen, das Unerwartete zu erwarten.
Zwei der wichtigsten verwirrenden Phänomene, denen wir fortwährend im Alltag begegnen und die schwer richtig zu begreifen sind, sind Wahrscheinlichkeit und...
Erscheint lt. Verlag | 29.2.2024 |
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Übersetzer | Monika Niehaus, Bernd Schuh |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Technik | |
Schlagworte | Alltagsmathematik • Alltagsvorhersagen • Entscheidungen treffen • Entscheidungshilfe • Persönliche Zukunftsprognose • Prognosen treffen im Alltag • Risiken abwägen • Vermutungen • Vorhersagen ohne Glaskugel • Wenn nichts sicher ist • wissenschafltich basierte Prognosen treffen |
ISBN-10 | 3-492-60698-9 / 3492606989 |
ISBN-13 | 978-3-492-60698-1 / 9783492606981 |
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