Warum wir träumen -  Dr. Rahul Jandial

Warum wir träumen (eBook)

Was uns das Gehirn im Schlaf über unser Leben offenbart
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2024 | 1. Auflage
304 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01810-5 (ISBN)
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Das große populärwissenschaftliche Buch über Träume ? mit hochaktuellen Erkenntnissen aus der Neurowissenschaft Warum träumen wir? Wie träumen wir? Was träumen wir? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der renommierte Gehirnchirurg und Neurowissenschaftler Rahul Jandial. In seinem faszinierenden Buch erklärt er unter anderem, dass unser Gehirn während wir träumen mindestens so aktiv ist wie während wir wach sind; dass unsere Träume Vorboten von Krankheiten sein können; dass wir alle lernen können, uns an die eigenen Träume zu erinnern und diese auch aktiv zu erleben; dass man wiederkehrende Albträume umschreiben kann, sodass sie weniger beängstigend sind, und dass Wissenschaftler:innen auf Basis unserer Träume ein psychologisches Profil von uns erstellen können. Ein Buch, das vor erstaunlichen Fakten und beeindruckenden Fallgeschichten nur so wimmelt und den Leser:innen zeigt, wie sie die geheimen Kräfte ihrer Träume für sich nutzen können.

Dr. Rahul Jandial ist Gehirnchirurg und Neurowissenschaftler mit Sitz in Los Angeles. Er hat bereits zwei Bücher veröffentlicht, u.a. den Sunday-Times-Bestseller «Life Lessons from a Brain Surgeon».

Dr. Rahul Jandial ist Gehirnchirurg und Neurowissenschaftler mit Sitz in Los Angeles. Er hat bereits zwei Bücher veröffentlicht, u.a. den Sunday-Times-Bestseller «Life Lessons from a Brain Surgeon». Elisabeth Liebl übersetzt aus dem Französischen, Englischen und Italienischen. U.a. übertrug sie Malala Yousafzai, Amaryllis Fox, Tiziano Terzani und Bob Woodward ins Deutsche. 

Wie entsteht der träumende Geist


Träume sind eine Form mentaler Aktivität, aber sie erfordern keinen äußeren Reiz. Sie werden nicht ausgelöst durch Bilder, Geräusche, Gerüche oder Berührungen, sondern entstehen automatisch, ohne jedes Zutun. Um zu erklären, wie das möglich ist, werden wir uns zuerst die Mikrostrukturen des Gehirns ansehen. Und wir beginnen mit dem grundlegenden Baustein unserer Gedanken: dem Neuron.

Neuronen bilden elektrische Netze im Gehirn, die alles Denken hervorbringen. Wenn wir träumen, feuern Neuronen kollektiv Tausende von Malen pro Sekunde. Neuronen sind feingliedrig. So feingliedrig, dass sie von einem Bad zerebrospinaler Flüssigkeit geschützt werden, die auch die elektrische Reizweiterleitung ermöglicht. Diese Flüssigkeit ist ein Reservoir an Nährstoffen und Ionen, die aus den Neuronen eine Art lebender Batterien machen, die ständig elektrische Entladungen produzieren.

In meinem Labor und anderen in der ganzen Welt können wir Gehirngewebe so zerteilen, dass wir einzelne Zellen oder Neuronen erhalten. In der Petrischale ist das einzelne Neuron zwar lebendig, aber inaktiv. Doch sobald wir ihm einige andere Neuronen zugesellen, ändert sich die Szenerie. Die Zellen bilden Verbindungen untereinander aus. Und sie tun noch etwas, etwas viel Bemerkenswerteres. Die Neuronen tauschen minimale elektrische Ladungen aus, sodass der ganze Zellhaufen elektrisch geladen wird. Das Erstaunliche daran ist, dass die Neuronen dazu keinen Impuls oder keinen Befehl brauchen. Es wirkt kein äußerer Reiz auf sie ein, und doch durchströmt sie Elektrizität. Man nennt dies auch reizunabhängige elektrische Aktivität.

Dasselbe passiert im gesamten Gehirn mit seinen 100 Milliarden Neuronen und ihren 100 Milliarden unterstützenden Zellen. Die sitzen da nicht faul herum und warten darauf, dass die Welt ihnen einen Reiz sendet. Sie haben ihre eigenen Wellen elektrischer Aktivität, die das Gehirn durchfließen, auch wenn weit und breit kein Reiz vorhanden ist. Man spricht hier auch von reizunabhängiger Kognition. Deshalb haben wir Gedanken, auch wenn wir von der Außenwelt völlig abgeschirmt sind. Das Gleiche passiert, wenn wir träumen. Unser Geist ist aktiv, auch wenn er keine äußeren Reize erhält. Aber damit die wilden, visuellen Narrative der Träume entstehen können, müssen drei Dinge passieren.

Erstens muss der Körper gelähmt werden. Unser Körper schüttet zwei Neurotransmitter aus, Glycin und Gamma-Aminobuttersäure (GABA), die die Motoneuronen ausschalten, jene spezialisierten Zellen im Rückenmark, die unsere Muskeln aktivieren. Den Körper zu lähmen ermöglicht uns, sicher zu träumen. Sonst würden wir unsere Träume aktiv ausagieren.

Zweitens muss sich das Netzwerk der Exekutivfunktionen ausschalten. Das Exekutivnetzwerk besteht aus Strukturen in beiden Gehirnhälften, die zusammen anspringen und für Logik, Ordnung und Überprüfung der Wirklichkeit zuständig sind. Ist das Exekutivnetzwerk ausgeschaltet, können wir die normalen Regeln von Zeit, Raum und Vernunft missachten. Da wir Vernunft und Logik kurzfristig übergehen, können wir im Traum die unwahrscheinlichsten Geschichten fraglos akzeptieren. Das verleiht unseren Träumen ihre Macht und ihren einzigartigen Charakter.

Drittens muss unsere Aufmerksamkeit sich nach innen richten. Wenn dies geschieht, aktivieren wir weit auseinanderliegende Teile des Gehirns, die man im Allgemeinen als Ruhezustandsnetzwerk (oder Default Mode Network, DMN) bezeichnet. Dabei ist der Verweis auf einen Ruhezustand irreführend, denn dieses Netzwerk ist alles andere als passiv. Aus diesem Grund werde ich es für die Zwecke dieses Buches als Imaginationsnetzwerk bezeichnen. Der Begriff wird bereits von einigen Mitgliedern der Wissenschaftsgemeinde benutzt, weil das Netzwerk eng zusammenhängt mit dem imaginativen Denken, der Vorstellungskraft.

Wenn wir wach sind, unser Geist aber keine besondere Aktivität oder Aufgabe verfolgt, bleibt er nicht leer wie ein Computerbildschirm, auf dem nur ein Cursor blinkt. Das Gehirn schaltet vielmehr vom Exekutivnetzwerk auf das Imaginationsnetzwerk um, sodass sich unsere Aufmerksamkeit nicht mehr nach außen richtet, sondern nach innen. Ist das Imaginationsnetzwerk aktiv, schweift der Geist frei herum und begibt sich auf mäandernde Pfade, die häufig zu unerwarteten Einsichten führen. Wird unsere Aufmerksamkeit nicht mehr von der Außenwelt beansprucht, herrschen jene Regionen des Gehirns, die zum Imaginationsnetzwerk gehören.

Bei der Alltagsbewältigung wechseln das Exekutivnetzwerk und das Imaginationsnetzwerk einander als dominante Strukturen ab. Jetzt, in dem Moment, in dem Sie diese Zeilen lesen, ist Ihr Exekutivnetzwerk aktiv. Aber das Imaginationsnetzwerk ist keineswegs abgehängt. Es wartet nur, bis sich eine Pause einstellt, während das Exekutivnetzwerk seine Aufgaben abarbeitet. Während solcher Pausen richtet sich unsere Aufmerksamkeit nach innen, und das Imaginationsnetzwerk mischt sich ein. Ist das Imaginationsnetzwerk aktiv und übernimmt die Spitzenposition in unserer kognitiven Hierarchie, sucht es in unserem Gedächtnis nach losen Assoziationen, nach ungewöhnlichen, kaum erkennbaren Querverbindungen, und es visualisiert «Was-wäre-wenn»-Szenarien. Diese scheinen mitunter so weit hergeholt und fantastisch, dass unser Exekutivnetzwerk sie sofort zurückweisen würde, wäre es denn aktiv. Dank des Imaginationsnetzwerks ist unser träumendes Gehirn ungebunden und promiskuitiv, und dies auf eine Weise, die unser waches Gehirn nicht ist und niemals sein könnte.

Das Imaginationsnetzwerk ist zentral für die Erfahrung des Träumens. Es ermöglicht uns zu «sehen», ohne visuelle Informationen von der Außenwelt zu erhalten. Wenn Sie einem Träumenden mit einer hellen Lampe ins Gesicht leuchten, wird er das Licht nicht wahrnehmen. Wenn wir träumen, ist es, als würde in einem dunklen Kino ein Film ablaufen. Vermutlich liegt es eben daran, dass die alten Griechen immer meinten, man «sehe» einen Traum, nie man «hätte» ihn.

Steht das Imaginationsnetzwerk am Ruder, entstehen spontane Gedanken. So wie die Neuronencluster in der Petrischale elektrisch zum Leben erwachen, ohne dass ein äußerer Reiz erfolgt wäre, so ist auch das träumende Gehirn voller elektrischer Aktivität, auch wenn es dabei von der Umgebung vollkommen abgekoppelt ist. Aus diesem Grund bezeichnet man das Imaginationsnetzwerk schon mal als die «dunkle Energie» des Gehirns. Es erschafft etwas aus dem Nichts und greift Geschichten aus der Luft.

Edward F. Pace-Schott, Professor für Psychiatrie an der Harvard Medical School, beschreibt das Imaginationsnetzwerk als Geschichtenerzähler-Instinkt, weil es Erinnerungen, Charaktere, Wissen und Emotionen in schlüssige Narrative verwandelt.[2] Diese frei fließenden Geschichten entstehen aus dem Nichts und haben für uns doch eine Bedeutung. Denn wenn der Mensch in seiner Wirklichkeit auf eine Lücke stößt, schafft das Gehirn ein passendes Narrativ, um diese zu füllen. Patienten mit bestimmten Formen partieller Amnesie tun genau dasselbe. Wenn man ihnen eine Frage stellt, die mit einer Lücke in ihrer Erinnerung zu tun hat, erfinden sie etwas. Auch Menschen, die von Demenz betroffen sind, machen das manchmal.

Angetrieben vom Imaginationsnetzwerk fließen die Traumnarrative mühelos dahin. Obwohl wir also unsere eigenen Träume schaffen, können wir die Traumerfahrung willentlich nicht beeinflussen. In diesem Sinne sind wir eher Hauptdarsteller, aber nicht der Regisseur. Mit Dissoziation hat das allerdings nichts zu tun. Wir stehen keineswegs über dem Geschehen oder schweben in Bereichen jenseits der Geschichte herum. Es ist eher so, als säßen wir auf dem Fahrersitz eines Autos, das wir nicht unter Kontrolle haben. Wir sind immer noch die Protagonisten unserer Träume und verkörpern diese Erfahrung vollkommen. Wir können nur nicht steuern, worauf der Traum hinausläuft.

Wenn wir träumen, sind wir körperlich in diesem Traum verankert und von anderen Charakteren der Traumlandschaft eindeutig getrennt. Unser Traum hat eine klare physische Präsenz. Das muss nun nicht heißen, dass unser Traumkörper derselbe ist, den wir aus dem Wachzustand kennen. Unser Traumkörper kann jünger oder älter sein … ja, wir können sogar ein anderes Geschlecht haben. Wir haben auch das Gefühl, von den anderen Traumfiguren getrennt und einzigartig zu sein, auch wenn alle Charaktere in diesem Traum unserer Vorstellungskraft entspringen.

In unseren Träumen weben wir ein Narrativ, während wir uns durch die verschiedensten Erinnerungen bewegen und unser Traumselbst agiert und reagiert. Das ist wie bei einer echten Filmproduktion. Wir mögen anders reagieren, als unser waches Selbst dies täte. Wir mögen stärker oder schwächer sein, selbstbewusster oder eher passiv. In diesem Sinne könnte man sagen, dass wir ein waches Selbst besitzen und eines oder auch mehrere, das beziehungsweise die träumen.

Aber wie einzigartig ist unser träumendes Gehirn tatsächlich? Denn schließlich sind wir auch die Hauptfigur in unseren Träumereien. Wie im Traum können wir uns dabei Szenarien ausdenken und unseren Geist von einem Thema zum anderen springen lassen, wobei er Zeit und Raum mühelos überwindet. Doch Träumereien im Wachzustand sind anders als Träume. Denn hier führen wir Regie: Wäre es nicht nett, im Urlaub mal nach Hawaii zu...

Erscheint lt. Verlag 18.6.2024
Übersetzer Elisabeth Liebl
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Albtraum • Bewusstseinsforschung • bücher über psychologie • Erkenntnisse Neurowisseinschaft • Freud • Gehirn • Klartraum • Klarträume • luzider Traum • moderne Hirnforschung • Neurowissenschaft • Populäres Sachbuch • populärwissenschaftliches buch • Psychologie • Psychologiebuch • psychologie literatur • REM-Phase • Schlaf • Schlaflabor • Stefan Klein • Traum • Traumberichte • Traumdeutung • Träume verstehen • Traumforschung • Traumwissenschaft • Warum träumen wir?
ISBN-10 3-644-01810-3 / 3644018103
ISBN-13 978-3-644-01810-5 / 9783644018105
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