Lotta Mardermädchen -  Wolfgang Schreil,  Leo G. Linder

Lotta Mardermädchen (eBook)

Die unglaubliche Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft - Inkl.48-seitigem Farbteil mit faszinierenden Tierfotos
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
208 Seiten
Ludwig (Verlag)
978-3-641-31426-2 (ISBN)
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Frühjahr 2022. Mitten auf einem Gehweg liegt ein Marderbaby, der prallen Mittagssonne ausgesetzt, hungrig, verloren. Da hat es zum ersten Mal Glück: Jemand liest es auf. Und es hat zum zweiten Mal Glück: Der »Woid Woife« nimmt es in Pflege. Er hat schon unzähligen verwaisten und verletzten Waldbewohnern geholfen, zurück in ihr freies, wildes Leben zu finden. Damit sind es bald sechs Marderbabys, die der Woife in diesem Jahr aufzupäppeln hat, jedes einzelne nicht größer als eine Hand. Dieses hier aber, Lotta, ist von Anfang an anders. Anders als die übrigen fünf, anders als jedes Marderbaby, das der Woife bislang aufgezogen hat ...

Es ist der Beginn einer außergewöhnlichen Freundschaft. Für den wildtiererfahrenen Woid Woife ist es die außergewöhnlichste und innigste Beziehung zu einem Tier des Waldes, die er je erlebt hat. Jeden Tag erfüllt sie ihn mit unbändigem Staunen und unendlicher Dankbarkeit.

Größer geworden, lässt Lotta ihn an ihrem Leben teilhaben, sie begleitet ihn auf Schritt und Tritt durch den Wald, geht in seinem Bauwagen ein und aus. Und doch bleibt sie zugleich ein wildes Tier, das sich selbst versorgt und sich seine natürliche Scheu vor anderen Menschen bewahrt hat.

Vermutlich zum ersten Mal überhaupt lässt ein wildes Tier einen Menschen so nah an sich heran und erlaubt ihm solche Einblicke in sein Leben. So kommt es, dass der Woid Woife Dinge über Marder erfährt, die in keinem Buch stehen und über die es bislang allenfalls Vermutungen gab.

Lotta und Woife schreiben ihre eigene, ganz persönliche Geschichte über unbändiges gegenseitiges Vertrauen und bedingungslose Liebe - und beweisen damit, dass Freundschaft keine Grenzen kennt.

Vom Internationalen Deutschen Meister im Steinheben zum bekannten Umweltschützer und Tierexperten: Wolfgang Schreils Lebenslauf wartet mit einigen Überraschungen auf, doch die Konstante in seinem Leben war stets seine außergewöhnliche Tier- und Waldverbundenheit. Sein großer Wissensschatz und seine ansteckende Leidenschaft für den Wald und dessen Bewohner inspirieren und begeistern seine Mitmenschen nachhaltig. Bei seinen geführten Wanderungen, in Vorträgen, Büchern, Filmen und als Talkshowgast zeigt er, wie man nicht nur »in« der Natur, sondern Teil der Natur sein kann. Seine beeindruckenden Fotografien von Wildtieren aus nächster Nähe gelten - neben Filzhut und Wanderstock - als sein Markenzeichen.
2019 erschien der erfolgreiche BR/Arte-Film Vom Woife und dem Wald und 2020 die zweifach preisgekrönte Kinderserie Anna und der wilde Wald (BR/Kika) mit Wolfgang Schreil und Annika Preil in den Hauptrollen. 2022 wurde Wolfgang Schreil mit dem Rotary Respect Award ausgezeichnet. Er ist Wahre-Werte-Botschafter 2024.

März


Vormittags sieht dieser 29. März nach einem ereignislosen Tag aus. Ich muss nirgendwo hin, ich habe nichts Besonderes vor, ich plane nicht mal, aus dem Haus zu gehen. Ungewöhnlich ist allerdings, dass es um die Mittagszeit dreiundzwanzig Grad hat. Im März. Im Bayerischen Wald. In Bodenmais.

Ein ruhiger Tag ist es trotzdem nicht. Die ersten Eichhörnchenbabys sind bei mir abgegeben worden. Der normale Frühjahrswahnsinn: Irgendwer hat eines von der Straße aufgelesen oder unter einem Baum gefunden und gemeint, dieses hilflose, offenbar von der Mutter verlassene Wesen sei bei mir am besten aufgehoben. Dieses Jahr sind die Eichhörnchen früher dran als sonst, vier sind bei mir schon zusammengekommen. Deswegen laufe ich Ende März bereits zwischen Küche und Arbeitszimmer hin und her, rühre Milchpulver an und verabreiche Fläschchen. So wird es heute den ganzen Tag über gehen, mit kurzen Erholungspausen, auf der Terrasse vermutlich. Das Wetter ist schön.

Am frühen Nachmittag klingelt mein Handy. Es meldet sich die Mitarbeiterin eines Tierarztes, der seine Praxis in Viechtach hat, fünfundzwanzig Kilometer von hier. Dort kennt man mich, wir arbeiten seit Jahren zusammen. Worum geht es diesmal? Um einen Steinmarder, ein ganz junges Tier, wahrscheinlich nicht mal eine Woche alt. Ob ich bereit sei, dieses Marderbaby in meine Obhut zu nehmen?

»Ja … mal schauen. Ist das Tierchen bei euch?«

»Das nicht. Aber die Frau, die es gefunden hat, würde es vorbeibringen.«

»Soll ich noch warten?«

»Sie richtet sich nach dir. Sie ist aus Viechtach.«

»In einer halben Stunde bin ich da.«

Ich setze mich ins Auto. Solche Aktionen fallen für mich unter Routineeinsatz. Das Viechtacher Marderbaby ist das erste in diesem Jahr, aber es wird nicht das letzte sein, davon darf man ausgehen. Wie viele verwaiste Steinmarderjunge sind im Lauf der Zeit bei mir gelandet? Es dürften vierzig sein, vielleicht fünfzig. Als ich die Tierarztpraxis betrete, werde ich von der Finderin schon erwartet. Aus ihrer Hand schaut ein winziges Marderbaby hervor, kaum größer als ihr Daumen, die Augen noch geschlossen, vier oder fünf Tage alt, wer weiß. In diesem Alter haben sie einen hellgrauen Flaum aus dünnen Härchen; würde man reinblasen, würden sie nach allen Seiten auseinanderfliegen. Welches Geschlecht? Wir schauen nach. Marder machen es einem leicht, der kleine Unterschied springt ins Auge, und dies hier ist ein Mädchen – oder, um den Fachbegriff zu verwenden, eine Fähe.

So wie dieser sehen Steinmarder wenige Tage nach der Geburt alle aus, aber etwas lässt mich an diesem Winzling stutzen. Er liegt da, in die Hand geschmiegt, reglos und blind, aber er strampelt mit den Pfötchen, sobald die Frau ihm übers dünne Fell streichelt. So klein dieses Mardermädchen ist, reagiert es schon und zeigt sich von einer Liebkosung angetan, fast sollte man meinen beglückt. Auf der Stelle überkommt mich Sympathie für dieses Marderbaby – kein ganz gewöhnlicher Charakter, wie’s aussieht. Na ja, sage ich mir. Wart’s ab. Bald wird es wie alle anderen sein …

Seine Retterin ist eine freundliche Person, und wir kommen ins Gespräch. Wo hat sie diesen Marder gefunden? Gleich vor ihrem Haus. Mitten auf dem Weg, in der prallen Mittagssonne.

»Seid ihr dabei umzubauen?«

»Nein«, sagt sie und besinnt sich dann. Ihr fällt der Nachbar ein. »Der lässt gerade das Dach runterreißen. Bei ihm kommt ein neues drauf.«

Da haben wir’s. »Ich kann Ihnen sagen, was passiert ist. Die Mama der Kleinen hat da oben beim Nachbarn mit ihren Jungen gewohnt. Voller Panik, weil plötzlich das Dach abgedeckt wird, versucht sie, ihren Nachwuchs in Sicherheit zu bringen. Sie weiß aber nicht, wo. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite vielleicht, weil’s da Bäume gibt? Jedenfalls ist Eile geboten. Sie nimmt das erste Junge, rennt los und überquert gerade die Straße, da hupt ein Auto, da bellt ein Hund, da lässt irgendein lautes Geräusch sie zusammenfahren, das Junge fällt ihr aus dem Maul, und sie ergreift die Flucht. Und dort, auf der Straße, finden Sie es. Gerade noch rechtzeitig, bevor es die Katze entdeckt.«

Hat sie also richtig gehandelt? Marder sind intelligent – nicht ausgeschlossen, dass die Mutter zurückkommt und sich ihr Junges doch noch schnappt und mitnimmt. Genauso besteht allerdings die Möglichkeit, dass sie keinen Rettungsversuch unternimmt, weil sie in dem Chaos, das mit den Bauarbeiten über sie hereingebrochen ist, nicht mehr dazukommt. Die Gefahr, dass ein Mensch dieses winzige Etwas zertritt, ein Hund sich dafür interessiert, eine Katze den kleinen Marder als Zwischenmahlzeit betrachtet, ist groß. Aus meiner Sicht hat die Frau richtig gehandelt, und jetzt ist es sowieso zu spät – ich kann ihr nicht sagen: Bringen Sie das Tierchen zurück … Nun ist es da.

Und ich übernehme es. In meiner Hand wirkt es noch kleiner. Ob sie mich anrufen und sich nach seinem Befinden erkundigen dürfe? Ich habe nichts dagegen. Das fragen fast alle, aber die wenigsten tun es; in den meisten Fällen ist so ein Findeltier nach zwei Tagen vergessen. Davon abgesehen habe ich in manchen Jahren so viele Jungtiere zu betreuen, dass mich jeder dieser Anrufe in Verlegenheit bringen würde. Auf die Frage »Hat mein Eichhörnchen überlebt?«, müsste ich antworten: »Welches der neun (oder fünfzehn) meinen Sie?« Nun denn. Ich verabschiede mich und überführe mein Mardermädchen nach Bodenmais. So beginnt an diesem 29. März das schönste Jahr meines Lebens.

Sie wird nie wie alle anderen sein. Sie ist etwas Besonderes. Es ist eine seltsame Ahnung, nur ein Gefühl, aber schon auf der Rückfahrt weiß ich, dass sie einen Namen bekommen wird. Dass sie einen Namen bekommen muss. Die meisten Tiere, die ich großziehe, bleiben namenlos, aber jetzt rattert es in meinem Kopf: Wie soll sie heißen? Pippi, wie Pippi Langstrumpf? Warum nicht. Die macht, was sie will, die setzt ihren Kopf durch, die ist in ihrer Verrücktheit unwiderstehlich liebenswert, das passt. Jedenfalls kommt es mir vor, als ob dieser Name passen könnte, obwohl … Pippi? Das wäre missverständlich, um es vorsichtig auszudrücken. Pippilotta wäre unverfänglicher; auch Pippi Langstrumpf heißt offiziell Pippilotta Langstrumpf. Nur – Pippilotta ist zu lang. Meine kleine Marderdame braucht einen kurzen, einprägsamen Namen. Also einfach Lotta?

Als ich zu Hause angekommen bin, einigen sich meine Frau Sabine und ich auf Lotta. So wird sie von nun an heißen, wenn ich von ihr rede. Wenn ich aber in späterer Zeit mit ihr reden werde, wenn ich sie ansprechen oder nach ihr rufen werde, wird sie Keke heißen. Keke ist ein Wort aus der Mardersprache. Lotta versteht es natürlich. Sie wird wissen, wer damit gemeint ist, und reagieren.

Ich kenne mich ja mit Mardern aus, ich weiß, wie man sie großzieht. Es ist viel Arbeit, aber das ist nicht der Punkt. Was mich beschäftigt: Sollte es dieses Jahr bei diesem einen Marderbaby bleiben, könnte es schwer werden, eine Fehlprägung zu verhindern. Ich wäre dann monatelang seine einzige Bezugsperson, und es könnte sich so sehr an mich gewöhnen, dass es ein Leben in freier Wildbahn nicht mehr für sonderlich erstrebenswert hält, wenn’s im Sommer ans Auswildern geht. Ein oder zwei weitere Artgenossen würden Lotta guttun.

Aber ich kann keine herbeizaubern. Und ich werde mich in den kommenden Monaten auch nicht mit Lotta abends vor den Fernseher setzen, um gemeinsam Katastrophenfilme oder Talkshows anzusehen. Bis jetzt haben sich alle meine Marder früher oder später ins Abenteuer der Freiheit gestürzt, sobald sie das Alter dafür erreicht hatten. Noch mache ich mir deswegen also keine Gedanken. Es kann immer noch einer dazukommen, es ist noch früh im Jahr, und noch ist Lotta blind, noch bekommt sie wenig von der Welt mit. Wer erinnert sich schon daran, was er als Säugling erlebt hat?

Wohin mit Lotta? Vorläufig bleibt sie bei mir in der Wohnung. Der Bauwagen, den ich draußen im Wald habe, bietet sich in der Anfangszeit noch nicht als Kinderstube an.

Ich kann ein so winziges Tier ja kaum aus den Augen lassen. Zwei Monate lang wird es mich Tag und Nacht in Atem halten, ich müsste also in den Bauwagen umziehen, ein sehr provisorisches Einsiedlerleben führen und jeden Morgen den Ofen heizen, um Wasser fürs Milchpulver aufzuwärmen … Nicht die praktischste Lösung. Ich lebe im Ort und habe in meiner Wohnung alles, was ich brauche: ganze Kartons voller Medikamente, Antibiotika, Schmerzmittel, Kochsalzlösung für völlig entkräftete Pflegefälle, also ein halbes Krankenhaus für Tiere und außerdem Spritzen, die sich durch winzige Schnuller in Fläschchen verwandeln, Leintücher, Babywindeln, Wärmeunterlagen und jede Menge Milchpulvertüten. Das hat sich im Lauf der Zeit so ergeben, jetzt füllt dieses nützliche Sammelsurium einen Schrank in unserem Büro, also wandern alle Neuzugänge erst einmal ins Arbeitszimmer der Familie Schreil. Auch Lotta.

Mensch und Tier hocken in diesem Büro ziemlich dicht aufeinander. Es ist eng hier; mit dem Schreibtisch, dem Aquarium und den Schränken ist dieses Zimmer eigentlich voll, obendrein steht aber noch ein Bett drin, dazu kommt die Dachschräge. Viel Bewegungsfreiheit ist nicht vorhanden, aber es gibt ausreichend Stellflächen für die Käfige, zur Not auf dem Schreibtisch, und durch das kleine Fenster fällt nur gedämpftes Licht herein, was meinen verschlafenen Mitbewohnern entgegenkommt. Natürlich könnte ich einen Wickeltisch brauchen – dafür ist aber wirklich kein Platz, und das Bett tut’s auch.

Wie zu erwarten, riecht das Büro nach Tier....

Erscheint lt. Verlag 11.4.2024
Zusatzinfo mit Bildteil
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik
Technik
Schlagworte 2024 • Anna und die wilden Tiere • Bayerischer Wald • eBooks • Eichhörnchen • freundschaft tier mensch • Marder • Neuerscheinung • Tierfreund • Tierkinder • Tierkommunikation • tierlexika & bestimmungsbücher • Tierretter • Tierschutz • Umwelt & Ökologie • verletzte tiere • Waldtiere • wandern bayern • Wilde Tiere • wildtiere aus der nähe • wildtiere pflegen und versorgen • woid woife • zoologie (bücher)
ISBN-10 3-641-31426-7 / 3641314267
ISBN-13 978-3-641-31426-2 / 9783641314262
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