Einsatztaktik für Führungskräfte -  Markus Pulm

Einsatztaktik für Führungskräfte (eBook)

Praxiswissen für Gruppenführer

(Autor)

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2023 | 3. Auflage
416 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-042949-9 (ISBN)
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Führungskräfte der Feuerwehren bekommen ihr taktisches Grundwissen an den Landesfeuerwehrschulen vermittelt. Dieses wird dann bei Übungen und Einsätzen weiter vertieft. Allerdings fehlt vielen Feuerwehrleuten schlicht und einfach die Einsatzpraxis, sodass ein 'learning by doing' schon an den Fallzahlen scheitert. Das vorliegende Buch will 'Lust' auf Taktik vermitteln. Es soll die Hemmschwelle nehmen, über taktische Varianten zu diskutieren und den Leser anregen, in kniffligen Lagen wie in einem Rätsel nach möglichen Lösungen zu suchen. Durch Tüfteln, allein oder in der Gruppe, soll der taktische Denkprozess geschult und immer weiter vertieft werden. Dadurch sollen die Strukturen des Denkprozesses präsenter werden und im Einsatzfall zu schnellen und zielorientierten Entscheidungen verhelfen.

Leitender Branddirektor a. D. Dr. Markus Pulm war stellvertretender Leiter der Feuerwehr Karlsruhe.

Leitender Branddirektor a. D. Dr. Markus Pulm war stellvertretender Leiter der Feuerwehr Karlsruhe.

[13]1Führung


Gemäß Feuerwehr-Dienstvorschrift (FwDV) 100 ist Führung »die Einflussnahme auf die Entscheidungen und das Verhalten anderer Menschen mit dem Zweck, mittels steuerndem und richtungsweisendem Einwirken vorgegebene und aufgabenbezogene Ziele zu verwirklichen.« Durch die Führung sollen andere veranlasst werden, »das zu tun, was zur Erreichung des gesetzten Zieles erforderlich ist.« Führung ist damit die Einflussnahme auf die Willensbildung von Einzelnen und Gruppen. Eine gute Führung dient der Gruppe als Orientierung. Sie ist die Grundlage für eine koordinierte Bearbeitung einer Aufgabe in einer Gruppe. Führung beinhaltet zudem die Kontrolle sowie die Übernahme der Verantwortung und etwaiger Repräsentationsaufgaben. Führung wird als eine Kunst beschrieben, »andere Menschen für die gesetzten Ziele zu begeistern und mit auf den Weg der Erfüllung der Ziele zu nehmen.« Das erfordert eine »ständige Begleitung« derer, die geführt werden.

1.1Bedeutung der Führung im Feuerwehreinsatz


Im Feuerwehreinsatz arbeiten wir in einer Gruppe, wobei dieser Begriff zunächst ganz allgemein gesehen werden soll. Diese Gruppe wird vor Ort mit einer oftmals komplexen Lage konfrontiert, die es möglichst optimal zu bewältigen gilt. Die Gruppe setzt sich aus Individuen zusammen, die über teilweise unterschiedliche Qualifikationen und Fähigkeiten verfügen und mitunter voneinander abweichende Interessen verfolgen. Angeführt wird die Gruppe von einer Führungskraft, die versuchen muss, die Fähigkeiten der Gruppe zu bündeln und entsprechend der aus der Lage gestellten Anforderungen zielgerichtet einzusetzen. Eine erfolgreiche Einsatzbewältigung bedingt eine starke Führung und eine Mannschaft, die der Führungskraft vertraut und bereit ist, dieser zu folgen. Letzteres erfordert eine Führungspersönlichkeit, die aufgrund ihres Könnens, ihrer geistigen Fähigkeit und ihres persönlichen Auftretens anerkannt und in einer Vorbildfunktion gesehen wird.

Um die komplexe Aufgabenstellung sicher und zur Zufriedenheit des »Kunden« abwickeln zu können, bedarf es einer abgestimmten Vorgehensweise. Jedes Mitglied der Einsatzmannschaft greift mit seinen Tätigkeiten mehr oder minder in das System ein und beeinflusst damit den weiteren Prozessablauf. Nicht aufeinander abgestimmte Maßnahmen können zu vermeidbaren Schäden und auch zu erheblichen Risiken für die Einsatzkräfte führen, wie immer wieder konkrete Fälle belegen. Dies [14]gilt es durch eine gute Führungsarbeit in Verbindung mit einer disziplinierten Arbeitsweise der Mannschaft zu verhindern.

Führung kann nur funktionieren, wenn den Anweisungen der Führungskraft Folge geleistet wird. Je nach Führungsstil können mehr oder weniger große Freiräume eingeräumt werden, innerhalb derer sich die »Befehlsempfänger« bewegen können. Eine Überschreitung der durch die Befehlsgabe gesteckten Grenzen ist in der Regel vorab mit der Führungskraft abzusprechen und von ihr genehmigen zu lassen. Ausnahmen hiervon kann es nur bei Gefahr im Verzug geben. Warum dies so wichtig ist, sei anhand eines Vorfalls bei einer Übung dargestellt:

Beispiel:

Ein Trupp erhält den Befehl, zur Brandbekämpfung unter PA mit einem C-Rohr in das Erdgeschoss vorzugehen. Nach wenigen Minuten erkennt der Trupp, dass es im Erdgeschoss nicht brennt und begibt sich in das 1. OG, ohne diese »Grenzüberschreitung« zu melden bzw. abzustimmen. Die Übungsleitung, die diese Abweichung vom Befehl beobachtet hat, interviewt nacheinander den Maschinisten des Löschfahrzeuges, dem die Atemschutzüberwachung übertragen worden ist, sowie den verantwortlichen Gruppenführer. Beide geben als Aufenthaltsort des Angriffstrupps das EG an, wie es auch auf der Atemschutzüberwachungstafel vermerkt ist.

Im Ernstfall resultieren hieraus folgende Probleme:

  1. Bei einem Unfall ist der Aufenthaltsort des Trupps nicht bekannt. Der Sicherheitstrupp wird ihn im Erdgeschoss und keinesfalls im 1. OG vermuten.

  2. Entgegen der Annahme des Gruppenführers erfolgen keine Maßnahmen im Erdgeschoss. Die dortige Entwicklung ist nicht unter Beobachtung und schon gar nicht unter Kontrolle.

  3. Im 1. OG werden Maßnahmen ergriffen, mit denen der Gruppenführer nicht rechnen kann, die aber erhebliche Auswirkungen auf den Einsatzverlauf haben können.

Eine zielorientierte und sichere Beherrschung eines dynamischen Prozesses ist auf diese Weise nicht möglich.

Es ist sicherlich unabdingbar, dass jede Einsatzkraft an der Einsatzstelle aufmerksam ist und auch ihren Verstand einsetzt, um konstruktiv zu einem Gelingen des Einsatzes beizutragen. Mitdenken ist dabei jedoch nicht mit ewigen Diskussionen und schon gar nicht mit Eigendynamik zu verwechseln. Vielmehr muss durch einen ständigen Dialog die Möglichkeit geschaffen werden, Empfindungen, Beobachtungen und Erkenntnisse zu bündeln und damit in den Entscheidungsprozess der verantwortlichen Führungskraft einfließen zu lassen.

[15]Völlig abzulehnen ist auch eine Einsatzabwicklung nach dem Zufallsprinzip (»Wir machen es so, wie wir es immer gemacht haben.«). Eine solche Vorgehensweise kann niemals fallbezogen sein und birgt eine Reihe von Risiken, sowohl für die Betroffenen (unsere »Kunden«) als auch für unsere Einsatzkräfte.

1.2Führungsstile


Es gibt zwei idealtypische, gegensätzliche Führungsstile. Diese unterscheiden sich grundsätzlich in Bezug auf die Gestaltungsspielräume, die der Führende der/den geführten Person/en zugesteht. Beim autoritären Führungsstil ist im idealtypischen Fall kein Ermessensspielraum vorhanden. Die Weisungen sind äußerst präzise formuliert und beschreiben die angeordneten Handlungen sehr detailliert. Der kooperative Führungsstil zeichnet sich durch einen großen Ermessensspielraum aus. Der Auftrag ist relativ unpräzise formuliert. Er gibt zwar in jedem Fall ein Ziel, eine Richtung vor (sonst wäre es keine Führung), erlaubt aber diverse Ausführungsvarianten.

Auch im Feuerwehreinsatz kommen diese beiden Führungsstile in Form der »Befehlstaktik« und der »Auftragstaktik« zur Anwendung. Die Befehlstaktik entspricht eher dem autoritären Führungsstil, die Auftragstaktik dem kooperativen Führungsstil.

Bild 1 Ermessensspielräume bei unterschiedlichen Führungsstilen

[16]In der Realität wird in der Regel ein Führungsstil angewendet, der sowohl Elemente des autoritären wie des kooperativen Führungsstils beinhaltet und damit irgendwo zwischen den idealtypischen Führungsstilen einzuordnen ist. In Abhängigkeit von der jeweiligen Situation wird sich die Führungskraft für einen Führungsstil entscheiden, der tendenziell eher dem autoritären oder dem kooperativen Führungsstil zuzuordnen ist.

Anmerkung:

In der Praxis ist es nicht von Bedeutung, die Begriffe zu beherrschen. Es ist auch nicht erforderlich, zu überlegen, ob ein Befehl eher Elemente der Auftrags- oder der Befehlstaktik beinhaltet. Vielmehr ist es von Bedeutung, in Abhängigkeit der jeweiligen Situation den Ermessensspielraum optimal zu gestalten. Um eine sprachliche Vereinfachung zu erreichen, werden in den folgenden Abschnitten die idealtypischen Führungsstile genannt, obwohl eigentlich Tendenzen hin zu diesem Stil gemeint sind.

Für den jeweiligen Führungsstil spricht:

Autoritärer Führungsstil (Befehlstaktik):

  • Schnelligkeit in der Durchführung (sofortige Durchführung der Anweisung möglich),

  • Präzision (geringer Interpretationsspielraum),

  • geringe Anforderungen (an Kenntnisse und Fähigkeiten der Ausführenden).

Kooperativer Führungsstil (Auftragstaktik):

  • Schnelligkeit in der Auftragsvergabe (weniger Detailplanung durch den Auftraggeber),

  • Flexibilität (bessere Ausnutzung der Kenntnisse und Fähigkeiten der Ausführenden),

  • Entlastung der Führungskraft (Delegation der Verantwortung bei der Detailplanung).

Grundsätzlich ist es besser, den kooperativen Führungsstil, die Auftragstaktik zu verwenden. Der entscheidende Vorteil dieser Variante besteht darin, dass die Mitglieder der Gruppe sich mit ihren Fähigkeiten einbringen können. Hierdurch werden Potenziale erschlossen, die nur durch die aktive Einbindung der Gruppe in den Denk-, Entscheidungs- und Handlungsprozess nutzbar gemacht werden kön[17]nen. Die Gestaltungsmöglichkeit bei der Ausführung einer Anweisung unterstützt zudem das Grundbedürfnis des Menschen zur Selbstverwirklichung und steigert somit die Motivation der Mannschaft. Allerdings setzt die Anwendung des kooperativen Führungsstils voraus, dass

  • die Zeit vorhanden ist, um der Gruppe die Detailplanung zu überlassen.

  • die Lage Toleranzen innerhalb des gesteckten Rahmens erlaubt.

  • das angestrebte Ziel den Gruppenmitgliedern bekannt ist (Lageeinweisung).

  • die Rahmenbedingungen definiert und den Gruppenmitgliedern bekannt sind.

  • der Handlungsrahmen abgesteckt ist.

  • die Bemessung der Handlungsspielräume erfolgversprechend, angemessen und sicher erscheint.

  • die Gruppe über die Fähigkeit verfügt, die Lage richtig einzuschätzen und sich zielorientiert einzubringen.

  • die Führungskraft darauf vertrauen kann, dass die Gruppenmitglieder ihre Fähigkeiten zielorientiert einbringen werden.

  • die Führungskraft bereit ist, auch Lösungen zu akzeptieren, die nicht exakt den eigenen Vorstellungen entsprechen.

In...

Erscheint lt. Verlag 9.8.2023
Zusatzinfo 240 Abb., 20 Tab.
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Technik
Schlagworte Brandbekämpfung • Brandeinsatz • Einsatzplanung • Feuerwehrausbildung • Feuerwehr-Ausbildung • Feuerwehreinsatz • Feuerwehreinsätze • Gefahrenabwehr • Gruppenführerausbildung • Gruppenführerlehrgang • Technische Hilfe • Technische Hilfeleistung
ISBN-10 3-17-042949-3 / 3170429493
ISBN-13 978-3-17-042949-9 / 9783170429499
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