Hoch die Hände, Klimawende! (eBook)
Edition Michael Fischer (Verlag)
978-3-7459-1843-4 (ISBN)
<p>Gabriel Baunach, geboren 1993, begann bereits im Alter von 14 Jahren sich mit der Klimakrise zu beschäftigen. Er studierte Maschinenbau an der RWTH Aachen und im Ausland, spezialisierte sich auf Energietechnik und nahm mit dem UN-Klimasekretariat an der Weltklimakonferenz <i>COP25</i> in Madrid teil. Seit 2020 betreibt er die Klima-Aufklärungsplattform <i>Climaware</i>, produziert Klima-Podcasts und hält Vorträge über den aktuellen Stand der Klimakrise und den Klima-Handabdruck.</p>
Ich glaube, die Klimakrise ist ein so großes Problem, dass man nicht einen, sondern gleich drei Aha-Momente braucht, bevor man so richtig aktiv wird. Zumindest war das bei mir der Fall.
Al Gore weckt mich auf
Meinen ersten großen Aha-Moment bezüglich der Klimakrise hatte ich im Alter von 14 Jahren, als wir im Erdkundeunterricht den Dokumentarfilm Eine unbequeme Wahrheit gezeigt bekamen. In dieser Oscar-gekrönten Doku warnt Al Gore, der ehemalige Vizepräsident der USA, vor den Gefahren des menschengemachten Klimawandels. 2007 erhielt er zusammen mit dem Weltklimarat IPCC den Friedensnobelpreis für die Aufklärung über die drohenden Folgen unserer Treibhausgasemissionen.
Ich weiß noch genau, wie ich ziemlich schockiert den dunklen Filmraum meiner damaligen Schule verließ. Anstatt in der anschließenden Pause wie immer zur Tischtennisplatte zu laufen, irrte ich gedankenversunken auf dem Schulhof umher. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich darauf vertraut, dass die Welt immer besser und ich in eine rosige Zukunft hineinleben würde. Ich hatte geglaubt, die Menschheit würde die herrschende Armut, den Hunger, alle Kriege und den Raubbau an der Natur bald beenden. Doch mein rückblickend naives Vertrauensfundament bekam Risse, während ich mir auf dem Schulhof Al Gores Erklärungen über die menschengemachte Erderwärmung durch den Kopf gehen ließ. Die unbequeme Wahrheit über die Destabilisierung des Weltklimas war für mich buchstäblich eine Ent-Täuschung: Ich hatte erkannt, dass wir, die Menschheit, vor einem riesigen Problem stehen, das alle anderen Probleme, Aufgaben und Vorhaben in den Schatten stellt – und dass eine rosige Zukunft ohne Armut, Hunger oder Kriege zur Illusion wird, wenn das Aufheizen unserer Atmosphäre nicht gestoppt wird.
So wie es mir damals ging, geht es heute den meisten Menschen: Rund achtzig Prozent der Deutschen machen sich Sorgen über die Klimakrise und sind davon überzeugt, dass wir diesbezüglich ein ernsthaftes Problem haben.1 Eine große Mehrheit befürwortet daher ehrgeizigere klimapolitische Maßnahmen.2 Das gilt übrigens auch international: In vielen Ländern entspricht die Notwendigkeit von Klimaschutz der absoluten Mehrheitsmeinung.3 Problematisch ist jedoch, dass wir gleichzeitig die Klimaschutz-Bereitschaft unserer Mitmenschen stark unterschätzen.4 Und das hat gravierende Folgen: Viele Menschen verhalten sich weniger klimafreundlich oder setzen sich zaghafter für klimapolitische Maßnahmen ein, als sie eigentlich bereit wären.
Zurück zum Schulhof im Jahr 2007: Der Klimawandel hatte mich zwar gepackt, aber natürlich blieben mir nach meinem ersten Aha-Moment viele Fragezeichen im Kopf. Das lag unter anderem daran, dass das Thema damals noch keinen gebührenden Raum im Lehrplan erhielt und unsere Erdkunde-Lehrkraft in den darauffolgenden Schulstunden keine Zeit hatte, uns den Klimawandel oder Lösungen ausführlicher zu erklären. Also musste ich selbstständig auf Lernreise gehen: Ich absolvierte in den folgenden Jahren Schülerpraktika in einem Energie- und Klimainstitut des Forschungszentrums Jülich und im Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, belegte während der Sommerferien einen Energie- und Klimakurs der Deutschen SchülerAkademie und las Sachbücher über den Klimawandel. Und je mehr ich lernte, desto fester wurde mein Entschluss: Ich werde mithelfen, dieses große Klimaproblem zu lösen. Da ich mit der Zeit erkannte, dass erneuerbare Energien der Dreh- und Angelpunkt für die Lösung der Klimakrise sind, beschloss ich, nach dem Abitur Maschinenbau zu studieren und mich in Energietechnik zu spezialisieren.
Es folgten die Jahre meines Studentenlebens mit Auslandsaufenthalten, weiteren Praktika, sozialem Engagement, einigen Reisen, Fußball, Feiern, Freunden und mehr. Die sich am Horizont zusammenbrauende Klimakrise trat die meiste Zeit in den Hintergrund. Nur hin und wieder blitzte die Gefahr in meinem Bewusstsein auf: zum Beispiel 2014, als ich den im Vergleich mit Reisefotos und -berichten meines Großvaters erschreckenden Gletscherrückgang auf Ecuadors zweithöchstem Berg, dem aktiven Vulkan Cotopaxi, mit eigenen Augen sah. Oder 2015, als die Vereinten Nationen das Pariser Klimaabkommen beschlossen. 2016 bescherte mir Leonardo DiCaprio gleich zwei Bewusstseinsmomente: das eine Mal mit seinem Klimaschutz-Appell in seiner Oscar-Dankesrede und das andere Mal mit seinem Dokumentationsfilm Before the Flood. Und 2017 war es Al Gores zweite Klima-Doku Immer noch eine unbequeme Wahrheit, die mich an das drohende Unheil erinnerte.
Weniger fliegen, seltener Fleisch essen, mehr Fahrrad fahren, Ökostrom nutzen und so weiter – ich kannte die Mittel für ein klimabewusstes Leben. Mir waren sie jedoch vielmehr Betäubungsmittel, um meine rückblickend wieder als naiv zu bezeichnende Zuversicht nicht aufgeben zu müssen, dass die Menschheit das Klimaproblem mit der Zeit, mit technischem Fortschritt und ohne einschneidende Veränderungen lösen werde.5 Eine zweite Ent-Täuschung stand an.
1 https://www.moreincommon.de/klimazusammenhalt/ & https://www.oecd.org/climate-change/international-attitudes-toward-climate-policies/ & https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/umweltbewusstsein_2020_bf.pdf, Zugriff 24.04.2023
2 https://projekte.uni-erfurt.de/pace/_files/PACE_W07-09.pdf#page=24 & https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Pools/Broschueren/umweltbewusstsein_2020_bf.pdf, Zugriff 24.04.2023
3 https://climatecommunication.yale.edu/publications/climate-change-in-the-american-mind-april-2022/ & https://www.pewresearch.org/fact-tank/2019/04/18/a-look-at-how-people-around-the-world-view-climate-change/ & https://www.oecd.org/climate-change/international-attitudes-toward-climate-policies/, Zugriff 24.04.2023
4 Siehe Artikel unter: https://www.klimareporter.de/gesellschaft/verzerrte-wahrnehmung, Zugriff 24.04.2023, Quellen: „Americans experience a false social reality by underestimating popular climate policy support by nearly half“, Parkman, et al., 2022, Nature, Link: https://www.nature.com/articles/s41467-022-32412-y Zugriff 24.04.2023 & https://projekte.uni-erfurt.de/pace/_files/PACE_W07-09.pdf#page=24, Zugriff 24.04.2023
5 Für eine wissenschaftliche Beschreibung der „sedative pill“ und des „epistemic fit“ siehe „Why we should Empty Pandora´s Box to Create a Sustainable Future: Hope, Sustainability and Ist Implications for Educations“, Grund, et. al., 2019, Link: https://www.mdpi.com/2071-1050/11/3/893, Zugriff 24.04.2023
Das zweite Aufwachen: Mein persönlicher Tiefpunkt
Meinen zweiten großen Aha-Moment hatte ich kurz nach dem außergewöhnlich heißen und trockenen Sommer 2018. Während eine damals noch unbekannte Jugendliche namens Greta Thunberg jeden Freitag vor dem schwedischen Parlament in Schulstreik ging, veröffentlichte der Weltklimarat IPCC seinen Sonderbericht über die Möglichkeit, die Erderhitzung bei einem noch relativ sicheren Niveau von 1,5°C zu stoppen.1
In dem Bericht befindet sich unter anderem eine Grafik, ähnlich zur folgenden Abbildung. Sie zeigt, wie schnell und radikal die Menschheit die globalen CO2-Emissionen senken müsste, um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015 noch einzuhalten. Demnach müssten sich die weltweiten CO2-Emissionen bis 2030 etwa halbieren und bis 2050 netto null erreichen. Aber damit nicht genug: Nach 2050 müssten wir der Luft mehrere Milliarden Tonnen CO2 entziehen und all diesen Kohlenstoff zurück unter die Erde bringen (zum Beispiel durch Aufforstung, CO2-Filteranlagen oder andere Methoden).
Notwendiger Verlauf zukünftiger CO2-Emissionen, um die Erderhitzung auf 1,5°C zu begrenzen (eigene Darstellung, basierend auf dem IPCC-Sonderbericht „SR1.5“ von 2018)Diese Grafik aus dem IPCC-Sonderbericht von 2018 brannte sich in mein Gedächtnis ein. „Wie in aller Welt sollen wir das schaffen?“, dachte ich mir und versuchte, mich noch klimafreundlicher zu verhalten. Ich meldete mich im März 2019 sogar als Ordner für den ersten globalen Klimastreik und rief wenige Wochen später in einer Rede vor rund tausend Kölner*innen anlässlich der nahenden Europawahl zu einer Klimawahl auf. Aber es half nichts: In mir breiteten sich Angst, Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht aus, während ich mit teils tränenverschwommenem Blick dabei zusah, wie Tausende Kinder und Jugendliche unter dem Banner von Fridays for Future auf den Straßen für ihre Zukunft protestierten. Eine verlorene und dystopische Zukunft – so dachte ich damals. Dann wurde die Mischung aus großer Klimaangst, tiefer Erschöpfung nach dem zähen Maschinenbaustudium und dem Überlebenskampf meines Großvaters nach seinem ersten Schlaganfall schließlich zu viel für mich: Ein nebliger Schleier legte sich um meine Aufmerksamkeit, mich plagten zunehmend Schwindelattacken, und ich fiel in ein emotionales Loch, das mich zu mehrwöchiger Ruhe und Erholung zwang.
Ganz so extrem ging und geht es nur wenigen. Aber mittlerweile empfindet die Mehrzahl aller jungen Menschen angesichts der Klimakrise Trauer, Angst und Sorge – Tendenz steigend.2 Und die dominierenden Gefühle der deutschen Erwachsenen sind...
Erscheint lt. Verlag | 22.8.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Technik | |
Schlagworte | Carbon Footprint • CO2-Fußabdruck • CO2-Sparen • Dürre • Erderhitzung • Erderwärmung • Flut • Greta Thunberg • Katastrophe • Klimaangst • Klimakrise • Klimanotstand • Klimarettung • Klimaschutz • Klimawandel • Klimaziele • Treibhausgas-Emissionen • Waldbrand |
ISBN-10 | 3-7459-1843-6 / 3745918436 |
ISBN-13 | 978-3-7459-1843-4 / 9783745918434 |
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Größe: 1,2 MB
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