Unser wildes Erbe (eBook)
256 Seiten
Ludwig (Verlag)
978-3-641-30793-6 (ISBN)
Haben wir unser Schicksal wirklich selbst in der Hand oder agieren wir nicht - wie jede andere Tierart auch - überwiegend instinktgesteuert? Augenscheinlich ja: Unfähig zu vorausschauendem, langfristigem Denken, rein an unmittelbarer Bedürfnisbefriedigung interessiert, plündert die Menschheit die Ressourcen des Planeten hemmungslos aus und steuert sehenden Auges in den eigenen Untergang.
In seinem faszinierenden neuen Buch gewährt Peter Wohlleben erstmals Einblicke in die wahre Natur des Menschen. Anhand vieler verblüffender Vergleiche zur Tier- und Pflanzenwelt zeigt er, dass wir nicht etwa die Krone der Schöpfung sind, sondern die Evolution nach wie vor auch bei uns wirkt. Nur wenn wir die menschliche Natur verstehen und ihr fortwährendes Wirken akzeptieren, können wir neue Wege einschlagen, die eine lebenswerte Zukunft ermöglichen!
- Entdeckungsreise in den geheimnisvollen Kosmos der menschlichen Natur
- Wie kann es sein, dass das vermeintlich höchstentwickelte Wesen auf dem Planeten seinen Lebensraum selbst zerstört?
- Bisher hat Peter Wohlleben auf seine unnachahmliche Weise das geheime Leben der Natur erklärt. Jetzt geht er dem Geheimnis unseres häufig so unerklärlichen Verhaltens auf den Grund.
Peter Wohlleben, Jahrgang 1964, wollte schon als kleines Kind Naturschützer werden. Er studierte Forstwirtschaft und war über zwanzig Jahre lang Beamter der Landesforstverwaltung. Heute arbeitet er in der von ihm gegründeten Waldakademie in der Eifel und setzt sich weltweit für die Rückkehr der Urwälder ein. Er ist Gast in zahlreichen TV-Sendungen, hält Vorträge und Seminare und ist Autor von Büchern zu Themen rund um den Wald und den Naturschutz, die sich allein im deutschsprachigen Raum 2,5 Millionen Mal verkauft haben. Für seine emotionale und unkonventionelle Wissensvermittlung wurde Peter Wohlleben 2019 die Bayerische Naturschutzmedaille verliehen. Seine Bücher sind in über 46 Ländern erschienen.
Kapitel 2
Die Krone der Schöpfung?
Unsere Intelligenz hat die beispielhafte Ausbreitung unserer Spezies ermöglicht, ebenso die Erschließung aller nur denkbaren Ressourcen dieses Planeten. Doch reicht diese Intelligenz jetzt, da wir am Abgrund stehen, aus, um zu bremsen und einen anderen Kurs einzuschlagen? Oder befördert uns unser Verstand nur noch schneller in die Tiefe, indem er alle Hemmnisse beseitigt, die die Natur für solche Entwicklungen vorgesehen hat? Dann wären wir in einer Sackgasse ohne Wendemöglichkeit gelandet. Doch bei genauerer Betrachtung ist das nicht der Fall. Dazu schauen wir uns zunächst einmal die Anpassung unserer Art an, also die Weiterentwicklung aufgrund einer sich verändernden Umwelt.
2.1 Evolution und Intelligenz
Der Mensch als Art unterliegt nach wie vor den Regulierungsmechanismen von Tierpopulationen. Doch könnte es nicht sein, dass wir uns mehr und mehr diesen Mechanismen entziehen? Schließlich entwickelt unsere Zivilisation immer neue Hilfsmittel, um uns gegen solche Prozesse (die individuell meist den vorzeitigen Tod bedeuten) zu wappnen.
Was bedeutet Evolution eigentlich? Manchmal wird der Begriff missverstanden als eine ständige Weiterentwicklung von Arten im Sinne einer Verbesserung, etwa ständig steigender geistiger Fähigkeiten. Dabei ist sie zunächst lediglich die allmähliche Veränderung vererbbarer Merkmale von Generation zu Generation als Reaktion auf sich verändernde Umweltbedingungen.[133] Dazu muss sich nicht unbedingt die einzelne Art selbst verändern, sondern vielleicht »nur« andere Arten, die mit ihr vergesellschaftet sind, wie etwa Bakterien (oder Haarbalgmilben), die in uns oder auf uns leben.
Doch auch in unseren Körpern zeugen zahlreiche Baustellen von archaischen Entwicklungsprozessen, die nach wie vor in vollem Gange sind. So haben wir kleine Muskeln in der Haut, die die Haare aufrichten können – und uns so eine Gänsehaut verschaffen.[134] Das ist sinnvoll für Tiere, die noch ein richtiges Fell haben, weil es dann mehr Luft speichert und besser wärmt. Bei unseren Ziegen am Forsthaus können wir den eigentlichen Nutzen beobachten, nämlich dann, wenn es um Rangkämpfe geht: Ein gesträubtes Fell lässt das Tier größer und damit bedrohlicher erscheinen.
Auch das Steißbein am Ende der Wirbelsäule zeugt davon, dass unsere Vorfahren mit einem Schwanz unterwegs gewesen sind, den wir heute nicht mehr brauchen. Weisheitszähne und Blinddarm sind weitere Belege für eine Reise, die noch lange nicht zu Ende ist. Dass Menschen in 50 000 Jahren noch genauso aussehen wie heute, ist relativ unwahrscheinlich. Die Entwicklung geht also munter weiter, auch wenn wir glauben, nicht mehr Teil der Evolution zu sein. Die Vorgänge laufen nur so langsam ab, dass wir keine Veränderung feststellen können.
Als Vergleich hilft hier das Antlitz unseres Planeten. Das Aussehen der Landmasse, die Form der Kontinente scheint unverrückbar festgeschrieben zu sein, obwohl wir alle in der Schule etwas über die Wanderung der Erdplatten, aus denen die Kruste unseres Globus besteht, gehört haben. Diese Platten, die ganze Kontinente umfassen, driften auf zähflüssigem Gestein entweder aufeinander zu (was zur Auffaltung von Gebirgen führt) oder voneinander weg (wodurch Risse entstehen, aus denen Lava hervorquillt). Nordamerika und Europa, auf unterschiedlichen Platten gelegen, entfernen sich so pro Jahr um wenige Zentimeter, das entspricht in etwa dem Wachstum Ihrer Fingernägel.[135] Ein Prozess, den außer ein paar Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern niemand bemerkt. In zehn Millionen Jahren allerdings, für erdgeschichtliche Maßstäbe nur ein kurzer Augenblick, hat sich das bereits auf 200 Kilometer summiert. Lediglich wenn es einmal hakt und die festgeklemmten Platten sich wieder losreißen, machen sich die Erschütterungen in Form von Erdbeben bemerkbar.
In Bezug auf uns Menschen stellt sich heute eine weitere Frage: Gibt es unterschiedliche Geschwindigkeiten oder Richtungen der Evolution in verschiedenen Regionen? Denn während die einen die volle Härte der Ausleseprozesse in Form von Hunger und Krankheiten zu spüren bekommen, haben andere, vor allem die Industriestaaten, durch allerlei Hilfsmittel eine deutliche Milderung erreicht. Wir haben ja schon geklärt, dass auch bei uns noch evolutionäre Prozesse wirken, nur einen Gang langsamer in Bezug auf Erreger oder verfügbare Nahrung. Was für den Einzelnen einen Vorteil darstellen mag, könnte für die Gesamtbevölkerung einer Region langfristig nachteilig sein. Sie würde über viele Jahrtausende gesehen (so denn unsere Zivilisation so lange überlebt) von der Bevölkerung unterentwickelter Gegenden genetisch quasi überholt, die sich dem fortwährenden Angriff der Erreger weiterhin anpassen müsste und entsprechend auch verändern würde. Solche genetischen Anpassungen haben sogar Spuren in unseren Blutgruppen hinterlassen, und trotzdem ist es selbst in grauer Vorzeit immer wieder zu einer Durchmischung verschiedener menschlicher Populationen gekommen.
Die letzten Menschen, mit denen wir alle verwandt sind, lebten vor rund 150 000 Jahren. »Ur-Eva« und »Ur-Adam« finden sich bis heute in unser aller Erbgut. Das heißt aber auch umgekehrt: Alle anderen Verwandtschaftslinien vor dieser Zeit (und Homo sapiens gibt es seit immerhin 300 000 Jahren[136]) sind also ausgestorben, sodass wir alle zumindest in Bezug auf diesen fernen Punkt der Vergangenheit miteinander verwandt sind.[137]
Global drifteten die Menschen seitdem auseinander, doch kontinental hat es in historischen Zeiten weiter intensive Kontakte gegeben. Denken Sie an die schon geschilderten Stammesfehden vor 7 000 Jahren, bei denen möglicherweise Frauen aus fernen Gegenden verschleppt wurden, oder auch später an die kriegerischen Römer, die sicher in vielen von uns genetisch noch präsent sind. Bereits deutlich früher frischten die Bayern ihren Genpool etwas friedlicher auf. So hat es in diesem Landstrich eine überraschend stark verbreitete Mobilität gegeben, vor allem bei Frauen. Archäologische Untersuchungen ergaben bei einem Gräberfeld der frühen Bronzezeit im Lechtal, dass die Mehrzahl der Frauen damals keine Ortsansässigen waren. Sie kamen von weit her, möglicherweise, um neue Techniken in das Tal zu bringen. Forschende sehen sie als frühe treibende Kraft für Kommunikation und Wissenschaft.[138]
Ein genetisches Auseinanderdriften der Erdbevölkerung war also schon zu diesem Zeitpunkt zumindest stark gebremst und findet heute angesichts einer globalen Mobilität endgültig nicht mehr statt. Denn dazu bedürfte es einer Isolation voneinander über lange Zeiträume von Zehntausenden von Jahren, was im Zeitalter flugreisender Pauschaltouristinnen und -touristen und Auswanderer unmöglich geworden ist. Doch zumindest in isolierten Ökosystemen hat es das in der entwicklungsgeschichtlich jüngeren Vergangenheit durchaus gegeben.
Im Jahr 2003 wurden auf der Insel Flores (Indonesien) Knochen winziger Menschen gefunden. Nur rund einen Meter Körpergröße, ein halb so schweres Gehirn wie unseres – schnell tauchte unter Wissenschaftlern die liebevolle Bezeichnung »Hobbit« auf. Abgeschnitten vom Rest der frühen Menschheit hatte sich auf der Tropeninsel offensichtlich eine weitere Art gebildet. Die Schrumpfung ist für Inseln typisch: geringeres Nahrungsangebot, wenig bis keine Raubtiere sowie kein Platz zum Ausweichen lassen auch andere Arten verzwergen. Der kleine Mensch, korrekt Homo floresiensis, starb vor 60 000 Jahren aus.[139] Einheimische berichteten dem widersprechend, dass die letzten »Ebu Gogo« erst kurz vor dem Eintreffen der holländischen Eroberer verschwunden seien.[140]
Der Hobbit von Flores zeigt, dass das Ökosystem mit seinen Möglichkeiten oder Beschränkungen sehr wirkungsvoll Druck auf unsere Körper und Fähigkeiten ausübt. Und wie beim Hobbit mit seinem auf Pampelmusengröße geschrumpften Gehirn könnte es auch mit uns in eine ganz andere Richtung gehen, als wir glauben.
Dazu würde ich gerne unsere Vettern aus dem Neandertal bemühen. Diese Steinzeitler waren mit kräftigen Muskeln und einem Gehirn ausgestattet, das oft mehr Masse besaß als unseres.[141] Die Kultur der Neandertaler war vergleichsweise weit fortgeschritten: Arbeitsteilung in den Siedlungen, kunstvolle Steinmesser in Holzfassung, Körperbemalung, Totenkult und eine Sprache, deren Klang längst verhallt ist.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass Homo sapiens und Neandertaler einige Tausend Jahre nebeneinander in Europa lebten. Dabei hat sich möglicherweise der später hinzugekommene moderne Mensch manches von seinen grobschlächtigeren, aber mit einem im Durchschnitt größeren Gehirn ausgestatteten Nachbarn abgeschaut.[142] Moment. Größeres Gehirn? Könnte es nicht sein, dass diese Menschenart dem damaligen Homo sapiens geistig überlegen war?
Diese Frage wird wissenschaftlich diskutiert, allerdings nicht ganz fair. Denn der Homo sapiens, der vor rund 40 000 Jahren auf den Neandertaler traf, unterschied sich geistig vom heutigen in – nichts! Würde man also die Frage bejahen, so hieße das nichts anderes, als dass die geistige »Krone der Schöpfung« bereits an eine andere Art vergeben wurde. Und dass die Evolution diese Krone an Menschen mit kleinerem Hirn, aber möglicherweise aggressiverem Auftreten weitergereicht hat. Einiges spricht gegen diese Annahme, aber eine unbefangene Diskussion ist bis heute...
Erscheint lt. Verlag | 11.10.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Natur / Ökologie |
Technik | |
Schlagworte | 2023 • Bevölkerungsexplosion • Biologie • Botanik • Die Krone der Schöpfung • die Menschheit retten • die Welt retten • eBooks • Evolution • Evolution des Menschen • Geschichte des Menschen • gleichberechtigung und bildung • Infektionskrankheiten • instinkte des menschen • Klima • lösungen umweltproblem • menschen sind tiere • menschlicher exzeptionalismus • Natur und Umwelt • Neuerscheinung • neuer wohlleben • neues buch wohlleben • Ressourcen • strategien umweltschutz • Überbevölkerung • Verbindung Mensch und Natur • Zukunft der Menschheit |
ISBN-10 | 3-641-30793-7 / 3641307937 |
ISBN-13 | 978-3-641-30793-6 / 9783641307936 |
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