Physik der Superhelden (eBook)

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2023 | 1. Auflage
512 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00727-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Physik der Superhelden -  James Kakalios
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Superman, Spider-Man & Co. - jeder kennt die Comicheroen mit ihren unglaublichen Fähigkeiten, die sämtlichen Naturgesetzen zu spotten scheinen. Aber tun sie das wirklich? Physikprofessor James Kakalios ist da anderer Ansicht. Was er als Spielerei begann, um seinen Unterricht an der Universität von Minnesota spannender zu gestalten, hat sich zu einer umfassenden Erklärung des Superhelden-Universums aus wissenschaftlicher Sicht ausgewachsen.

James Kakalios, schon immer ein Fan der Comicliteratur, ist Professor für Physik und Astronomie an der Universität von Minnesota. Sein Kurs «Alles, was ich über Naturwissenschaft weiß, habe ich aus den Comics gelernt » ist dort höchst populär.

James Kakalios, schon immer ein Fan der Comicliteratur, ist Professor für Physik und Astronomie an der Universität von Minnesota. Sein Kurs «Alles, was ich über Naturwissenschaft weiß, habe ich aus den Comics gelernt » ist dort höchst populär.

Einführung Secret Origins: Wie die Wissenschaft die Superhelden-Comics rettete


Falls ich mich je gefragt hatte, ob meine Studenten das Fach Physik nicht vielleicht doch für Zeitverschwendung hielten, so wurde jeder Zweifel vor einigen Jahren ausgeräumt. Ich kehrte gerade vom Mittagessen ins Gebäude des Fachbereichs Physik zurück, als ich eine Unterhaltung zwischen zwei Studenten mitbekam, die gerade auf dem Weg nach draußen waren. Aus ihren Gesichtern und dem kurzen Gesprächsfetzen schloss ich, dass sie gerade eine Klausur zurückbekommen hatten. Hier ist die – bereinigte – Fassung ihrer Unterhaltung:

Der Größere der beiden erklärte seinem Freund: «Billig kaufen und teuer verkaufen, so funktioniert die Sch … Was interessieren mich irgendwelche Sch … kugeln, die von irgendwelchen Sch … türmen runtergeworfen werden.»

Aus dieser Aussage kann man zweierlei lernen: (1) das Geheimnis finanziellen Erfolges und (2) dass die Beispiele, die im herkömmlichen Physikunterricht verwendet werden, mit der Lebenswelt von Studenten zumindest nach deren eigenem Empfinden so gut wie nichts zu tun haben.

Das wirkliche Leben ist eine komplexe Angelegenheit. Um in einer Physikstunde auch nur ein einziges Naturgesetz zu illustrieren – beispielsweise das zweite Newton’sche Axiom der Mechanik oder den Energieerhaltungssatz –, haben Physiklehrer über Jahrzehnte hinweg ein ganzes Arsenal an ausgetüftelten Anordnungen ersonnen, in denen Flugbahnen von Geschossen auftauchen oder Gewichte an Flaschenzügen oder schwingende Gewichte, die an Federn aufgehängt sind. Diese Anordnungen wirken so künstlich, dass sich die Studenten unweigerlich fragen: «Wann werde ich so was jemals im wirklichen Leben anwenden?»

Im Zuge meiner Lehrtätigkeit bin ich dann irgendwann darauf gestoßen, dass man zur Illustration bestimmter physikalischer Gesetzmäßigkeiten und ihrer Anwendung Superhelden-Comics heranziehen kann. Interessanterweise fragen sich meine Studenten, wann immer ich Beispiele aus Comicheften verwende, niemals, ob und wann sie diese Erkenntnisse in ihrem «wirklichen Leben» zur Anwendung bringen können. Anscheinend haben sie allesamt für ihren weiteren Lebensweg nach dem Universitätsabschluss irgendwelche Pläne, in denen enganliegende Trikotanzüge und die Rettung von Metropolen eine zentrale Rolle spielen. Auf mich als gesetzestreuen Bürger hat dies eine ungemein beruhigende Wirkung, denn ich weiß nur allzu gut, wie viele meiner Kollegen aus der Riege der Wissenschaftler man mit dem Attribut «verrückt» bedenken könnte.

 

Das erste Mal, dass ich einen Zusammenhang herstellte zwischen Comicheften und der akademischen Welt, war 1965, als ich für die fürstliche Summe von 12 Cent das Heft Nummer 333 von Action Comics mit den Abenteuern von Superman erstand. Ich war damals zwar kein soo großer Fan des «Stählernen», doch was mich faszinierte, war das Heft-Cover (siehe Abb. 1), das einen Einblick hinter die Kulissen unserer höheren Lehranstalten versprach. Als kleiner Junge war ich furchtbar neugierig zu erfahren, wie das Leben am College wohl aussehen mochte. Heute, wo ich selbst Universitätsprofessor bin, erkenne ich in dieser Neugier die unbestimmte Ahnung, dass dem Eintritt ins College kein Austritt mehr folgen und die Immatrikulation damit zu einer Art Haft auf Lebenszeit werden würde.

Abb. 1 Cover von Action Comics # 333 mit einer Szene von Supermans unheil vollem Besuch an der Technischen Hochschule von Metropolis

Eine der Geschichten in Action # 333 trug den Titel «Superman’s Super Boo-Boos», und darin kam eine Szene vor, in der Superman von der Technischen Hochschule von Metropolis in Anerkennung seiner «Verdienste um die Menschheit» den «Ehrendoktor der Superwissenschaft» verliehen bekam. (Ich sollte vielleicht hinzufügen, dass ein solcher akademischer Grad nicht in der Prüfungsordnung zu finden war, als ich mich an der Hochschule einschrieb.) Auf dem Cover der Ausgabe stand Superman auf dem Podium des Hörsaals einer Universität und «schrieb» seinen Namen vermittels seines Hitzeblicks auf eine Schriftrolle aus Bronze. Die akademischen Würdenträger im Publikum – samt und sonders ältere Herren in vollem Ornat – waren entsetzt, jedoch weniger wegen der gleißenden Energiestrahlen, die aus Supermans Augen drangen, sondern weil sie aufgrund einer Illusion, hervorgerufen durch Supermans Erzrivalen Lex Luthor, anstelle des Stählernen einen feuerspeienden Drachen auf dem Podium sahen. Dies war Teil von Luthors Plan, Supermans Erwartungen permanent zu unterwandern, bis ihn die Unentschlossenheit schließlich lahmlegte und er nichts mehr gegen Luthors finstere Pläne und Machenschaften tun konnte[*]. Ich war zwar erst in der Grundschule, doch irgendwie schwante mir schon damals, dass diese Darstellung des College-Lebens möglicherweise nicht sonderlich realistisch war. Dennoch lieferte das Cover zwei Erkenntnisse, die sich im Nachhinein als ziemlich akkurat herausgestellt haben. Die erste lautet: Alle College-Professoren tragen stets und immer Talare und Doktorhüte. Die zweite lautet: Alle College-Professoren sind achthundert Jahre alt, männlich und weiß.

Dies war das erste, aber bei weitem nicht das letzte Mal, dass ich den Eindruck gewann, eine friedliche Koexistenz von Comicheften und College sei möglich. Ich habe in den folgenden Jahren mit großem Vergnügen Comics gelesen und gesammelt – und zwar ohne dass mir dies peinlich gewesen wäre, denn ich glaube nicht, dass einem irgendwelche Hobbys peinlich sein sollten. Snobismus ist häufig nur die äußere Erscheinung von Unsicherheit. (Man hat nun mal bestimmte Vorlieben, Interessen und Hobbys, und zu denen sollte man stehen, ohne sich deshalb zu schämen oder schuldig zu fühlen – außer natürlich, es handelt sich dabei um Golfspielen). Und im Laufe meiner Lektüre fiel mir immer wieder auf, dass die Darstellung von naturwissenschaftlichen Zusammenhängen durch die Autoren und Zeichner von Superhelden-Comics häufiger korrekt ist, als man vermuten würde. Diejenigen, die mit Superhelden-Comics nicht so vertraut sind, werden sich vielleicht wundern, dass in diesen Geschichten überhaupt etwas wissenschaftlich korrekt ist, aber ich bleibe dabei, man kann aus Comicheften eine Menge über Naturwissenschaften lernen.

Ein typisches Beispiel dafür findet sich in Abb. 2, einer Szene aus World’s Finest # 93 vom April 1958. Die großen Helden bei National Comics (die dann später zu Detective Comics wurden und heutzutage unter dem Namen DC Comics bekannt sind) waren Superman, Batman und Robin, und in jeder Ausgabe von World’s Finest gab es eine Geschichte, in der sich der Stählerne mit dem dynamischen Duo zusammentat, um dem Verbrechen gemeinsam die Stirn zu bieten. In dieser Ausgabe heißt ihr Gegenspieler Victor Danning, dessen Intelligenz bei einem missglückten Versuch, einen «Gehirn-Verstärker» zu stehlen, auf «Genie-Level» angehoben wird. Derart üppig ausgestattet mit mentalen Kräften, macht er sich an die Ausführung einer Reihe von «Superverbrechen», um die sich Superman, Batman und Robin gemeinsam kümmern müssen. Nachdem unsere Helden die finsteren Pläne Dannings jedes Mal in letzter Sekunde durchkreuzt haben, geht der Schurke in die Offensive und beschließt, das geheime Hauptquartier von Batman und Robin, die Bat-Höhle, ausfindig zu machen. (Es wird nicht erklärt, weshalb dies dem Treiben von Batman und Robin ein Ende setzen sollte. Voraussetzung ist einfach, dass alle Angehörigen der Unterwelt ein gehöriges Interesse daran haben, die Lage der Bat-Höhle in Erfahrung zu bringen.)

Abb. 2 Eine Szene aus World’s Finest # 93. In dieser Szene erläutert der Schurke, dessen geistige Fähigkeiten künstlich stimuliert wurden, seinen Plan, durch die Auslösung unterirdischer Schock wellen die Bat-Höhle zu lokalisieren, deren genaue Lage unbekannt ist

Danning befiehlt seinen Leuten, im Umkreis von Gotham City Dynamitstangen im Boden zu versenken. Während er auf seinem «Radar-Seismographen» die Ausbreitung der damit hervorgerufenen Schockwellen beobachtet, erklärt er, dass die Wellen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit durch solides Felsgestein beziehungsweise durch einen Hohlraum wandern und man auf diese Weise die Bat-Höhle lokalisieren kann. Womit sich das verbrecherische Genie Victor Danning auf wissenschaftlich solidem Boden bewegt, denn es trifft in der Tat zu, dass die Geschwindigkeit der Ausbreitung von Schall- oder Schockwellen abhängig ist von der Dichte des Materials, durch das sie sich bewegen. Geologen machen sich diese Tatsache tagtäglich zunutze, um unterirdische Kavernen von Erdöl oder Erdgas aufzuspüren.

Die Art wie Wissenschaftler und ihre Arbeitsmethoden in Comicheften dargestellt werden, lässt allerdings häufig zu wünschen übrig. Ein Beispiel dafür findet sich in derselben Ausgabe von World’s Finest, wo eine reichlich unrealistische Darstellung eines Wissenschaftlers zu sehen ist (Abb. 3). Hier präsentiert der Erfinder des «Gehirn-Verstärkers», Dr. John Carr, auf einer Wissenschaftskonferenz seine neuesten Forschungen. Er brüstet sich damit, dass seine Erfindung «die mentalen Kräfte eines jeden Menschen um den Faktor 100 verstärken» werde. Leider, so führt Carr weiter aus, habe die Sache einen winzigen Haken, denn «es fehlt noch ein einziger Bestandteil (damit das Gerät überhaupt funktioniert), und ich...

Erscheint lt. Verlag 18.4.2023
Übersetzer Christoph Hahn, Doris Gerstner
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Astronomie • Comics • Naturgesetze • Physik • Physikvorlesung • Spiderman • Superhelden • Superman • Wissenschaft
ISBN-10 3-644-00727-6 / 3644007276
ISBN-13 978-3-644-00727-7 / 9783644007277
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