Unterwegs - Anfang und Ende (eBook)
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99139-505-8 (ISBN)
Peter Brandlmayr wurde 1970 in Bad Ischl geboren. Er absolvierte ein Geologiestudium an der Universität Innsbruck, danach das Kolleg für Fotografie an der Höheren Grafischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt in Wien. 1998 gründete er das Institut für Wissenschaft und Forschung (IWF), ein Experiment zwischen Kunst und Wissenschaft, Realität und Fiktion. 2005 Promotion Brandlmayr an der Universität Innsbruck zum Dr. phil.; 2013 gründete er das Pegasus-Institut für Pataphysik (PIP) sowie im Jahr 2019 das Institut für Müßiggang und Kontemplation (IMK). Er führte zahlreiche Ausstellungen, Installationen, Vorträge und Performances duch.
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Interaktionen I: Anfang3
1 Vom Ursprung als Quelle
In vielen wissenschaftlichen Abhandlungen zur Entstehung des Menschen, des Lebens, des Universums stoßen wir im Titel auf den Begriff des Ursprungs. Dies zeugt von einem beträchtlichen Vertrauen in ein Wort. Mich hingegen verwirrte dieses seit jeher, denn ein seltsamer Geschmack geht davon aus. Ich war mir nie ganz sicher, ob ich mit diesem Begriff überhaupt etwas zu tun haben wollte, und doch lag zugleich auch eine seltsame Faszination darin. So kam es, dass ich eines Tages im etymologischen Wörterbuch nachschlug, um zu erfahren, woher dieser seltsame Begriff stammt. Ich erhoffte mehr über die, mit diesem verbundene, Unsicherheit in Erfahrung zu bringen. Und mit dieser schlichten Handlung habe ich mich, wie sich zeigen sollte, auf jenen Weg begeben, der schließlich zu einer Untersuchung unterschiedlicher Vorstellungen davon geführt hat, wie das Neue in die Welt gelangt. Ich stellte mir in dieser die Frage, mit Hilfe welcher Bilder die Entstehung von Neuem in wissenschaftlichen Theorien und in Mythen von der Entstehung des Universums, des Lebens und des Menschen dargestellt wird.4
Im etymologischen Wörterbuch nachlesend erfuhr ich vorerst, dass der Begriff des Ursprungs aus dem Mittelhochdeutschen stammt, als alte Nominalbildung zu „erspringen“ gehört und dass er zunächst als eine Bezeichnung für „Quelle“ verwendet wird.5 Demgemäß finden wir den Begriff auch als Ortsbezeichnung in der geografischen Landkarte Österreichs (ÖK),6 als Bezeichnung von Orten, die mit Quellen in Verbindung stehen. Die Quelle scheint also ein bedeutendes Symbol in Bezug auf die Herkunft einer Form zu sein, dachte ich, die nächste Frage auf den Lippen.
Waldbachursprung7
Was ist eine Quelle?
Das hydrogeologische Wörterbuch konsultierend zeigt sich, dass „eine Quelle eine Stelle an der Erdoberfläche(bezeichnet), an der Grundwasser austritt“.8 Der Austritt des Wassers ist also ein Übertritt: das Grundwasser wird zum Bach oder zum See. Die Quelle bezeichnet einen Ort, an dem sich eine Form verändert, einen Ort, an dem das Wasser eine neue Qualität und somit einen neuen Namen erhält.
Direkt an einer Quelle stehend, bemerkt man bisweilen dann eine seltsame Mischung unterschiedlicher Erlebnis-, Erfahrungs-. und Erkenntnisweisen.9 Um diese seltsame Mischung zu konkretisieren werden wir im Folgenden unterschiedliche Texte betrachten, in denen Begegnungen mit Quellen beschrieben sind, um zu erfahren, mit welchen unterschiedlichen Qualitäten jener Ort belegt ist, der in Bezug auf die Entstehung des Neuen ein zentrales Element der Darstellung ist. Dabei werden wir bemerken, dass Begegnungen mit Quellen in unterschiedlichen Textsorten in unterschiedlicher Weise stattfinden. Das Erlebnis an der Quelle ist in Sagen von einer anderen Art als in Erzählungen und diese unterscheidet sich wiederum von jener in einem wissenschaftlichen Text. So ist die Quelle in Sagen und Mythen ein magischer Ort, an dem magische Kräfte beseelter Wesen das Wasser hervorquellen lassen, in wissenschaftlichen Texten hingegen ein rationaler Ort, an dem allgemeine Prinzipien der Natur das Wasser hervorbringen. Im Folgenden werden wir daher zuerst der Fotografin Nika Valeo an den Waldbachursprung begleiten, dann dem Jungen Roy und dem Entwicklungspsychologen Jean Piaget an den Ursprung des Wassers nachgehen und dem Mädchen Maria in der Sage „Der stille Stein“ an die Quelle des Gießenbaches.10 Danach betrachten wir Begegnungen mit der Quelle im Abenteuerroman Ywain,11 um schließlich unterschiedliche Annäherungen an den Ursprung des Menschen in paläoanthropologischer Literatur zu untersuchen, denn, wie gesagt, auch der Ursprung ist letztlich eine Quelle.12
Pißling Ursprung13
2 Dann, wenn Menschen viel gespuckt haben
„14. 06. 2003. Vormittag. Ich machte mich auf den Weg nach Hallstatt. Mein Ziel war der Waldbach Ursprung. Sonne in den Bäumen, es war noch kühl. Ich folgte dem Rauschen bachaufwärts. Zu Mittag kam ich an der Quelle an. Ich war beeindruckt, wie viel Wasser aus dem Gestein kam. Es war kühl und ich spürte das Moos unter meinen Füßen. Ich setzte mich auf den Waldboden. Woher kommt das Wasser wohl, dachte ich, während meine Augen dem Wasser bachabwärts folgten.“
Diese Zeilen schrieb die Künstlerin Nika Valeo bei einer Wanderung an einen Ort, der in der Landkarte als Ursprung bezeichnet ist, in ihr Geländebuch. Der Ursprung als Quelle konfrontiert mit der Frage nach der Herkunft. Und es wird deutlich, dass die Magie eines solchen Ortes mit dem Verhältnis von Sichtbarem und Unsichtbarem zu tun hat, mit Kräften, die ich beobachten kann, und mit geheimnisvollen, unsichtbaren Mächten, die hinter einer Schwelle liegen und für mich als Betrachter nur schwer beziehungsweise überhaupt nicht zugänglich sind. An der Quelle, am Ursprung wird man an die Grenze des Sichtbaren beziehungsweise des Erfahrbaren und Erkennbaren herangeführt und trifft dabei letztlich, wie wir noch sehen werden, auf welterhaltende und weltbildende Prinzipien. 14
Letzteres erahnen wir auch im Falle des sechsjährigen Knaben Roy, der in einem Dialog mit dem Entwicklungspsychologen Jean Piaget an den Ursprung von Gewässern im Allgemeinen geführt wird:
„Wie hat der See angefangen?“, frägt ihn Piaget. Roy antwortet: „– Das ist, weil es schon ein Loch hatte, dann hat man Wälle hingetan.“ Und „wie hat dieses Loch angefangen?“, frägt Piaget weiter. „Es war schon da. Männer hatten es gemacht“, sagt Roy.
Was ist ein Fluss?, fragt der Entwicklungspsychologe.
Das ist ein Loch, dann hat es Wasser darin.
Und woher kommt das Wasser?
Das ist wenn es warm ist, das gibt Wasser.
Was meinst du damit, Roy?
Es ist die Wärme.
Wie denn?
Weil wir schwitzen, dann ist man nass.
Und wo kommt das Wasser der Flüsse heraus?
Aus einem Tunnel.
Und das Wasser im Tunnel, woher kommt das?
Aus einem Kanal.
Und das Wasser des Kanals?
Es sind Menschen, die Wasser in einem Brunnen genommen haben und es in Schläuche getan haben. Wie hat das Wasser auf der Erde überhaupt angefangen? Hat es immer Wasser gegeben? -
Nein.
Und woher kam das Wasser ganz am Anfang?
Da waren Männer, die haben viel gespuckt.“15 ;
„Und wo kommt der Regen her?
Vom Himmel.
Und das Wasser des Himmels?
Aus den Wolken.
Und woher kam das Wasser, als es zum ersten Mal regnete?
Dann, wenn Menschen viel gespuckt haben.“ 16
Dieses Gespräch finden wir in einer Untersuchung von Jean Piaget, in der er sich mit dem Weltbild von Kindern auseinandersetzt. Dabei stellt er diesen unter anderem auch die Frage nach dem Ursprung von Flüssen und Seen. Das Interessante an dem hier zitierten Ausschnitt ist der physiologische Ursprung, den das Kind dem Wasser zuspricht: Es stammt von Männern, die gespuckt haben oder aber auch davon, weil wir schwitzen. Laut Piaget äußern die meisten Kinder bis zum Alter von acht Jahren zwar nicht direkt solche physiologischen Hypothesen, stellen aber dennoch den Ursprung der Flüsse mit dem Urinieren in Zusammenhang. Wasser erscheint ihnen als Produkt des Körpers. Schweiß, Urin und Speichel nehmen an der Körperoberfläche ihren Ausgang, quellen aus Körperöffnungen hervor Nachdem für Kleinkinder die Welt eine Gemeinschaft von Lebewesen darstellt,17 erscheinen Quellen damit zumindestens implizit als Ausscheidungen von belebten beziehungsweise beseelten Körpern. Hier versucht sich ein Wesen, das sich hinter einer Körperoberfläche verbirgt über das Hervorbringen des Wassers zu äußern. Die Quelle ist ein Ort der Kommunikation, an dem ein Kind mit dem Körperlichen konfrontiert ist. Hier trifft es auf ein Lebewesen, das ihm ähnlich und doch fremd ist.
3 Am stillen Stein18
Auch in der Sage „Der stille Stein“ kommt es zu einer Begegnung mit einer Quelle. Dort heißt es:
„Am Gießenbach wanderte Maria aufwärts, bis der Pfad immer schmaler wurde und die Felsen immer enger wurden, hoch ragten die Fichten empor und kein Strahl des Mondes drang in die finstere Klamm. Hier gab es keinen Steig mehr, mit Händen vorwärts tastend, musste das Mädchen sich zwischen Steinen und Gestrüpp hindurchwinden. (…) Maria folgte nur dem Rauschen des Wassers, das brauste stärker und wilder, je höher sie kam. Endlich stand sie vor einer mächtigen Felswand. Feuchtes Moos wucherte hier, der Gießenbach brauste seitwärts hernieder, silbrig im Mondlicht schäumend, und es wehte ein kalter Wind. (…) Wie sie sich aber umwandte, stand plötzlich ein winziges Männlein mit...
Erscheint lt. Verlag | 22.12.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Technik |
ISBN-10 | 3-99139-505-3 / 3991395053 |
ISBN-13 | 978-3-99139-505-8 / 9783991395058 |
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Größe: 26,3 MB
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