Mehr. Zahlen. Jeden. Tag. (eBook)
Zahlen scheinen uns rational, verlässlich, überprüfbar und objektiv. Wir zählen alles: Unsere Kalorien, Schritte, Freunde. Wir bewerten Filme, Restaurants, Taxifahrer. Wir messen und vergleichen. Schon vor mindestens 40.000 Jahren haben Menschen mit Zahlen gerechnet, aber in der digitalen Welt hat unser Umgang mit Zahlen und Daten ein ganz neues Level erreicht.
Zahlen dringen weiter und weiter in unser Leben vor, in alles, was wir tun und sind. Sie beeinflussen, welche Entscheidungen wir treffen, wie wir uns verhalten und was wir denken, wahrnehmen und fühlen. Ob wir es wollen oder nicht: Zahlen haben Macht über uns. Und sie spielen auf wirklich jedem erdenklichen gesellschaftlichen Level eine Rolle.
Die Wirtschaftsprofessoren Micael Dahlen und Helge Thorbjørnsen zeigen, wie berechenbar wir geworden sind. Basierend auf ihren Forschungsergebnissen helfen sie uns zu erkennen, wie sich Zahlen in unsere Köpfe und Körper einschleichen, und wie wir das sogar für uns nutzen können. Das ist ungemein faszinierend, manchmal beängstigend, vor allem aber sehr unterhaltsam.
Micael Dahlen ist internationaler Dozent und Professor an der Stockholm School of Economics. Er ist Autor mehrerer Bücher, in seinen letzten Veröffentlichungen hat er über den Sinn des Lebens, das Glück und das, was Menschen zufrieden macht geschrieben. Dahlen ist ein beliebter Redner, sowohl in Schweden als auch international, für Kunden wie Google, Ericsson, Samsung, The Economist und Fujitsu. Im September 2021 wurde er vom Journal of Business Research im neuesten globalen Ranking der Forschenden auf seinem Gebiet auf den zweiten Platz gewählt.
VORWORT
Unsere Tage sind gezählt.
Buchstäblich. Alles, was wir im Laufe des Tages so tun, ist gezählt. Die Tage, an denen wir uns mit anderen treffen. Die Tage, an denen wir arbeiten, lernen, verreisen. Die Nächte, in denen wir schlafen. Unsere Telefone, Social-Media-Profile, E-Mail-Programme und Apps berechnen das alles, Tag für Tag.
Wie viele Schritte bist du heute gegangen?
Wie viele Freunde hast du?
Wie gut ist der Fahrer des Autos, das du angefordert hast und in das du gleich einsteigen wirst (früher nannte man das Taxi)?
Das alles weißt du, denn dafür gibt es Zahlen. Der Schrittzähler zählt deine Schritte für dich. Facebook zählt deine Freunde. Die Fahrtenvermittlungs-App spuckt eine Durchschnittsbewertung aus.
Noch vor ein paar Jahren warst du in dieser Hinsicht völlig ahnungslos. Aber heute gibt es für alles, was du tagsüber so tust, einen Rechner. Für nachts auch, übrigens. Falls du wissen willst, wie lange du geschlafen hast, wie tief, wie oft du aufgewacht bist, geschnarcht hast, dich hin- und hergedreht hast (oder »sozial aktiv« warst), gibt es auch dafür Messinstrumente. Sucht man im App-Shop nach »Rechner« oder »Zähler«, kann man scrollen, bis man eine Hornhaut auf den Fingerspitzen bekommt. Googelt man nach Tracking-Apps, erhält man weit über eine Million Treffer.
All diese Rechner und Zähler sind ein Symptom dafür, dass in unserem Leben etwas im Umbruch ist.
Quasi neulich noch kamen wir ganz hervorragend durch den Tag, ohne zu wissen, wie viele Schritte wir zurückgelegt hatten. Hatten wir eine gute Zeit mit unseren Freunden, ohne sie durchzuzählen. Aber sobald wir das Ganze in Zahlen präsentiert bekommen haben, wurden uns diese Zahlen plötzlich wichtig. Wir begannen, über diese Zahlen nachzudenken, uns über sie zu freuen, uns immer mehr Gedanken über sie zu machen, sie zu vergleichen und uns mit ihnen zu identifizieren. Sie brachten uns dazu, mehr Schritte zu machen. Den Freundeskreis zu erweitern. Wegen der wenigen Schlafstunden nervös zu werden (und vermutlich genau deswegen noch länger wach zu liegen). Als ob unser Leben davon abhinge.
In dem Moment, als wir die Durchschnittsbewertung des Fahrers angezeigt bekamen, wurde sie uns auch wichtig. Während wir uns früher damit zufriedengegeben haben, dass uns ein Taxi von A nach B brachte, kann eine schlechte Bewertung nun dazu führen, dass wir uns noch einmal überlegen, ob wir überhaupt nach B wollen. Noch vor Kurzem meisterten wir unseren Alltag ganz hervorragend, ohne die Bewertung des Fahrers, des Servicepersonals und aller anderen zu kennen, aber plötzlich achten wir darauf, liken und bewerten sie sogar selbst. Und ebenso schnell, wie wir damit begonnen haben, alles und jeden zu bewerten, von unseren Kollegen über unsere Freunde und Dates, haben wir auch angefangen, uns Gedanken darüber zu machen, wie wir wohl selbst bewertet werden. Wir unterhalten uns nervös mit Fahrern, mit denen wir früher keine zwei Worte gewechselt hätten, weil wir befürchten, sie könnten andernfalls unsere Durchschnittsbewertung als Fahrgast senken. Googelt man nach Rating-Apps, bekommt man noch eine Million Treffer mehr.
Es handelt sich um eine Entwicklung epidemischen Ausmaßes. Wir befinden uns in einer Zahlendemie, in der sich die Zahlen in immer mehr Bereiche unseres Lebens einschleichen, in alles, was wir tun und sind, unser Verhalten, unsere Entscheidungen und auch unser Denken, Fühlen und Wohlbefinden beeinflussen.
Im Laufe der Jahrhunderte haben wir Menschen uns darauf konditioniert, automatisch und instinktiv auf Zahlen zu reagieren. Selbst wenn wir uns wirklich bemühen würden, keine Zahlen mehr zu verwenden, würden wir das wahrscheinlich nicht schaffen. Wir sind Zahlentiere. Wir verfügen zwar über dieselben Grundinstinkte wie andere Tiere, was uns aber etwa von Affen und Katzen unterscheidet, ist, dass wir unsere animalischen Instinkte mithilfe der Zahlen umprogrammiert haben (sogar auf Zellniveau, wie wir später sehen werden).
Allerdings war bei der Evolution des Menschen wahrscheinlich nicht vorgesehen, dass wir es jemals mit so vielen und so großen Zahlen zu tun bekommen würden, wie uns nun plötzlich zur Verfügung stehen. Schätzungen zufolge generieren wir heute jeden einzelnen Tag mehr Zahlen als die gesamte Menschheit von der ersten Tontafel in Uruk vor mehr als 5000 Jahren bis 2010 zusammengenommen.
Mehr. Zahlen. Jeden. Tag.
Was macht das eigentlich mit uns?
Diese Frage stellten wir, Micael und Helge, uns bei unseren Vorlesungen und Forschungsarbeiten über das Leben, Verhalten, die Motivation und das Schicksal der Menschen immer öfter. Also beschlossen wir, der Sache nachzugehen und die Antwort zu finden. Oder genauer gesagt: die Antworten, Plural. Mehrere Jahre widmeten wir uns Recherchen, Untersuchungen, Laborexperimenten, Feldstudien, Tests, Interviews und Beobachtungen, und die (häufig ziemlich erstaunlichen) Ergebnisse haben wir in diesem Buch zusammengestellt.
Hier erfährst du, wie sich Zahlen körperlich auf dich auswirken – das kann sogar so weit gehen, dass sie dich langsamer oder schneller altern lassen. Wie Zahlen dein Selbstbild beeinflussen und dazu führen, dass du dich besser oder schlechter fühlst. Wie sie dein Erleben einfärben, ja sogar dein Schmerzempfinden. Wir werden auch zeigen, wie Zahlen zu einem maßgeblichen Faktor für deine Leistung geworden sind und wie sie in deine Beziehungen eindringen.
Einige Effekte sind gut (beispielsweise dass Zahlen tatsächlich eine Leistungssteigerung bewirken), einige schlecht (beispielsweise dass es den Einzelnen weniger wichtig ist, was sie leisten). Einige sind ein wenig unangenehm (beispielsweise dass Zahlen unter Umständen Depressionen auslösen können), und viele sind lustig (beispielsweise dass bestimmte Zahlen die Wahrscheinlichkeit steigern, dass du links abbiegst).
Wir hoffen, dass dieses Buch hilft, sich all dieser Effekte bewusst zu werden, sodass du dir die guten zunutze machst, den schlechten entgegenwirkst und die unheimlichen hoffentlich niemals zu spüren bekommst. Damit du dich besser fühlst, schönere Erfahrungen machst, mehr aus deinen Beziehungen herausholst (deine Partnerin oder dein Partner, ob gegenwärtig oder zukünftig, wird es dir danken!) und ein gesünderes Leben führst.
Außerdem liefern wir noch eine ganze Menge Geschichten zum Weitererzählen. Beispielsweise darüber, warum eine bestimmte Trikotnummer nötig war, damit Michael Jordan GOAT werden konnte (beziehungsweise Greatest of All Time, wie die Basketballexperten sagen, also der weltbeste Basketballspieler und nicht etwa eine Ziege, wie die englische Abkürzung vermuten ließe). Wie Schrittzähler eine Immobilienblase hervorrufen können. Warum die Wahrscheinlichkeit, einen Strafzettel für Falschparken zu bekommen, kurz vor Weihnachten deutlich höher ist als während des restlichen Jahres. Wie ein Buch über die Genetik der Fliegen binnen 24 Stunden zum teuersten Buch der Welt wurde, oder was Jesus und Kim Jong II gemeinsam haben (Spoiler: Die Frisur ist es nicht) und wie das das Leben von Milliarden Menschen beeinflusst hat.
»Doch das war noch lange nicht alles«, wie es in der Werbung immer so schön hieß. Wir werden außerdem genauer betrachten, wie die Zahlendemie uns nicht nur auf der individuellen Ebene beeinflusst (und so »nur« ist das auch wieder nicht …), sondern auch als Gesellschaft insgesamt. Schließlich haben sich die Zahlen ja auch immer mehr in die Politik eingeschlichen. Im selben Augenblick, in dem Politikern eine unmittelbare Rückmeldung über die Anzahl ihrer Zuhörerinnen und Zuhörer ermöglicht wurde, fingen sie an, ihre Botschaft in Echtzeit anzupassen, um möglichst hohe Quoten zu erreichen. So umschmeichelten sie die Öffentlichkeit immer mehr, versprachen mehr, wurden immer provokanter und ähnelten zunehmend Karikaturen. Begannen, Mauern statt Brücken zu bauen (oder dies jedenfalls zu versprechen/anzudrohen). Sie ahnen, auf wen wir abzielen? Donald Trump war ein deutliches Symptom der Zahlendemie. Die Kampagne, die ihn zum Präsidenten machte, war vollumfänglich zahlengesteuert; es wurde Algorithmen überlassen, aus den Tweets und Aussagen diejenigen auszuwählen, die die meisten Klicks und Verbreitungszahlen lieferten.
Die Zahlen entwickelten sich zu einer Wahrheit, die Entscheidungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen beeinflusst, sowohl in Unternehmen als auch im öffentlichen Sektor. Leichter zu bemessende und in Zahlen zu fassende Angelegenheiten werden priorisiert, etwa die Beleuchtungsstärke an einem Arbeitsplatz anstelle des Wohlbefindens der Belegschaft, um einmal ein eher lustiges Beispiel zu nennen, auf das wir später noch zu sprechen kommen.
Für uns als Wirtschaftsprofessoren liegt außerdem die Feststellung nahe, dass der epidemisch gestiegene Zugang zu Zahlenmaterial diese Daten zu einer Währung an sich macht. Etwas, das wir miteinander tauschen, über das wir verhandeln und feilschen können. Likes, Swipes, Bewertungen, Punkte, Verhaltensdaten. In gewisser Hinsicht kann man das als etwas Gutes betrachten – eine Alternative zu Geld, die die Unterschiede zwischen Arm und Reich nivelliert und allen die Chance zum Aufbau von Kapital ermöglicht. So lohnt es sich, freundlich zu sein, viele Freunde zu haben und sich mitzuteilen. Was aber geschieht, wenn die Zahlen zu einer Art neuen Währung werden, wir aber die schlimmsten Eigenschaften des Geldes beibehalten und in einen völlig neuen Zusammenhang bringen? Wenn es auf einmal möglich ist, den Preis einer Freundschaft festzulegen? Likes zu kaufen und zu verkaufen? Es besteht das Risiko, dass wir gewissermaßen zu nach...
Erscheint lt. Verlag | 26.4.2023 |
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Übersetzer | Anja Lerz |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Sifferdjur – hur siffrorna styr våra liv |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik |
Technik | |
Schlagworte | 2023 • Allgemeinbildung • Allgemeinwissen • Alltagspsychologie • Bedeutung von Zahlen • Big Data und Datensicherheit • Bill Bryson • Christian Hesse • Daten • eBooks • fun facts • Geschichte der Zahlen • Homo digitalis • Infotainment • Komisch, alles chemisch • Manipulation • Mathematik • Mehr Zahlen jeden Tag • Neuerscheinung • pop science • Populäres Sachbuch • Selbstoptimierung • Statistik • unnützes Wissen |
ISBN-10 | 3-641-30036-3 / 3641300363 |
ISBN-13 | 978-3-641-30036-4 / 9783641300364 |
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