Wild im Herzen (eBook)

Wie ich als Jägerin und Winzerin im Einklang mit der Natur lebe

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
240 Seiten
Penguin Verlag
978-3-641-30122-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wild im Herzen - Shanna Reis
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Eine junge Jägerin und Winzerin zeigt, wie Nachhaltigkeit, Achtsamkeit und ein verantwortungsvoller Umgang mit Mensch, Natur und Tier gelingt
Die 31-jährige Jägerin und Winzerin Shanna Reis weiß, dass ein naturnahes Landleben oft so idyllisch wie herausfordernd sein kann. Etwa, wenn sie es sich gemeinsam mit Dackeldame Henriette an einem kalten und noch dunklen Wintermorgen auf dem Hochsitz gemütlich macht. Wenn sie den Rehen folgt, die durch die Weinberge streifen und entscheidet, wann deren Bestand eingedämmt werden muss. Oder wenn zwischen ihrem Opa und ihr mal wieder die alte und junge Jägerschule aufeinandertreffen. Wichtig ist ihr dabei immer der Blick aufs große Ganze. Denn die Jagd steht heute für Shanna, die selbst lange Vegetarierin war, für gleich mehrere Grundüberzeugungen. Einerseits ist sie Ausdruck von Tier- und Naturschutz: Wenn der Bestand einer Art zu schnell wächst, schaden die Tiere nicht nur der Natur, sondern auch sich selbst, es kommt unweigerlich zu großer Konkurrenz und Wildunfällen. Die Jagd steht für Shanna aber auch für den verantwortungsbewussten Fleischkonsum abseits der Massentierhaltung und den Erhalt der Artenvielfalt. Ob Wild oder Wein: Shanna zeigt, dass Achtsamkeit und ein Bewusstsein für die Schönheit der Natur die beste Basis für Glück und Genuss sind. In ihrem Buch nimmt sie uns mit auf das Weingut ihrer Familie und auf die Pirsch, führt uns durch das Jahr des Weinbaus und der Jagd und erklärt, was das Jagen mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Eine Liebeserklärung an das Leben in, mit und von der Natur.

Shanna Reis war selbst über zehn Jahre Vegetarierin, bevor sie sich dazu entschloss, wieder Fleisch zu essen. Doch weil sie auch die Verantwortung dafür übernehmen wollte, was auf ihrem Teller landet, entschloss sie sich kurzerhand dazu, Jägerin zu werden und so die Tradition ihrer Familie fortzuführen. Denn als Winzer gehörte für ihren Uropa, Opa und Vater die Jagd seit jeher zum verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und den Tieren, die in ihr Leben. Heute arbeitet Shanna für das Weingut ihrer Familie und ist als Vertreterin einer Generation, die das naturnahe Landleben wieder zunehmend schätz, regelmäßig im TV zu sehen, so etwa in »Hallo Deutschland« und dem »Sat1 Frühstücksfernsehen« oder als Gastgeberin der »Landfrauenküche«.

Januar
Morgenansitz


Mittwochmorgen, 4 Uhr 59. Mein Wecker klingelt, und ich wache desorientiert auf. Erst mal sortieren: Wie spät ist es? Warum habe ich mir den Wecker so früh gestellt? Ist Arbeit im Impfzentrum angesagt? Weingut oder Jagd? Moment … Wochenende ist schon mal nicht, das heißt keine Drückjagd. Ah, jetzt! Da war was: Ich wollte auf den Ansitz. Mit fünf Uhr war ich aber wohl etwas optimistisch. Ich werfe einen kurzen Blick links von mir aus dem Schlafzimmerfenster, es ist noch stockdunkel. Eine Viertelstunde dösen kann ich mir also problemlos erlauben.

5 Uhr 14. Mein Wecker klingelt erneut. Dieses Mal geht das gedankliche Sortieren etwas schneller, wenn die Motivation auch noch immer eher verhalten ist. Ich greife zu meinem Handy und knipse die Nachttischlampe an. Ein Weihnachtsgeschenk von meiner Schwester: ein kurzer, massiver Birkenstamm mit weißem Schirm mit dunkelbrauner Stickerei. Sie begleitet mich schon seit einigen Jahren oder, in Umzügen gerechnet, seit vier Wohnungen.

Ein erneuter kurzer Blick nach links: Das Stück Himmel, das ich sehe, ist immer noch rabenschwarz. Mein Freund Simon neben mir schläft weiterhin friedlich und lässt sich durch das Licht der Nachttischlampe gar nicht stören.

Nachdem ich meiner wenig gesunden Morgenroutine aus Instagram, WhatsApp, Facebook und Covid-Zahlen-Check nachgegangen bin, schaffe ich mich endlich aus dem Bett. Meine Dackeldame Henriette, kurz: Henri, und Simons Terrier Siggi wuseln mir um die Beine, als wüssten sie schon, wohin es geht. Ich greife nach frischer Unterwäsche und der braunen, leicht kratzigen Lodenhose, zu Pullover, Fleecejacke, Strumpfhose und Schal. Wir haben Januar, es verspricht also trotz rheinhessisch-mildem Winter ein kalter Morgen zu werden.

Ich schließe die Wohnungstür auf und schaue, ob die Luft rein ist. Wir alle wohnen gemeinsam auf dem Weingut. Meine Schwester, ihr Mann und ihre Kinder im Haus nebenan, meine Eltern im »richtigen« Haus, also im Erd- und Obergeschoss, und Simon und ich in der Anliegerwohnung, die sich im Keller befindet. Die geschlossene Wohnungstür ist hierbei enorm wichtig, da Terrier Siggi und die anderen Rüden des Hauses auf keinen Fall aufeinandertreffen sollten. So bleibt der schwarze Teufel auf der einen Seite der Tür, der Flur ist neutrales Grenzgebiet, und im Erdgeschoss treffe ich auf den Rest der Meute.

Sechzehn Stufen und drei freudige Stichelhaar später stehe ich in der Küche und drücke auf der Kaffeemaschine herum. Auch wenn ich es spätestens in dreißig Minuten bereuen werde, da die »Sanitärsituation« auf dem Hochsitz in der Regel mehr als dürftig ist – ein großer Kaffee aus meiner weiß-roten Tasse muss sein. Während ich den letzten Rest Sojamilch in meine Tasse kippe, wandere ich Richtung Büro, um die Sachen für den Ansitz zu packen. Mein Rucksack, gefüllt mit Gehörschutz, Fernglas, Handschuhen und allem, was man sonst eventuell für den Ansitz brauchen oder nicht brauchen kann, liegt wie immer unter den Schreibtischen des Büros. Eigentlich nur ein Werbegeschenk für Jungjäger, erweist er mir seit fünf Jahren treue Dienste bei jedem Ansitz, auch wenn langsam das Kunstleder an den Trägern abbröckelt und ich an manchen Tagen fluche, weil meine Vier-Zimmer-Küche-Bad-Ansitz-Ausrüstung einfach nicht hineinpassen will.

Als Nächstes schiebe ich die beiden Hundebetten mit dem Fuß zur Seite, um an den Gewehrschrank zu gelangen – dieses graue, schwere Ungetüm, das, solange ich denken kann, schon als Pinnwand missbraucht wird. Erst einmal auf die Zehenspitzen und einen Zahlencode eingeben, um an den Schlüssel zu kommen, der in einem kleinen Tresor auf dem Gewehrschrank verstaut ist.

Zwei nahezu identisch aussehende Waffen stehen nebeneinander. Eine ist die 9.3 (viel zu groß für das heutige Vorhaben) und die andere der Stutzen meines Vaters mit einem kleineren Kaliber von .270 Winchester. Ich lasse den Mittelfinger über die Lauföffnungen gleiten. Statt eine Lampe zu Hilfe zu nehmen, bin ich im Laufe der Zeit dazu übergegangen, lediglich mit dem Finger zu prüfen, welches die passende Waffe ist. Denn die Größe der Mündung variiert je nach Kaliber merklich.

Heute geht es für mich auf Rehwild, da ist der Stutzen meines Vaters die richtige Wahl. Ich greife also nach der Büchse: Angenehm kühl und geschmeidig liegt das dunkle Holz des Schaftes in meiner Hand. Der Gedanke, dass diese Waffe sowohl meinen Vater als auch mich schon auf so vielen Jagden begleitet hat und ein nahezu identisches Modell bei meinem Opa zu Hause steht, lässt ein wohliges, wenn auch nicht recht begründbares Gefühl der Zusammengehörigkeit in meiner Brust entstehen. Noch Magazin und Munition gegriffen und ich bin fertig ausgerüstet.

Schnell noch Jacke und Schuhe an und dann kann es endlich losgehen – denke ich. Letztendlich bedarf es noch etlicher bittender, flehender und drohender »Henriette!«-Rufe, bis sich die Dackeldame aus dem Haus in die Kälte bequemt. Temperaturen unter 35 °C sind nicht so ganz ihr Ding – das sei direkt zu Anfang gesagt. Wenn es nicht um eine Drückjagd, also eine große Gesellschaftsjagd im Winter, oder das Waidwerken auf Reineke Fuchs geht, auch bekannt als »Baujagd«, bedarf es schon einiger Worte mehr, um den »Hot Dog«, wie die braune Rauhaardackeldame familienintern genannt wird, aus dem Haus, raus in Kälte, in Regen oder Matsch zu bewegen.

Meine drei Stichelhaar muss ich wiederum nicht lange bitten. In der Regel reicht das Klappern der Gewehrschranktüren, um sie auf die Pfoten oder, jagdlicher ausgedrückt, auf die Läufe zu bringen, und wenn nicht, dann steht das Trio spätestens beim unverkennbaren Geräusch der Autotür fiepend bereit.

Nachdem alle Vierbeiner verladen sind, Henri auf dem flauschigen Lammfellsitz vorn – natürlich –, die drei Großen im Kofferraum, setze ich mich ins Auto und starte die Zündung. Wie gewohnt muss ich abwarten, bis das dunkelgelbe Symbol des Vorglühens erloschen ist, nach wenigen Sekunden ist der Motor dann bereit.

Eigentlich mache ich mir nicht viel aus Autos, aber den dunkelgrünen Galloper, ein Fabrikat aus dem Hause Hyundai, das ehemalige Sonntagsauto meines Opas, versuche ich schon pfleglich zu behandeln. Nachdem mein Opa mit fast achtzig Jahren eingesehen hatte, dass er nicht mehr unbedingt zwei Jagdautos benötigte, während zeitgleich unser Familiengelände- und Jagdauto für die Reparatur zu teuer wurde, ließ er sich erweichen und vermachte mir zu Weihnachten und Geburtstag, was in meinem Fall recht nah beieinanderliegt, seinen geliebten Wagen.

Stotternd startet der kalte Dieselmotor, und ich besinne mich erst einmal darauf, wo genau es jetzt hingehen wird. Welche Kanzel darf es heute Morgen für mich sein? Wähle ich Tor eins – den hohen Sitz mit Blick ins Nachbardorf, der mir garantiert einen schönen Sonnenaufgang beschert, aber möglicherweise auch Ärger mit einem unserer Mitjäger, der Sorge hat, ich könnte etwas in »seiner« Ecke des Reviers beunruhigen? Oder Tor zwei – bekannt unter dem Namen »Tiergarten«, wo ich in diesem Jagdjahr mein erstes Aspisheimer Wildschwein erlegen durfte? Leider gekoppelt an den Nachteil einer offenen Kanzel, die sich bei knapp null Grad als klirrend kalt erweisen könnte. Oder vielleicht Tor Nummer drei – ungemütlich-unruhig direkt an der Hauptstraße gelegen, dafür aber mit der Aussicht, ein Tier erlegen zu können, das sonst spätestens zur Umstellung der Uhr Ende März in einen Wildunfall verwickelt sein könnte? Während die Rehe nämlich ihr Leben lang immer dieselben Wege wählen, sogenannte Wechsel, die sogar von Generation zu Generation weiterkommuniziert werden, verändert sich oftmals die Umgebung drastisch. Auf einmal tauchen dann neue Straßen auf, und zudem nimmt von einem auf den anderen Tag der Berufsverkehr rapide zu in einer Zeit, in der es das Wild nicht gewohnt ist. So kommt es nicht selten vor, dass man an diesen Orten ein Reh an oder sogar auf der Straße sieht. Sei es, weil das Gras auf der anderen Straßenseite grüner scheint oder weil es vor einer Beunruhigung flieht oder auf dem Weg vom Reh-Wohnzimmer in die Schlafstube ist und dafür die altbekannte Route nimmt.

Während ich die Optionen in meinem Kopf durchgehe und gegeneinander abwäge, wird mir klar, was am sinnvollsten ist: Und so entscheide ich mich für den Lärmpegel des Berufsverkehrs in der Hoffnung, neben einem netten Stück Fleisch in meiner Tiefkühltruhe vielleicht auch ein Reh vor einem elendigen Tod zu bewahren.

Der Weg vom Weingut zum Ansitz ist nicht weit. Ein paar Hundert Meter und ich bin aus dem Dorf heraus, beim Weinlabor am Ortsausgang brennt sogar schon Licht. Nach zwei Serpentinen werde ich langsamer, um meinen Parkplatz nicht zu verpassen. Ich setze den Blinker und stelle mich rechts neben die Straße. Leise öffne ich die Autotür und trete auf den vermoosten, alten Asphalt. Die Kälte und Klarheit der gerade endenden Nacht schlagen mir unsanft in das noch etwas verschlafene Gesicht. Sachte schließe ich die Fahrertür und gehe um den Geländewagen herum, schnappe mir meinen Rucksack und die Büchse, die beide im Fußraum unter Henri bereitliegen. Möglichst leise schiebe ich die Patronen in das Magazin. Dreimal klackt Metall auf Metall. In der Umsicht, die ich zu Beginn eines Ansitzes walten lasse, ohrenbetäubender Lärm für mich. Aber ich bin noch einige Schritte vom Hochsitz entfernt und dürfte hoffentlich nicht alles Wild verscheucht haben.

Vorsichtig streife ich Henri die Pirschleine über den Kopf. Ein Geschenk von einer vergangenen Drückjagd in den steilen Hängen der Mosel, leider demoliert durch die rohe Gewalt von Terrier...

Erscheint lt. Verlag 12.4.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik
Technik
Schlagworte 2023 • Abenteuer • Achtsamkeit • achtsamkeit buch • Ankommen • Aussteiger • digital detox • digital und analog • Dorf • Dorfleben • draußen • eBooks • Elemente • Fleischkonsum • Frau • Happy Place • Jagd • Kraft der Natur • Landleben • Lebenshilfe • Lebensphilosophie • Memoir • Nachhaltigkeit • Natur • Naturerfahrung • Naturleben • Naturliebe • Neuerscheinung • Nose-to-Tail • Outdoor • reduziertes Leben • Revier • Rheinhessen • Selbstfindung • Selbstversorger • Selbstversorgung • Social Media • Tierbeobachtung • Tiere • Unterwegs • Wald • Wein • Weinberg • Wild • winzern
ISBN-10 3-641-30122-X / 364130122X
ISBN-13 978-3-641-30122-4 / 9783641301224
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