Die Welt der Pflanzen (eBook)

... und wie sie Geschichte machen
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2023 | 1. Auflage
192 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11995-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Welt der Pflanzen -  Stefano Mancuso
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»Unser Planet ist eine grüne Welt, weil er ein Planet der Pflanzen ist.« Stefano Mancuso Ohne Pflanzen gäbe es keine Kultur und keine Geschichte. Pflanzen sind die zahlreichsten Lebewesen der Erde. Sie bewirken nicht nur, dass wir auf der Erde leben können, sondern sind auch die Grundlage unserer Zivilisation: Nur durch sie ist Kultur überhaupt möglich. Wie Stefano Mancuso auf faszinierende Weise veranschaulicht, beginnt nahezu jede Geschichte mit einer Pflanze. Der brilliante und weltberühmte Neurobiologe Stefano Mancuso erzählt Geschichten von Pflanzen, die mit Ereignissen der Alltags- wie der Weltgeschichte verbunden sind. Etwa die Freiheitsbäume der Revolutionen im 18. und 19. Jahrhundert oder die spektakuläre Entführung des Sohnes von Charles Lindbergh 1932. Dieser außergewöhnliche Kriminalfall, der die Weltöffentlichkeit in Atem hielt, ließ sich mit Hilfe eines Holzstücks aufklären. Und da ist die Geschichte einer einzigartigen Rotfichte, aus der Stradivari vierzehn göttliche Geigen schuf. In diesem einzigartigen Buch machen Pflanzen (Welt-) Geschichte. Stefano Mancuso appelliert an uns alle, die Pflanzen, die Erde und damit uns selbst zu schützen. Ein wichtiges Buch, unnachahmlich erzählt und mit den neuesten Erkenntnissen der Pflanzenforschung fundiert. 

Stefano Mancuso, geboren 1965, ist Professor für Pflanzenkunde und einer der führenden Autoren des »Nature Writing«. Mancuso forscht und lehrt an der Universität Florenz, leitet das Laboratorio Internazionale di Neurobiologia Vegetale. Mit zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen gilt er international als der führende Pflanzenforscher. Sein Buch »Die Intelligenz der Pflanzen« stand monatelang auf der Bestsellerliste. 

Stefano Mancuso, geb. 1965, ist Professor für Pflanzenkunde und einer der führenden Autoren des »Nature Writing«. Mancuso forscht und lehrt an der Universität Florenz, leitet das Laboratorio Internazionale di Neurobiologia Vegetale. Mit seinen zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen gilt er international als der führende Pflanzenforscher. Seine Bücher »Die Intelligenz der Pflanzen« (2015), »Die unglaubliche Reise der Pflanzen« (2018) und »Die Pflanzen und ihre Rechte« (2021) sind Bestseller und wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt.

Die Geschichte der Freiheitsbäume, die einst das Bild so vieler Städte und Gemeinden zierten, kommt mir immer dann in den Sinn, wenn ich eines der drei berühmten Renaissance-Gemälde betrachte, die eine Idealstadt wiedergeben. Bewundern kann man diese Meisterwerke in der Galleria Nazionale delle Marche in Urbino, im Walters Art Museum in Baltimore und in der Gemäldegalerie Berlin. Sie wurden von unbekannten Künstlern geschaffen, entstanden jedoch zweifellos in Italien und verkörpern die Idee der perfekten Stadt, in der für Vegetation offenbar kein Platz ist – sieht man einmal von ein paar verstreuten Pflanzen ab, die der Künstler als dekorative Elemente auf dem Gemälde von Urbino verwendete. Nehmen wir ruhig dieses Bild als Beispiel. Unter anderem wurde es Leon Battista Alberti (1404–1472), dem Vater der Renaissance-Architektur, zugeschrieben. Er ist auch der Verfasser von De re aedificatoria (Über das Bauwesen), dem grundlegenden Architekturtraktat des Renaissance-Humanismus. Das Gemälde zeigt einen Platz in Zentralperspektive, in dessen Mitte sich eine prächtige Kirche erhebt. Das geometrische Pflaster des Platzes lässt die Gebäude wie Spielfiguren auf einem riesigen Schachbrett erscheinen. Das perfekte Rund der Kirche, die Symmetrie der beiden achteckigen Brunnen und die Größenverhältnisse der Gebäude, alles in dieser Stadt wirkt wie eine Manifestation des menschlichen Geistes. Sicher, es ist nur ein Gemälde und gibt ebenso wie die anderen beiden keine real existierende Stadt wieder. Das ist richtig. Aber wenn diese Ideale auch niemals verwirklicht wurden, spiegeln sie doch wider, wie wir uns eine Stadt vorstellen.

Fragen wir uns also, was die Gestalt unserer Städte stärker beeinflusst. Ist es unsere Vorstellung davon, wie sie sein oder wozu sie dienen sollten? Natürlich sind beide Aspekte wichtig. Ich glaube jedoch, es ist in erster Linie unser kulturelles und evolutionäres Erbe, das bestimmt, wie unsere Städte aussehen. Denn in unserem kollektiven Gedächtnis ist die Notwendigkeit, sich zu verteidigen, nun einmal tief verankert. Als die Menschen anfingen, sich an einem Ort niederzulassen und Behausungen zu errichten, zogen sie damit zwangsläufig eine Trennlinie zwischen ihrem Zuhause und der sie umgebenden Natur. Der Schutz vor Raubtieren, auch menschlichen, war immer schon ein wesentlicher Aspekt, den es beim Bau unserer Siedlungen zu berücksichtigen galt. Die Trennung zwischen dem von der Natur beherrschten Außen und dem sie aussperrenden Innen ist ein uraltes Erbe, das uns begleitet, seitdem man die allerersten Hütten baute.

Die antike Stadt setzte auf Umfassungsmauern und andere Wehranlagen, um das Innere zu schützen und gegen das bedrohliche Außen zu verteidigen. Die Notwendigkeit einer nicht ohne weiteres passierbaren Barriere setzte den Städten jedoch räumliche Grenzen, so dass für raumfordernde produktive Tätigkeiten wie die Landwirtschaft innerhalb der Stadtmauern kein Platz war. Für den englischen Historiker Arnold Toynbee (1889–1975) haben deshalb Städte aller Typen zu allen Zeiten gemeinsam, dass die Bewohner innerhalb ihrer Mauern niemals so viel Nahrung produzieren können, wie sie zum Überleben benötigen.[1] Eine Stadt ist notwendigerweise vom natürlichen Kontext getrennt, in den sie eingebettet ist, denn sie ist etwas völlig anderes als die Natur. Sie ist der Ort des Menschen, ein Ort, den er selbst erschaffen und an dem die Natur keinen Platz hat.

Aber ist die Form der Stadt, wie wir sie kennen, die einzig mögliche? Oder können wir uns diese Orte, an denen mittlerweile über die Hälfte der Menschheit lebt, nicht auch anders vorstellen? Bisher haben wir dieses Gedankenexperiment ausschließlich Architekten und Stadtplanern überlassen, obwohl wir uns meiner Ansicht nach alle daran beteiligen sollten. Wie wir unsere Städte künftig gestalten, wird sich nämlich massiv auf die Überlebenschancen der Menschheit auswirken. Ob es uns gelingt, den Kampf gegen die Erderwärmung zu gewinnen, wird nicht zuletzt von der Gestalt, den Materialien und der Funktionsweise unserer Zentren abhängen.

Um das zu verstehen, müssen wir etwas weiter ausholen.

Der Mensch bewohnt diesen Planeten immer weniger in seiner Gesamtheit, sondern konzentriert sich auf bestimmte Regionen und Ballungszentren. Bis in die jüngere Geschichte hinein war das noch anders, als menschliche Populationen auch in den entlegensten Winkeln der Erde zu finden waren. Nicht so in unserer Zeit. Der Mensch beansprucht heute nur noch einen winzigen Teil des Planeten, nämlich die Fläche, die unsere Städte einnehmen. Bis zum Jahr 2050 werden 70 Prozent der bis dahin vermutlich auf knapp zehn Milliarden Menschen angewachsenen Weltbevölkerung in Städten mit teils mehreren zehn Millionen Einwohnern leben.

Im Jahr 1950 lebten noch über zwei Drittel (70 %) der Weltbevölkerung auf dem Land. Im Jahr 2007 war es nur noch etwas weniger als die Hälfte, und das Tempo dieser Entwicklung nimmt stetig zu. Laut Prognosen werden bis 2030 60 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben, und bis 2050 wird der Anteil auf 70 Prozent ansteigen. Wenn diese Vorhersagen eintreffen, werden sich die globalen Verteilungsverhältnisse von Stadt- und Landbevölkerung innerhalb nur eines Jahrhunderts (1950–2050) umgekehrt haben.[2] Natürlich gibt es große Unterschiede in den verschiedenen Weltgegenden. Während Afrika in weiten Teilen noch immer sehr ländlich geprägt ist, leben in den beiden Amerikas bereits über 80 Prozent der Bevölkerung in Städten. In Italien und Deutschland ist dieser Anteil mit 71 beziehungsweise 75 Prozent zwar etwas niedriger, aber dafür kommen Frankreich, Spanien und Großbritannien auf deutlich über 80 Prozent.

Auffallend an dieser rasant fortschreitenden Urbanisierung ist der Umstand, dass sie im krassen Gegensatz zu unseren übrigen Aktivitäten steht. Während sich Kommunikation, Handel, Ernährung, Industrie, Kultur und andere typisch menschliche Verhaltensweisen immer globaler und weitergefasst gestalten, konzentrieren wir unsere Wohnorte immer mehr auf einen eher vernachlässigbaren Teil der Erdoberfläche. Wenn man die Antarktis einmal beiseitelässt, bedecken unsere Städte gerade einmal 2,7 Prozent der globalen Landfläche.[3] Ihre unwiderstehliche Anziehungskraft lässt Ballungszentren mit immer höherer Bevölkerungsdichte entstehen, während gleichzeitig weite Landstriche entvölkert werden.

Besonders faszinierend finde ich, dass diese Entwicklung eine ur-menschliche Verhaltensweise allmählich und grundlegend umzukehren scheint. Seit sie die evolutionäre Bühne betreten hat, war es eine der Hauptbeschäftigungen der Menschheit, neue Lebensräume zu erschließen. Schon immer suchten wir nach Gebieten, die wir neu besiedeln konnten, und verbreiteten uns auf diese Weise von Afrika aus über den gesamten Planeten. Doch innerhalb nur weniger Jahrzehnte haben wir plötzlich damit aufgehört. Nehmen wir als Beispiel nur die Geschichte der Weltraumforschung. Im Jahr 1969 setzte der Mensch zum ersten Mal einen Fuß auf den Mond – und ist im Grunde nie wieder dorthin zurückgekehrt. Nicht richtig zumindest. Eugene Cernan (1934–2017), Harrison Schmitt (*1935), Ronald Evans (1933–1990) und fünf Mäuse waren im Dezember 1972 die letzten Lebewesen, die die Erdumlaufbahn mit diesem Ziel verlassen haben.[4] Mit der Eroberung des Mondes scheint der Höhepunkt der menschlichen Expansion überschritten zu sein, denn zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte ist ein neu erobertes Territorium nicht Teil unseres Lebensraumes geworden. Zum ersten Mal gab es keine Pioniere und zum ersten Mal in der menschlichen Entdeckungsgeschichte kehren wir seit über fünfzig Jahren nicht an einen Ort zurück, den wir bereits erkundet haben. Wir haben unseren Expansionsdrang verloren. Niemand scheint mehr daran interessiert zu sein, neue Gebiete zu kolonisieren. Stattdessen ziehen unsere urbanen Zentren uns unwiderstehlich an, in denen wir uns wie eine Herde Schafe aneinanderdrängen.

Was ist der Grund für dieses Verhalten? Einander abwechselnde Phasen, in denen sich Pflanzen- und Tierarten ausbreiten und zurückziehen, sind durchaus normal. Befindet sich der Mensch vielleicht gerade in einer Phase des Rückzugs? Wir sehen uns zwar gerne als außerhalb der Natur stehend, unterliegen aber...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2023
Übersetzer Andreas Thomsen
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Freiheitsbaum • Nature Wrtiing • Naturschutz • Neurobiologie • Pflanzen • Pflanzenkunde • Rotfichte
ISBN-10 3-608-11995-7 / 3608119957
ISBN-13 978-3-608-11995-4 / 9783608119954
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