Das Haus am Meeresufer (eBook)

Roman
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2023 | 1. Auflage
416 Seiten
DuMont Buchverlag
978-3-8321-8286-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Haus am Meeresufer -  Joséphine Nicolas
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Paris in den 1920er-Jahren: Die einstige Kunststudentin Eileen Gray avanciert zur Interieurkünstlerin, die mit außergewöhnlichem Gespür die Formensprache der Zeit zu interpretieren vermag. Inspiration sind ihr die selbstbewussten Frauen der Left Bank, die literarischen Salons von Natalie Barney und Gertrude Stein, verwegene Nächte an der Seite ihrer Amour fou, der Chansonnière Damia. Als sie dem fünfzehn Jahre jüngeren Jean Badovici begegnet, nimmt das Leben der Visionärin eine jähe Wendung. Rasch erfasst der Architekturkritiker das Talent Eileens. Mit Kalkül lehrt er sie Wissen über neuartige Bewegungen wie das Bauhaus und De Stijl. Sie verliert ihr Herz an Jean, Widrigkeiten zum Trotz, und errichtet dem Geliebten ab 1926 an der Küste nahe Monaco die Villa E.1027, ein schmaler, lang gestreckter Bau zwischen Zitronenbäumen, darunter das azurblaue Meer. Das Gesamtkunstwerk der Autodidaktin erregt Aufsehen. Ihre Kreativität erstaunt noch Le Corbusier, den Meister der Moderne. E.1027 gerät zur Kulisse, wird Schauplatz von Neid und Selbstsucht, von Enttäuschung und Verrat.

JOSÉPHINE NICOLAS ist das Pseudonym von Christiane Adlung. Sie absolvierte u. a. die Studiengänge Architektur und Innenarchitektur. Bei DuMont erschien 2021 ihr erster Roman >Tage mit Gatsby<. Christiane Adlung lebt in Hannover und Nizza.

KAPITEL 2

»Ladys, jetzt ist Schluss mit dem Getöse«, hatte Scott vor mehreren Wochen entschlossen zu der Kleinen und mir im Kaminzimmer gesagt und das akribisch geführte Haushaltsbuch, seinen Ledger, zugeschlagen. Das Frühjahr begann sich gerade aus den letzten Schneewehen zu schälen, vereinzelt blitzten Krokusse im ersten Grün des Jahres auf. »Wir müssen unser Budget kürzen.«

Scottie und ich saßen an jenem Nachmittag in eine Wolldecke gehüllt auf dem ledernen Chesterfield-Sofa und blätterten in meinen Modemagazinen herum. Das Feuer prasselte in einem ruhigen, gleichmäßigen Ton. Manchmal stob ein glimmender Funke durch die Luft und wirbelte die Erinnerung an Maiskolben mit geschmolzener Butter eines spätherbstlichen Barbecues in den Raum.

»Was meinst du?« Gähnend ließ ich die Vogue auf meinen Schoß sinken und schaute Scott fragend an.

»Unsere Angestellten werden zu teuer. Ich habe es soeben errechnet, von ihren Löhnen könnten wir dir einmal monatlich genauso gut einen Diamantring kaufen.«

»De Beers?« Geziert streckte ich meine Hand aus und drehte sie im Lichtschein herum. »Gebündelt? Gereiht? Habe ich dir je gestanden, dass mich die Steine einzeln gefasst schrecklich melancholisch stimmen?«

»Zelda!«, ermahnte er mich. »Die Lage ist ernst. Dieser aufwendige Lebensstil fordert seinen Tribut. Dreihundert Dollar Miete, neunzig Dollar für die Nanny. Wir können uns den Luxus einer Köchin und eines Gärtners nicht mehr leisten.«

»Was willst du damit sagen?«

»Einer von beiden muss gehen.«

»Aber du hast doch bereits die Waschfrau entlassen.« Verdrossen fügte ich hinzu: »Was meiner Meinung nach ein Fehler war.«

»Ein Fehler«, plapperte mir die Kleine fröhlich nach und zog sich die Decke über den Kopf.

»Ein notwendiges Übel.« Scott verzerrte das Gesicht auf schmerzliche Weise, eine Mimik, die er einzusetzen wusste, und nickte nachdrücklich. »Auch wenn ich den Rest meines Lebens kein sauberes Hemd mehr tragen werde.«

»Was ist aus deiner Aktie geworden? Vielleicht solltest du sie irgendeinem neureichen New Yorker verkaufen?«

»Ach, dieses Stückchen Unglück«, winkte er ab. »Das Thema ist abgehakt. Also, was meinst du? Könntest du deine Kochkünste ein wenig aufpolieren?«

»Ich soll mir eine Schürze umbinden?«, rebellierte ich. »Genauso gut könnte ich mich auch ins letzte Jahrhundert fallen lassen.«

»Eine fantastische Gelegenheit, endlich einmal wieder Charles Dickens zu erwähnen. Niemand weiß Armut und Missstände brillanter zu beschreiben als er. Könnte sein«, meinte Scott, »dass ich es demnächst besser kann.«

»Nun übertreibst du.«

»Nein.«

Mit meinen Küchenkenntnissen stand es nicht zum Besten: Ich war in der Lage, ganz passable Sandwiches zu belegen, wenn genügend Zutaten im Haus waren, und ich konnte eine fantastische Pink Lady mixen (das Eiklar einfach weglassen!). Doch auch die Gartenarbeit verursachte mir Unbehagen. Eine Frau wie ich hatte aufregendere Qualitäten zu bieten.

Weit ließ ich die Gedanken zurückschweifen, dachte an Joseph, den gutmütigen schwarzen Gärtner meiner Eltern, der seine Augäpfel schnell wie Roulettekugeln rollte, wenn ich ihn als junges Mädchen darum gebeten hatte. Wann immer ich aus der Schule kam, sah ich ihn mit einem riesigen Schlapphut zwischen den Gemüsebeeten herumlaufen, eine Melodie summend oder ein Lied singend. Sein voluminöser Bass hatte mich fasziniert. In meinen Kinderohren klangen diese Töne ein bisschen verwegen, nach einer anderen, unbekannten Welt, die mir damals viel aufregender erschien als meine eigene. Joseph hatte ich mit meinem Unfug stets zum Schmunzeln gebracht. Sie sind einzigartig, kleine Miss. Haben Sie die Feuerwehr wirklich selbst gerufen, bevor Sie auf den Dachfirst geklettert sind und die Leiter weggestoßen haben?

Scottie krabbelte mit abenteuerlustigem Blick unter der Decke hervor und verdrängte die Bilder längst vergangener Zeiten aus meinem Kopf. Übermütig begann sie auf dem Sofa herumzuhüpfen. Das Einzige, was man mir wirklich anvertrauen konnte, waren meine Auftritte in der New Yorker Szene, die ich kühn zu variieren wusste. Diese Show beherrschte ich perfekt, ich hatte sie besser einstudiert als die Revuegirls der Ziegfeld Follies es je könnten. Doch ich wusste, dass nichts daran Scott momentan zufriedenstellen würde. Welche Alternative blieb mir an der Seite eines Schriftstellers? »Was ist mit einer weiteren Kurzgeschichte? Haben sie uns bisher nicht aus jedem Schlamassel gerettet?«

»Zelda, in den letzten Monaten habe ich zehn Geschichten geschrieben, um uns über Wasser zu halten. Zehn! Ich will mir die Nächte in dem kalten Zimmer über der Remise nicht mehr mit irgendwelchen albernen Storys vermiesen, um schnelles Geld zu verdienen. Das ist demütigend.«

»Vielleicht denkst du dabei auch mal an mich?« Ich war empört. »Es ist weitaus demütigender, zwischen all diesen Fledermäusen über das dunkle Grundstück zu laufen, nur um dir eine Tasse Kaffee nach der nächsten zu bringen.«

»Ich möchte endlich einen guten Roman schreiben, etwas Ernsthaftes. Ein Meisterwerk, verstehst du? Aber dafür brauche ich Zeit und Ruhe.«

»Und Geld«, stichelte ich. »An deiner Stelle würde ich augenblicklich zum Stift greifen und einige Sätze über das Ganze zu Papier bringen.« Grübelnd schaute ich ins Feuer. »Wie man 36 000 Dollar im Jahr verprassen kann wäre ein Titel, der unsere Situation hervorragend zusammenfasste. Das ist es, was die Leute lesen wollen. Die Saturday Evening Post würde es dir aus den Händen reißen.«

Scott horchte auf, verwarf meine Idee jedoch sogleich. »Ein dummer Gedanke.«

»Wenn du meinst«, gab ich mich gleichgültig.

Wir diskutierten eine Weile über unsere Möglichkeiten, beleuchteten die finsteren Löcher auf unseren Kontoauszügen, so zweifelhafte Vergnügen wie Glücksspiele, aber auch die unzähligen Besuche in den Theatern und Lichtspielhäusern. Die Ausflugsfahrten. Die Flüsterkneipen.

»Tja, das Feiern in Great Neck ließe sich ebenfalls mäßigen«, schlug Scott schließlich vor. »Vielleicht sollten wir nur noch am Wochenende Gäste einladen.«

»Du willst sagen, wir sollten uns auch zu Hause weniger amüsieren?« Ungläubig starrte ich ihn an. »Ganz schwierig.«

»Ich denke, dann lautet die Lösung unseres Problems Europa.«

Das Exil in Europa. Aufgrund des Wechselkurses kursierte in der Stadt seit Längerem das Gerücht, dass dort drüben alles wesentlich preiswerter sei. In Europa lebten die Menschen ohne größeres Einkommen angeblich wie Fürsten und Könige. Einige unserer Freunde, vornehmlich Künstler, hatten den Sprung über den Großen Teich bereits gewagt und wussten nur Gutes zu berichten. Immer wieder erreichten uns ihre Briefe, auf denen elegant anmutende französische Marken klebten. Wann kommt ihr endlich? Zeilen wie diese hatten meine Sehnsucht und meine Neugier längst geweckt. Sie klangen in meinen Ohren nach verheißungsvollem savoir-vivre.

»Ich könnte mir in Paris diese schicken Schuhe kaufen, die ich vorhin in der Vogue gesehen habe.« Eifrig blätterte ich durch die Seiten des Magazins, sah fließende Georgettekleider, anmutige Roben, eine Anzeige für eine sensationelle Black Cake Mascara. »Schau mal, diese T-Straps aus hellgrauem Veloursleder wären ein ganz wunderbares Pendant zu meinem Haar. Oder diese Two-Tones?«

Die Kleine kniete sich nun dicht neben mich, sodass ich ihren warmen Atem spürte. Sie schlang die Ärmchen um meinen Hals und sagte: »Ich brauche auch neue Schuhe.«

»In Monte Carlo könnte ich euch beiden ein ganzes Schuhgeschäft kaufen«, entgegnete Scott. Er legte die Beine auf den wuchtigen Eichentisch, zündete sich eine Zigarette an und stieß den Rauch mit hochgerecktem Kinn genüsslich in die Luft. Die Schwaden tanzten auf einem matten Sonnenstrahl, der sich angestrengt durch die Fensterscheiben des Kaminzimmers kämpfte.

»Meinst du wirklich, Goofo?«

»Aber ja, mein Schatz. Europa scheint tatsächlich äußerst preiswert zu sein.« Er nahm einen weiteren Zug, ohne den Blick von mir abzuwenden. »Du könntest dort drüben angenehmen Beschäftigungen nachgehen, dich in Müßiggang üben; schwimmen, lesen. Und ich würde in aller Ruhe meinen Roman zu Ende schreiben. Nach der Veröffentlichung sind wir sowieso reich und kehren als strahlende Gewinner in die Staaten zurück.«

»Ehrgeizige Pläne.«

»Machen wir es?«

Nach reiflicher Überlegung beschlossen wir, den verlockenden Zeilen unserer Freunde uneingeschränkt zu glauben. Dieser gelobte Kontinent sollte uns von den Folgen unserer Verschwendungssucht befreien und unsere Köpfe aus der Schlinge ziehen.

»Was für eine Entscheidung!« Schlagartig ergriff mich die Aufregung, ich atmete kräftig aus und sagte: »Gerade fühle ich mich wie Anne Boleyn, die dem Henker entkommen ist.«

»Diese Geschichte beruht aber auf mehrfachem Ehebruch; von einer Budgetregelung wüsste ich nichts.«

»Ist doch egal. Kopf ist Kopf.«

»Du hast recht«, meinte Scott lachend. »Gleich morgen fahren wir zum Büro der Dampfschiffgesellschaft und buchen uns eine Passage.«

»Das muss gefeiert werden!«

»Französischer Champagner war nie passender.« Er stand auf und strich mir im Vorbeigehen übers Haar. Mein Seidenband löste sich und glitt zu Boden. Eilig rutschte Scottie vom Sofa hinunter, langte danach und hüpfte durch das Zimmer. »Hoffentlich haben wir noch eine Flasche im Eisschrank.«

»Hinter meinen Cold...

Erscheint lt. Verlag 19.6.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Technik Architektur
Schlagworte 20-er Jahre • Architektin • Art déco • Bauhaus • Centre Pompidou • Côte d Azur • Der große Gatsby • Designerin • De Stijl • E.1027 • Eileen Grey • Frauenbewegung • Gertrude Stein • Irland • Jen Badovici • klassische Moderne • Le Corbusier • left bank • Liebesgeschichte • London • Monaco • Paris • Roquebrune-Cap-Martin • starke Frau • Südfrankreich • Urlaub • Vintage • Zwanzigerjahre
ISBN-10 3-8321-8286-1 / 3832182861
ISBN-13 978-3-8321-8286-1 / 9783832182861
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