Von Viren, Fledermäusen und Menschen (eBook)
288 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46652-0 (ISBN)
Isabella Eckerle, Jahrgang 1980, ist eine deutsche Virologin und Expertin für neuartige und pandemische Viren. Seit 2018 forscht sie als Professorin am Zentrum fu?r Neuartige Viruserkrankungen an den Universitätskliniken Genf. Bereits lange vor dem Auftreten von SARS-CoV-2 waren Corona-Viren ihr Forschungsthema, was sie zur gefragten Expertin in der Pandemie machte. Isabella Eckerle ist auch für das Robert-Koch-Institut und die Weltgesundheitsorganisation WHO tätig.
- Fachbuch-Bestseller: Biologie (Nr. 1/2024) — Platz 3
- Fachbuch-Bestseller: Biologie (Nr. 11/2023) — Platz 5
- Fachbuch-Bestseller: Biologie (Nr. 10/2023) — Platz 10
Isabella Eckerle, Jahrgang 1980, ist eine deutsche Virologin und Expertin für neuartige und pandemische Viren. Seit 2018 forscht sie als Professorin am Zentrum für Neuartige Viruserkrankungen an den Universitätskliniken Genf. Bereits lange vor dem Auftreten von SARS-CoV-2 waren Corona-Viren ihr Forschungsthema, was sie zur gefragten Expertin in der Pandemie machte. Isabella Eckerle ist auch für das Robert-Koch-Institut und die Weltgesundheitsorganisation WHO tätig.
Warum ein Buch über Zoonosen?
Die Fledermaus veräppelt uns. Seit einer gefühlten Ewigkeit schauen wir dabei zu, wie der schwarze Schatten lautlos über unseren Köpfen gaukelt, über und unter dem Netz durch, im Slalom um die Seitenstangen des Netzes herum, wenige Zentimeter an unseren Stirnlampen vorbei, sodass man in der schweren, feuchtwarmen Nachtluft bisweilen sogar den Windhauch ihrer Flügel auf dem verschwitzten Gesicht spürt. Aus dem Lichtkegel heraus verschwindet sie wieder im Pechschwarz, um nach einigen Kreiseln zurückzukommen und das Flugmanöver noch mal zu vollführen. Auch meine Kollegin, eine gestandene Fledermausbiologin, ist überrascht über die Fähigkeit, unser aufgespanntes Netz so klar zu erkennen und es mit einer solchen Präzision zu umfliegen. Eigentlich sollte die Fledermaus das gar nicht können, denn die feinen Fäden sind zu dünn, um vom Echolot der Fledermaus erkannt zu werden. Tja. Die Fledermaus denkt nicht daran, das Netz zu streifen oder gar blind hineinzufliegen und sich in den feinen Maschen zu verheddern, sodass wir sie vorsichtig entwirren und beproben können. Beproben, das heißt, mit einem winzigen Tupfer je einen Rachen- und Rektalabstrich zu nehmen und einige Mikroliter Blut, um darin nach neuen Krankheitserregern zu forschen. Im Moment frage ich mich aber, wer hier eigentlich wen erforscht. Nach ein paar weiteren Runden verliert sie das Interesse an uns Eindringlingen und flattert endgültig davon. Wir bleiben arbeitslos an unserem Campingtisch sitzen und starren in den nachtschwarzen Regenwald. Wie wir so dasitzen, frage ich mich, wie viele Erreger da draußen in dieser Dunkelheit sind, die uns bisher so knapp verpasst haben wie wir gerade die neugierige Fledermaus.
Es ist Juni 2015, und ich bin als Virologin mit einem Team von Wissenschaftler*innen im Wakka-Nationalpark in Gabun in Zentralafrika unterwegs, um neuartige Krankheitserreger in Fledermäusen zu erforschen. Wie so oft, wenn man wissenschaftliche Forschung betreibt, läuft es nicht ganz so wie geplant, und die logistisch sehr aufwendige Expedition in den unberührten Regenwald, von dem wir uns eine Fülle an Fledermaus-Proben erhofft hatten, hat uns bisher nur eine mickrige Handvoll Proben beschert, während wir in der Woche zuvor in den Feldern und Dörfern sehr schnell Hunderte von Proben sammeln konnten.
Wie bin ich zu dieser Arbeit gekommen? Ich habe Medizin studiert und habe mich nach einer kurzen klinischen Tätigkeit dem Thema gewidmet, für das mein Herz schlägt und das mich wie kein anderes fasziniert: neuartige Viren an der Schnittstelle zwischen Tier und Mensch zu erforschen. Früher war es oft eine holprige Unternehmung, jemandem zu erklären, warum man sich als Humanmedizinerin für dieses Thema interessiert. »Du bist doch eigentlich Ärztin, warum beschäftigst du dich mit diesen komischen Fledermaus-Viren?«
»Aber diese ganzen exotischen Viren, das betrifft doch nur so wenige Menschen, im Ernst, das ist doch nicht wirklich von Bedeutung.« An diese beiden Aussagen habe ich während der Corona-Virus-Pandemie oft gedacht. Heute braucht es keine Erklärung mehr, was Virolog*innen machen und warum neuartige Viren ein wichtiges Forschungsfeld sind.
Zoonosen gibt es aber nicht erst seit der Covid-19-Pandemie, und viele Viren, die wir heute als typische »Menschenviren« kennen, sind vor langer, langer Zeit – wir wissen nicht, wie lange – aus einem Tier in den Menschen übergesprungen. Und immer wieder spielen Fledermäuse – genauer gesagt: die Fledertiere, zu denen neben den Fledermäusen auch die Flughunde gehören – beim Ursprung von neuen und alten menschlichen Viren eine Rolle (Fledertiere haben allerdings von den Virolog*innen für lange Zeit auch mehr Aufmerksamkeit bekommen als andere Säugetiergruppen, und auch in diesem Buch stehen sie im Vordergrund, denn sie sind einfach faszinierende Tiere. Dennoch soll nicht unerwähnt bleiben, dass es auch andere, ebenfalls zoonotisch wichtige Säugetiergruppen gibt, auf die ich stellenweise eingehen werde).
Seit über zwanzig Jahren beschäftigt man sich in der Wissenschaft intensiv mit zoonotischen Viren, und eine Fülle an Wissen liegt mittlerweile vor. Darunter viele, viele Fallstudien von anderen Erregern, die near misses waren, also »Beinahe-Pandemien«, Infektionsereignisse, die es gerade so nicht geschafft haben, sich weltweit auszubreiten. Entweder, weil diese Viren noch nicht die richtige Kombination ihrer Gene für die Vermehrung im Menschen gefunden haben oder die Übertragung noch nicht effizient genug war. Entweder, weil das Immunsystem des neuen Wirts es geschafft hat, den Eindringling sofort zu überlisten, oder aber, weil es zu stark, oder überhaupt nicht reagiert hat, und der neu eroberte Wirt zu schnell gestorben ist, bevor er das Virus weitergeben konnte. Vielleicht auch, weil das Flugzeug, das überfüllte Sammeltaxi oder der nächste Tiertransport verpasst wurde.
Viele dieser zoonotischen Übergänge hätten Hinweise liefern und uns als eine unvollständige, aber doch hilfreiche Blaupause dienen können, um die Covid-19-Pandemie vielleicht nicht zu verhindern, aber doch dafür zu sorgen, dass die Welt nicht ganz so unvorbereitet in diese Geschichte hineinstolpert. Dennoch stehen wir mit der Erforschung dieser Viren erst am Anfang. Das elektrisiert mich und deprimiert mich zugleich: Es gibt noch so viel zu verstehen, viel mehr, als in ein einzelnes Forscherleben hineinpasst. Denn da draußen ist noch eine unvorstellbar große Anzahl an Viren, über die wir nichts wissen. Man schätzt ihre Zahl auf etwa 1,6 Millionen, von denen knapp die Hälfte die Fähigkeit haben könnte, auch Menschen zu infizieren. Jeden Tag versuchen einige davon an irgendeinem Ort der Welt gerade den Übergang in einen neuen Wirt. Vielleicht auf einem gut versteckten, illegalen Wildtiermarkt in Asien, vielleicht in einem kleinen, entlegenen Dorf in Zentralafrika, vielleicht auf einer schlammigen Ackerfläche frisch gerodeten Regenwalds in Südamerika. Oder in einer Massentierhaltung in einem Industrieland. Und wir haben sogar schon einen Namen dafür reserviert: »Krankheit X«. Niemand weiß, wie diese Krankheit genau aussehen und wann sie kommen wird, aber wir können mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen, dass sie kommen wird.
Dieses Buch wirft einen Blick auf neue, alte und künftige Viruskrankheiten und beschreibt, wie Viren und ihre Wirte, Wildtiere und Nutztiere, Ökosysteme und der Mensch interagieren: wo die Vielzahl der heutigen »Menschenviren« ihren Ursprung hat, wodurch zukünftige Krankheitsausbrüche wahrscheinlich begünstigt werden und was das für unsere und für die Gesundheit unserer Kinder bedeutet. Es geht aber auch um die Erkenntnis, dass der Übersprung der allermeisten zoonotischen Viren auf den Menschen überhaupt nichts Schicksalhaftes an sich hat. Denn die Ökosysteme, in denen Wildtiere und ihre Erreger eine Jahrtausende bis Jahrmillionen lange Koevolution durchlaufen haben und eine fein ausbalancierte, friedliche Koexistenz entwickelt haben, werden immer mehr aus ihrem Gleichgewicht gebracht – durch menschliche Eingriffe. Wissenschaftler*innen bezeichnen unser heutiges Zeitalter auch als das Anthropozän, das Zeitalter, in dem menschengemachte Veränderungen zu den wichtigsten Stellschrauben für das Leben auf der Erde geworden sind. In wenigen Hundert Jahren hat der Mensch das Gesicht der Erde unwiderruflich verändert, ihre Oberfläche an seine Bedürfnisse angepasst, mit weitreichenden Konsequenzen. Dazu gehört, dass die letzten unberührten Nischen, in denen Erreger und ihre Wirte koexistieren, erschlossen und geplündert werden. Wildtiere werden gejagt, gehäutet, gegessen, mit fremden Arten in viel zu engen Kontakt gebracht, lebend oder tot und in Stücke zerlegt per Flugzeug rund um die Welt transportiert, landen als Delikatesse auf unseren Tellern, als Pelzkragen in unseren Kleiderschränken, als exotische Haustiere in unseren Wohnzimmern – mit all den Risiken neuer, unbekannter Viren. Domestizierte Nutztiere, genetisch hochgradig homogen und damit eine riesige gleichförmige Wirtspopulation, werden in tausend- und zehntausendfacher Zahl unter unnatürlichen, krank machenden Bedingungen gehalten, um den zunehmenden globalen Hunger nach Fleisch zu decken. Millionen Tonnen von Fleisch werden rund um die Welt transportiert – und vielleicht mit an Bord: der nächste unbekannte Krankheitserreger.
Der Klimawandel verändert Ökosysteme und zwingt Arten, sich anzupassen. Die Vielzahl an Spezialisten, die höchst komplexe und fein ausgewählte Ansprüche an ihre Lebensgrundlagen haben, verlieren ihren Lebensraum und verschwinden. Ein paar wenige, flexiblere Generalisten, die sich besser an eine veränderte Umwelt anpassen können, folgen dem menschengemachten Wandel – und mit ihnen auch ihre Viren. Alle diese Faktoren lassen es sehr wahrscheinlich erscheinen, dass die meisten von uns in ihrer Lebenszeit noch eine oder sogar mehrere weitere Pandemien erleben werden.
Aber was können wir tun, wenn wir diese Entwicklung nicht einfach hinnehmen wollen? Es gibt keinen Grund zu verzweifeln: Wie häufig und wie folgenreich künftige Ausbrüche werden und ob wir lokale Epidemien zu Pandemien heranwachsen lassen, liegt zu einem guten Teil in unserer Hand. Weil Pandemien kein Naturereignis sind, sondern überwiegend von Menschen und ihrem Verhalten verursacht sind.
Dabei triumphiert im Fall der Infektionskrankheiten wie in keinem anderen Bereich die Wissenschaft über die Natur. Neben der Sicherstellung von sauberem Trinkwasser gibt es keine wirkungsvollere Maßnahme als das Impfen, um Krankheiten und Todesfälle zu...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2023 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Technik | |
Schlagworte | Affenpocken • ansteckung tier mensch • Corona • Ebola-Fieber • Fledermaus • Forschung • Gesundheitspolitik • Gesundheitsvorsorge • Gesundheit und Globalisierung • Gesundheit und Ökologie • Gesundheit und Umwelt • globale Gesundheit • Immunologie • Immunsystem • Medizin • mers • Ökologie • Ökosystem • One-health • Pandemie • Pest • Rinderwahn • SARS • SARS-CoV-2 • Schweinepest • Viren • Virologie • Virusinfektion • Vogelgrippe • West-Nil-Fieber • WHO • Wildtiere • Zerstörung Ökosystem • Zika-Fieber |
ISBN-10 | 3-426-46652-X / 342646652X |
ISBN-13 | 978-3-426-46652-0 / 9783426466520 |
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