Meine Reise mit den Meeresschildkröten (eBook)
256 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60318-8 (ISBN)
Christine Figgener, geboren 1983 in Haltern am See, studierte Biologie in Tübingen, Würzburg und promovierte in Texas. Seit 2007 lebt und arbeitet sie in Costa Rica, wo sie Meeresschildkröten erforscht und für deren Schutz kämpft. Ihr Video von einer Schildkröte, der ein Plastikstrohhalm schmerzhaft aus der Nase entfernt werden muss, ging viral und heizte die globale Debatte rund um die Verwendung von Einmalplastik an, die in vielen Ländern zu Verboten führte. Vom TIME Magazine wurde sie zum 'Next Generation Leader' ernannt. Außerdem gründete und leitet sie die Organisation COASTS und die Beratungsfirma N?maka Conservation Science in Costa Rica, die sich um den Schutz der Meeresschildkröten bemühen.
Christine Figgener, geboren 1983 in Haltern am See, studierte Biologie in Tübingen, Würzburg und promovierte in Texas. Seit 2007 lebt und arbeitet sie in Costa Rica, wo sie Meeresschildkröten erforscht und für deren Schutz kämpft. Ihr Video von einer Schildkröte, der ein Plastikstrohhalm schmerzhaft aus der Nase entfernt werden muss, ging viral und heizte die globale Debatte rund um die Verwendung von Einmalplastik an, die in vielen Ländern zu Verboten führte. Vom TIME Magazine wurde sie zum "Next Generation Leader" ernannt, seit 2020 ist sie Director of Science and Education für die Footprint Foundation, die über die Gefahren von Plastikverschmutzung aufklärt. Außerdem gründete und leitet sie die Organisation COASTS und die Beratungsfirma Nāmaka Conservation Science in Costa Rica, die sich um den Schutz der Meeresschildkröten bemühen.
Prolog
Ein paar Stunden bin ich nun schon am menschenleeren nächtlichen Strand unterwegs. Über mir erstreckt sich ein unglaublicher Sternenhimmel. Die Luft fühlt sich schwer in meinen Lungen an, und es riecht nach einer Mischung aus Salz und modrigem Holz, durchweht von süßem Blütenduft. Auf meiner einen Seite ragt die finstere Wand des undurchdringlichen Dschungels auf, während ich auf der anderen den Wellen des Karibischen Meeres ausweichen muss. Es ist noch warm, obwohl es nach Mitternacht ist, und mein langärmeliges, dunkles Sweatshirt klebt unter dem Rucksack mit der Forschungsausrüstung an meinem Rücken. Auch wenn sich meine Augen inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt haben, stolpere ich mehr, als dass ich laufe. Der Strand ist ein unübersichtlicher Hindernisparcours: umgestürzte Baumstämme, kleinere Äste und die allgegenwärtigen Senken und Mulden des weichen, feuchten Sandes. Pausenlos suche ich die Wasserlinie mit meinem Blick ab. Hin und wieder durchfährt mich ein Adrenalinschub, wenn ich einen lang gestreckten Schatten erspähe. Aber bisher hat sich jeder dieser Schatten als Baumstamm oder -stumpf entpuppt. Und ich frage mich, ob ich überhaupt erkennen würde, wonach ich Ausschau halte, wenn die Zeit käme …
Hinter mir versucht mein noch unerfahrenerer Begleiter Michael strauchelnd und schwitzend, mit mir Schritt zu halten. Nachdem er ein weiteres Mal beinahe hingefallen wäre, flucht er heftig: »Warum müssen wir im Dunkeln laufen, warum können wir nicht einfach unsere Taschenlampe benutzen?« Ich wende mich halb zu ihm um. »Meeresschildkröten mögen bei ihrer Eiablage die Dunkelheit. Sie orientieren sich bei ihrem Strandgang an den krassen Helligkeitsunterschieden zwischen dem hellsten Teil des Himmels, normalerweise sind das die Sterne und der Mond, die sich im Wasser spiegeln, und der stockdunklen Vegetation«, erkläre ich. »Wenn wir weißes Licht verwenden würden, könnten wir sie verschrecken und davon abhalten, ihre Eier zu legen.« Das scheint ihn zufriedenzustellen, und ich richte meine Aufmerksamkeit wieder in Richtung Meer.
Seit zwei Wochen nehme ich hier in Costa Rica an einem Projekt zum Schutz der Lederschildkröten teil, und obwohl ich Michael gegenüber so tue, als wüsste ich, wovon ich rede, habe ich noch keine einzige zu Gesicht bekommen. Die letzten 14 Tage habe ich in der Station verbracht und dort alles über Biologie, Ökologie und Schutz von Meeresschildkröten gelernt – einschließlich der Datensammlung und der notwendigen Maßnahmen, die nistende Mütter und ihre Eier vor Wilderern schützen sollen. Allerdings war das bisher nur reine Theorie, da wir während unserer Trainingspatrouillen nicht einem nistenden Weibchen begegneten. Und jetzt ist die Zeit fürs Training vorbei. Ich wurde ins kalte Wasser geschmissen und stolpere nun zusammen mit diesem einen Freiwilligen den Strand entlang, um »ein paar Schildkröten zu retten«, wie es die zuständige Biologin spaßig-motivierend formulierte.
Der Schweiß läuft mir langsam vom Po die Beine hinunter, und ich kann die Bartmücken spüren, die es unter meine lange Hose geschafft haben und sich jetzt an einer Blutmahlzeit erfreuen. Vielleicht sollte ich in Zukunft doch lange Socken anziehen, wie es mir empfohlen wurde. Meine Gedanken schweifen ab, zu meinem Bett und meinem sicheren Moskitonetz in der Station. Wie lange geht meine Schicht noch? Ein kurzer Blick auf die Uhr, deren Ziffernblatt wegen der hohen Luftfeuchtigkeit von innen beschlagen ist, verrät mir, dass ich noch zwei Stunden vor mir habe. Erst um vier Uhr morgens werde ich endlich todmüde ins Bett kriechen dürfen.
Auf einmal reißt mich mein Unterbewusstsein aus den Gedanken. Hat sich der dunkle Baumstamm dort in den Wellen etwa bewegt? Ich stoppe abrupt und halte den Atem an. Mein Begleiter prallt in mich hinein. »Was ist los?«, will er wissen. »Ich glaube, da ist eine Schildkröte«, flüstere ich. Tatsächlich scheint sich der Stamm etwas weiter den Strand hinaufgeschoben zu haben. Ich gehe ein paar Schritte näher, und jetzt kann ich es ganz deutlich sehen: Dort im seichten Wasser zeichnet sich die schwarze Silhouette einer riesigen Meeresschildkröte ab. Die Wellen waschen über sie hinweg, und der Mond spiegelt sich silbrig auf ihrem glatten Panzer. Sie hebt immer wieder den Kopf, so als müsste sie sich orientieren.
Mein Herz fängt wie wild zu klopfen an, und meine Gedanken rasen. Krampfhaft versuche ich, mich an alles zu erinnern, was wir im Training gelernt haben. Das Wissen wirbelt durch meinen Kopf, aber vor allem ein Detail drängt sich in den Vordergrund: Eine Meeresschildkröte ist besonders in den Anfangsstadien vor dem Eierlegen sehr schreckhaft und kriecht wieder zurück ins Wasser, wenn ihr die Situation nicht geheuer ist. Also ist für uns erst mal Rückzug angesagt. Ich zupfe Michael am Ärmel, und wir gehen mehrere Meter höher auf den Strand in den Schatten einiger Bäume. Dort erkläre ich ihm, dass wir warten müssen, bis das Weibchen anfängt, das Nest zu graben, bevor wir uns nähern können.
Über das Rauschen der Wellen höre ich, wie die langen Flossen auf den Sand klatschen und das Tier sich mit Ächzen und Stöhnen mühevoll den Strand hinaufzieht. Irgendwann verändern sich die Geräusche, es klingt, als würde Sand durch die Gegend geworfen. Langsam schleiche ich mich im Dunkeln näher. Tatsächlich scheint das Weibchen eine akzeptable Stelle gefunden zu haben und ist nun damit beschäftigt, alles fürs Nisten vorzubereiten. Über die nächste halbe Stunde pirsche ich mich mehrmals von hinten heran, um zu schauen, wie weit es ist. Die Minuten ziehen sich endlos hin, die ganze Zeit beschäftigt mich die Sorge, dass die Schildkröte den Nistvorgang vielleicht doch noch abbrechen könnte.
Allerdings gibt mir das Warten auch die nötige Atempause, um meine Nervosität unter Kontrolle zu bekommen und unsere Forschungsausrüstung vorzubereiten. Ich ziehe ein Datenblatt aus dem Rucksack und beschrifte es mit Datum und Uhrzeit. Dann suche ich mit meinem roten Taschenlampenlicht die Vegetationslinie ab, bis ein weißer Reflektor aufleuchtet. Ich laufe darauf zu und kann darüber die auf einen Baum geschriebene Zahl 25 lesen. Über die letzten zwei Wochen haben wir von Nord nach Süd Zahlen von 1 bis 160 in Abständen von 50 Metern an Bäume gemalt, sie sollen uns bei der Orientierung und Datensammlung helfen. Da der Baum links von uns und der Schildkröte steht, muss sie direkt vor dem Baum mit der Nummer 24 oder zwischen 24 und 25 sein. Auch das notiere ich gewissenhaft, denn all diese Informationen benötigen wir später für unsere Statistiken und um das Nest für die Bestimmung des Schlupferfolges wiederzufinden.
Endlich kommt der riesige Körper der Schildkröte zur Ruhe, und sie fängt an, mit ihren Hinterflossen ein Nest zu graben. Zu zweit schleichen wir uns jetzt vorsichtig von hinten näher heran. Wir dürfen nun zum ersten Mal unseren Taschenlampenstrahl auf die Schildkröte richten – jedoch nur das rote Licht und auch nur auf ihren Rücken und Schwanz. Die sensible Phase ist vor der Eiablage. Sobald die ersten Eier gelegt werden, fällt das Weibchen in eine Art Nisttrance – die meisten Arten lassen sich jetzt kaum noch stören.
Unglaublich, wie riesig die ist, denke ich, während ich mich hinter der Schildkröte auf dem Bauch in den Sand lege und meinen Lichtstrahl ihren Rücken hochgleiten lasse. Sie ist von Kopf bis Schwanz länger, als ich groß bin (1,70 Meter!), und muss so um die 300 bis 600 Kilogramm wiegen. Das ist keine Ausnahme für eine Lederschildkröte, wie ich in den kommenden Jahren lernen werde, aber dieser erste Anblick ist einfach beeindruckend. Faszinierend ist auch, wie grazil sie ihre Hinterflossen trotz ihrer Größe und ihres an Land doch eher unbeholfenen Erscheinungsbildes bewegt – sie benutzt sie wie Hände, um den Sand aus dem halb fertigen Nest zu entfernen. Wahnsinn!
Michael und ich verharren in ehrfürchtigem Schweigen und beobachten die Hinterflossen bei der Arbeit. Abwechselnd gleiten sie langsam in die immer tiefer werdende Eikammer hinein, strecken sich, kratzen mit dem hinteren Ende am entgegengesetzten Rand Sand weg, biegen sich, um den auf ihnen liegenden Sand aus dem Nest zu balancieren und ihn dann gekonnt und mit Schwung draußen zur Seite zu werfen. Ein hypnotisierender Anblick, der mich glatt in den Schlaf wiegen könnte, wenn das Adrenalin nicht wäre.
Nachdem ich ein paar Minuten regungslos zugeschaut...
Erscheint lt. Verlag | 30.3.2023 |
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Zusatzinfo | Mit 24 Seiten Farbbildteil und Illustrationen |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Natur / Ökologie |
Technik | |
Schlagworte | Arbeit am Strand • Arbeit mit Wilderern • auf dem Wasser • Biologie einfach erklärt • Buch mit Bildteil • Buch mit Botschaft • buch mit fotos • Buch mit Illustrationen • Buch mit Karte • Costa Rica • Dschungel • Eiablage Schildkröten • Entdeckungen am Strand • Entdeckungen unter Wasser • Expertin fürs Meer • Forschung • Forschung im Meer • Forschungsgeschichte • Forschungsreise • Forschungstaucher • Forschung zum Meer • Gefahren für Meeresschildkröten • Gefahren für Meerestiere • Gerätetauchen • Geschenk für Meeres-Nerds • Geschenk für Wasser-Fans • Kampf gegen Wilderei • Klima und Umweltschutz • Küstentiere • Leben an Küsten • Leben im Meer • Lebenslauf Meeresbiologin • Lebenszyklus Meeresschildkröte • Leben unter Wasser • Meeresbeobachtung • Meeresbewohner • Meeresbiologie • Meeresbiologin • Meeresbiologin Buch • Meeresbiologin werden • Meeresexpertin • Meeresschildkröte • Meeresschildkröten entdecken • Meeresschildkröten Expertin • Meeresschildkrötenforscherin • Meeresschildkrötenforschung • Meeresschildkröten Forschung • Meeresschutz • Meeresspiegel • Meerestiere • Meerestiere erforschen • Meermenschen • Mikroplastik • nistende Weibchen • Nomaden der Meere • Nomaden der Ozeane • Plastikmüll • Plastikverschmutzung • Regenwald • Reisen der Meeresschildkröten • reisende Tiere • Schildkröten • Schildkröten Buch • Schildkröten erforschen • Schnorcheln • Schutz der Meeresschildkröten • schwarze Strände • Strand • Suppenschildkröte • Tauchen • Tierschutz • Tierwissen Buch • Turtle Soup • Umweltschutz • unsere Ozeane • Unter Wasser • Unterwasserfotografie • Unterwasserwelt • wie mit Wilderern umgehen • Wilderei • Wilderer |
ISBN-10 | 3-492-60318-1 / 3492603181 |
ISBN-13 | 978-3-492-60318-8 / 9783492603188 |
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Größe: 78,5 MB
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