STAUB (eBook)

Alles über fast nichts - 100 unglaubliche Fakten und Geschichten
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
192 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-44665-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

STAUB -  Jens Soentgen
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Das große Universum der kleinen Partikel Wenn wir über Staub sprechen, dann gibt es meist ein Problem: Hausstaub löst Allergien aus, Feinstaub belastet die Stadtluft, Aerosole transportieren gefährliche Viren. Doch die kleinen Teilchen können noch viel mehr: Staubböden sind sehr fruchtbar, der Amazonasregenwald ist auf die Düngung durch Saharastaub angewiesen und ohne Staub in der Luft wäre es um einiges finsterer auf der Erde, da er das Sonnenlicht in die entlegensten Winkel spiegelt. Auch meteorologische Phänomene wie Regen oder Schnee könnte es ohne kleine Partikel in der Luft nicht geben. Klug, witzig und eloquent berichtet der Staubexperte Jens Soentgen von den nützlichen Quälgeistern, die uns täglich umgeben - Ein ganz besonderes Lesevergnügen.

Jens Soentgen, geboren 1967, Leiter des Wissenschaftszentrums Umwelt an der Universität Augsburg, untersucht in verschiedenen Forschungsprojekten groben, feinen und seit Neuestem auch ultrafeinen Staub. Der Chemiker und Philosoph widmete sich bereits in seiner Doktorarbeit der Staubfluse. Seither verfolgt und fasziniert ihn das Thema, und da Jens Soentgen weiß, dass Widerstand zwecklos ist, lernte er, den Staub zu lieben.

Jens Soentgen, geboren 1967, Leiter des Wissenschaftszentrums Umwelt an der Universität Augsburg, untersucht in verschiedenen Forschungsprojekten groben, feinen und seit Neuestem auch ultrafeinen Staub. Der Chemiker und Philosoph widmete sich bereits in seiner Doktorarbeit der Staubfluse. Seither verfolgt und fasziniert ihn das Thema, und da Jens Soentgen weiß, dass Widerstand zwecklos ist, lernte er, den Staub zu lieben.

1


Das Nichts und das Fast-Nichts: Was ist Staub?


Wie ist es, ein Staubpartikel zu sein?


Um es gleich zu sagen: Das Leben als Staubpartikel ist schwierig, aber man gewöhnt sich daran. Zwar könnte man meinen, es sei ein wunderbarer, engelsgleicher Zustand, überall umherzuschweben, durch Fensterritzen und unter Türen einfach hindurchzusegeln und in wenigen Minuten Hunderte Meter in die Höhe zu fliegen. Denkt man aber länger darüber nach, kommt man darauf, dass auch die Staubkornexistenz ihre Tücken hat.

Die Kraft, die unseren gewöhnlichen Alltag am stärksten ordnet, ist die Schwerkraft. Sie stört uns meist, macht uns Mühe, macht buchstäblich alles schwer, sie ist schuld daran, dass wir uns morgens aufraffen, uns aus dem Bett wuchten, uns zur Arbeit und durch den Tag schleppen müssen, bis wir abends ermattet ins Bett sinken oder fallen. Einkäufe und Umzüge sind mühsam – wegen der Schwerkraft. Die klassische Maloche ist hart – wegen der Schwerkraft.

Sogar wenn wir über eine absolut horizontale Ebene laufen, kämpfen wir beim Gehen mit dieser Macht, die an uns zieht, weil der Körper mit jedem Schritt ein Stück aufwärtsbewegt werden muss. Andauernd droht die Schwerkraft uns zu besiegen, greift, wo sie nur kann, unsere Balance, unseren aufrechten Stand an und ist erst zufrieden, wenn wir am Boden liegen.

Uns der Schwerkraft entgegenzustellen, ist unsere tägliche Aufgabe, und das bereits vom zarten Alter von etwa einem Jahr an, wenn die Kinder sich erstmals hinstellen und äußerst stolz sind, wenn das gelingt, bis ans Ende unseres Lebens, das dadurch gekennzeichnet ist, dass wir uns zunehmend schwer(!)tun mit dem Stehen und Gehen und die Schwerkraft endlich gesiegt hat. Auch wenn wir im übertragenen, moralischen Sinn sagen, dass einer »fällt«, »stürzt« oder auch nur »stolpert«, meinen wir damit immer etwas Negatives, ein Versagen. Und wo sich einer »schwertut«: da geraten die Abläufe ins Stocken.

Durch den andauernden Krieg mit dem übermächtigen Gegner »Schwerkraft« übersehen wir, dass sie in unserem Leben nicht nur ein Gegenspieler ist, sondern auch eine wichtige ordnende und stabilisierende Funktion hat. Man könnte sogar sagen, dass sie mehr oder weniger alles zusammenhält, sie ist das verborgene Grundgesetz des Alltags. Sie sorgt nämlich dafür, dass alles eine gewisse Stabilität hat. Das Glas bleibt auf dem Tisch, die Suppe kann in den Teller gefüllt werden und bleibt dann auch dort. Der Salat wird in der Schüssel gemischt und verharrt darin, statt langsam Blatt für Blatt davonzuschweben. Möbel kann man in einem Zimmer hier und dort platzieren, sie bleiben dann an dem ihnen zugewiesenen Ort und stehen nicht etwa am nächsten Morgen an ganz anderer Stelle oder hängen gar an der Decke wie heliumgefüllte Luftballons. Auch die Babywindel, die man in den Mülleimer geworfen hat, mag zwar von dort aus einen unangenehmen Geruch verbreiten, aber sie bleibt wenigstens dort, statt vor unserem Gesicht umherzufliegen, während wir gerade dabei sind, das Mittagessen zuzubereiten. Autos, Fahrräder, Fußgänger und Hunde, denen wir draußen begegnen, bewegen sich horizontal und oft in halbwegs klaren Linien, sie schweben nicht kreuz und quer umher. Wir selbst bleiben stabil, wo wir sind, es sei denn, wir fassen den Entschluss, aufzustehen und uns fortzubewegen.

 

All das entfällt im Staubbereich. Denn hier spielt die Schwere nur noch eine geringe Rolle. Stattdessen werden andere Kräfte, die in der Materie stecken, wichtiger. Insgesamt wird die Welt unberechenbarer, denn alles kann überall sein und alles kann sich begegnen, sich miteinander verbinden.

Wären wir klein wie ein Staubteilchen, dann hätten unsere Beine kaum noch eine sinnvolle Bestimmung. Gehen würde nicht recht funktionieren. Es würde sich vielmehr ungefähr so darstellen wie das »Gehen« der Astronauten im Weltall. Es reichte, den Untergrund ein wenig anzutippen, schon entschwebte man in den Raum. Die kraftvollen Muskeln, mit denen unsere Beine ausgestattet sind, um uns »oben« zu halten, würden verkümmern. Stattdessen wäre es im staubteilchengroßen bzw. staubteilchenkleinen Leben viel wichtiger, sich ständig mit den Armen irgendwo festzuhalten. Und auch zur Fortbewegung wären die Arme deutlich brauchbarer, solange man irgendwo etwas findet, an dem man sich festhalten und weiterziehen kann.

Ein ruheloses, nomadisches Dasein! Man könnte sich nirgendwo hinsetzen, denn wann immer man es sich gemütlich machen wollte, schwebte man schon wieder davon. Hätte man irgendwo Bänke oder Stühle, müssten diese fest mit der Oberfläche vernagelt sein, und auch wir selbst müssten uns an die Stühle förmlich anbinden. Essen und Trinken wären genauso schwer, eine größere Menge Wasser, etwa ein Tröpfchen oder eine kleine Lache auf dem Tisch, wären für uns staubkleine Wesen schon lebensgefährlich. Berührte man sie, bliebe man unweigerlich hängen. Auch unsere Speisen, mehlfeine Körnchen nämlich, lägen nicht auf Tellern, sondern würden durch den Raum schweben. Sie blieben zwar auf einem Teller haften, doch schon der leiseste Windhauch bewegte sie wieder in die Luft, wo sie umherschwebten, verfolgt von unseren hungrigen Blicken.

Alles um uns herum würde in Bewegung geraten! Alles wäre chaotisch! Während es für staubfeine Teilchen nämlich ein Leichtes ist, zu entschweben, fällt es ihnen schwer, an einem Ort zu bleiben. Auch dieses Buch zu lesen, wäre im Staubreich nicht einfach, denn ein winziges Buch haftete fest an Ihrer Hand, Ihrer Kleidung und würde so zu einer allzu fesselnden Lektüre, die Sie, auch wenn Sie wollten, nicht mehr aus der Hand legen könnten.

Die Welt eines staubfeinen Teilchens ist also eine ziemlich verwirrende Welt. Einerseits kann man sich leicht fortbewegen, kann durch Fenster und Türen gehen, kleinste Ritzen, die man nicht mehr sehen kann, reichen als Durchlass. Man hat keine Flügel und kann doch fliegen oder zumindest schweben, der sanfteste Luftzug genügt. Auch in die Höhe kommt man ohne Mühe, je nach Wetterlage kann man sogar den Weltraum erreichen und die Erde von oben betrachten, ganz ohne Kosten – allerdings gäbe es keine Rückfahrkarte, denn gezielte Bewegungen sind schwer bis unmöglich.

»Mann über Bord« heißt es auf hoher See, wenn jemand aus dem Schiff gestürzt ist; und auch in der Staubwelt gilt: Wer sich einmal nicht festgehalten hat, entschwebt auf Nimmerwiedersehen.

 

Damit sind wir bei den vielen Gefahren, die einem Staubteilchen drohen. Die Erde unfreiwillig zu verlassen, dürfte eine davon sein, eine andere, viel alltäglichere ist die, plötzlich beerdigt zu werden. Innerhalb der Wohnung ist es wohl die Begegnung mit dem Staubsauger oder dem Luftreinigungsgerät, die dem Staub Sorgen machen könnte. Dieses Gerät macht aus vielen unabhängigen Staubansammlungen, die noch beweglich sind und umherschweben, eine einzige, die dann in der Mülltonne landet.

Doch nicht nur in der Wohnung, auch im Freien drohen Feinde. Die schlimmsten sind die, die friedliebend und freundlich daherkommen, die feinen, weichen Tröpfchen eines dichten Nieselregens etwa. Noch gefährlicher aber ist der Schnee. Wenn man in der Menschenwelt sagt: »Wie schön, es schneit«, dann erbebt die Staubwelt, denn aus Staubsicht sind die Schneeflocken wie eine riesige Armee von Wischmopps, die langsam durch die Luft nach unten sinkt und dabei allen umherschwebenden Staub, der sich nicht schnell genug in Sicherheit bringt, mitnimmt. Jede Schneeflocke beginnt ihr Leben, indem sie ein Staubkorn erledigt, denn im Kern der meisten Schneeflocken findet sich ein Staubpartikelchen, das wider Willen als Kristallisationskeim dient und damit unweigerlich nach unten transportiert wird. Und es bleibt nicht bei diesem einen Opfer.

Indem die Schneeflöckchen nach links und nach rechts pendelnd langsam durch die Atmosphäre nach unten sinken, binden sie mehr und mehr Staubpartikel. Ihre Bewegungen erinnern selbst an die des Staubes, und deshalb gelingt es ihnen auch, eine Menge von ihm einzufangen. Und selbst wenn der Schnee schon am Boden liegt, so zeigt eine neue Studie, hört sein Appetit auf Staub noch lange nicht auf! Denn er kühlt die über ihm liegende Luft ab, die daraufhin in eine Abwärtsbewegung gerät, wodurch auch die letzten sich noch in der Luft befindlichen Staubpartikel mitgerissen werden und an den feinen Kristallen hängen bleiben.

Und so kommt es, dass der weiße Schnee, jedenfalls der Schnee in Städten, der schmutzigste Niederschlag überhaupt ist. Dass es wirklich so ist, kann man einfach testen, indem man eine Handvoll frisch gefallenen Schnee auf einen weißen Teller legt und abwartet. Im warmen Zimmer offenbart schmelzender Schnee rasch seinen schwarzen Kern: die Rußpartikel, die er auf seinem langsamen Weg aufgesammelt hat und die sich in der kalten Winterstadtluft als Resultat ungezählter Feuer angesammelt haben. Auch viele Fasern finden sich, wenn man näher hinsieht. Wer je eine Portion Schnee in den Mund genommen hat, wird sich gut an den pelzigen, manchmal sogar metallischen Geschmack erinnern … Wer sich hingegen nicht so sehr für den Geschmack von Feinstaub und Abgasen interessiert, sollte lieber die Finger von diesem allerschmutzigsten, wenn auch unbestritten schönsten Niederschlag lassen.

 

Wenn also Niederschläge, besonders Schnee, ein Drama für die Staubwelt sind, so lebt sie umgekehrt auf, wenn es lange trocken ist und zudem noch die Sonne scheint. Denn dann gerät der Staub durch die Strahlung und die Wärme in Bewegung, das Wasser, das ihn schwer macht und bindet, verdunstet, vom Boden steigt immer neuer Staub auf, der, wenn keine Winde und kein Niederschlag ihn...

Erscheint lt. Verlag 19.10.2022
Illustrationen Katja Spitzer
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik
Technik
Schlagworte Aerosole • Alltagswissen • Bleiben Sie neugierig! • Blütenstaub • Der Dinge-Erklärer • Die Wiese • Dürre • Erderwärmung • Ernte • Erzählendes Sachbuch • Feinstaub • Forschung • Forschungsergebnisse • Gäuboden • Geschenk für Naturwissenschaftler • geschenk für studenten • Gesundheit • Harald Lesch • Hausstaub • Jan Haft • Kleine Partikel • Kleinstpartikel • Klimawandel • Komisch alles chemisch • Kosmetik • Land • Lössböden • Luftfilter • Luftqualität • Luftverschmutzung • Lunge • mai thi nguyen-kim • Meer • Natur • Naturphänomen • Naturwissenschaft • Naturwissenschaft Allgemeinwissen • Naturwissenschaft Buch • Pflanzen • Philosophie • pop science • Pop-Science • Quarks und Co • Ranga Yogeshwar • Regenwald • Saharasand • Sand • schmutzige Luft • Smog • spannende Sachbücher • Stadt • Staub • Staubböden • Staubfluse • Staubforschung • Staubkorn • Staubtuch • Staubwedel • Sternenstaub • Sturm • Terra X • ultrafein • Umweltwissenschaft • Universum • verschmutzte Luft • Waldbrand • Welt verstehen • wissenschaft buch • Wollmaus • Wollmäuse • Wüsten
ISBN-10 3-423-44665-X / 342344665X
ISBN-13 978-3-423-44665-5 / 9783423446655
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