Böse Bäume (eBook)

Spiegel-Bestseller
Wie sie töten, stehlen, Feuer legen - die dunkle Seite unserer liebsten Waldbewohner
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
272 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-29489-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Böse Bäume -  Markus Bennemann
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Kein Wunder, dass wir Bäume so gernhaben: Schon ein kurzer Spaziergang im Wald oder Stadtpark lädt die Seele auf, das lichte Spiel der Blätter vertreibt düstere Gedanken. Doch egal ob heimische Buche oder exotischer Götterbaum: Bäume haben auch eine finstere Seite, die kaum jemand richtig kennt. Sie bestehlen, töten und verstümmeln einander - oder tun sich im ewigen Kampf um Licht, Wasser und Nährstoffe noch Unglaublicheres an!

In seinem neuen Buch verrät uns der Wissenschaftsautor und passionierte Waldgänger Markus Bennemann die unangenehme Wahrheit über das andere - dunkle - Leben der Bäume. Er erzählt von der tropischen Würgefeige, die ihre Opfer arglistig erdrosselt, und der beliebten Walnuss, die in Wirklichkeit eine fiese Giftmischerin ist. Von zündelnden Eukalyptusbäumen, schmarotzenden Edelhölzern und angriffslustigen Akazien - sowie von vielen anderen nicht ganz astreinen Gesellen.

Markus Bennemann konnte sich während des Studiums nicht zwischen Literatur und Biologie entscheiden. Schließlich ist er bei der Literatur geblieben und schreibt heute Bücher über - Biologie. Mehrere Sach- und Kinderbücher sind bereits von ihm erschienen und wurden in verschiedene Sprachen übersetzt. Er lebt in Wiesbaden.

1 Die Würgerin im Dschungel


Dem ersten – und wahrscheinlich berüchtigtsten – bösen Baum dieses Buches begegne ich auf Bali.

Ich bin nicht zur Recherche dort, sondern aus weniger seriösen Gründen. Ein nach Australien ausgewanderter Freund hat einen runden Geburtstag, und ein paar alte Kumpels wollen mit ihm auf Bali feiern. Für Australier ist die indonesische Insel so etwas wie für uns Deutsche Mallorca, von Deutschland aus liegt sie natürlich nicht ganz so günstig. Sowohl unter Klimaaspekten als auch finanziell ist der Trip ziemlich unvernünftig – aber was tut man nicht alles für seine Freunde.

Unser alter Freund hat seine neuen Kumpels aus Australien mitgebracht, und die machen ihrem Ruf alle Ehre. Ein paar Tage lang gibt sich die deutsche Delegation alle Mühe, sowohl beim Surfen draußen auf dem Meer als auch abends an der Bar nicht vollkommen down under zu gehen. Dann versuchen ein paar von uns, sich durch einen Ausflug ins Hinterland wenigstens eine kleine Verschnaufpause zu verschaffen.

Auf Bali legt man am besten alle Wege im Taxi oder auf dem Rücksitz eines Taxi-Scooters zurück. Man selbst als Fahrer würde den Verkehr wahrscheinlich nicht überleben. Die Balinesen rasen regelmäßig auf der Gegenfahrbahn aufeinander zu und schlängeln sich durchs Gewusel, wie man es sonst nur aus Verfolgungsjagden im Kino kennt. Jeder deutsche Verkehrsteilnehmer würde hinterm Steuer erst mehrere Tobsuchtsanfälle und schließlich einen Nervenzusammenbruch erleiden. Die Balinesen scheinen das ständige, haarscharfe Vorbeischlittern am Tod nicht mal zu bemerken.

Unser Weg führt uns vom dicht besiedelten Süden über Reisterrassen und Bergstraßen zum Danau Tamblingan, dem kleinsten der drei vulkanischen Kraterseen im Norden. Hier kann man nicht nur einen schönen alten Tempel besichtigen, sondern sich auch durch den dichten Urwald an den Hängen des Kraters führen lassen. Vorher bekommt man einen Kaffee serviert, der schon den Verdauungstrakt einer Schleichkatze passiert hat, aber trotzdem noch so stark ist, dass einem die Hände zittern.

Unser Guide führt uns den schmalen Pfad entlang und erklärt Wissenswertes zu Tieren und Pflanzen. Schließlich gelangen wir zu einem hohen alten Baum, der offensichtlich als »Fotobaum« auf den Touren dient. Er ist hohl und lässt genug Platz im Innern, um sich hineinzustellen. Auf einer Seite hat der Stamm eine Öffnung, durch die man sein Gesicht stecken kann. Gehorsam stellt sich einer nach dem anderen in den Hohlraum und macht das obligatorische Foto.

Etwas an dem Baum ist jedoch seltsam. Trifft man im deutschen Wald auf einen hohlen Baum, geht es ihm oft nicht so gut. Die Blätter sind licht, im Innern leben Pilze, Spinnen und Fledermäuse, und morsches Holz zeugt vom nahen Ende.

Der »Fotobaum« im indonesischen Dschungel wirkt jedoch quicklebendig. Die Krone ist voll, die Rinde glatt, nirgends graben Käfer ihre Gänge, und dankenswerterweise hängt auch kein indonesischer Flughund über unseren Köpfen. Noch etwas anderes fällt auf: Der graugrüne Stamm besteht nicht aus einem Stück, sondern aus vielen dünnen Strängen, die miteinander verschmolzen sind wie eine Art hölzernes Gewebe. Das Ganze wirkt organisch, dynamisch, und fast ein bisschen unheimlich.

Das Loch, durch das wir unsere Gesichter gesteckt haben, ist auch kein altes Astloch, sondern eine von zwei Strängen geformte Öffnung. Sieht man zu lange hin, hat man das Gefühl, sie könnte sich jeden Moment schließen. Vielleicht ist das vom »Katzenkaffee« verursachte Herzflimmern schuld, vielleicht die langen »australischen Nächte«: Der ganze Stamm des Baums wirkt plötzlich wie ein lebendiges Geflecht aus dicken Seilen, das sich jederzeit zuziehen kann wie eine Falle. Drinnen ist man gefangen und wird langsam stranguliert – oder stirbt schließlich an Durst und Hunger.

Unser Guide klärt uns darüber auf, dass es genau so ist – allerdings nur für Bäume. In dem hohlen Schacht in der Mitte des Baums, in dem wir eben standen, reckte sich einst ein stolzer Urwaldriese empor. Doch heute ist nichts mehr von ihm übrig.

Er wurde Opfer der Würgefeige, des mörderischsten Strangulationskünstlers des tropischen Dschungels.

Würgefeigen werden gerne als »parasitärer Albtraum« beschrieben, der anderen Bäumen Wasser, Nahrung und Licht raubt, indem er sich um sie windet wie die Baumversion einer riesigen Würgeschlange. Tatsächlich führt das nicht selten dazu, dass der ursprüngliche Baum im Innern der Würgefeige abstirbt und zerfällt, sodass wie bei uns auf Bali nur der hohle Stamm des Schmarotzers übrig bleibt. Der tut sich dann auch noch an den in den Boden übergehenden Überresten seines Opfers gütlich.

Was vom Baume übrig blieb: Nach langer Zeit sterben die Opfer der Würgefeige ab und nur sie steht noch.

Laut molekularer Analyse sind Feigen eine ziemlich alte Gattung von Pflanzen. Sie begannen bereits vor mindestens 60 Millionen Jahren, die Erde zu bevölkern. Wie vermutet wird, hatte damals gerade der Einschlag eines großen Meteoriten das Ende der Dinosaurier eingeläutet, und der Aufstieg der Säugetiere und Vögel begann. Dass diese gerne Feigen essen, nutzte auch der Ausbreitung der gleichnamigen Pflanzen, und heute wachsen sie in den warmen Regionen der Welt in fast tausend verschiedenen Arten. Es gibt sie als haushohe Urwaldbäume, dazwischen hängende Lianen, hundertstämmige Banyanbäume, Obstbäume, Kautschukbäume und deutsche Büros zierende Gummibäume und Benjamini. Und es gibt sie eben auch als Würgefeigen.

Wenn man mit Biologen über Feigen spricht, leuchten ihre Augen, und das nicht mal unbedingt wegen der zu tödlichen Fesselspielen neigenden Sorten. Alle Feigen nutzen eine ganz eigene Art der Bestäubung. Dabei kriechen winzige Wespen in unreife Feigen, die innen hohl und mit blütenartigen Gebilden ausgekleidet sind. Die Wespe bestäubt diese Blüten, legt in einigen aber auch ihre Eier ab (und stirbt dann, weil sie auf dem Weg in die Feige Flügel und Fühler verloren hat). Die aus den Eiern hervorgehende Wespenbrut paart sich in der Feige, und die Männchen graben Gänge nach draußen, damit die mit Blütenstaub beladenen Weibchen entkommen können. Diese fliegen zum Teil kilometerweit, um irgendwo wie ihre Mutter in eine unreife Feige zu kriechen und das Spiel von Neuem zu starten. Gleichzeitig beginnt in der verlassenen Feige das mit Kernen durchsetzte süße Fleisch zu reifen, das wir von diesen Früchten kennen.

Heißt das, in jeder frischen oder getrockneten Feige, die wir essen, haben erst jede Menge kleine Wespen Inzest getrieben und dann ihre tote Mutter und erschöpften Brüder zurückgelassen? Na ja, nicht ganz. Obwohl es auch deutsche Medien immer wieder berichten, steckt nicht in jeder Feige zwangsläufig eine tote Wespe. Zum einen gibt es viele Sorten von Essfeigen, die sich selbst befruchten und ganz ohne Wespen auskommen. Zwar trifft das auf die am Mittelmeer angebauten Sorten, die hauptsächlich bei uns erhältlich sind, in der Regel nicht zu. Aber auch hier läuft die Bestäubung so ab, dass zumindest keine geschwisterlichen Orgien in den Feigen stattfinden, und selbst die in ihnen sterbenden weiblichen Wespen werden von pflanzlichen Enzymen zersetzt. Knirscht es also beim Kauen oder bleibt was zwischen den Zähnen stecken, keine Sorge: Das sind wirklich nur Kerne.1

Die reifen Früchte von Würgefeigen sind oft kleiner und anders gefärbt als die grünen und violetten Essfeigen mit dem roten Fleisch, die es bei uns frisch zu kaufen gibt. In Florida zum Beispiel, wo Verwandte von mir leben und ich die zugehörigen Bäume schon hundertmal gedankenlos bewundert habe, hängen sie häufig wie dicke gelbe Beeren an den mit großen Blättern besetzten Zweigen. Hier wurden diese Früchte bereits von den Ureinwohnern gegessen, und in den tropischen Regenwäldern der Welt gehören Feigen zur Hauptnahrung vieler Tiere, weshalb Feigenbäume gerne als sogenannte Schlüsselspezies bezeichnet werden. Da immer gerade irgendwo Feigenwespen schlüpfen müssen, damit die Bäume bestäubt werden können, blühen sie nicht wie unsere Bäume und auch viele tropische Arten zu einer bestimmten Zeit alle auf einmal. Stattdessen blüht jeder einzelne Feigenbaum nach seinem eigenen Rhythmus und bis zu fünfmal im Jahr, was dazu führt, dass auch die reifen Früchte immer gerade irgendwo im Blätterdach zu finden sind. Dort wimmelt es dann von hungrigen Affen, Vögeln und anderen kletter- und flugfähigen Tieren.

Betrachtet man das Stammgeflecht vieler Würgefeigen und ihre über den Boden gewundenen Wurzeln, denkt man leicht, sie seien von unten an ihrem Opfer hochgekrochen. Wie Bohnen an ihrer Stange, Efeu an der Wand oder irgendeine andere Kletterpflanze. Fast kann es wirken, als hätte der Baum seine Arme aus der Erde gestreckt wie ein sagenhafter Riesenkrake seine Tentakel aus dem Meer, um ein Schiff zu kapern. Zumindest aber, so meint man, hat sich jeder einzelne Strang langsam am Stamm hochgewunden wie eine Baumschlange auf dem Weg zu ihrer arglosen Beute.

Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Würger kommt aus der Luft. Und bis er seine kriminelle Energie entwickelt, bildet er erst mal ziemlich lang eine ganz harmlose WG mit seinem Opfer.

Sollen Soldaten hinter feindliche Linien vordringen, werden sie mit dem Fallschirm abgeworfen oder per Hubschrauber abgesetzt. Auch Würgefeigen gelangen meist per Lufttransport in fremde Gebiete. Und zwar im Bauch von Vögeln oder von Baum zu Baum springenden Affen, die sich an ihren Früchten satt gefressen haben.

Wie alle essbaren Früchte dienen auch jene von...

Erscheint lt. Verlag 9.11.2022
Illustrationen Janine Czichy
Zusatzinfo ca. 20 s/w Abbildungen
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Technik
Schlagworte 2022 • Das geheime Leben der Bäume • eBooks • Giftbäume • Humor • lustig • lustige • Natur • Naturkunde • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2022 • Peter Wohlleben • populäres Wissensbuch • Sachbuch • Skurriles Wissen • Überlebensstrategien • Wald • Waldbaden
ISBN-10 3-641-29489-4 / 3641294894
ISBN-13 978-3-641-29489-2 / 9783641294892
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