Globale Überdosis (eBook)

Stickstoff - die unterschätzte Gefahr für Umwelt und Gesundheit. Von Bild der Wissenschaft als 'Wissensbuch des Jahres 2023' ausgezeichnet

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
416 Seiten
Quadriga (Verlag)
978-3-7517-2879-9 (ISBN)

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Globale Überdosis -  Anne Preger
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Die Erde leidet. Stickstoff im Überfluss verschmutzt Luft und Wasser, macht Menschen krank und vernichtet Artenvielfalt. In ihrem Buch erklärt die mehrfach ausgezeichnete Wissenschaftsjournalistin Anne Preger, wie es zu dieser Überdosis kam und was wir konkret gegen sie tun können. Pointiert und klug schreibt sie über historische Entwicklungen und moderne Herausforderungen. Ihr Credo: Wer das Stickstoff-Problem angeht, schützt die Biodiversität, das Klima sowie die menschliche Gesundheit und hat sogar die Chance, den Welthunger zu besiegen. Eine inspirierende Lektüre, die die Sicht auf die Welt nachhaltig verändert.



Anne Preger, geb. 1979, macht aus einem Waldspaziergang eine Wissenschaft und aus Wissenschaft einen Spaziergang. Sie hat Geoökologie in Braunschweig, Uppsala und Bayreuth studiert und erzählt am liebsten Geschichten über die Erforschung der Erde. Als mehrfach ausgezeichnete Umwelt- und Wissenschaftsjournalistin berichtet sie u.a. für das Online-Magazin RIFFREPORTER sowie WDR 5, DEUTSCHLANDFUNK NOVA und den Podcast QUARKS STORYS.

Anne Preger, geb. 1979, macht aus einem Waldspaziergang eine Wissenschaft und aus Wissenschaft einen Spaziergang. Sie hat Geoökologie in Braunschweig, Uppsala und Bayreuth studiert und erzählt am liebsten Geschichten über die Erforschung der Erde. Als mehrfach ausgezeichnete Umwelt- und Wissenschaftsjournalistin berichtet sie u.a. für das Online-Magazin RIFFREPORTER sowie WDR 5, DEUTSCHLANDFUNK NOVA und den Podcast QUARKS STORYS.

Kapitel 1:
Evolution – Not macht erfinderisch


Wer auf der Erde leben und sich vermehren will, braucht Stickstoff. Das gilt für die kleinste Mikrobe bis hin zum Blauwal. Ohne Stickstoff wären Pflanzen beispielsweise nicht in der Lage, Photosynthese zu betreiben und zu wachsen, denn unter anderem ein zentrales Molekül dafür, der grüne Farbstoff Chlorophyll, enthält Stickstoff. Es ist sogar so, dass man einer Pflanze an ihrer Farbe ansehen kann, wie gut sie mit diesem Nährelement versorgt ist. Je grüner, desto mehr Stickstoff steht zur Verfügung.

Ohne Stickstoff läuft übrigens auch im menschlichen Körper gar nichts. Denn das Element ist vor allem dort verbaut, wo Informationen gespeichert sind und wo die Action tobt – im Erbgut sowie in den Proteinen und Enzymen. Die sind nicht nur für Muskeln und Bewegung wichtig, sondern für quasi alle Vorgänge in Ihrem Körper.

Aber es war schon immer ziemlich aufwendig, den eigenen Bedarf zu decken. Biologisch nutzbare Formen von Stickstoff waren auf der Erde über Milliarden von Jahren Mangelware und entsprechend heiß umkämpft. Um an sie heranzukommen, haben sich Pflanzen und andere Organismen im Laufe der Evolution einige Tricks einfallen lassen. Um etwa ein halbes Dutzend dieser Strategien geht es in diesem Kapitel.

Tödliches Glitzern


Blattläuse saugen gern an Kapuzinerkresse, Distelfalterraupen knabbern an Disteln, Borkenkäferlarven futtern sich durch die Bastschicht unter der Rinde von Fichten, und Wanderheuschrecken können Felder kahl fressen. Normalerweise fressen eher Insekten Pflanzen. Doch es gibt auch Pflanzenarten, die den Spieß umgedreht haben.

Eine dieser aufsässigen Arten ist vor allem in Hochmooren zu Hause. Sie ist ziemlich klein und deswegen leicht zu übersehen. Aber ich habe es mir in diesem Fall leicht gemacht. Ich bin mit einer Expertin unterwegs. Und die Fläche, die wir absuchen müssen, ist vergleichsweise klein. Es ist ein Hochmoor im Miniformat, ein Schaubiotop an der Naturschutzstation Münsterland des Naturschutzbundes, kurz NABU. Zum Suchen muss ich mich noch nicht mal bücken, denn besagtes Stück Hochmoor ist einen Meter höhergelegt und mutet wie ein gigantischer Blumenkasten in den Ausmaßen von zwei bis drei Autostellplätzen an.

Normalerweise ist ein Hochmoor nicht höhergelegt und auch nicht unbedingt hoch gelegen, ein anderer, vielleicht sogar passenderer Name ist Regenmoor. Denn Regen hält das Torfmoos feucht, das in einem Hochmoor überall wächst und quasi für alle anderen Moorbewohner den Untergrund bildet. Auch im Münsteraner Schaubiotop ist der Boden dicht bewachsen mit Torfmoos. Das speichert Feuchtigkeit wie ein Schwamm. Zwischen einzelnen kleinen Heidesträuchern blüht weiß und puschelig Wollgras. Bei diesem Anblick denke ich immer an Kindheitsurlaube in Schweden. Der knallblaue Himmel über uns verstärkt diesen Effekt noch.

Es ist Anfang Mai, aus einem nahegelegenen Teich dringt das Quaken von Teichfröschen. Und in der Wiese nebenan landet zu meiner Freude ein Weißstorch. Irgendjemand muss ihm einen Tipp gegeben haben, dass ich heute hier bin. Auch im Mini-Hochmoor scheint etwas unterwegs zu sein, in einer kleinen Wasserpfütze im Torfmoos sehe ich aus dem Augenwinkel heraus eine schnelle Bewegung.

Es könnte ein Frosch sein, doch laut Dr. Britta Linnemann gibt es auch noch eine andere Möglichkeit. »Im letzten Jahr stand ich hier mit einer Gruppe«, erzählt die Biologin und Leiterin der Naturschutzstation. »Und dann hat tatsächlich eine Ringelnatter vor unseren Augen einen Frosch gefressen.« Britta Linnemann steht im schwarzen Poloshirt vor mir, passend zum warmen Maiwetter, die braunen Haare zu einem Zopf zurückgebunden, und ich höre ihr an, dass so ein Ereignis auch für sie als Stationsleiterin nicht alltäglich ist. »Das war das absolute Spektakel, die Schlange hat sich auch überhaupt nicht stören lassen. Der Frosch hing aus ihrem Maul heraus und hat gequakt. Die Kinder waren alle völlig fertig, weil dieser arme Frosch von der Schlange gefressen wurde!«

Solche dramatischen Szenen zwischen Jäger und Beute spielen sich auch anderswo in dem Mini-Hochmoor ab. Doch trotz der überschaubaren Fläche und trotz Brille stelle ich mich zunächst nicht wirklich geschickt an, den Jäger zu entdecken. Britta Linnemann gibt mir einen Tipp: »Man sieht hier so kleine Minirosetten. Die haben vielleicht einen Durchmesser von zwei bis drei Zentimetern und sind hier vorn rötlich überlaufen.«

Endlich werde ich fündig, die Pflanze ist kleiner, als ich erwartet hatte – aber alles andere als harmlos. Sie besitzt nämlich Fangarme. »Und am Ende dieser Fangarme ist dann wie bei einem Tennisschläger so eine runde Klappe, und an dieser Klappe befinden sich ganz viele Tentakel«, erklärt die Biologin. »Und die sind klebrig.« Diese Art von Fangarm-Blättern hilft der Pflanze, im kargen Hochmoor zu jagen. Es ist ein Rundblättriger Sonnentau, der da vor mir wächst. Der holt sich sein Kraftfutter aus der Luft. Seine Fangarm-Blätter sind am Ende über und über mit Leimtentakeln besetzt, kleinen glänzenden Tröpfchen. »Insekten finden wohl zum einen das Glänzen der Tröpfchen sehr spannend. Und zum anderen werden einige Insekten auch von den Inhaltsstoffen angelockt.«

Die Folge: Kleine Fliegen lassen sich an den glitzernden Tröpfchen nieder – ein tödlicher Fehler, wie sie schon sehr bald merken werden. Denn die Tröpfchen sind klebrig. Sehr klebrig. Wenn das Insekt versucht, wegzukommen, verhakt es sich meist immer mehr. Der Sonnentau ist nicht in Eile, er muss nicht schnell zuklappen wie zum Beispiel Venusfliegenfallen. »So ganz allmählich, innerhalb von ein oder zwei Stunden, fängt er an, seine Tentakel und sein Fangarm-Blatt nach innen einzurollen«, erzählt Britta Linnemann. Dann scheidet die Pflanze eine Art von Flüssigkeit aus, die hilft, die Beute zu verdauen. »Da ist schon tatsächlich ein Tier drin – da, ein kleiner schwarzer Punkt. Das wird irgendein Insekt sein«, sagt die Biologin und zeigt auf eins der winzigen Blättchen. Besser gesagt: Das war ein Insekt, das hier sind seine Überreste. »Ja, so eine ganz schöne Vorstellung, am lebendigen Leibe verdaut zu werden, ist das nicht«, lacht sie.

Über die Jagd auf Insekten versucht der Sonnentau, sich lebensnotwendige Stickstoffverbindungen zu erschließen. Dass die Pflanze zu dieser Methode greift, liegt an ihrem Lebensraum. »In Hochmooren ist Stickstoff von Natur aus eine totale Mangelware, und deswegen gibt es auch nur sehr wenige Arten, die dort wirklich wachsen können«, erklärt sie mir.

Hochmoore sind besondere Lebensräume. Sie bestehen zu weiten Teilen aus den Torfmoosen, die mit der Zeit meterdicke Schichten bilden. Die Torfschichten sind sehr nährstoffarm. Als Quellen für Stickstoff kommen nur Regenwasser und Staub infrage, der ins Moor geweht wird. Natürlicherweise bringen aber weder Regen noch Staub viel Stickstoff mit. Also bessert der Sonnentau seine Ernährung mit Insektensnacks auf – eine ziemlich clevere Art, seine Stickstoffversorgung sicherzustellen.

Strategie: Fallen stellen


Einer der Ersten, die sich wissenschaftlich mit dem Sonnentau und seiner Ernährungsweise beschäftigt haben, war der britische Naturkundler Charles Darwin. Der Begründer der Evolutionstheorie war so nachhaltig begeistert, dass er insektenfressenden Pflanzen schließlich ein ganzes Buch widmen sollte. Das erste Kapitel begann er klassisch mit seiner ersten Begegnung: »Ich war während des Sommers 1860 erstaunt zu finden, was für eine große Anzahl Insekten von den Blättern des gewöhnlichen Sonnentaus (Drosera rotundifolia) auf einer Heide in Sussex gefangen wurden. Ich hatte wohl gehört, dass Insekten so gefangen würden, wusste aber nichts Weiteres über diesen Gegenstand.«5

Diese Begegnung verdrehte Darwin offenbar ziemlich den Kopf. Im selben Jahr schrieb er in einem Brief an einen befreundeten Wissenschaftler:6 »Sonnentau interessiert mich gerade mehr als die Entstehung aller Arten der Welt.« Sorry, ihr kleinen Darwin-Finken, hüpft mal rüber auf eurem Podest in der Hall of Fame der Biologie und macht ein bisschen Platz für eine klebrige Pflanze …

Charles Darwin war fasziniert von den fleischfressenden Pflanzen und führte systematisch Experimente durch, unter anderem mit Hunderten von Sonnentau-Pflanzen: Er tropfte Wasser auf die Sonnentaublätter und pustete sie an (nichts passierte), er fütterte den Sonnentau mit Fleisch und kitzelte die Tentakel mit einem Haar (die Tentakel begannen, sich einzurollen, wenn sie mehr als zwei Mal berührt wurden).7 Daraus schloss Darwin, dass insektenfressende Pflanzen auf die Bewegungen von möglichen Beutetieren reagieren. Das passiert vor allem, wenn das Testobjekt biologischen Ursprungs ist und Stickstoff enthält. Das hilft den insektenfressenden Pflanzen offenbar, Beute von Wind oder anderen Störungen zu unterscheiden und ihre Falle nur für echte Beute in Aktion zu bringen.

Darwins Experimenten zufolge reagierte der Sonnentau sensibler auf Berührungen »als sämtliche Nerven im menschlichen Körper«. Der Gedanke an eine solche pflanzliche Überlegenheit war im 19. Jahrhundert offenbar ziemlich unerhört. Wohl auch deswegen ließ sich Darwin recht viel Zeit, seine Erkenntnisse über Sonnentau zu veröffentlichen. Am Ende erschien sein Buch 15 Jahre später, im Jahr 1875.

Um das Scheinwerferlicht des wissenschaftlichen Ruhms auch noch anderswo hinzulenken: Ganz allein war Darwin mit seiner Forschung nicht. Er stand unter anderem in Kontakt mit einer Kollegin in den USA. Dort untersuchte die Botanikerin Mary...

Erscheint lt. Verlag 26.8.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Technik
Schlagworte Agrarwirtschaft • Biochemie • Boden • Bosch • Brot aus der Luft • Explosion • Geowissenschaften • Haber • Hunger • Klimakatastrophe • Klimakrise • Klimawandel • Landwirtschaft • letzte Generation • Stickstoff • Tierhaltung • Überdüngung • Übersäuerung • Umwelt • Umweltschutz • Versorgung • Wald • Welthunger
ISBN-10 3-7517-2879-1 / 3751728791
ISBN-13 978-3-7517-2879-9 / 9783751728799
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