Der König aller Krankheiten (eBook)

Krebs - Eine Biographie | Mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet
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2022 | 1. Auflage
752 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2787-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der König aller Krankheiten -  Siddhartha Mukherjee
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»Eine grandiose Kulturgeschichte des Krebses.« SPIEGEL  Krebs ist ein Überlebenskünstler: Er verändert sich, er passt sich an, er entwickelt sich weiter, er wächst. Er ist uns biologisch so nahe, dass wir uns oft selbst zerstören, wenn wir ihn vernichten. Die Suche nach der »Heilung« von Krebs hat sich allmählich zum Maßstab unseres wissenschaftlichen und medizinischen Fortschritts entwickelt.   In seinem bahnbrechenden und preisgekrönten Buch erzählt der renommierte Onkologe Siddhartha Mukherjee die faszinierende Geschichte der Beziehung zwischen Mensch und Krebs. Wie haben wir ihn uns in der Vergangenheit vorgestellt? Was konnten wir ihm entgegensetzen? Wo stehen wir jetzt im Kampf gegen diese gefräßigste aller Krankheiten? Mukherjee zeigt, wie weit wir bei der Lösung eines der großen Rätsel der Wissenschaft gekommen sind, und gibt einen faszinierenden Ausblick auf unsere zukünftigen Fortschritte.    »Eine brillante Kombination aus Medizin-Krimi und Kriegsgeschichte. Ein Jahrhundertbuch.« STERN  »Ein ganz wunderbares Buch. Nicht nur, weil es so spannend, so elegant, so ungeheuer reich an Wissen ist. Sondern vor allem, weil es auch von der Hoffnung erzählt.« WAMS 

Siddhartha Mukherjee ist praktizierender Onkologe am Columbia University Medical Center und Autor. Für sein Buchdebüt Der König aller Krankheiten: Krebs - eine Biografie erhielt er 2011 den Pulitzer Preis. Auch Das Gen - eine sehr persönliche Geschichte war ein weltweiter Erfolg. Als Experte auf dem Gebiet der Krebs- und Stammzellforschung veröffentlicht er regelmäßig in The New Yorker und der New York Times. Dr. Mukherjee lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in New York.

Siddhartha Mukherjee ist praktizierender Onkologe am Columbia University Medical Center und Autor. Für sein Buchdebüt Der König aller Krankheiten: Krebs – eine Biografie erhielt er 2011 den Pulitzer Preis. Auch Das Gen – eine sehr persönliche Geschichte war ein weltweiter Erfolg. Als Experte auf dem Gebiet der Krebs- und Stammzellforschung veröffentlicht er regelmäßig in The New Yorker und der New York Times. Dr. Mukherjee lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in New York.

PROLOG

Wenn die Krankheit verzweifelt ist, kann ein verzweifelt Mittel Nur helfen, oder keins.

William Shakespeare, Hamlet

Krebs beginnt und endet mit dem Menschen. Diese eine elementare Tatsache wird bei aller wissenschaftlichen Abstraktion zuweilen vergessen … Ärzte behandeln Krankheiten, aber sie behandeln auch Menschen, und diese Grundgegebenheit ihrer beruflichen Existenz zieht sie manchmal gleichzeitig in entgegengesetzte Richtungen.

June Goodfield

Am Morgen des 19. Mai 2004 wachte Carla Reed, eine dreißigjährige Vorschullehrerin aus Ipswich, Massachusetts, und Mutter dreier kleiner Kinder, mit Kopfschmerzen auf. »Das war nicht irgendein Kopfweh«, erinnerte sie sich später, »sondern ein betäubender Schmerz. Ein Gefühl, das einem auf der Stelle sagt, dass irgendwas ganz und gar nicht stimmt.«

Schon seit fast einem Monat stimmte etwas nicht mehr. Ende April hatte Carla blaue Flecken auf dem Rücken entdeckt. Sie waren eines Morgens plötzlich da, wie seltsame Stigmata, waren größer geworden und im Verlauf der nächsten Wochen allmählich wieder verblasst, hatten aber Spuren auf der Haut zurückgelassen, die an eine Landkarte erinnerten. Zuerst kaum bemerkt, war ihr Zahnfleisch allmählich heller und schließlich fast weiß geworden. Anfang Mai kam Carla, bis dahin eine lebenslustige, energiegeladene Frau, die es gewohnt war, stundenlang mit Fünf- und Sechsjährigen herumzutollen, kaum noch eine Treppe hinauf. An manchen Tagen konnte sie vor Erschöpfung morgens nicht aufstehen und kroch auf allen vieren durch den Flur von einem Zimmer ins andere. Sie schlief unruhig, zwölf bis vierzehn Stunden, war aber nach dem Aufwachen so erschlagen, dass sie sich zwischendurch immer wieder aufs Sofa legen musste, wo sie wieder einschlief.

Carla war in diesen vier Wochen in Begleitung ihres Mannes zwei Mal bei einer Allgemeinärztin und einer Krankenschwester gewesen, aber nie wurden irgendwelche weiterführenden Untersuchungen gemacht, nie eine Diagnose gestellt. In ihren Knochen traten geisterhafte Schmerzen auf und verschwanden wieder. Die Ärztin hatte keine rechte Erklärung dafür. Vielleicht Migräne, meinte sie und riet Carla zu Aspirin. Vom Aspirin fing Carlas weißes Zahnfleisch zu bluten an.

Die extrovertierte, gesellige und impulsive Carla fand diese Krankheit, die kam und ging, eher erstaunlich als beunruhigend. Sie war ihr Leben lang nie ernsthaft krank gewesen. Das Krankenhaus war ein abstrakter Ort für sie, nie hatte sie einen Facharzt aufgesucht, geschweige denn einen Onkologen. Als Erklärung ihrer Symptome malte sie sich die verschiedensten Ursachen aus – Überarbeitung, Depression, Verdauungsstörungen, Schlafstörungen. Aber irgendein Instinkt in ihr, eine Art sechster Sinn, sagte ihr schließlich, dass sich in ihrem Körper etwas Akutes und Katastrophales zusammenbraute.

Am Nachmittag des 19. Mai ließ Carla ihre drei Kinder in der Obhut einer Nachbarin zurück und fuhr noch einmal in die Praxis, und diesmal bestand sie auf einer Blutuntersuchung. Die Ärztin ordnete also ein Blutbild an. Als der Assistent das Blut abnahm, stutzte er: Das Blut, das aus Carlas Vene kam, war wässrig, blass und wirkte irgendwie verdünnt – es hatte wenig Ähnlichkeit mit normalem Blut.

Carla wartete auf das Ergebnis der Untersuchung, doch an diesem Tag hörte sie nichts mehr. Am nächsten Morgen fuhr sie zum Fischmarkt, und dort erhielt sie einen Anruf.

»Wir müssen Ihnen noch mal Blut abnehmen«, sagte die Sprechstundenhilfe ihrer Ärztin.

»Wann soll ich denn vorbeikommen?«, fragte Carla, in Gedanken schon hektisch bei der Organisation des Tages. Sie weiß noch, dass sie in dem Moment auf die Uhr an der Wand blickte. In ihrem Korb lag ein halbes Pfund Lachsfilet, das zu verderben drohte, wenn es nicht bald in den Kühlschrank käme.

Es sind Banalitäten, aus denen sich Carlas Erinnerungen an ihre Diagnose zusammensetzen: die Wanduhr, die Fahrgemeinschaft, die Kinder, ein Röhrchen blasses Blut, eine verpasste Dusche, der Fisch in der Sonne, der alarmierte Tonfall der Stimme am Telefon. Was sie sagte, weiß Carla gar nicht mehr genau, nur der Tonfall ist ihr im Gedächtnis geblieben: »Kommen Sie sofort«, meint sie gehört zu haben, »kommen Sie sofort.«

Ich erfuhr von Carlas Krankheit am 21. Mai um sieben Uhr morgens in der U-Bahn zwischen Kendall Square und Charles Street in Boston. Der Satz, der auf meinem Piepser flackerte, hatte das Stakkato und die ausdruckslose Wucht eines echten medizinischen Notfalls: Carla Reed/neuer Leukämiefall/14. Stock/bitte sofort aufsuchen, wenn Sie da sind. Als die Bahn aus dem langen dunklen Tunnel herauskam, standen die gläsernen Türme des Massachusetts General Hospital vor mir, und ich konnte die Fenster im vierzehnten Stock sehen.

Carla, stellte ich mir vor, saß jetzt allein in einem dieser Krankenzimmer, entsetzlich allein. Draußen auf der Station hatte die übliche Betriebsamkeit eingesetzt, Röhrchen mit Blut wurden in die Labors im zweiten Stock geschickt, Krankenschwestern und Pfleger eilten mit Blutproben hin und her, Assistenzärzte sammelten Daten für die Morgenbesprechung, Alarmsignale piepten, Berichte wurden gefaxt. Irgendwo in den Tiefen des Krankenhauses wurde ein Mikroskop angeknipst, und unter der Linse zeigten sich die Blutkörperchen in Carlas Blut.

Dass es so ablief, kann ich deshalb mit ziemlicher Sicherheit sagen, weil es, von der Krebsstation ganz oben bis hinunter in den Keller, wo die klinischen Labore sind, immer das ganze Krankenhaus kalt überläuft, wenn ein Patient mit akuter Leukämie eintrifft. Leukämie ist Krebs der weißen Blutkörperchen – Krebs in einer seiner explosivsten und aggressivsten Formen. Eine der Schwestern auf der Station pflegte ihren Patienten zu sagen, dass bei dieser Krankheit »schon ein Schnitt mit einem Blatt Papier ein Notfall« ist.

Für einen angehenden Onkologen ist Leukämie ebenfalls eine besondere Form von Krebs. Sein rasches Fortschreiten, seine Dramatik, sein atemberaubendes, unerbittliches Wachstum erfordern oft drastische Entscheidungen; es ist furchterregend, unter Leukämie zu leiden, furchterregend, sie zu beobachten, und furchterregend, sie behandeln zu müssen. Der von ihr befallene Körper gerät an seine fragile physiologische Grenze – sämtliche Organe und Systeme, Herz, Lunge, Blut, arbeiten hart am Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Die Schwestern setzten mich rasch in Kenntnis: Die Blutuntersuchung bei Carlas Hausärztin hatte eine kritisch geringe Anzahl roter Blutkörperchen ergeben, weniger als ein Drittel des Normalwerts. Und statt gesunder Leukozyten enthielt ihr Blut Millionen großer, bösartiger weißer Blutkörperchen – Blasten, wie sie in der Fachsprache heißen. Als die Hausärztin endlich auf die richtige Diagnose gestoßen war, hatte sie ihre Patientin ins Massachusetts General Hospital eingewiesen.

Auf dem langen kahlen Gang vor Carlas Zimmer, im antiseptischen Glanz des mit Chlorbleiche gewischten Bodens, ging ich hastig die Liste der Laboruntersuchungen durch, die nun durchgeführt werden mussten, und probte im Geist das Gespräch, das ich mit Carla würde führen müssen. Selbst mein Mitgefühl, erkannte ich mit schlechtem Gewissen, hatte etwas Eingeübtes und Automatisches. Ich war im zehnten Monat meiner Fortbildung in Onkologie, eines intensiven zweijährigen klinischen Programms, mit dem Krebsspezialisten ausgebildet werden, und ich hatte das Gefühl, am tiefsten Punkt angelangt zu sein. In diesen zehn unbeschreiblich bedrückenden und schwierigen Monaten waren mir Dutzende Patienten gestorben, und ich fürchtete, allmählich abzustumpfen gegen den Tod und die Trostlosigkeit – als hätte mich die dauernde emotionale Belastung immunisiert.

An diesem Krankenhaus waren wir insgesamt sieben junge Ärzte, die an dem Ausbildungsprogramm teilnahmen. Auf dem Papier hatten wir Eindrucksvolles vorzuweisen: Abschlusszeugnisse der medizinischen Fakultäten von fünf verschiedenen Universitäten und von vier Universitätskrankenhäusern, insgesamt sechsundsechzig Jahre medizinischer und wissenschaftlicher Ausbildung, zwölf Doktorate. Nichts davon hatte uns auch nur im Entferntesten auf diese Ausbildung vorbereitet. Medizinstudium, diverse Assistenzzeiten, Facharztausbildung waren physisch und emotional zermürbend gewesen, aber die ersten Monate dieses Ausbildungsprogramms in der Onkologie ließen die Erinnerungen daran verblassen, als sei alles Frühere ein Kinderspiel gewesen, der Kindergarten unserer Ausbildung.

Krebs bestimmte unser ganzes Leben. Er drang in unser Denken ein, er besetzte unsere Erinnerungen, er schlich sich in jedes Gespräch, jede Überlegung ein. Und wenn schon wir als Ärzte uns vom Krebs vereinnahmt fühlten, hatten unsere Patienten den Eindruck, dass die Krankheit ihr Leben regelrecht auslöschte. In Alexander Solschenizyns Roman Krebsstation entdeckt Pawel Nikolajewitsch Rusanow, ein noch junger Mann Mitte vierzig, eine Geschwulst am Hals und wird sofort in die Krebsstation irgendeiner namenlosen Klinik im kalten Norden des Landes eingewiesen. Die Diagnose Krebs – nicht die Krankheit als solche, sondern das bloße Stigma – wird für Rusanow zum Todesurteil. Die Krankheit nimmt ihm seine Identität. Sie steckt ihn in einen Patientenkittel (ein tragikomisches, grausames Kostüm, nicht weniger entwürdigend als Gefängniskleidung) und übernimmt die absolute Kontrolle über alles, was er tut. Die Diagnose Krebs, muss Rusanow erfahren, bedeutet die Inhaftierung in einem grenzenlosen Medizin-Gulag, einem Staat, der noch aggressiver und lähmender ist...

Erscheint lt. Verlag 30.6.2022
Übersetzer Barbara Schaden
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Onkologie
Technik
Schlagworte Behandlung • Biologie • Forschung • Fortschritt • Geschichte • Hoffnung • Krankheit • Krebs • Kultur • Onkologe • Pulitzer • Stammzellen
ISBN-10 3-8437-2787-2 / 3843727872
ISBN-13 978-3-8437-2787-7 / 9783843727877
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