Gib endlich auf (eBook)
myMorawa von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99129-703-1 (ISBN)
Geboren 1965 im Zeichen des Zwillings in Salzburg Stadt. Seit 1995 verheiratet mit Sigrid. Vater zweier wunderbarer Kinder. Gerade noch immer im Prozess der Erwachsen werdens, mit erkennbaren Fortschritten
Kapitel 2: Das Erwachen
Februar 2019, an einem Samstag (Shabbat) in Yerusalaym Old Town
Im Dunklen aufgewacht, von außen scheinen schrille Lichter in den Raum, die sich an verschiedenen Gebäuden und Zäunen brechen. Der Regen peitscht auf die gewellten Tondächer und Regenrinnen, gegen die Fenster und Fensterläden meines Zimmers und auf die Fensterbänke aus glattem Marmor. Ein komischer Rhythmus hämmert in meinem Kopf, wie ein Nagel, der in ein Stück weiches Holz eindringt. Aus dem Badezimmer kommt ein dumpfer und gleichbleibender Rhythmus. Ein tropfender Wasserhahn gibt den Rhythmus vor und die Regentropfen, getrieben von einem immer stärker werdenden Wind die Ouvertüre, zu diesem audiblen Schauspiel oder besser gesagt Hörspiel.
Irgendwie höre ich einen ACDC Song dahinter. Der Wasserhahn ist der Bass des legendären Malcolm Young, einem der Bandgründer. Gestützt durch das unverkennbare Schlagzeug, bedient von Phil Rud und eine Garantie für die Konstante.
Es ist die gleiche, spürbare Stabilität des Rhythmus, ohne dabei auch nur einmal diesen Rhythmus zu wechseln. Klingt wie der Song „Live wire2“, gesungen vom legendären Bon Scott, der am Erfolg gescheitert ist und im Alkohol starb. Oder sich selbst des Lebens überdrüssig, dem Wodka die Verantwortung übertragen hat, über Leben oder Sterben zu entscheiden. Die Augen noch immer fest verschlossen, als wäre es eine Art Angst, die Realität zu sehen, höre und summe ich zugleich diesen Text. Welcher sinngemäß übersetzt bedeuten kann.
„Wenn du nach Stress suchst, bin ich der den du sehen wirst“.
„Suchst du nach Genugtuung, dann ist diese garantiert“
Oder wie, “ich schick dich zum Himmel und sende dich in die Hölle”
Ich bin nun hellwach, glaube ich zumindest und die erste Frage schießt mir durch den Kopf. Bin ich verrückt? Wo bin ich eigentlich? Warum fehlt mir die Erinnerung in dieser Sekunde. Himmel, was ist bloß los? Woher kommt dieses bedrückende Gefühl der Angst? Angst vor was oder wem? Vermutlich die Angst in einer Realität zu erwachen, welche sich gnadenlos in Umstände manifestiert hat, welche mich zu dieser Stunde geweckt haben.
Ein Blick auf das Handy: 04: 40 Uhr Ortszeit. Warum bin ich wach?
Welche Gedanken rasen durch meinen Kopf. Warum jetzt? Was löst dieses komische Gefühl der Orientierungslosigkeit aus? Für einen Moment dachte ich, ich sei in meinem Apartment in Tel Aviv. Nein, ich bin in Yerushalayim, genauer gesagt im österreichischen Hospiz. Für eine Nacht, um auszuspannen. Freitagnachmittag habe ich meine Kunden am Airport Ben Gurion abgegeben, damit sie, wie viele andere Kunden zuvor, sicher nach Hause kommen. Sonntagmittag kommen die nächsten an. Abholung am Airport, Termine getimed, alles bestens vorbereitet. Keine Zufälle erlaubt. Performance muss besser, noch besser sein als soeben erfüllt. Ich lebe vom Feedback meiner zufriedenen Kunden, das spornt mich an, das muss noch besser werden. Das Ego muss einen weiteren Hirnhöhepunkt erleben, gleich einem rein psychisch emotionalen Orgasmus. Immer weiter, extremer und noch unzufriedener mit mir selbst. Glaubenssätze wie „The only easy day was yesterday“ haben sich im Hirn als zentraler Antreiber manifestiert.
Ausspannen, erholen, etwas Zeit für mich alleine haben – das war die Idee. Wie schon so oft in den letzten Jahren, den Luxus genießen zu können, am Freitagabend zur Western Wall, dem Kotel, oder in unserem Kulturkreis als Klagemauer bekannt zu gehen und dort den Beginn des Shabbat zu genießen. Anonym in der Masse von gläubigen Juden, säkularen Israelis und den immer mehr werdenden Touristen, diese einzigartige Stimmung zu genießen. Mitten im Muslim Quarter, an der Ecke der leidvollen Via Dolorosa, quer vorbei an den muslimischen Geschäften, Bäckereien und den kleinen Restaurants. Alles ist hier auf kleinstem Raum. Der Friede, die Glaubensrichtungen, der nie enden wollende Konflikt und ich mitten drinnen. Einfach nur da sein, das Gewirr aus Stimmen, den Gebeten, dem Gesang unterschiedlicher Gruppen zu lauschen und die Mauer zu besuchen und sie zu berühren. Mit der Kippa auf meinem Kopf einfach abtauchen können und versuchen, an etwas zu glauben.
Nein, ich konvertiere nicht, ich werde kein Jude und niemand treibt mich dazu. Ich genieße die lautstarke Form einer besonderen Stille, die ich hören und fühlen kann, wenn ich nur will. Aber ich will das nicht und habe Angst in mich hineinsehen zu können. Dort etwas zu entdecken, was ich nicht sehen will und die Gewissheit zu haben und zu ertragen, dass es trotzdem da ist. Dieses Etwas, welches mich treibt und quält.
Ich denke an Menschen, die ich liebe, die mir nahestehen und wünsche mir in diesem Moment, wie schon oftmals zuvor, dass ich immer die richtigen Entscheidungen treffen kann und mir die vielen liebgewordenen Menschen noch lange erhalten bleiben. Auch aber, dass ich Menschen, die mir Schmerzen oder Böses zufügen, vergönnen, wünschen und partiell alles dazutun, einfach nicht zu oft begegnen muss.
Wie viele Gedanken kann ein Kopf pro Sekunde verarbeiten? Oder im heutigen Kontext gesagt, wie viel Terabyte können gleichzeitig verarbeitet werden? Ich habe den Eindruck, als sei ich ein Rechenzentrum und abertausende Gedanken versuchen gleichzeitig meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Die Synapsen tanzen Rock‘n‘Roll und ich fühle mich als hätte ich acht Stunden Headbanging hinter mir. Elendig. Was habe ich gemacht, denke ich vor mich hin und bemerke dabei, wie mir Tränen über die Wange laufen. Ich weine, wie so oft in den letzten Monaten und nun merke ich es nicht einmal mehr. Nur die Tränen, die mir über die Wangen schießen und in den Mundwinkeln sammeln. Der bittersaure Geschmack der Tränen, einer Form der Trauer und der Verzweiflung.
Was macht mich traurig, was bringt mich zur Verzweiflung, wo doch alles so toll läuft? Läuft es wirklich so gut? Für mich? Für mein inneres Ich, welches geschunden darnieder liegt und es in Momenten wie diesen zur Realität, zur Wirklichkeit wird, wie ich tatsächlich mit mir selbst umgehe. Die Fähigkeit zur Selbstliebe habe ich verloren. Oder vielleicht gar nie gehabt. Es mir immer nur eingeredet habe und es wusste, dass es eine Lüge ist. Dass ich mich selbst dabei belüge, mich dabei erwische und es mir verzeihe, so mit mir selbst umzugehen.
Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, wird uns als eines der 10 Gebote aufgetragen. Warum vergesse ich auf mich selbst, auf die Eigenpflege, die Selbstliebe, die Selbstachtung? Und warum und aus welchem Grund vergesse und ignoriere ich mich selbst. Warum heißt es nicht, liebe dich selbst wie deinen Nächsten. Kann ich überhaupt jemanden lieben, wenn ich mich selbst verachte?
Warum kann ich nicht einfach in die Unzeitlichkeit flüchten, wie Ludwig Wittgenstein diese im „Tractatus logico-philosophicus“ beschrieben hat.
„Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Den Tod erlebt man nicht. Wenn man unter Ewigkeit nicht unendliche Zeitdauer, sondern Unzeitlichkeit versteht, dann lebt der ewig, der in der Gegenwart lebt. Unser Leben ist ebenso endlos, wie unser Gesichtsfeld grenzenlos ist.3“
Ich umklammere mein Handy und schau auf die Sekunden, wie sie verstreichen. Schaue natürlich auf WhatsApp, um nichts zu versäumen. Lade meine Mails runter und checke die Likes auf meiner Facebook und Instagram Seite. Sag, wie blöd bist du in Wirklichkeit, scheint eine der unzähligen inneren Stimmen zu fragen. Es ist mittlerweile 04: 45 Uhr Ortszeit Yerushalayim und ich bin um 22: 30 Uhr zu Bett gegangen. Habe natürlich aus reiner Routine – oder ist es ein Zwang – mein Handy gecheckt. Wer also soll mir in dieser kurzen Zeit etwas geschrieben haben, mir was mitteilen wollen.
Elendig – und ich entdecke wieder und wieder diese unangenehme Zwanghaftigkeit in mir. Die, die mir den Schlaf raubt, mir zu viele Gedanken durch den Kopf jagt und ich zwanghaft versuche, keinen dieser Gedanken zu verlieren, habe ich doch Angst, dass ich etwas vergessen, versäumen oder verpassen könnte.
Wie kann ich in die Unzeitlichkeit flüchten? Wie kann ich diese Phase des Lebens einfach anhalten, um diese Periode als Einzelereignis aus meiner Vergangenheit löschen zu können. Ich komme mir vor, als sei ich in der Schleife der Gegenwart gefangen und all die Gedanken, gemacht mit den Mustern, die mein Hirn konstruiert, sind kaum noch zu ertragen. Ich frage mich wie ich, ich ganz alleine, in die Unzeitlichkeit flüchten kann. Welche verrückte und gleichermaßen pervertierte Szenerie wurde da in meine Gedanken implantiert? Von wem und was ist der Auslöser.
Zudem kann ich so etwas, wie ich es in wenigen Momenten werde erleben müssen, ja gar nicht gebrauchen. Ich bin hier um zu entspannen, mich auf die kommenden Tage vorzubereiten und weiter einzigartige Projekte zu entwickeln. Wie ein Schlag in den Nacken wird mir bewusst, dass ich alleine bin. Ich habe niemanden in meiner Nähe, dem ich mich anvertrauen könnte. Tränen laufen...
Erscheint lt. Verlag | 7.4.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Technik |
ISBN-10 | 3-99129-703-5 / 3991297035 |
ISBN-13 | 978-3-99129-703-1 / 9783991297031 |
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Größe: 3,2 MB
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