Alles bio - logisch?! (eBook)
240 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46393-2 (ISBN)
Dr. David Spencer, geboren 1991, ist Pflanzenbiologe. Als Science Slammer bringt er seinem Publikum die Themen der modernen Pflanzenforschung näher. Der Sohn einer deutschen Mutter und eines englischen Vaters ist Vorstandsmitglied der Umwelt-NGO »Öko-Progressives Netzwerk e.V.« und sucht den Dialog mit der Öffentlichkeit u. a. über seinen YouTube-Kanal »Krautnah«. 2022 wurde seine Arbeit im Bereich Wissenschaftskommunikation mit dem SciComm Award der Deutschen Botanischen Gesellschaft ausgezeichnet. Im selben Jahr erschien sein Buch »Alles bio-logisch?!« bei Droemer.
Dr. David Spencer, geboren 1991, ist Pflanzenbiologe. Als Science Slammer bringt er seinem Publikum die Themen der modernen Pflanzenforschung näher. Der Sohn einer deutschen Mutter und eines englischen Vaters ist Vorstandsmitglied der Umwelt-NGO »Öko-Progressives Netzwerk e.V.« und sucht den Dialog mit der Öffentlichkeit u. a. über seinen YouTube-Kanal »Krautnah«. 2022 wurde seine Arbeit im Bereich Wissenschaftskommunikation mit dem SciComm Award der Deutschen Botanischen Gesellschaft ausgezeichnet. Im selben Jahr erschien sein Buch »Alles bio-logisch?!« bei Droemer.
Kapitel 2
Pflanzenzähmen leicht gemacht
Eine kurze Geschichte der Pflanzenzucht (eine Geschichte der Menschheit)
Zutaten Haferdinkelbrot
350 g Dinkelvollkornmehl
150 g Haferflocken
50 g Sonnenblumenkerne
50 g Leinsamen
50 g Sesamsamen
etwas Salz und Essig
½ Würfel Hefe
500 ml lauwarmes Wasser
Welche Lebensweise würdest du bevorzugen: die jagend-sammelnde oder die häuslich-gärtnernde?
Vor mehr als zehntausend Jahren durchlebte die Menschheit einen Erkenntnisprozess (und fundamentalen Strukturwandel), der heute als neolithische Revolution in den Geschichtsbüchern steht.11 In dieser Übergangsphase realisierten wir etwas: Wenn wir nicht alle Früchte, Beeren und Körner direkt aufessen, sondern einen Teil der Dinkelkörner und Sesamsamen aus unserer Zutatenliste aufbewahren und zur richtigen Zeit am richtigen Ort wieder in die Erde stecken … vermehrt sich das Essen von selbst! Es war der Beginn der Landbewirtschaftung und damit auch das Ende einer eher anstrengenden Ära des Herumlaufens, der Monsterkämpfe und des regelmäßigen Verhungerns. Homo sapiens wurde sesshaft und blieb einem Stückchen Land treu, wurde sozusagen heimisch und machte es sich nett.
Im Zuge dieser Wohnst-du-noch-oder-lebst-du-schon-Reformation lernten wir, welche Pflanzen und Tiere sich domestizieren, also zähmen lassen und wie wir auf einen Schlag mehr Nahrung produzieren können, als wir allein tatsächlich verbrauchen. Das begünstigte die Bildung von immer größeren Kollektiven und Gesellschaften, in denen das Know-how der Landwirt*innen Saison für Saison stetig wuchs. Schlussendlich ist es nicht abwegig zu behaupten, dass erst durch die Anfänge der Pflanzenzucht Kulturen, wie wir sie heute kennen, ermöglicht wurden. (»Kultur« kann hier sowohl als Nutzpflanze als auch im Sinne von Zivilisation verstanden werden, beides wäre passend und richtig.)
Die Arbeitsteilung entstand aus der bequemen Situation heraus, dass sich nur ein Teil der Gruppe mit Acker und Vieh auseinandersetzen musste. Andere Individuen hatten also jetzt mehr Zeit, um endlich den ihnen innewohnenden Talenten nachzugehen. So kannten sich einige vielleicht besser im medizinischen Bereich aus, andere hatten ein Händchen für den Hausbau, und wieder andere bereicherten die Runde durch Lieder oder Malereien. Eine florierende Gesellschaft, eine Hochkultur, kann nur entstehen, wenn Aufgaben verteilt werden und eben nicht jede*r Einzelne zusehen muss, dass genug Essen zusammenkommt. Die Weiterentwicklung von Techniken, eine politische Zentralinstanz und vor allem ein strukturiertes Produktionssystem mit einem Überangebot an landwirtschaftlichen Erzeugnissen sind notwendige Kriterien für Zivilisation – das wissen wir jetzt. Und indem wir den wilden Pflanzen die Manieren beigebracht haben, stellten wir schon vor Tausenden von Jahren die Weichen für unsere heutige Gesellschaft.
Das Brot, das wir heute backen wollen, ist vollgepackt mit den Pionierpflanzen, die zu den allerersten Kulturen überhaupt gezählt werden. Getreide wie Dinkel und Hafer, aber auch Lein und Sesam werden seit Ewigkeiten angebaut und verzehrt. Witzigerweise sind sie gerade heute wieder angesagt, und auf zahlreichen Instagram-Kanälen werden Kreationen aus oder mit den ältesten Kulturpflanzen neben dem neuesten iPhone vorgestellt und beworben. Sicherlich hat auch das mit dem in Kapitel 1 erwähnten Natürlichkeitsgedanken zu tun, da es die »ursprünglichsten« aller Saaten sind, die gerade Hochkonjunktur haben. Sie sind aber auch einfach lecker und eine hübsche Erweiterung der Ernährungspalette. Wie ging das jetzt noch mal mit dem Haferdinkelbrot? Mal eben die Suchmaschine der Wahl anwerfen … ah, ja.
Die Hefe wird in dem Wasser aufgelöst. Die trockenen Zutaten, also Dinkelmehl, Haferflocken, Sonnenblumenkerne, Leinsamen und Sesam, werden in einer großen Schüssel gemischt und mit einer Prise Salz und zwei Esslöffeln Essig versetzt. Jetzt kann das Hefewasser dazu, und das Ganze wird mit dem Knethaken ordentlich vermengt. Als Nächstes wandert der Teig in eine mit Backpapier ausgekleidete Kastenform – wer mag, kann noch ein paar kernige Haferflocken oder Kürbiskerne für die Kruste obendrauf streuen. Dann wird alles in den kalten Ofen gestellt, mittlere Schiene. Bei Ober-/Unterhitze, 200 °C, fünfundfünfzig bis sechzig Minuten backen. Fertig ist das vegane Urkornbrot. Schmeckt nur mit Margarine schon fantastisch!
Oft hört man die Frage: »Ist Hefe eigentlich vegan?« Die Antwort ist fast schon philosophisch. Prämisse: »Vegan« meint »kein Tierprodukt«, also weder ein Teil des Tieres aus der Schlachtung noch freiwillige Auswürfe wie Eier, Milch oder Wolle. Unsere Backhefe Saccharomyces cerevisiae gehört zu den einzelligen Pilzen und ist damit weder Tier noch Pflanze. Pilze bilden ein eigenes Reich innerhalb der Lebewesen, das besonders divers und längst nicht vollständig erforscht ist. Heute ist bekannt, dass sie uns und der Tierwelt genetisch sogar näherstehen als den grünen Waldkolleginnen.12 Ähnlich wie wir müssen Pilze essen, sich also mit organischer Materie versorgen, um zu überleben. Sie erfüllen damit neben Regenwurm und Kleinstinsekten eine wichtige Rolle bei der Zersetzung und dem Re- und Upcycling im Nährstoffkreislauf. Anders sieht’s bei den Pflanzen aus: Sie kommen dank Fotosynthese gut ohne Kadaver klar. Sind Pilze, inklusive unserer Hefe, also vegan? Na ja, immerhin haben sie kein Nervensystem und fühlen nichts … oder doch? Ach, eigentlich soll’s in diesem Kapitel ja um etwas ganz anderes gehen.
Während wir uns also die gute Stulle einverleiben, lasst uns doch kurz darüber sinnieren, wie das Getreide von der Jungsteinzeit bis auf unseren formschönen Frühstücksteller kam. Die Menschheit hat also Landwirtschaft erfunden, um die Erntemengen (den Output) zu erhöhen und so die steigende Bevölkerung zuverlässig mit Lebensmitteln zu versorgen. Dabei war ein gesunder und nährstoffreicher Boden schon immer die Grundbedingung für Erfolg: Der Anbau von Weizen, Gerste, Dinkel und Co. nahm seinen Anfang in einer Nahost-Region, die unter der Bezeichnung Fruchtbarer Halbmond bekannt ist.13 Diese Fläche, die sich vom Persischen Golf über die heutigen Staatsgebiete von Irak, Syrien und Libanon bis nach Israel und Nordägypten erstreckt, bot damals optimale Bedingungen. Das Klima und die Bodenbeschaffenheit waren wie gemacht für extensiven Ackerbau und die ersten züchterischen Experimente. Urbäuerinnen und -bauern beobachteten ihr Getreide ganz genau, und wenn mal eines dabei war, das größere Körner produzierte, höher wuchs oder generell robuster aussah, wurde es besonders gut gepflegt.
Schon damals hatte man längst begriffen, dass die Körner ebenjener Pflanzen, im nächsten Jahr ausgesät, den Ertrag nochmals erhöhen konnten. Die Grundlagen der Vererbung waren zwar noch nicht erforscht, aber wohl bereits ein Bauchgefühl. Auf diese Art und Weise – durch aufmerksame Betrachtung des Bestands – wurden wünschenswerte Eigenschaften unserer Pflanzen schon früh als Zuchtziele definiert und vorangetrieben. Ein Beispiel wäre hier die sogenannte Spindelfestigkeit. Gemeint ist das simple, aber ganz und gar nicht selbstverständliche Hängenbleiben der Körner an der Mutterpflanze. Von Natur aus möchte sie die Nachkommen eigentlich möglichst bald loswerden. Wildformen von Gerste werfen auch heute noch ihre Samen kreuz und quer in der Gegend herum – gut für die Verbreitung der Art, schlecht für die Ernte. Dem wurde schon in frühen Kultursorten durch gezielte Zähmung ein Ende gesetzt.14
Ein weiteres, sehr cooles Feature ist die Mehrzeiligkeit, also die Anlage von mehreren Fruchtreihen an einem Halm oder einer Ähre. Der Maiskolben hat hier wohl das größte Umstyling hinter sich. Gebt einfach mal »Teosinte« in eure Lieblingssuchmaschine ein – so sah der Mais tatsächlich aus,15 bevor er durch menschliches Zutun in die heutige Form gebracht wurde! Weitere gewollte Optimierungen, die schon früh angegangen wurden, waren größere Früchte, kräftigerer Wuchs, gute Standfestigkeit und gute Lagerungsfähigkeit. Gerade der letzte Punkt ist hier hervorzuheben, denn was nützt eine Überproduktion von Nahrung, wenn sie nicht in irgendeiner Form haltbar gemacht oder konserviert werden kann? Die gewitzte Konservierung von Lebensmitteln war eine weitere Errungenschaft unserer Vormenschen aus der Steinzeit, für die wir uns nur bedanken können.
Bei der Entwicklung von Methoden zur Haltbarmachung will man allerdings nicht wirklich gern dabei gewesen sein. Luft- oder Sonnentrocknung von Obst, Gemüse und Fleisch zählen noch zu den harmloseren Vorgehensweisen, die schon früh genutzt wurden. Durch den Entzug von Flüssigkeit wird Bakterien und Schimmelpilzen der Spaß (und die Lebensgrundlage) genommen, sich in unseren Vorräten einzunisten. Ähnlich funktionieren chemische Methoden wie Pökeln (übertriebenes Salzen), Räuchern, Zuckern oder Säuern. Im alten Ägypten wurde bereits Gemüse in Essig und Honig eingelegt. Das Einlegen und (nicht sachgerechte) Einkochen birgt übrigens immer eine gewisse Gefahr, die hier mindestens kurz erwähnt werden...
Erscheint lt. Verlag | 1.4.2022 |
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Illustrationen | Ivonne Schreiber |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik |
Technik | |
Schlagworte | Acker • Ackerbau • Agrarpolitik • Agrarwende • Alles bio-logisch • bienenfreundlich • bio gemüse • Biologie • Biologie Pflanzen • biologische wertigkeit • Bio Obst • Blühstreifen • Blumenwiese • Botanik Buch • David Spencer • Erzählendes Sachbuch • Essverhalten • Garten • Gärten • Gartenfreund • Gartenliebhaber • Gemüse • Gemüse anpflanzen • Genetik • Gentechnik • Gesund ernähren • Gregor Mendel • Grüne Landwirtschaft • Heimische Pflanzen • Kleingarten • klimafreundliche Ernährung • klimafreundliches Gemüse • Klimaneutral und nachhaltig leben • Klimaschutz • Klimawandel • Krankheitsresistenz • Landwirtschaft • Lebensmittel • nachhaltige Landwirtschaft • Nachhaltigkeit • nachhaltig leben • naturschutz buch • Naturwissenschaften Allgemeinwissen • Obst • Ökolandbau • Öko-Landbau • ökologische Landwirtschaft • Pflanzen • Pflanzenforschung • Pflanzenforschungs-Podcast • Pflanzenfreund • Pflanzengenetik • Pflanzenliebhaber • Pflanzenschutz • Pflanzenzüchtung • podcast krautnah • pop science • populärwissenschaftliche bücher • science podcast • Science Slam • Superkräfte der Pflanzen • Umwelt Buch • Umweltschutz • vegan essen • Vegetarische Ernährung • Vererbungslehre • Weltrettung • Welt verbessern • Wiese • Wissen über Pflanzen • Züchtung • Züchtungstechnologie |
ISBN-10 | 3-426-46393-8 / 3426463938 |
ISBN-13 | 978-3-426-46393-2 / 9783426463932 |
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