Gegenangriff (eBook)

Ein Pamphlet
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
176 Seiten
Diogenes (Verlag)
978-3-257-61298-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gegenangriff -  Nadja Niemeyer
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Je globalisierter die Welt, desto verletzlicher die Menschheit. Zwar weiß das der Homo sapiens, und doch macht er weiter wie eh und je. Er isst zu viel Fleisch, verwendet Pestizide, fährt täglich Auto. Doch eines Tages blasen süße Kätzchen, gutmütige Rinder und scheue Eichhörnchen zum Gegenangriff. Die Ereignisse überschlagen sich - und am Ende ist einfach Schluss. Schluss mit lustig, Schluss mit dem alltäglichen Wahnsinn, Schluss mit dem Menschen.

Nadja Niemeyer heißt in Wirklichkeit anders. Sie hat sich für ein Pseudonym entschieden, um nicht an Debatten teilnehmen zu müssen. Es ist ihr ernst mit ihrem Anliegen, und sie hat diesem Buch nichts hinzuzufügen.

Nadja Niemeyer heißt in Wirklichkeit anders. Sie hat sich für ein Pseudonym entschieden, um nicht an Debatten teilnehmen zu müssen. Es ist ihr ernst mit ihrem Anliegen, und sie hat diesem Buch nichts hinzuzufügen.

Felis catus

Der Untergang der Menschheit begann mit einem Katzenvideo.

Die Menschen fanden die darin gezeigten Tiere niedlich, und da dies für sie so ziemlich der wichtigste Maßstab war, wurde die Aufzeichnung millionenfach über die sozialen Netzwerke verbreitet. Man hielt das Menetekel an der Wand für ein hübsches Fresko. Als die ersten Betrachter begannen, die Bedeutung des Videos zu begreifen, war es für Gegenmaßnahmen zu spät. Gegen einen Tsunami helfen keine Regenmäntel.

Das Ende der Menschheit begann im Januar 2034 und war schon wenige Jahre später endgültig besiegelt.

Auch wenn einzelne Exemplare, vergleichbar mit den letzten Breitmaulnashörnern, weiterhin eine mühsame Existenz fristeten, kann doch gesagt werden: Im Jahr 2038 war die Gattung Homo sapiens weitgehend ausgestorben oder hatte doch ihre Rolle als führende Spezies ein für allemal verloren. Ihr Verschwinden markierte einerseits den Höhepunkt des massenhaften Artensterbens im Anthropozän, war aber gleichzeitig auch der Beginn eines dringend notwendigen Heilungsprozesses für den Planeten.

Der Mann, der das Video ins Netz stellte, hieß Kevin S. Anderson und war von Beruf facility manager im Biotech-Unternehmen Reviron Inc. in San Francisco, was bedeutete, dass er an sechs Tagen in der Woche durchgebrannte Glühbirnen auswechselte und andere kleine Reparaturen vornahm. Anderson war es auch, der dem Video seinen ursprünglichen Namen gab: Our Clever Cats.

Der später allgemein übliche Titel Doomsday Cats wurde von einem namentlich nicht bekannten Redakteur des Williamsburg Gazette-Journal erfunden. Er benutzte ihn als Überschrift für einen Artikel, in dem seine Zeitung zum allerersten Mal die Möglichkeit in Betracht zog, das inzwischen allgemein bekannte Katzenvideo könnte das Anzeichen einer größeren Veränderung sein.

Das Video stammte aus einer Überwachungskamera im Forschungsbereich von Reviron Inc. Die noch junge Firma gehörte nicht zu den ganz Großen der Biotech-Industrie, hatte aber durch die Entwicklung einer innovativen Therapie für das seltene Beckwith-Wiedemann-Syndrom einen ersten großen Erfolg erzielt und danach bei Venture-Capital-Gesellschaften sehr viel Geld einsammeln können.

Die Überwachungskamera war montiert worden, weil es aus den Schließfächern, in denen die Mitarbeiter während der Arbeitszeit ihre persönlichen Effekten aufbewahrten, mehrmals zu Diebstählen gekommen war. Der Eigentümer einer Schließfachs konnte die Kombination, mit der es zu öffnen war, selbst programmieren und die Tür durch die Eingabe dieser Zahlen und des Zeichens # am zugeordneten Keypad öffnen. Möglicherweise hatte der Dieb seine Kollegen heimlich bei der Eingabe ihrer Nummer beobachtet.

Die Schließfächer waren in drei Reihen übereinander angeordnet; das Fach, das in dem Video eine so sensationelle Rolle spielen sollte, befand sich in der mittleren Reihe.

Die tägliche Überprüfung und Löschung der Aufnahmen gehörte zu den Aufgaben des Facility Managers. Bei dieser Tätigkeit stieß Mr. Anderson auf das ungewöhnliche Verhalten der beiden Katzen, bewahrte die Aufzeichnung dieses Tages (10. Januar 2034) auf und lud den entsprechenden Ausschnitt später auf YouTube hoch.

Die beiden »Darsteller« waren ihm wohlvertraut. Es gehörte zu seinem Aufgabenbereich, sie zweimal am Tag zu füttern und regelmäßig die Kiste mit ihrem Kot sauber zu machen. Für die Fütterung bewahrte er in einem freien Schließfach eine große Plastiktüte mit Futterpellets auf. Für das Keypad hatte er, um sich die Zahlenkombination besser merken zu können, den Code 3120# gewählt, nach der Position der Buchstaben des Wortes CAT (3/1/20) im Alphabet.

Die beiden Katzen waren ursprünglich angeschafft worden, weil eine Mitarbeiterin der Reinigungsequipe in einem Büro der Firma eine Maus gesehen haben wollte, eine Sichtung, die sich später nicht bestätigte. Die Tiere wurden in der Firma bald zu allgemein beliebten Maskottchen. Ein Mitglied der Geschäftsleitung machte sogar den nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag, sie ganz offiziell als emotional support animals auf die Lohnliste zu setzen.

Natürlich war den Tieren der Zugang zum Labortrakt mit seinen strengen Hygienevorschriften verboten, aber die dort beschäftigten Wissenschaftler hielten sich von Anfang an nicht konsequent an diese Vorschrift.

Die beiden Katzen gehörten zur speziell für die Jagd auf Mäuse und Ratten gezüchteten Rasse Amerikanisches Kurzhaar: ein kastrierter Kater mit getigertem Fell und ein etwas kleineres Weibchen mit schwarzem Rücken und einem weißen Brustfleck. Der Leiter des Forschungsteams, Dr. del Castro, hatte ihnen mit dem für ihn typischen Humor die Namen Professor Einstein und Madame Curie gegeben.

Die Sequenz, die den ersten dokumentierten Fall der neuen Pandemie zeigte, war vierzehn Minuten lang. Gemäß der eingeblendeten digitalen Anzeige begann die Aufzeichnung um 17:14 Uhr. In der am häufigsten verbreiteten Version waren die Bilder mit einer instrumentalen Fassung des Titelsongs Memory aus dem Musical Cats unterlegt. Die originale Aufnahme enthielt keine Tonspur.

In dem Video war Folgendes zu sehen:

17:17

Die Kamera ist auf die Wand mit den Schließfächern gerichtet. Von vorne links nach hinten Mitte kommt ein auf Rollen befestigter Hocker ins Bild. Zuerst hat man den Eindruck, dass er sich von selbst bewegt, dann sieht man, dass die Katzen Professor Einstein und Madame Curie ihn mit ihren Köpfen schieben.

 

17:18

Der Hocker stößt an die Wand mit den Schließfächern und kommt zum Stehen. Madame Curie läuft nach rechts aus dem Bild.

Professor Einstein springt auf den Hocker. Er sitzt mit dem Rücken zur Kamera, sodass sein Körper das Keypad des Schließfachs mit dem Katzenfutter verdeckt. Es ist deshalb nicht deutlich zu erkennen, was er mit seinen Pfoten macht, aber die Tür des Schließfachs öffnet sich.

 

17:19

Madame Curie kommt, rückwärtsgehend, von rechts. Sie hat die Zähne in ein Plastikgefäß geschlagen, das sie hinter sich herzieht. Sie deponiert das Gefäß direkt neben dem Hocker.

Professor Einstein springt durch die offene Tür in das Schließfach.

 

17:20

Professor Einstein ist nicht zu sehen. Madame Curie kauert in Sprungposition neben dem Hocker und blickt nach oben.

 

17:21

Eine große Plastikpackung mit Katzenfutter kippt nach vorn über den Rand des Schließfachs.

Madame Curie springt mit ausgestreckter Pfote und ausgefahrenen Krallen nach oben. Sie wiederholt den Sprung noch zweimal. Beim dritten Mal gelingt es ihr, einen Riss in die Verpackung zu machen. Ein Strom von Futterpellets ergießt sich in das bereitstehende Gefäß.

 

17:23

Ohne dass wir eine Ursache dafür erkennen können, bewegt sich die Packung in das Schließfach zurück. Es ist anzunehmen, dass Einstein sie mit den Zähnen zieht.

Madame Curie schiebt das Gefäß mit den Pellets nach links aus dem Bild.

 

17:24

Einstein springt aus dem Schließfach auf den Hocker zurück. Auf den Hinterpfoten stehend, schiebt er die Türe zu, bis der Schließmechanismus einrastet.

 

17:25

Madame Curie kommt zurück. Die Katzen schlagen auf den Hinterbeinen stehend ihre Vorderpfoten aneinander. Bei Menschen würde man sagen: Sie klatschen ab.

Dann fressen sie die Futterpellets, die das Gefäß verfehlt haben und auf den Boden gefallen sind.

 

17:26

Wieder mit den Köpfen stoßend, schieben sie den Hocker nach links aus dem Bild.

 

17:27

Das Video zeigt wieder nur das scheinbar unveränderte Regal mit den Schließfächern.

Auf Instagram und anderen Plattformen entwickelte sich schnell eine heftige Diskussion über die Echtheit des Videos. Die meisten User waren der Meinung, dass man es dabei mit einem computergenerierten Fake zu tun haben müsse, wahrscheinlich Teil einer Guerilla-Marketing-Kampagne für Katzenfutter. Dagegen sprach allerdings, dass das Design der Packung schlecht erkennbar und der Markenschriftzug nie im Bild war. Ein professioneller Werber, hieß es in vielen kritischen Kommentaren, hätte das bestimmt anders gemacht.

Neben vielen anderen wurden folgende Haupteinwände gegen die Echtheit des Videos genannt:

  1. Katzen sind zu einer geplanten und koordinierten Zusammenarbeit, wie sie hier scheinbar zu sehen ist, gar nicht fähig.

  2. Es ist unmöglich, dass eine Katze allein durch Beobachtung die Funktion eines Keypads versteht und sich die entsprechende vierstellige oder, zusammen mit der am Schluss zu betätigenden #-Taste, sogar fünfstellige Zahl merkt.

  3. Das »Abklatschen« ist eine typisch menschliche Geste, die sich mit den natürlichen Verhaltensweisen einer Katze in keiner Weise in Einklang bringen lässt.

  4. An jenem 10. Januar...

Erscheint lt. Verlag 25.5.2022
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik
Technik
Schlagworte Artensterben • Energiekrise • Klimawandel • Pamphlet • Rachegeschichte • Stromausfall • Tiere • Weltuntergang • Zivilisationskritik
ISBN-10 3-257-61298-2 / 3257612982
ISBN-13 978-3-257-61298-1 / 9783257612981
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