Löwenland (eBook)

Mein Leben für Afrikas letzte Wildnis
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
192 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01176-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Löwenland -  Valentin Grüner
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Valentin Grüner lebt den Traum vieler Menschen: Mit Anfang 20 gab er seine Heimat, den Bodensee, für ein Leben als Wildhüter und Naturschützer in Afrika auf und zog in die Wüste Kalahari in Botswana. Als er vor neun Jahren ein verlassenes Löwenjunges fand, änderte sich alles: Die kleine Sirga bestimmte fortan seinen Alltag, wuchs heran, lernte auf Streifzügen, mit Valentin zu jagen und sich selbst zu versorgen. Nur durch Willenskraft, Kreativität und Durchhaltevermögen schaffte es Valentin, für Sirga ein Reservat in der afrikanischen Wildnis zu errichten. Nun streift Sirga unter Valentins wachsamem Blick durch ihr eigenes Gelände. In seinem Buch erzählt Valentin Grüner von seiner abenteuerlichen Geschichte - und der Freundschaft zu der Löwin Sirga.

Valentin Grüner, geboren 1987 in Engen am Bodensee, lebt mittlerweile als Naturschützer, Umweltaktivist, Parkranger und Unternehmer in Botswana. Er ist der Mitbegründer des Modisa Wildlife Project und erlangte besondere Bekanntheit durch seine enge Beziehung zu der von ihm per Hand aufgezogenen Löwin Sirga.

Valentin Grüner, geboren 1987 in Engen am Bodensee, lebt mittlerweile als Naturschützer, Umweltaktivist, Parkranger und Unternehmer in Botswana. Er ist der Mitbegründer des Modisa Wildlife Project und erlangte besondere Bekanntheit durch seine enge Beziehung zu der von ihm per Hand aufgezogenen Löwin Sirga. Alexander Krützfeldt, geb. 1986 in Achim, arbeitet u.a. für die Süddeutsche Zeitung, die Zeit, Krautreporter, Vice und die taz und kuratiert für piqd.de besonders gute Reportagen. Zuletzt hat seine hochgelobte und für mehrere Journalistenpreise nominierte SZ-Serie «Acht Häftlinge» für große Aufmerksamkeit gesorgt. 

Eis und Schnee


Die Schulzeit stand ich nur durch, weil ich jede freie Minute draußen verbrachte. Wenn der Unterricht aus war, lud ich mein Surfbrett auf einen Handwagen und zog ihn klappernd runter zum See. Bei der Zeugnisverleihung sagte ein Lehrer zu meinen Eltern: «Der Valentin hätte ein sehr gutes Abi machen können – wenn er gewollt hätte.»

Nach dem Abi schmiedeten alle große Pläne. Das Heim war zwischenzeitlich bei einem Feuer fast komplett abgebrannt, und wir wohnten mittlerweile in einem großen Haus, nicht mehr am See, aber auch auf dem Land. Trotzdem war es nicht dasselbe, mir fehlte das alte Leben sehr.

An den Wochenenden ging ich mit meinen Freunden in unsere Stammkneipe, einen Pub. Es gab nur eine sehr kleine Bar, getrunken wurde Cola-Weizen und zu späterer Stunde nur noch Weizen, und wenn entsprechend was los war, wurden die Tische weggeräumt, damit getanzt werden konnte. Wobei ich nie getanzt habe, das war noch nie so mein Ding.

Wir lehnten oft an der Bar und sprachen über die Zukunft, über Studienplätze und Zugangsvoraussetzungen. Über den Zivildienst und Berufswünsche. Über Reisen, Länder und Städte. Wie spannend alles würde. Meine Zukunft sah zunächst nicht gerade spannend aus, auch wenn ich längst eine Ahnung hatte, in welche Richtung es mich ziehen würde. Seit einem Diaabend bei meinen Großeltern in Bremen, als meine Tante Bilder ihrer Safari zeigte, war ich angefixt. Ich war damals acht Jahre alt, und nach dem Diavortrag durfte ich wach bleiben und den Film «Serengeti darf nicht sterben» mit anschauen. Und als ich vor dem Fernseher saß und mich diese Bilder überwältigten, die Weite, wurde mir klar, dass ich etwas mit Tieren in Afrika machen musste.

An diesem Abend beschloss ich: Da werde ich einmal wohnen. Meine Mutter brachte eines Tages eine VHS-Kassette mit, der Film hieß «Sirga, die Löwin». Er erzählt die Geschichte eines afrikanischen Jungen, der in einem Dorf aufwächst. Eines Tages bringt eine Löwin ihm ihr Baby, um selbst wieder jagen gehen zu können. Ich konnte mich damals direkt reinträumen und war dieser Junge. Wer hätte gedacht, dass mein Traum viele Jahre später Wirklichkeit werden sollte?

Jedenfalls fasste ich schon früh die Idee, Tiermedizin zu studieren. Und an diesen Abenden im Pub als frischgebackener Abiturient reifte der Plan, nicht in Deutschland zu studieren, sondern im Ausland auf Englisch, denn ich wollte danach ja nach Afrika. Doch zugleich war mir klar, dass meiner Familie für ein Auslandsstudium, noch dazu womöglich an einer Privatuni, schlicht das Geld fehlte. Also war mein vorläufiger Plan, erst einmal arbeiten zu gehen und Geld für das Studium zu verdienen.

Raphael, ein Mitschüler, der in der Oberstufe ein Jahr in Kanada verbracht hatte, erzählte, dass man in Kanada richtig Kasse machen könnte. Er hatte noch Kontakt zu seiner ehemaligen Gastfamilie und meinte, wir könnten bestimmt bei ihnen unterkommen. Nach einer durchzechten Nacht, in der alle wieder von ihren Plänen berichtet hatten, machten Raphael und ich Ernst und kümmerten uns um Work-and-Travel-Visa, mit denen wir ein Jahr in Kanada arbeiten durften. Ich musste noch mein Motorrad verkaufen, um mir den Flug leisten zu können, dann packten wir die Rucksäcke. Raphael hatte tatsächlich organisiert, dass wir in der ersten Zeit auf der Farm seiner ehemaligen Gastfamilie wohnen konnten.

Ich kannte Kanada hauptsächlich aus Dokus über Krabbenfischer – das waren Menschen, die hart arbeiteten und in der Regel, wie ich auch, nichts gelernt hatten. An einem guten Tag brachten sie einen Haufen Kohle mit nach Hause, weswegen ich dachte: Das ist doch perfekt für mich. Und so stiegen wir hoch motiviert in den Flieger und überquerten den Atlantik. Als wir viele Stunden später mit blinkenden Tragflächen auf dem Rollfeld einer Kleinstadt namens Prince George landeten, mitten in der Provinz British Columbia, waren es direkt minus zwanzig Grad, und der Wind pfiff uns den Schnee mitten ins Gesicht.

Chase, der Sohn der Familie, holte uns in diesem Gestöber ab, und mir wurde langsam klar, wie groß das Land war, wie enorm die Distanzen waren, die man zurücklegen musste. Wir fuhren etwa fünf Stunden zur Farm. Der Schnee türmte sich bedrohlich an den Straßenrändern auf, und unser riesiger Geländewagen mühte sich durch die einsetzende Dunkelheit. In den tiefen Wäldern sah ich im Kegel der Scheinwerfer die ersten Elche meines Lebens unschlüssig zwischen den Bäumen stehen. Ganz romantisch, dieses British Columbia.

Endlich erreichten wir die Farm seiner Familie, auf der Chase eine eigene Cabin bewohnte. Es war ein schlichtes Blockhaus mit Ofen, in dem wir unsere Sachen auf die Betten schmissen.

Für Essen und Unterkunft arbeiteten wir auf der Farm. So konnten wir erst mal Fuß fassen, bevor wir uns nach einem Job umsahen, bei dem wir Geld verdienen konnten. Es war tiefster Winter, und von den Dächern hingen lange Eiszapfen herab. Wir hackten Holz für die Öfen und standen bei minus zwanzig Grad draußen – im T-Shirt, weil wir so schwitzten. Raphael und ich riefen nur: «Mann, das ist so geil hier!», während wir mit dem Frontlader Gras zu den Kühen schütteten – und abends, wenn wir heimkamen, lagen die Nordlichter sattgrün über den Wäldern und knisterten.

Abendessen gab es immer im Haupthaus der Farm, wo alle um einen riesigen Esstisch herum saßen. Die Mutter, Peggy, konnte wahnsinnig gut kochen. Ich aß zum ersten Mal frittierte Zwiebelringe – und wusste nicht, wie ich bis dahin ohne sie hatte leben können. Außerdem gab es zu allem «gravy», eine schwere Bratensoße aus Pilzen, Cranberrys und Möhren. Ich glaube, in Kanada wird alles mit gravy gegessen.

Russell, der Vater, hing nach dem Abendessen oft am Telefon, um uns eine lukrative Arbeit zu besorgen. Tagsüber war er auf der Farm beschäftigt, wo er nebenher Lkws und Geräte für den Straßenbau vermietete, und man muss sagen, er arbeitete jeden Tag wie ein Tier. Natürlich wollten wir ihn nicht hängen lassen und einen guten Eindruck machen. Beide kümmerten sich wahnsinnig gut um uns, und ich fühlte mich wie zu Hause. Mit meinen Eltern hatte ich in dieser Zeit wenig Kontakt. In den ersten sechs Monaten schrieb ich kaum mal ein paar Zeilen, nur meiner damaligen Freundin in Deutschland schrieb ich regelmäßig Briefe. WhatsApp gab es noch nicht. Ansonsten meldete ich mich bei niemandem.

 

Eines Abends, wir saßen gerade am Esstisch, meinte Russell, er habe da vielleicht einen Job für uns. Ich war anfangs ziemlich still bei den Mahlzeiten, weil ich kaum Englisch sprach – ich konnte ein Bier bestellen oder etwas zu essen, aber das war’s dann auch. Russell erzählte, sein Bruder arbeite in leitender Funktion in einem Tagebau, da gäbe es richtig Geld zu verdienen. Wir hätten ja gezeigt, dass wir hart arbeiten könnten. Ob wir interessiert seien?

Ich glaube, Russell machte sich schon Sorgen wegen meiner mangelnden Englischkenntnisse, als er ein telefonisches Bewerbungsgespräch vereinbarte. Aber Raphael und ich meinten beide: «Das machen wir jetzt», wir hatten die weite Reise schließlich vor allem angetreten, um Geld zu verdienen. Das Interview gestaltete sich dann erfreulich schlicht. Sie wollten lediglich wissen, ob wir ein gültiges Visum haben, und das war auch alles. Ich war ziemlich erleichtert.

Nach einem herzlichen Abschied wurde es dann eine sehr lange Fahrt mit dem Greyhound-Bus über die Rocky Mountains in die angrenzende Provinz Alberta. Am Telefon hatten sie gesagt, dass wir lange arbeiten und Schaufeln für Bagger zusammenbauen müssten, die dann im Sand buddeln. Wir wussten nicht so recht, auf was wir uns da eingelassen hatten.

Diese Riesenbagger wiegen etwa eintausendfünfhundert Tonnen und fahren zwei Kilometer pro Stunde, weswegen sie am Einsatzort montiert werden müssen. Hinter jedem Bagger fährt ein Lkw mit einem Generator für die Stromversorgung, weil die Maschinen zu groß für Dieselmotoren sind. Riesige Elektromotoren bewegen also diese Ungetüme, und diese Bagger beladen wiederum gigantische Lastwagen, die den Matsch aus dem Tagebau fortschaffen. Es war unglaublich, diese Riesen in Aktion zu sehen.

Im Norden Albertas wird Öl aus Sand gewonnen. Beim Ölsandabbau geht es um gewaltige Mengen, denn es werden etwa zwei Tonnen Sand benötigt, um ein Barrel Öl zu gewinnen. Dazu müssen ganze Wälder gerodet werden, außerdem stößt das Ganze unfassbar viel CO2 aus. Es handelt sich also um eine höchst ineffektive, teure und umweltzerstörende Industrie. Als wir dort ankamen, standen wir am Rande einer Mondlandschaft, die sich bis zum Horizont erstreckte. Dieser Anblick passte mal so gar nicht zu dem Bild, das ich von Kanada hatte.

Wir wurden in einem Containerdorf in einiger Entfernung von dem Tagebau untergebracht. Weil niemand bei bis zu minus vierzig Grad freiwillig die Hose auszog, hatten selbst die Toiletten-Container riesige Heizlüfter mit Rohren so groß, dass man bequem hätte drin sitzen können. Alles wurde so beheizt, die Büros, die Werkstätten. Selbst die Metallteile mussten beheizt werden, um sie schweißen zu können. Da wir die Neuen waren, wurde uns erst mal die Aufgabe übertragen, halb gefrorene Kacke aus den Toiletten zu kratzen. Wir arbeiteten zwölf Stunden am Stück.

Die Sache mit den Überstunden war, dass die ersten acht Stunden regulär bezahlt wurden, die folgenden vier aber doppelt. Da jeder möglichst viel Geld mit nach Hause nehmen wollte, blieb einem kaum etwas anderes übrig. Da die Hin- und Rückfahrt aus dem Container-Camp eine Stunde dauerte, blieb nicht mehr viel Freizeit übrig. Die Camps beherbergten Hunderte Arbeiter. Man bekam Essen, ein Zimmer, und...

Erscheint lt. Verlag 22.3.2022
Co-Autor Alexander Krützfeldt
Zusatzinfo Zahlr. 4-farb. Fotos
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte Afrika • artgerecht • Auswanderer • Beziehung Mensch und Tier • Botswana • Erzählendes Sachbuch • Kalahari • Löwenbaby • Löwin • Modisa Wildlife Project • Ranger • Safari • Sirga • Tierschutz • TikTok • Wildhüter • wildlife • Wüste
ISBN-10 3-644-01176-1 / 3644011761
ISBN-13 978-3-644-01176-2 / 9783644011762
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