Sea Change - Eindrücke einer bedrohten Schönheit (eBook)

Von den Machern der Oscar-prämierten Netflix-Doku „Mein Lehrer, der Krake“ - Mit einer Einführung von Jane Goodall
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2022
Mosaik (Verlag)
978-3-641-28618-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sea Change - Eindrücke einer bedrohten Schönheit - Craig Foster, Ross Frylinck
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Wenn Craig Foster ausgebrannt ist, tut er das, was er als Kind schon getan hat: Er schwimmt und taucht vor der Küste Südafrikas - ohne Tauchausrüstung, tief in den Unterwasserwäldern des Atlantiks. Bei seinen Ausflügen beginnt er, den Wald zu kartografieren und stößt auf eine Oktopusdame, die ihn mindestens so spannend findet, wie er sie. Von ihr lernt Foster nicht nur viel über Oktopusse und das fragile Ökosystem des Tangwalds, er lernt auch sehr viel über sich. In »Sea Change« zeigen uns Foster und sein Tauchfreund Ross Frylinck, weshalb es unser aller Rettung sein kann, wieder in eine echte Verbindung zur Natur zu treten. »Sea Change« beeindruckt mit atemberaubenden Bildern und klugen Texten über das Ökosystem unter Wasser, dessen Gesundheit unsere Rolle auf diesem Planeten bestimmt.

Craig Foster ist Filmschaffender und begeisterter Naturforscher. Seine Filme sind vielfach preisgekrönt, zuletzt gewann »Mein Lehrer, der Krake« den Oscar 2021 als beste Dokumentation. Seit acht Jahren schwimmt er täglich im Tangwald vor der Küste Kapstadts und erforscht den Wald und seine Bewohner.

Am Kap der Guten Hoffnung, auch Sturmkap genannt, an der Küste Südafrikas fegte ein eisiger Wind über den Indischen Ozean. Er wehte so stark, dass Möwen von ihren Sitzwarten in den Felsen fortgerissen wurden. Ich stand in meiner Badehose am Ufer und schaute den Vögeln zu, wie sie ihre feingliedrigen grauen Flügel aufspannten und sich vom Luftstrom tragen ließen, um sich anschließend wieder mühelos niederzulassen und ihre Köpfe im Gefieder zu vergraben.

Etwa einen Meter vor mir stand Craig Foster knietief im tosenden Meer. Er kniff die Augen zusammen, spuckte in seine Tauchermaske und spülte sie im flachen Meerwasser aus. Das Glas seiner Maske sei auf seine Brillenstärke geschliffen, erklärte er mir – ohne könne er kaum sehen. Bei einem 1,90 Meter großen Mann markierte diese Schwäche einen frappierenden Kontrast zu seiner imposanten Statur. Unterstrichen wurde diese Verletzlichkeit von einer langen Operationsnarbe auf der linken Schulter. Die Verletzung, dachte ich mir, hatte er sich wohl beim Rugby zugezogen. Er musste etwa Mitte vierzig sein.

Draußen auf See braute sich am Horizont eine bedrohliche Bank von Sturmwolken zusammen. Die ersten Regentropfen spürte ich wie Nadelstiche auf meiner Haut; die feinen Härchen auf meinem Unterarm hatten sich aufgerichtet. Ein Schmerz durchzuckte meine Füße, und ich wurde mir mit einem jähen Anflug von schlechtem Gewissen bewusst, dass ich auf einem Bett scharfer kleiner Muscheln stand. Ich verlagerte mein Gewicht in der Hoffnung, sie nicht zu zerquetschen.

Was wollte ich denn überhaupt hier, fragte ich mich. Ich kannte diesen Typen doch kaum, aber hier stand ich nun mitten im Winter und war kurz davor, mit ihm in einen eiskalten Unterwasserwald abzutauchen, um nach Haien Ausschau zu halten. Am schlimmsten aber war, dass er darauf bestanden hatte, dass wir ohne Neoprenanzug tauchen. Ich fror schon jetzt, obwohl ich noch gar nicht ins Wasser gestiegen war. Dabei war ich den größten Teil meines Lebens in den eisigen Gewässern vor Kapstadt geschwommen, hatte dort gesurft und getaucht. Die Kälte war mir also keineswegs fremd, doch hielt ich stets meinen Körper einschließlich Kopf, Hände und Füße bedeckt, sodass nur Augen und Nase herausschauten. Ich hasste die Kälte, und auch auf Haie war ich nicht gerade scharf. Als Surfer wusste ich nur zu gut, dass Haie eine ständige Bedrohung darstellten; in diesen Gewässern verging kein Jahr ohne eine Attacke auf einen Menschen.

Craigs Schaffen als Naturfilmer war mir bekannt, und unsere Pfade hatten sich im Laufe der Jahre ab und zu gekreuzt. Dann trafen wir uns zufällig am Rande eines Filmfestivals. Inmitten des Gedränges im Kinosaal plauderten wir ein wenig, wobei Craig erwähnte, dass er jeden Tag allein in einem Kelpwald in der False Bay tauchen gehe. Es wunderte mich, dass jemand daran Gefallen fand, Tag für Tag alleine in eiskalten Unterwasserwäldern herumzutauchen. Ich konnte es überhaupt nicht nachvollziehen, doch gerade das stachelte nun meine Neugierde an.

Als ich ihn fragte, warum er dies tue, sah er mich seltsam durchdringend an. Er glaube, erklärte er mir, den »Ruf des Kelpwaldes« vernommen zu haben. Die Menschenmenge um uns herum löste sich allmählich auf, und in der anschließenden Stille fiel mir keine passende Erwiderung ein. Mit einem Gefühl der Verlegenheit blickte ich in Craigs blaue Augen und war erleichtert, als er das gespannte Schweigen mit einer Einladung zum Schwimmen durchbrach. Da mir immer noch nichts Besseres einfiel, willigte ich ein, und wir verabredeten uns.

Nun stand ich auf diesen Felsen und bereute meinen Entschluss, doch es gab kein Zurück mehr. Ich fasste mir also ein Herz, zuckte aber zusammen, als ich ins Meer zu Craig watete, der an seiner Taucheruhr fummelte. Was er denn mache, fragte ich ihn. Er erwiderte, dass er bei jedem Tauchgang die Tiefe, die Temperatur und die Dauer protokolliere. Beiläufig erwähnte er, das Wasser habe eine Temperatur von 13 Grad. Diese unangenehme Tatsache schien ihn nicht weiter zu stören, also behielt ich meine düsteren Gedanken für mich.

Gerade als wir abtauchen wollten, bemerkten wir eine blitzartige Bewegung im klaren Wasser zu unseren Füßen. Craig bückte sich und pflückte einen kleinen Fisch aus dem Meer. Er begutachtete ihn leicht verdutzt, als wunderte er sich selbst darüber, was er gerade getan hatte. Er hielt mir den kleinen Mops von einem Fisch hin, erklärte, dass es sich dabei um einen Großen Schildbauch (auch Rocksucker genannt) handle, und entließ ihn zurück ins Meer. Ich war völlig baff. War das gerade wirklich passiert? Hatte ich eben gesehen, wie jemand einen Fisch aus dem Wasser schnappte? Mir blieb keine Zeit, das Gesehene zu verarbeiten, denn Craig tauchte unter und war verschwunden. Da ich nicht zurückbleiben wollte, stürzte ich ihm nach.

In dem Augenblick, als ich vollständig eintauchte, schien mich die Kälte zu erdrücken. Während der ersten Minuten tobte in mir ein erbarmungsloser Krieg: Ich verspürte den rasenden, drängenden Wunsch, sofort ans Ufer zurückzuschwimmen, doch mein Stolz hielt mich davon ab. So folgte ich Craig immer weiter hinein in den Kelpwald. Ein Kältekopfschmerz hämmerte in meinen Schläfen. Ich biss auf das Gummimundstück meines Schnorchels, bis mir das Zahnfleisch blutete. Da ich direkt hinter Craig herschwamm, konzentrierte ich mich auf die Luftbläschen, die sich von den Sohlen seiner strampelnden Füße lösten. Meine Welt war auf vier karge Elemente zusammengeschrumpft: die Kälte, die Luftblasen, Craigs weiße Fußsohlen und das verstärkte Geräusch meiner eigenen Atmung.

Craig war schon seit einigen Wochen einem Schwarm Scharfzahn-Hundshaien auf der Spur und wollte sie mir unbedingt zeigen. Er vermutete, dass sie am Rand des Waldes zu finden sein würden. Also schwammen wir gut 300 Meter aufs Meer hinaus, wo das Kelp nur spärlich wuchs und das Wasser tief und dunkel war. Als ich mich nun einen Augenblick in einer Lichtung ausruhte, stellte ich zu meiner großen Überraschung fest, dass mir nicht mehr ganz so kalt war. Ich lauschte den Knallgeräuschen der Pistolenkrebse und sah in ein paar Metern Entfernung eine große Rote Meerbrasse vorbeischwimmen. Wir beäugten einander vorsichtig, dann verabschiedete sie sich mit einem herablassenden Blick ins Meeresdunkel.

Meine Welt war auf vier karge Elemente zusammengeschrumpft: die Kälte, die Luftblasen, Craigs weiße Fußsohlen und das verstärkte Geräusch meiner eigenen Atmung.

Als Jugendlicher hatte ich mit meinen Freunden in diesen Gewässern oft nach Langusten getaucht. Im dichten Tangwald fühlte ich mich wohl, und die Luft konnte ich noch immer erstaunlich lange anhalten. Ohne große Mühe konnte ich Craig auf zehn Meter Tauchtiefe folgen, den Druckausgleich vornehmen und mich an den langen Kelpstängeln festhalten, während wir Ausschau nach den Haien hielten. Und schon bald erspähten wir Schatten, die durch den wogenden Wald glitten, und wussten, dass wir gefunden hatten, wonach wir suchten.

Von ihrer wilden Anmut war ich wie hypnotisiert. Sie würdigten uns kaum eines Blickes, doch unsere Anwesenheit war ihnen sicherlich nicht entgangen. Während ich Gefallen daran fand, ihnen dabei zuzusehen, wie sie sich frei durchs Wasser bewegten, hatte ich das Gefühl, dass mein sonst so vollgestopfter Kopf auf einmal leer geworden war. Ich blickte kurz hinauf und sah einen Hai, der durch die »Bäume« zu gleiten schien. Weit darüber sprenkelten jetzt Regentropfen die Meeresoberfläche und zogen Gewitterwolken vorbei. Es war ein ebenso surrealer wie wunderschöner Anblick, und ich spürte, wie ein Schauer der Euphorie meinen Körper durchrieselte. Zugleich bemerkte ich, dass die Rote Meerbrasse zurückgekehrt war und mit ihr ein großer Schwarm kleinerer Hottentotten-Meerbrassen, die mich alle anstarrten. Ich erwiderte den Blick und spürte etwas von der ungeheuren Kluft zwischen uns Menschen und diesen Arten.

Als ich plötzlich merkte, wie kalt mir war, war der Bann gebrochen. Meine Finger hatten sich zu grotesken Klauen gekrümmt, sie waren kaum noch durchblutet und wirkten beinahe durchsichtig. Ich versuchte, sie zum Schwimmen wieder gerade auszustrecken, aber der neuronale Befehl drang nicht durch, sodass meine Finger widerspenstig krumm blieben. Ich betrachtete sie mit einem leichten Schaudern und bemerkte zugleich, dass mein Unterkiefer zitterte. Es war, als hätte jemand plötzlich eine stählerne Tür vor meiner Nase zugeschlagen, sodass der ganze Zauber augenblicklich zerstob. Mir war kalt, ich hatte Angst, und ich wusste, dass ich sofort aus dem Wasser musste.

Ich blickte kurz hinauf und sah einen Hai, der durch die »Bäume« zu gleiten schien. Weit darüber sprenkelten jetzt Regentropfen die Meeresoberfläche und zogen Gewitterwolken vorbei. Es war ein ebenso surrealer wie wunderschöner Anblick, und ich spürte, wie ein Schauer der Euphorie meinen Körper durchrieselte.

Ich bedeutete Craig, dass ich mich auf den Rückweg machen würde, und schwamm mit größter Anstrengung ans Ufer. Ich spürte meine Arme nicht mehr. Sie tauchten vor mir ins Wasser ein und wieder daraus hervor, wie wenn ich sie in einem Film sähe. Es fiel mir schwer, die Felsen zu erklimmen. Die Kälte hatte mich ganz benommen gemacht, und der kühle Wind gab mir den Rest. Als ich strauchelnd wieder auf die Beine kam, musste ich mich mit ganzer Kraft gegen meinen schwindenden Willen auflehnen, um mir meine Daunenjacke überzuziehen. Meine tauben, salzigen Arme blieben in dem synthetischen Material hängen, und als ich die Jacke endlich anhatte, war ich erschöpft. Ich wollte den Reißverschluss hochziehen, aber meine...

Erscheint lt. Verlag 11.4.2022
Zusatzinfo 4-farbig mit mehr als 250 Abbildungen
Sprache deutsch
Original-Titel Sea Change
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Naturwissenschaft
Technik
Schlagworte 2022 • Afrika • Biologie • Deutsche Ausgabe • eBooks • Fotografie • Klimaschutz • Kunst • my octopus teacher • Natur • Naturfotografie • Netflix Bücher • Neuerscheinung • Ökosystem • Oscarpreisträger • Ratgeber • Reisen • Seaspiracy • Südafrika • Tauchen Buch • umweltverschmutzung buch • Unterwasser • Weltmeere • wildlife
ISBN-10 3-641-28618-2 / 3641286182
ISBN-13 978-3-641-28618-7 / 9783641286187
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