Essenzen der Welt (eBook)
304 Seiten
Arche Literatur Verlag AG
978-3-03790-141-0 (ISBN)
Dominique Roques, geboren 1952 in Paris, gründete in den 1980er-Jahren eine Destillerie für Zistrosen in Andalusien, später arbeitete er für verschiedene Auftraggeber in der Parfumindustrie. Heute ist Dominique Roques Duftexperte und -sammler für eines der größten Unternehmen in der Herstellung von natürlichen Duftstoffen. Sein besonderes Engagement gilt dem nachhaltigen und ursprünglichen Anbau der jeweiligen Pflanzen sowie einer fairen Zusammenarbeit mit den lokalen Landwirt:innen und Arbeiter:innen. ?Essenzen der Welt? ist sein erstes Buch.
Dominique Roques, geboren 1952 in Paris, gründete in den 1980er-Jahren eine Destillerie für Zistrosen in Andalusien, später arbeitete er für verschiedene Auftraggeber in der Parfumindustrie. Heute ist Dominique Roques Duftexperte und -sammler für eines der größten Unternehmen in der Herstellung von natürlichen Duftstoffen. Sein besonderes Engagement gilt dem nachhaltigen und ursprünglichen Anbau der jeweiligen Pflanzen sowie einer fairen Zusammenarbeit mit den lokalen Landwirt:innen und Arbeiter:innen. ›Essenzen der Welt‹ ist sein erstes Buch. Kirsten Gleinig, geboren 1970, studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Romanistik in Göttingen und Aix-en-Provence. Sie übertrug u. a. Isabelle Autissier, Georges Simenon, Laurence Tardieu und Gisèle Halimi ins Deutsche. Für Arche übersetzte sie zuletzt Caffè sospeso von Amanda Sthers. Kirsten Gleinig lebt als freie Übersetzerin und Lektorin in Hamburg.
Prolog
Die Sammler der Welt
Düfte sind vertraut und geheimnisvoll zugleich. Sie rufen immer einen Teil unseres Geruchsgedächtnisses wach, Bruchstücke von Kindheitserinnerungen, die sehr intensiv sind, obwohl sie weit zurückliegen. Niemand kann sich dem entziehen. Jeder trägt ein Leben lang den Hauch von Flieder, den Duft eines ginstergesäumten Weges oder den Geruch eines geliebten Menschen in sich. Ich erinnere mich noch genau an ein Erlebnis als Kind im Wald. Im Mai war unter den großen Eichen in Rambouillet der Waldboden über und über mit Maiglöckchen bedeckt, die die ganze Luft mit ihrem Duft erfüllten. Ich war entzückt und verwirrt von diesem Geruch, der meine Mutter heraufbeschwor, die das üppige Parfum »Diorissimo« trug, eine Hommage an die kleinen weißen Glocken. Dieser intimen Vertrautheit im Spiel der Düfte mit unseren Erinnerungen steht eine geheimnisvolle Kraft gegenüber, die eine Komposition beim Öffnen eines Flakons lebendig werden lässt – ein Parfum beruhigt uns zunächst, indem es uns von uns selbst erzählt, anschließend bezaubert es uns, indem es uns von sich erzählt.
»Hier hast du Zweige, Blätter, Früchte, Blumenspenden« – dieser berühmte Vers von Verlaine zeigt melodisch die große Bandbreite an natürlichen Rohstoffen für Parfums. Ich ergänze: Wurzeln, Rinde, Holz, Flechten, Samen, Knospen, Beeren, Balsam und Harz – die Welt der Pflanzen in all ihren Ausprägungen ist reich an Essenzen und Extrakten, aus denen die Parfümerie entstanden ist. Bevor man im neunzehnten Jahrhundert synthetische Duftmoleküle entwickelte, waren Naturprodukte drei Jahrtausende lang die einzigen Rohstoffe für Parfums. Wenngleich sie inzwischen zu einem Luxusprodukt geworden sind, gilt die Liebe der Parfümeure nach wie vor ganz entschieden ihnen. Sie verleihen ihren Kreationen Vielfalt und Komplexität, und einige sind schon für sich genommen ein Parfum.
Bevor sie sich auf unserer Haut verflüchtigen, erzählen die Kompositionen innerhalb weniger Augenblicke all die Geschichten ihrer vielen Bestandteile. Geschichten von Laboren bei den chemischen Komponenten, Geschichten von Blumen, Gewürzen oder Harzen bei den Naturprodukten. Destilliert oder extrahiert fließen die Pflanzen als ätherische Öle, Absolues oder Resinoide[1] in die Komposition eines Parfums ein und werden durch synthetische Duftstoffe ergänzt. Bei der Werbung für eine Marke werden sie stets in den Vordergrund gerückt, denn auf ihre Duftfülle gründet sich jedes wahre Parfum.
Die Essenzen haben jeweils ihre eigenen Geschichten. Sie entstehen im Zusammenspiel einer Region mit ihrer Landschaft, ihren Böden und ihrem Klima, sie sind das Produkt von Menschen, die dort tief verwurzelt sind oder nur vorübergehend leben. Die Parfumherstellung brauchte schon immer und braucht nach wie vor Holzfäller, die Duftgehölz fällen – Zedern-, Adler- oder Sandelholz. Menschen, die Wildpflanzen, Wacholderbeeren, Zistrosenzweige und Tonkabohnen oder Säfte und Harze, Weihrauch, Benzoe und Perubalsam sammeln. Bauern, die Pflanzen kultivieren, um deren Blüten, Blätter und Wurzeln zu gewinnen, Rosen und Jasmin, Vetiver und Patschuli. Leute, die Zitrusfrüchte wie Bergamotte und Zitronen pressen. Menschen, die diese Fracht transportieren, damit handeln und so das Erbe der Kameltreiber aus Arabien und der Seefahrer, die Indien mit dem Mittelmeer verbanden, lebendig halten. Schließlich Menschen, die sich darauf verstehen, Rosenwasser herzustellen – früher, seit dem siebzehnten Jahrhundert, Alchimisten, heute Destillateure und Chemiker. Eine bunt zusammengewürfelte, über den ganzen Erdball verstreute Gemeinschaft, die in Wüsten und Wäldern sammelt, die mit Hacke oder Trecker pflügt, die geheim oder öffentlich mit der Ware handelt, die entweder nicht weiß, was mit ihren Produkten passiert, oder auf ihren Feldern Besuch von großen Parfümeuren und Vertretern der renommiertesten Marken empfängt.
Diese Vielfalt bildet, ohne dass sie sich dessen bewusst ist, eine großartige historische Gemeinschaft, durch die Lavendel, Rose und Weihrauch zu uns gelangten. Sie ist geprägt von verschlungenen Pfaden, wechselnden Orten, bewahrten, überlieferten, verlorenen und wiederentdeckten Traditionen. Und doch haben alle, die Teil des Entstehungsprozesses von Parfum sind, eines gemein: Sie nähren die ungebrochene Begeisterung der Menschen für die Düfte der Natur. Wenn eine madagassische Bäuerin die Blüte einer Vanille-Liane bestäubt, liegt darin ein gewisser Zauber. Sie muss die Bewegung Tausende Male wiederholen, damit sich Schoten bilden und reifen, die gesammelt und anschließend extrahiert werden können, um sich am Ende in den köstlichen Duft zu verwandeln, der aus einem Fläschchen mit Vanille-Absolue strömt.
Dieses Buch erzählt von drei Jahrzehnten, in denen ich rund um die Welt zu den Ursprüngen der Düfte gereist bin. Ich bin weder Chemiker noch Botaniker, sondern nach einem Betriebswirtschaftsstudium in der Parfümerie gelandet und damit der Anziehungskraft gefolgt, die Bäume und Pflanzen seit jeher auf mich hatten. Ich habe diesen Weg aus Neigung und aus Neugier eingeschlagen, er ist zur Leidenschaft geworden, und seit dreißig Jahren ist es meine Aufgabe, Dutzende von Aromen für die Parfumindustrie zu suchen, zu finden, zu kaufen und manchmal auch zu produzieren. Auf den Rosen- und Patschulifeldern, in den Wäldern von Venezuela und den Dörfern von Laos haben mich Menschen in die Düfte ihrer Regionen eingeführt. Sie haben mich gelehrt, auf die Geschichten zu hören, die die Essenzen und Extrakte erzählen, wenn man einen Flakon öffnet, und so bin ich mit der Zeit zu einem Entdecker von Duftquellen geworden.
Bei einem Aromen- und Duftstoffhersteller bin ich damit betraut, unsere Parfümeure mit Essenzen und Extrakten von mehr als hundertfünfzig natürlichen Rohstoffen aus etwa fünfzig Ländern zu versorgen. Meine Rolle besteht darin, die Mengen und die Qualität sicherzustellen, aber auch darin, neue Ingredienzien zu suchen, um die »Palette« der Parfümeure zu erweitern. Innerhalb des industriellen Prozesses bin ich das erste Glied der Kette, die von den blühenden Feldern bis zu den Flakons in den Parfümerien führt. Am anderen Ende stehen die Parfummarken, die für ihre neuen Düfte die Parfümeure verschiedener Kompositionsgesellschaften in den Wettkampf schicken, die berühmten »Nasen«, die Schöpfer komplexer, geheimer Rezepturen: der Parfumkonzentrate. Die Zunft der Parfümeure birgt große Talente und Persönlichkeiten, die ständig neue Düfte für die renommiertesten Marken ersinnen, und ich stelle meine Erfahrung in ihren Dienst.
Am Anfang habe ich für ein Familienunternehmen in den Landes (im Südwesten Frankreichs) Destillations- und Extraktionsanlagen in den Ursprungsländern wichtiger Duftstoffe aufgebaut. Als eines der ersten Unternehmen hatte es sich in den Achtzigerjahren bei der Herstellung natürlicher Pflanzenextrakte für Niederlassungen direkt vor Ort entschieden. Spanien, Marokko, Bulgarien, Türkei oder Madagaskar – überall musste für die nötige Ausstattung gesorgt werden, der Anbau und die Ernte mussten organisiert und Teams für die Produktion angeheuert werden. Dabei habe ich geschichtsträchtige Orte gesehen, auf traditionellem Wissen beruhende und zuweilen vom Aussterben bedrohte Tätigkeiten kennengelernt und tiefe Beziehungen geknüpft.
Seit zehn Jahren entdecke ich neue Duftquellen für eine Schweizer Firma, ebenfalls ein Familienunternehmen, eines der weltweit wichtigsten in der Herstellung von Duftstoffen und Aromen. Um die Naturstoffe für unsere Parfümeure zu beschaffen und die Bandbreite der Düfte zu erweitern, habe ich im Laufe der Zeit ein Kontaktnetzwerk mit den Produzenten in der ganzen Welt aufgebaut, wobei ich mit sämtlichen Berufen rund um die Entstehung von Parfum in Berührung gekommen bin. Im Zuge dieser Begegnungen ist meine Leidenschaft für Düfte entstanden.
Aufgrund der unterschiedlichen Herkunft unserer Produkte ist man beim Entdecken neuer Duftquellen mit einer Vielzahl von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Realitäten konfrontiert. Ich habe mit vielen, oftmals isoliert lebenden Gemeinschaften zusammengearbeitet, die Wirbelstürmen und Trockenheit ausgesetzt sind und manchmal von ihrer eigenen Regierung im Stich gelassen werden. Schon sehr früh ist mir bewusst geworden, welche Rolle und Verantwortung unserer Industrie bezüglich der Zukunft dieser Menschen zukommt. Dieses Bewusstsein ist nach wie vor Antrieb und Leitgedanke dabei, wie ich meinen Beruf ausübe.
Die Idee zu diesem Buch entstand während einer Reise vor nicht allzu langer Zeit, als ich vor einem Weihrauchbaum in den Bergen der Republik Somaliland stand. Der Erntearbeiter, der mich begleitete, hatte gerade den Stamm eingeritzt, aus dem kleine milchige Tropfen zu perlen begannen. Mit dem betörenden Duft dessen, woraus einmal Weihrauch werden würde, trug der Wind mir das Gefühl zu, genau in diesem Moment Zeuge einer außergewöhnlichen und seit mehr als dreitausend Jahren andauernden Geschichte zu sein: der Entstehung natürlicher Duftstoffe. Der Geruch des frischen Harzes versetzte mich Jahre zurück, als ich in den Zistrosenfeldern von Andalusien erste Berufserfahrungen sammelte. Mit einem Schlag begriff ich, dass ich – von der Zistrose bis hin zum Weihrauch – das Glück gehabt hatte, dreißig Jahre lang die Erben einer mindestens dreißig Jahrhunderte alten Geschichte zu erleben. Mir wurde klar, worüber ich gerne schreiben wollte: über die Entwicklung der Parfumrohstoffe im Laufe der Zeiten, über das Leben der Menschen, die sich ihnen nach wie vor widmen, über ihr immenses Wissen...
Erscheint lt. Verlag | 16.3.2022 |
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Illustrationen | Kirsten Kuhfeld-Kaack |
Übersetzer | Kirsten Gleinig |
Verlagsort | Zürich |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Natur / Ökologie |
Technik | |
Schlagworte | Duft • Düfte • Essenzen • Frankreich • Luxus • Nachhaltigkeit • Natur • Parfum • Pflanzen • Reisen |
ISBN-10 | 3-03790-141-1 / 3037901411 |
ISBN-13 | 978-3-03790-141-0 / 9783037901410 |
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Größe: 3,4 MB
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