Über Menschenaffen, Tierseele und Menschenseele -  Wilhelm Bölsche

Über Menschenaffen, Tierseele und Menschenseele (eBook)

und Früchte vom Baum der Erkenntnis
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
144 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7534-7436-6 (ISBN)
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Wir sind dem wahren Geheimnis der Menschwerdung noch nie so nahe gewesen, als der Psychologe Wolfgang Köhler in dem kleinen Schimpansenparadies von Teneriffa bahnbrechende wissenschaftliche Studien an Schimpansen über den Werkzeuggebrauch im Tierreich durchführte. Gibt es Tiere, die menschengleich Früchte vom Baum der Erkenntnis gegessen haben? Es ist ein interessantes Thema, das sich zu lesen lohnt.

Der Autor Wilhelm Bölsche studierte Philosophie, Kunstgeschichte und Archäologie an der Universität Bonn. Er gilt als der Schöpfer des modernen Sachbuchs. In Dutzenden von Büchern und Bändchen popularisierte der Freidenker, Monist und Evolutionär das Wissen seiner Zeit.

Lernen und Wahlverhalten


Von Wilhelm Bölsche

Wie auch ein Tier „lernt“, das mag uns ein einfachstes (gelegentlich von Richard Semon zergliedertes) Beispiel anschaulich machen. Ein junger Hund, der bisher nichts Übles mit dem „Herrn der Schöpfung“ erlebt hat, begegnet auf harmloser Streife einem bösen Buben, der sich bei seinem Anblick nach einem Stein bückt. Das gute Hündchen sieht es, ohne zunächst Ärgerliches zu gewärtigen. Der Stein aber fliegt und schreibt sich ihm bitter schmerzlich auf das Fell. Eine Meile später schwärmt das Tier wieder aus, gewahrt einen Menschen, der sich ebenfalls nach einem Stein bückt, und sogleich entflieht es mit eingeklemmtem Schwanz und klagendem Geheul. Was ist geschehen? Der Hund hat aus einer bösen Erfahrung gelernt. Man kann das äußerst vorsichtig beschreiben, als reine „Assoziation“, bei der der Gesichtseindruck des Bückens und der Schmerzreiz sich wie mit einer Strippe in dem Hundegehirn verknüpft haben und nachher das Anrühren des einen Strippenendes wieder das andere innerlich Mitschwingen lässt (obwohl wir von den wahren Einzelheiten des Vorgangs aus der Hirnanatomie bisher wenig wissen). Kann sagen, es muss in dem Gehirn durch das erste Erlebnis etwas körperlich abgeändert sein, das in der Folge ein andersartiges Verhalten bedingt. So kann doch alle Art der Beschreibung nicht daran ändern, dass der Vorgang beim Menschen, genau so beschrieben, einen unzweideutig richtigen Lernvorgang ergeben würde. Solche Lernbeispiele ziehen sich aber jetzt wieder durch die ganze höhere und mittlere Tierschicht, wohin man nur greifen mag. Über wahres „Denken“ bei einzelnen Säugetieren und Vögeln ist gewiss seit alters (und auch neuerdings) viel gefabelt worden: vom einfachen Lernen in der eben angedeuteten Weise kann man sagen, dass es für alle näher beobachteten Säugetiere überhaupt die bekannteste, sinnfälligste, sicherste Äußerung ihres Seelenlebens sei, die wir besitzen, deutlicher hier als selbst die meisten Instinkte. Aber auch wo in die nächsttieferen und mittleren Tiergruppen hinein sich der Zweifel an ihrer Lernfähigkeit vorgewagt hat, ist fast immer die Bekehrung gleich auf dem Fuß gefolgt.

Dieser Zweifel hat sich ja gewissermaßen stoßweise in der Tierbeschreibung ausgetobt. Bald sollten bei den Wirbeltieren die Fische nicht mehr lernen können, bald die Insekten reine Reflexmaschinen sein, ein anderer schloss die Spinnen aus, einer sah vor den Mollusken die unabänderliche Grenze. Überall, wenn die Studierzimmerpfeifen ausgeraucht waren, räumte die unbefangene Beobachtung, unterstützt vom Naturexperiment, ebenso glatt wieder auf. Fische lernten im Versuch ungenießbar gemachte Futterbrocken von anderen an der Farbe unterscheiden, mieden binnen Kurzem die eingeprägte Farbe auch da, wo der Brocken nicht vorpräpariert war, und reagierten noch nach Wochen genau so. Spinnen wiesen eine Weile alle Fliegen ab, nachdem man ihnen dreimal nacheinander mit Terpentin betupfte geboten. Ameisen, durch eine Glasscheibe öfter, doch gefahrlos beunruhigt, lernten umgekehrt binnen Kurzem keine Notiz mehr von dem klopfenden Menschenkind zu nehmen. Wespen, durch süßen Honig auf Tellern angelockt, verknüpften später alle Teller mit Honig und suchten auch leere ab.

Für das Lernen der Bienen hat von Buttel-Reepen seit Jahren mustergültige Belege gesammelt. „In trachtloser Zeit, während der die Bienen überaus naschhaft zu sein pflegen, hatten einige durch das offene Fenster in meiner Studierstube eine Wabe mit Honig ausgewittert. Nach und nach kamen immer mehr der Nascher, die sich zum Teil an dem zweiten, geschlossenen Fenster verfingen. Um das zu verhindern, stellte ich die Wabe in das geöffnete Fenster selbst. Als die Bienen vielleicht eine halbe Stunde lang ab und zugeflogen waren, jagte ich sie von dem Honig ab und schloss das Fenster. Nach ungefähr 20 Minuten verfügte ich mich in das darüber liegende Schlafzimmer, dessen Fenster weit offen standen, und fand das Zimmer voller Bienen. Nunmehr wurde ich aufmerksam, und nachdem ich die Herumsuchenden hinausgejagt und die Fenster geschlossen, verfügte ich mich in den Garten und beobachtete das Verhalten genauer. An dem Fenster, an dem ich gefüttert hatte, versuchten viele vergeblich einzudringen, von Zeit zu Zeit flogen einige an das Nachbarfenster und versuchten dort ihr Glück, dann weiter zu den nebenund höher liegenden Fenstern, und zwar immer unten an die Fenster, ungefähr handbreit über dem Gesimse, in derselben Höhe, wo an dem Futterfenster der Honig gestanden hatte. So bemerkte ich an sämtlichen Fenstern des Hauses die suchenden Bienen. Waren die Bienen tatsächlich imstande, Assoziationen von Eindrücken zu machen und mit der Form des Fensters das Erlangen von Honig zu verbinden, so war zu vermuten, dass sie auch den Fenstern des seitlich ungefähr zehn Schritte abstehenden Nachbarhauses ihren Besuch abstatten würden, was in der Tat geschah. — Öffnet man die hintere Holztür einer Bienenwohnung, so können die Insassen nicht heraus gelangen, da stets noch eine innere Glas- oder Drahtgazetür den Verschluss bewirkt. Zwischen dieser äußeren und inneren Tür ist gewöhnlich so viel Raum, um ein Futtergefäß einstellen zu können, hat man dieses mit Honig oder Zuckerwasser gefüllt, so öffnet man einen Schieber, der unten an der Glastür angebracht ist, damit die Bienen zum Futter gelangen können, und schließt dann wieder die äußere Tür. Füttert man zum ersten mal, so bedarf es oftmals der Hinleitung der Bienen dadurch, dass man einige auf das Futter setzt, oder sonst wie, da sie andernfalls das Gereichte infolge zu späten Bemerkens nicht mit der erwünschten Schnelligkeit auftragen. Wegen der durch die Fütterung entstehenden Aufregung wird stets abends gefüttert und andern morgens das geleerte Gefäß fortgenommen und der Schieber der Glastüre wieder geschlossen. Aber schon am nächsten und übernächsten Abend beobachtete ich zu vielen malen, dass, wenn ich den Schieber der Glastür öffnete, die Insassen so schnell herausströmten, dass ich mich beeilen musste, die äußere Tür zu schließen, um keine zu zerquetschen. Auch wenn im Freien gefüttert wird, kommen bekanntlich die Bienen oft noch stunden-, oft noch tagelang zu der Stelle, wo ihnen der Honig einmal gereicht wurde.“

Manche dieser Insektenbeispiele haben sich allerdings als ungemein verwickelt erwiesen, weil angeborene Instinkte und persönliches Erfahrungslernen trotz ihres inneren Gegensatzes oft schier unzertrennbar darin praktisch durcheinander zu spielen scheinen. So in dem berühmtesten von Buttel-Reepen herangezogenen Fall. „Die jungen Bienen, die sich zuerst nur den Instinktbeschäftigungen hingeben, halten ungefähr 10—14 Tage nach dem Auskriechen aus der Zelle ihren ersten Ausflug, der sich in sehr charakteristischer Weise vollzieht. Die aus dem Flugloch herauskommenden Neulinge würden, falls sie einfach in die Landschaft hinausflögen, bald verloren sein, da sie ihr Heim kaum wiederfinden würden, zumal nicht, wenn wir uns eine Reihe von Bienenkörben (Buttel verweist hier auf das Bild eines großen Heidebienenstandes mit riesiger fortlaufender Kette einander sehr ähnlicher Körbe) zusammenstehend denken, da ein Landen in einem fremden Stock meist sofortiges Abstechen bedeuten würde. Sie bedürfen also genauer Orientierung, die in der Weise vorgenommen wird, dass die Herauskommende sich sofort umwendet und mit dem Kopf — also mit den Augen — dem Stock zugekehrt, vorwärts und rückwärts in Halbkreisen hin und her und auf und nieder fliegend, sich den Stock und die nähere Umgebung genau einprägt. Die Biene lernt also ihre Umgebung kennen. Sie sammelt Erinnerungsbilder, die sie hernach auf ihrem Flug leiten.“ Die Lerngabe selbst ist dabei nötig genug, denn „wirft man junge Bienen, die noch kein Vorspiel gehalten haben, 30—40 Meter vom Stand in die Luft, so finden sie, namentlich, wenn Gebüsche, Häuser usw. dazwischen liegen, nicht in ihren Mutterstock zurück, lässt man dagegen alte Feldbienen, die schon weit und lange ausgeflogen sind, innerhalb 3—4 Kilometer von ihrem Heim entfernt unter normalen Bedingungen fliegen, so finden sie alle zurück“.

Das an sich vorzügliche und oft seither zitierte Lernbeispiel hat aber diesmal noch eine wertvolle Klausel. Das Umkreisen des Stocks bei den Neulingsbienen ist nämlich selber offenbar bereits zu einem ererbten Instinkt geworden. Er erscheint wie nachträglich angeschlossen an das persönliche Lernen, um zu ihm in jedem Fall und bei allen Bienen die Voraussetzung zu erzwingen. Aber er geht als solcher auch wieder nur genau so weit, wie er seinem Wesen nach vermag: Das Bild des jedes Mal verschiedenen Einzelstocks kann er nicht überliefern - hier muss also die persönliche Lerngabe neu ergänzen. Ein solches Beispiel zeigt auf der einen Seite den großen Vorteil, den in vielen Fällen doch auch dieses individuelle Lernen überall dort geboten haben muss, wo der ererbte Instinkt niemals...

Erscheint lt. Verlag 25.5.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Technik
ISBN-10 3-7534-7436-3 / 3753474363
ISBN-13 978-3-7534-7436-6 / 9783753474366
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