Die Psycho-Trojaner. Wie Parasiten uns steuern (eBook)
100 Seiten
S.Hirzel Verlag
978-3-7776-3076-2 (ISBN)
Dr. Monika Niehaus, Biologin, arbeitet freiberuflich als Autorin, Journalistin und naturwissenschaftliche Übersetzerin. Neben mehreren Sachbüchern in Zusammenarbeit mit Kollegen veröffentlichte sie belletristische Bücher und Kurzgeschichten.
Vorwort:
mit List und Tücke
Parasiten sind allgegenwärtig, praktisch kein Lebewesen bleibt von ihrer unerwünschten Zuneigung verschont. Dabei verursachen sie ihren Wirten verblüffend hohe Energiekosten: So verbrauchen Brüllaffen mehr als ein Viertel ihres Stoffwechselbudgets dafür, mit Händen, Füßen und Schwanz um sich zu schlagen, um geflügelte Plagegeister abzuwehren.[1]
Doch Parasiten sind nicht einfach nur lästige Blutsauger, die sich dreist auf ihre Opfer stürzen und sie zu mehr oder minder heftiger Abwehr veranlassen. Die raffiniertesten dieser ungebetenen Gäste geben sich nicht allein mit der ausgiebigen Nutzung ihrer Nahrungsquelle zufrieden, sondern haben im Laufe ihrer Evolution sogar die Fähigkeit entwickelt, Verhalten und Psyche ihres Wirts zu ihrem eigenen Vorteil zu manipulieren.[2] Da einige dies bereits seit mindestens 500 Millionen Jahren2 versuchen, leiden schon Insekten, Spinnen und Krebse unter den ebenso perfiden wie erstaunlichen Psychotricks diverser Parasiten. Um Ihnen die riesige Bandbreite dieser Tricks darzulegen, fassen wir den Begriff Parasit recht weit und zählen neben Viel- und Einzellern auch Bakterien und Viren dazu (siehe Glossar).
Ein Meister seines Faches ist der winzige Fadenwurm Myrmeconema neotropicum, der im mittel- und südamerikanischen Regenwald Färbung und Verhalten einer Ameise (Cephalotus atratus) so umprogrammiert, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Vogel aufgepickt wird. Die »Idee« dahinter: Vögel lieben rotes Obst. Sobald die infizierte Jungameise alt genug ist, das schützende Nest zu verlassen, lässt der Wurm also ihren Hinterleib prächtig erröten. Denn jetzt beherbergt die »Beerenameise« reife Wurmeier, die schleunigst unters nächste Ameisenvolk gebracht werden müssen. Also klettert sie auf Bäume, die rote Beeren tragen, und spreizt ihren Hinterleib auffällig hoch. Der Vogel schnappt sich den interessanten Happen und scheidet die Wurmei-Füllung andernorts aus. Sobald die Ameisen den nahrhaften Vogelkot finden und an ihre Larven verfüttern, wird auch ihre Kolonie infiziert, und der Parasitenkreislauf schließt sich.[3], [4]
Andere Parasiten können buchstäblich ins Auge gehen, zumindest in das des auch bei uns heimischen See-Flohkrebses (Gammarus lacustris). Kratzwürmer (Polymorphus paradoxus) verändern den Spiegel des Botenstoffs Serotonin im Hirn des Krebses, was die Signalübertragung vom Auge ins Gehirn stört. Das Licht der Sonne erscheint ihm düster, und so schwimmt er aus dem schützenden Dunkel des Teichschlamms nach oben. An der Wasseroberfläche klammert er sich am nächstbesten Gegenstand fest, bis er im Schnabel eines hungrigen Wasservogels verschwindet. Mit dem Vogelkot gelangen die Kratzwurmnachkommen dann zu den nächsten Flohkrebsen.[5], [6], [7], [8] Eine nahe verwandte Kratzwurmart löst bei diesen Krebschen hingegen eine Vorliebe für den aparten Geruch von Raubfischen aus, und sie beeilen sich, ihnen in selbstmörderischer Manier ins Maul zu schwimmen.[9]
Wie gelingt es den Parasiten, derart komplexe Verhaltensänderungen auszulösen? Manche stellen die Gehirnchemie ihrer Opfer neu ein, indem sie direkt auf deren Hormone einwirken. Dieser Methode bedient sich ein Baculovirus. Das Virus befällt die Raupen des Schwammspinners (Lymantria dispar), eines gefürchteten Forstschädlings. Es zerstört ein Hormon, das den Raupen Sättigung signalisiert und den Befehl zur Verpuppung gibt. Die Raupen fressen hemmungslos weiter und gelangen bei der Nahrungssuche bis in die Wipfel der Bäume, daher der Name »Wipfelkrankheit«. Dort sterben sie und zerfallen. Ihre Virenfracht segelt durch die Lüfte und landet auf weiteren Gelegen des Schwammspinners. Und schon infizieren sich die frisch geschlüpften Raupen. Je höher der Baum ist und je ausdauernder die Raupen klettern, desto breiter der Radius, den die Viren erreichen.[10], [11], [12]
Pfiffige Invasoren
Selbst Säugetiere werden von den unsichtbaren Strippenziehern nicht verschont, obwohl deren Gehirne aus wesentlich mehr Nervenzellen und deutlich komplexeren Schaltkreisen bestehen als die von Insekten und Krebsen. Fest steht, dass Parasiten auch beim Menschen zu auffälligen psychischen Veränderungen führen können – das wohl drastischste Beispiel sind akute bakterielle Infektionen wie die Tollwut. Und von chronischen Bakterieninfektionen wie der Syphilis weiß man seit dem 16. Jahrhundert, dass sie zu »Geistesstörungen« führen: Im Spätstadium, der Neurosyphilis, kommt es neben Lähmungen zu Wahnideen und Halluzinationen.[13], [14] Heute steht mehr als ein Dutzend Infektionserreger in Verdacht, psychiatrische Erkrankungen auszulösen, darunter Bornaviren, Borrelien, Chlamydien, Herpesviren, HI-Viren, Streptokokken und Toxoplasma gondii[15] , doch vermutlich ist das nur die Spitze des Eisbergs.
Natürlich macht es der menschliche Körper Eindringlingen nicht leicht, sich im Hirn anzusiedeln. Die erste Barriere ist das Immunsystem. Es schüttet so genannte Zytokine aus, die es ihm erlauben, den Eindringling zu bekämpfen.[16] Dann ist wieder der Parasit am Zuge, indem er die Attacke pariert. Nach Meinung der Psychoneuroimmunologin Shelley Adamo sind die Verbindungen zwischen Immunsystem, Nervensystem und Verhalten für parasitische Machenschaften prädisponiert[17]: »Möglicherweise liegt nur ein kleiner evolutionärer Schritt zwischen der Manipulation des Immunsystems, [mit der der Parasit] seine Zerstörung zu verhindern sucht, und einer Manipulation, mit der er seinen Wirt zwingt, Stoffe zu produzieren, die aufs Nervensystem wirken und sein Verhalten beeinflussen.«17, [18]
Immunsystem und Gehirn stehen in ständigem Austausch, um das Verhalten zu steuern und damit die Überlebenschancen zu erhöhen.[19] Die Evolution hat einerseits jene Parasiten gefördert, die vor allem das Immunsystem des Wirtes manipulieren, anderseits solche, die vor allem dessen Nervensystem beeinflussen – und sie hatten Millionen Jahre Zeit, die jeweilige Technik zu perfektionieren.[20] Das Gehirn bietet Parasiten zudem besondere Vorteile, denn dort sind sie vor der vollen Angriffswucht des Immunsystems geschützt und können sich in aller Ruhe daranmachen, das Verhalten ihres Wirtes zum eigenen Vorteil zu verändern.[21]
Ein wesentlicher Teil psychischer Symptome wird höchstwahrscheinlich durch die allgemeine Reaktion des Immunsystems auf Entzündungen ausgelöst. Sie gelten bei den Veränderungen im Gehirn von Alzheimerpatienten als Schlüsselelement, und das weist auf Infektionen hin: »Entzündungen auszulösen gehört zu den Dingen, die [Bakterien wie] Chlamydien besser können als alles andere«, erklärte der Alzheimerforscher Alan P. Hudson 2001. »Sind sie im Gehirn, führen sie zu Entzündungen.«[22], [23], [24], [25]
Descartes’ Irrtum
Hirnparasiten – Adamo nennt sie die »Neurobiologen der Evolution« – können zum einen Substanzen ausscheiden, die die Aktivität der Nervenzellen direkt verändern, zum anderen Veränderungen im Genom oder im Proteinhaushalt des Wirtes hervorrufen, die zu gezielten und manchmal grotesken Verhaltensänderungen führen.[26], [27] »Fliegen, Ameisen, Raupen, Wespen, was immer Sie wollen«, zählt Janice Moore auf, »es gibt ganze Lastwagenladungen von Wirbellosen, die sich verrückt benehmen, weil sie parasitiert sind.« Tollwutviren und Toxoplasma gehören zu den wenigen bekannten winzigen Strippenziehern, die es mit Säugern aufnehmen, doch das liegt nur an unserer Unkenntnis, glaubt der Parasitologe Robert Sapolsky: »Ich vermute, dass es bei Säugern noch haufenweise weitere Beispiele gibt, mit Parasiten, von denen wir noch nie gehört haben.«[28]
Was für körperliche Erkrankungen gilt, gilt auch für psychische – die auf den französischen Philosophen und Naturwissenschaftler René Descartes zurückgehende Trennung zwischen Körper und Geist beziehungsweise Seele (Dualismus) ist eine rein willkürliche, wird aber von der psychiatrischen Zunft bis heute hochgehalten. Doch was ist mit den Ameisen, Flohkrebsen und Ratten, die sich »verrückt«, ja selbstmörderisch benehmen? Traumatische frühkindliche Erfahrungen können kaum die Ursache sein. Menschen sind keine Ameisen, aber für einen Parasiten ist unser Gehirn ein Organ wie jedes andere, und er tut dort, was er auch in seinen anderen Wirten tut.[29] Wie sich dieses Tun auswirkt – ob unspezifisch als Entzündung oder spezifisch als Verhaltensmanipulation –, hängt von den Umständen ab. Statt unsere Psyche als etwas Metaphysisches anzusehen, sollten wir die Möglichkeit einer Parasiteninfektion bei psychischen Erkrankungen in Betracht ziehen.
Inzwischen nehmen Experten wie der Virologe Nathan Wolfe an, dass ein beträchtlicher, wenn nicht gar der überwiegende Teil chronischer Erkrankungen von Infektionen hervorgerufen wird.[30], [31] Er hält das für eine gute Nachricht, denn die Tatsache, dass sich auch hinter Gemütskrankheiten Parasiten verbergen können, eröffnet...
Erscheint lt. Verlag | 19.11.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft |
Technik | |
Schlagworte | Erreger • Flöhe • Infektion • Infektionserreger • Läuse • Pandas • Parasiten • Psyche • Psychiatrische Erkrankungen • Psychotrojaner • Verhalten • Würmer • Zwangsstörung |
ISBN-10 | 3-7776-3076-4 / 3777630764 |
ISBN-13 | 978-3-7776-3076-2 / 9783777630762 |
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Größe: 10,8 MB
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