Auf der Suche nach den wilden Pferden (eBook)

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2021 | 1. Auflage
464 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32160-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Auf der Suche nach den wilden Pferden -  Stefan Schomann
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»Pferdegeschichte ist Menschheitsgeschichte.« Den Urwildpferden auf der Spur Eine atemberaubende Reportage über die selten gewordenen Przewalski-Pferde, die leidenschaftlicher, informierter und schöner nicht geschrieben sein könnte. Als Stefan Schomann im Tierpark Hellabrunn dem clownesken Blick eines ockerfarbenen Pferds mit Bürstenmähne für immer verfällt, wie soll er da begreifen, eine ausgestorbene Art zu betrachten? Das letzte freilebende Urwildpferd wurde in den 1960er Jahren gesichtet. In seiner Heimat, der Steppe am Nordrand der Wüste Gobi, wo es schlicht Tachi hieß. Nur etwa 30 Tiere überlebten, über den Globus verstreut und in Gefangenschaft. Doch mittlerweile existieren Auswilderungsprogramme, die Tachi aus aller Welt wieder in ihren ursprünglichen Lebensraum zurückführen. Schomann erzählt ihre Geschichte, die im Grunde auch unsere ist. Das Pferd war die erste Muse des Menschen, inspirierte ihn schon vor Jahrtausenden zu künstlerischen Schöpfungen. Seine Zähmung revolutionierte Handel, Transport und Kriegsführung. Für die Wildpferde aber war es der Anfang vom Ende. Doch haben die Tachi Spuren hinterlassen und Schomann folgt ihnen: ins Auswilderungsgebiet Gobi B; in auf keiner Karte verzeichnete Orte sowie Zeit- und Raumvorstellungen auflösende Landschaften. Er lässt sich von prähistorischer Höhlenmalerei verzaubern und kommentiert schwungvoll wie in einem Gespräch unter Freunden die Weltliteratur sowie Reiseberichte berühmter Naturforscher wie Humboldt oder Brehm.

Stefan Schomann, 1962 in München geboren, arbeitet als freier Schriftsteller. Seine Reportagen, Portraits und Feuilletons erscheinen u. a. in GEO, Stern, ZEIT und der FR. Seine Bücher behandeln China, die Geschichte des Roten Kreuzes und zuletzt das Reisen zu Pferd. Auf der Suche nach den wilden Pferden (2021) lobte die FAS als »das wohl außergewühnlichste Buch, das je über Pferde geschrieben wurde«. 2019 wurde er dafür mit dem »Eisernen Gustav« ausgezeichnet. Schomann ist Kulturbotschafter der chinesischen Geschichtenerzähler und Ehrenbürger des Dorfes Ma Jie. Er lebt in Berlin und Peking.

Stefan Schomann, 1962 in München geboren, arbeitet als freier Schriftsteller. Seine Reportagen, Portraits und Feuilletons erscheinen u. a. in GEO, Stern, ZEIT und der FR. Seine Bücher behandeln China, die Geschichte des Roten Kreuzes und zuletzt das Reisen zu Pferd. Auf der Suche nach den wilden Pferden (2021) lobte die FAS als »das wohl außergewühnlichste Buch, das je über Pferde geschrieben wurde«. 2019 wurde er dafür mit dem »Eisernen Gustav« ausgezeichnet. Schomann ist Kulturbotschafter der chinesischen Geschichtenerzähler und Ehrenbürger des Dorfes Ma Jie. Er lebt in Berlin und Peking.

Inhaltsverzeichnis

Urwelt im Isartal


»Ich könnte mich noch weiter über die Tugenden dieses Volkes
(der Houyhnhnms, die wir bei uns Pferde nennen) auslassen; doch da ich binnen kurzem ein eigenes Buch über dieses Thema zu veröffentlichen gedenke, so verweise ich den Leser darauf.«

~ Jonathan Swift, Gullivers Reisen

Als Nyamsuren mit seinem Großvater das letzte Przewalskipferd in freier Wildbahn erspähte, sah ich mein erstes im Münchner Tierpark Hellabrunn. Lange Jahre blieb er der einzige Zoo, den ich kannte, und so glaubte ich, dass Wildpferde eben zum tiergärtnerischen Kanon gehörten, nicht anders als Pinguine, Tiger und Giraffen. Doch damals verfügte allenfalls ein Dutzend Zoos weltweit über diese Tiere, mit kaum mehr als hundert Exemplaren. Hellabrunn beherbergte die größte und selbstverständlich schönste, originalgetreueste Herde. Es war eine Münchner Spezialität, ein zoologisches Schmankerl, das Lebenswerk von Heinz Heck, der den Tierpark zu dieser Zeit noch führte.

Der Besuch dort war jedes Mal ein Feiertag für mich. Denn er verhieß eine Weltreise. Bereits in den zwanziger Jahren hatte Heck Hellabrunn als Geo-Zoo angelegt, gegliedert nach Erdteilen und Lebensräumen und nicht, wie bis dahin üblich, als eine begehbare Systematik nach Art der zoologischen Sammlungen und Lehrbücher: hier alle Katzen, dort alle Unpaarhufer, dort alle Vögel. Hellabrunn dagegen versammelte die Tiere in »geographischen Bildern«, Wohngemeinschaften, die ihren natürlichen Habitaten nachgebildet waren. So behauste die Südamerika-Anlage Wasserschweine, Pampashasen, Ameisenbären und Nandus; nur die Jaguare blieben außen vor. Der Gang zu Känguru und Emu ersetzte eine Weltumsegelung, der Anblick der Zebras, Gnus und Antilopen geriet zur Stippvisite in der Serengeti, und der Abstieg ins Souterrain des Aquariums glich einem Tauchgang in die Tiefsee.

Zusammen mit den Wisenten sowie den rückgezüchteten Auerochsen und Tarpanen bildeten die Przewalskipferde das Herzstück des »Urwildparks«. Dort kam zur Weltumrundung noch eine Zeitreise hinzu, auf der einst heimische, doch längst verschwundene oder gar ausgestorbene Großtiere wieder lebendig wurden. Hellabrunn nahm Jurassic Park vorweg. Und wäre dort nicht mittlerweile eine Kontinentalverschiebung im Gange – der Parkteil Afrika wandert in den bisherigen Parkteil Europa –, ich fände die Anlage noch heute mit verbundenen Augen. Eine Pirsch auf verschlungenen Wegen, deren beständige Krümmung allein schon Abenteuer verhieß, ein Defilee über allerhand Brücken und Inseln hinweg, vorbei am Wisent, vorbei am Wolf, untermalt von den blechernen Rufen der Kormorane und Gänse, welche die Gehege als freilebende Beigaben bereicherten.

Die Przewalskipferde verfügten über eine der größten Außenanlagen, eine Lichtung in der Waldwildnis, eine Reminiszenz an die Gobi. Das Schönste war ihre Farbe. Ein sattes blondes Steppengelb, leicht glänzend dank einem Hauch von Goldocker, akzentuiert zum einen durch das Weiß von Bauch und Maul und zum anderen durch das Schwarz von Schweif und Mähne. Zehn, zwölf Tiere bevölkerten die Anlage, ein Hengst mit mehreren Stuten, dazwischen ein paar Fohlen und Jährlinge. Die meiste Zeit grasten sie vor sich hin und hatten so gar nichts Wildes, Feuriges an sich. Manchmal trottete eines hinüber zum Unterstand. Hin und wieder aber kam Bewegung in die Herde, und dann preschten zwei, drei Tiere um die freistehenden Birken herum, als spielten sie Fangermanndl. Doch sie repetierten einfach zwischendurch ihre Rangordnung. Noch trugen einige, als ein Versprechen auf gelingende Integration, kernbayrische Namen wie Rochus, Rasso oder Sigi. Wobei der Zeitgeist bereits umschwenkte, so dass nun Roger, Rovina und Sirikit zum Zuge kamen.

Wenn es im Herzen Europas eine Landschaft gibt, die auf exotische Waldwildnis einzustimmen vermag, die vorgeburtliche Umschlossenheit gewährt und amphibische Labyrinthe birgt, so sind es die Isarauen um München. Ein Mato Grosso im Alpenvorland. Hellabrunn liegt an einem Altarm, eingefasst von steilen Ufern. Unten in der Senke führte die Pforte hinein in ein geheimnisvolles Reich. Auch jedes einzelne Tier dort barg ein Geheimnis; nie konnte ich genug bekommen von all der rätselhaften Schönheit und Andersartigkeit, die hier versammelt war. Doch auch ohne den Zoo bilden die Isarauen ein bedeutendes Habitat. Hier leben, noch im Stadtgebiet, Uhu und Eisvogel, Ringelnatter und Kreuzotter, Prachtlibelle und Schillerfalter. Im Fluss tummeln sich Urviecher wie der Biber oder der Huchen, ein dreißig Kilo schwerer Salmonide. Vor einigen Jahren kreuzte gar ein Pelikan stoisch vor der Praterinsel, just vis-à-vis des Bayerischen Landtags. Handelte es sich um einen weiteren Vorboten des Klimawandels? Sieh da! Sieh da, Timotheus! Zwar stellte sich heraus, dass er einem Tiroler Zoo entfleucht war, doch auch ihm waren die Isarauen höchst einladend erschienen. Thomas Manns ungewohnte Liebeserklärung an sie gilt bis heute: »Das ist kein Wald und kein Park, das ist ein Zaubergarten.«

Auch die Isar selbst ist Wildnis: Isaria, die Reißende – ein Sturzbach vom Kaliber eines Stroms. Im Stadtgebiet war sie freilich durch Befestigungen und Stauwehre gehörig domestiziert und an die Kandare genommen worden. Doch inzwischen hat München diesen letzten deutschen Wildfluss zurückgewonnen. Wildnis hat Konjunktur. Aus ödem Gerinne wurden wieder weite Schleifen, aus reizlosen Überflutungsflächen artenreiche Biotope. Im Herzen der Stadt bildete die urbane Feuchtsavanne des Englischen Gartens seit je den Inbegriff bajuwarischer Lebensart. Und dann war da noch die Pupplinger Au: ein berüchtigtes, zugleich verstörendes und verlockendes Nacktbaderevier, verteilt über zahllose Kiesbänke und abgeschirmt von Erlen, Weiden, Tamarisken. Eine Landschaft im Fluss. Beständig verlagert die Isar hier ihr Geschiebe und sucht sich neue Wege im alten Bett. Nach einem Hochwasser findet sich ein Strommast schon mal am linken statt am rechten Ufer wieder. Klopfenden Herzens betraten wir Kinder diese Urlandschaft, in der eingeengte Städter ihre Auswilderung betrieben. Wir aber pirschten auf die eigentlichen Attraktionen der Au – Smaragdeidechsen, Schwalbenschwänze, Grünspechte. Und einmal sogar auf einen Schwarzstorch auf der Durchreise.

Herbert Riehl-Heyse schrieb dem Reporter ins Stammbuch, er sei, wie jeder Mensch, dazu verpflichtet, seine Mythen einzuholen. Wer dies eines Tages vollbringt, kreuzt seinen eigenen Weg. So begegnet der fast Sechzigjährige dem gerade mal Sechsjährigen wieder. Zwei und derselbe. Für ein paar kostbare Stunden und Tage offenbarte Hellabrunn damals die Welt. Später, erheblich später, doch ein jegliches hat seine Zeit, bei den Bären in der jakutischen Taiga etwa, oder bei den Urwaldriesen am Ufer des Ubangi, oder bei den Walrossen, die auf Eisschollen durch eine frankophone Arktis trieben, später dann also, bei den wogenden Bisonherden in Süd-Dakota, oder den Pelikanen auf den großen Balkanseen, die sich keineswegs verflogen hatten, sondern seit Jahrzehntausenden dort heimisch waren, oder damals, im schwerelosen Taumel an den Riffen vor Celebes – da war die Welt wie Hellabrunn. Man konnte sogar, nun schon für kostbare Tage und Wochen, mitten darin übernachten und vernahm dann das Heulen der Wölfe im winterlichen Yellowstone, lauschte dem Dschungel am Río Pastaza, wo es in allen Tonlagen zirpte und trällerte und gluckste und klopfte, weit opulenter noch als in der Pupplinger Au, verfiel schließlich dem Sirenengesang der letzten Gibbons in den Bergen von Yunnan, einem fordernden Flehen hoch in den Wipfeln, und spürte einmal auch die Erde erzittern, als die Nilpferde am Manyara-See sich zwischen den Zelten hindurch in die Büsche schlugen.

Auch Tarpane, Wisente und Auerochsen verfügten in Hellabrunn über geräumige Gehege, der Urwildpark bildete einen Kontinent für sich. Mit diesem Projekt haben Heinz Heck und sein Bruder Lutz Zoogeschichte geschrieben, und Zoologiegeschichte dazu. An der Rettungszucht der Wisente und der Przewalskipferde waren beide maßgeblich beteiligt. Die letzten freilebenden Wisente im Urwald von Białowieża in Russisch-Polen waren während des Ersten Weltkriegs aufgerieben worden. Danach ergab eine weltweite Inventur, dass nur mehr sechsundfünfzig Exemplare von Europas größtem verbliebenen Säugetier in Gefangenschaft lebten. Alle heutigen Wisente stammen von zwölf dieser Gründertiere ab. Bei den Tachi war die Lage ähnlich kritisch, auch wenn hier noch eine ungewisse, doch schon damals verschwindend geringe Zahl in freier Wildbahn lebte. Die älteste Herde in menschlicher Obhut, die in Askania Nova in der Ukraine, ging im Zweiten Weltkrieg zugrunde. Etwa dreißig weitere Tiere befanden sich, über die halbe Erde verstreut, in Zoologischen Gärten und Wildgehegen. Ohnehin stammen alle heutigen Przewalskipferde von nur zwölf Gründertieren ab. Als dreizehnte kam dann noch Orlitza II, die berühmte Orlitza II hinzu, eine später gefangene Nachzüglerin.

In jenen Jahren wurde die Öffentlichkeit sich der Gefahr des unwiderruflichen Aussterbens zahlreicher Arten bewusst. »Es ist eines der erschütterndsten Kapitel in der Geschichte unserer Tage«, bekannte Lutz Heck, damals Zoodirektor in Berlin und als Doktor der Philosophie der effektvollste Stilist des Hauses Heck, »wie eine ganze, lebensstarke Tierart weggewischt wird vom Erdboden, ausgelöscht fast, einzig durch die Unvernunft der Menschen, ihre Habgier, ihren Ehrgeiz, ihre blinde Zerstörungswut, und wie ebendiese Menschheit, auf einmal zur Besinnung gekommen, die letzten Trümmer...

Erscheint lt. Verlag 7.10.2021
Zusatzinfo mit zahlreichen farbigen Fotos
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Technik
Schlagworte Alexander von Humboldt • Artenschutz • Gobi • Humboldt • Menschheitsgeschichte • Mongolei • Nature writing • Pferde • Przewalski • Przewalski-Pferde • Reise • Reportage • Spurensuche • Tachi • Tierpark Hellabrunn • Urwildpferde
ISBN-10 3-462-32160-9 / 3462321609
ISBN-13 978-3-462-32160-9 / 9783462321609
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